J 0018/90 (Dänemark - ausdrücklich) 22-03-1991
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1. Die ausdrückliche Benennung eines neuen Vertragsstaats in einer europäischen Patentanmeldung kurze Zeit vor dem Inkrafttreten des Europäischen Übereinkommens für diesen Staat kann zwar keine Verschiebung des Anmeldetags auf den Tag des Inkrafttretens rechtfertigen (vgl. J 14/90, ABl. EPA 1992, 505). Jedoch kann eine solche ausdrückliche Benennung, nach Vergewisserung beim Anmelder, dahin ausgelegt werden, daß der Anmelder keinen früheren Anmeldetag wünscht als den Tag, an dem das Europäische Patentübereinkommen für den betreffenden Staat in Kraft tritt.
2. Im schriftlichen Verfahren vor dem Europäischen Patentamt und in der Entscheidung kann das Amt auch eine andere Amtssprache als die Verfahrenssprache verwenden, sofern alle Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Anmeldetag - späterer durch Auslegung
Amtssprache - andere als Verfahrenssprache im schriftlichen Verfahren und in der Entscheidung
I. Der Anmelder reichte am 28. Dezember 1989 die europäische Patentanmeldung 89 124 087.1 unter Inanspruchnahme einer (frühesten) Priorität vom 7. Januar 1989 ein. Im Feld 26 des Formblatts des Antrags auf Patenterteilung (Formblatt wie in ABl. EPA 1986, 306 veröffentlicht) hatte er alle damals möglichen zwölf Benennungen vorgenommen und außerdem mit Schreibmaschine eingefügt "Dänemark/Denmark-DK-X" und auch dafür eine Benennungsgebühr gezahlt. Die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts bezeichnete diese Einfügung als unwirksam und zahlte die Benennungsgebühr zurück.
II. Am 2. März 1990 reichte der Anmelder als vorsorgliche Maßnahme eine gesonderte Anmeldung für Dänemark (Nr. 90 104 109.5) ein, die er als "Teilanmeldung" bezeichnete und für die er den 1. Januar 1990 als Anmeldetag beanspruchte.
III. Durch Entscheidung vom 23. April 1990 lehnte die Eingangsstelle des EPA einen Hauptantrag des Anmelders ab, der europäischen Patentanmeldung 89 124 127.1 den 1. Januar 1990 als Anmeldetag zuzuerkennen, und ebenso einen Hilfsantrag, zwei Anmeldungen zu führen, nämlich eine mit dem Anmeldetag 28. Dezember 1989 für alle Staaten außer Dänemark und eine mit dem Anmeldetag 1. Januar 1990 für Dänemark. Zur Begründung wird vornehmlich folgendes ausgeführt: Das EPA habe grundsätzlich keine andere Möglichkeit, als jenen Tag als "Anmeldetag" festzulegen, an dem Anmeldeunterlagen eingereicht werden, die die Voraussetzungen des Artikels 80 EPÜ erfüllen. Die Zuerkennung eines späteren Tages könne nur aufgrund einer Rechtsnorm erfolgen. Für einen Fall der vorliegenden Art gebe es eine solche nicht. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Absicht des Anmelders, einen späteren Anmeldetag zu erhalten, ganz eindeutig feststehe. Eine sich auf eine Priorität stützende Anmeldung könne inhaltlich eine Erfindungserweiterung enthalten, für deren Patentierbarkeit der Anmeldetag und nicht der Prioritätstag entscheidend sei.
IV. Mit seiner zulässigen Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, daß Artikel 80 EPÜ nur die Minimal-Anforderungen für den frühestmöglichen Anmeldetag enthalte und die Verschiebung auf einen späteren Tag nicht ausschließe. Selbst die Eingangsstelle des EPA würde in Fällen der vorliegenden Art die Vergabe des Anmeldetags aufschieben, wenn dies mit der Einreichung der Anmeldung ausdrücklich beantragt werde. Fehle diese ausdrückliche Erklärung, so könne sie nachgebracht werden und notfalls auch als Irrtumsberichtigung nach Regel 88, Satz 1 EPÜ erfolgen.
V. Die Beschwerdekammer hat in dem hier vorliegenden Beschwerdefall J 18/90 - Canon, wie auch bei den Beschwerden J 14/90 - Flachglas (ABl. EPA 1992, 505) und J 30/90 - Shea (ABl. EPA 1992, 516), in denen es ebenfalls um die Benennung Dänemarks im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens für Dänemark geht, dem Präsidenten des EPA nach Artikel 12a der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 1989, 361) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er hat im vorliegenden Fall schriftlich Stellung genommen und folgendes ausgeführt:
Der Anmeldetag sei durch Artikel 80 EPÜ definiert als der Tag, an dem die dort genannten Erfordernisse erfüllt sind. Dieser Tag sei von der Eingangsstelle als Anmeldetag festzulegen. Sie könne dies nicht davon abhängig machen, ob im übrigen eine Inkonsistenz im Antrag auf Patenterteilung erkennbar sei. Die Rechtssicherheit verlange einen unzweifelhaften Anmeldetag, weil mit ihm wichtige Fristen zu laufen beginnen. Nur bei völliger Eindeutigkeit des Anmelderwunsches, einen späteren Tag als Anmeldetag zuerkannt zu bekommen, bestehe u. U. die Möglichkeit, diesem Wunsch zu entsprechen. Diese absolute Eindeutigkeit des Anmelderwunsches gebe es im vorliegenden Fall nicht, da der Anmeldetag für die Patentfähigkeit einer über den Inhalt der Prioritätsunterlagen hinausgehenden Erfindungserweiterung maßgeblich sein könne. Fehle diese absolute Eindeutigkeit des Anmelderwunsches, so sei es nicht Aufgabe der Eingangsstelle, die Eindeutigkeit durch eine Rückfrage herbeizuführen. Eine Verschiebung des Anmeldetages auf späteren Wunsch des Anmelders könne es nur aufgrund eindeutiger Rechtsnormen geben. Solche stünden nur für den Fall nachgereichter Zeichnungen in Artikel 91 (6) i. V. m. Regel 43 (2) EPÜ zur Verfügung.
VI. Mit Schreiben vom 26. Februar 1991 zahlte der Beschwerdeführer die Benennungsgebühr für Dänemark durch Beifügung eines Schecks erneut und beantragte
1. die angefochtene Entscheidung aufzuheben;
2. (nach Hauptantrag) der europäischen Patentanmeldung Nr. 89 124 087.1 den Anmeldetag 1. Januar 1990 zuzuerkennen;
3. (nach Hilfsantrag) der am 2. März 1990 vorsorglich für Dänemark gesondert eingereichten Teilanmeldung Nr. 90 104 109.5 den Anmeldetag 1. Januar 1990 zuzuerkennen. Ferner erklärte er, mit dem Gebrauch der deutschen Sprache im schriftlichen Verfahren und in der Entscheidung einverstanden zu sein.
1. Obwohl die Verfahrenssprache Englisch ist, kann die Entscheidung in Deutsch ergehen. Der Anmelder und einzige Beteiligte am Verfahren hat dem Gebrauch der deutschen Sprache im schriftlichen Verfahren ausdrücklich zugestimmt. Bei mündlicher Verhandlung hätte daher auch die Niederschrift nach Regel 76 EPÜ in Deutsch abgefaßt werden können.
1.1 Dem EPA war nach bisherigem Recht im schriftlichen Verfahren der Gebrauch einer anderen Amtssprache als der Verfahrenssprache nur nach Änderung der Verfahrenssprache nach Regel 3 EPÜ möglich. Dies setzt einen entsprechenden Antrag des Anmelders oder Patentinhabers voraus. Davon wurde im Beschwerdeverfahren gelegentlich Gebrauch gemacht, so beispielsweise in einer jener sieben Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer in Sachen der "zweiten medizinischen Indikation" (ABl. EPA 1985, 59). Die Schwierigkeit der zu entscheidenden Fragen läßt es gelegentlich zweckmäßig erscheinen, daß eine andere Amtssprache als die Verfahrenssprache gewählt wird, weil sie schlechthin allen Mitwirkenden geläufiger ist und diesen damit einen höheren Grad gedanklicher Differenzierung ermöglicht. Nicht ohne Grund sieht daher auch Artikel 4 (5) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 1983, 7) vor, daß Entscheidungen intern in einer anderen Amtssprache als der Verfahrenssprache abgefaßt werden können. Dies bedeutet aber auch, daß sie in der anderen Sprache konzipiert werden. Die Übersetzung in die Verfahrenssprache bleibt trotz aller Übersetzungsqualität doch eine Übersetzung. Es braucht nicht verschwiegen zu werden, daß gelegentlich der sog. "Amtliche Text" nicht der Text ist, in der die Entscheidung konzipiert wurde, sondern eine Übersetzung. Umgekehrt kann das, was im Amtsblatt als "Übersetzung" erscheint, der Text der Konzeption sein. Bisher konnte solches durch eine Änderung der Verfahrenssprache im Interesse aller Mitwirkenden vermieden werden. Damit konnte eine bessere gegenseitige Verständigung und ein höheres Niveau an gedanklichem Ausdruck erreicht, die Wahrhaftigkeit gewahrt und effizienter gearbeitet werden.
1.2 Solches ist auch nach Streichung von Regel 3 EPÜ (vgl. ABl. EPA 1991, 4) nicht ausgeschlossen. Soweit bekannt, sollte mit der Streichung nur verhindert werden, daß nach Änderung der Verfahrenssprache Formblätter in falscher Sprache verwendet werden und ungültige Bescheide, Mitteilungen und Entscheidungen ergehen. Zweck der Streichung war es nicht, dem Amt im schriftlichen Verfahren - insbesondere bei Entscheidungen - den Gebrauch einer anderen Amtssprache als der Verfahrenssprache unmöglich zu machen, sofern alle Beteiligten damit einverstanden sind. Dies vorausgesetzt, kann daher das Amt auch im schriftlichen Verfahren eine andere Amtssprache als die Verfahrenssprache verwenden. Was nach Regel 2 (2) EPÜ im mündlichen Verfahren ohne Einverständnis der Beteiligten möglich ist, kann im schriftlichen Verfahren mit deren Einverständnis wohl nicht ausgeschlossen sein.
1.3 Selbstverständlich bleibt bei Gebrauch einer anderen Amtssprache die europäische Patentanmeldung und das europäische Patent im Text der Verfahrenssprache unberührt. Entsprechend bisheriger Regel 3 Absatz 2 EPÜ können Änderungen dieser Texte nur in der Verfahrenssprache eingereicht werden. Solche Änderungen können auch nur unter Bezug auf den Originaltext, d. h. auf die Verfahrenssprache erörtert und geänderte Fassungen nur im Originaltext vom Amt beschlossen werden.
2. Die Lösung des Falles ergibt sich für die Beschwerdekammer nicht durch eine Verschiebung des Anmeldetages, sondern durch eine Auslegung des Erklärungsinhaltes des am 28. Dezember 1989 eingegangenen Antrags auf Patenterteilung vor dem Hintergrund der damals dem EPA wie dem Anmelder bekannten Tatsache, daß das Europäische Patentübereinkommen für Dänemark am 1. Januar 1990 in Kraft tritt (vgl. ABl. EPA 1989, 479), während die Prioritätsfrist für die Anmeldung erst am 7. Januar 1990 abläuft. Die Möglichkeit, daß für einen etwaigen Offenbarungsüberschuß der Zeitrang 28. Dezember 1989 statt 1. Januar 1990 von Bedeutung sein könnte, ist derart theoretisch und fernliegend, daß sie die Auslegung des Antrags auf Patenterteilung nicht beeinflussen kann. Auslegungsbedürftige Erklärungen sind wesensgemäß nicht absolut eindeutig - sonst bedürften sie keiner Auslegung. Eine denkbare Ausnahme kann eine sich aufdrängende Auslegung des Anmelderwillens nicht hindern, auch wenn zur Gewinnung letzter Eindeutigkeit eine Rückfrage notwendig ist.
3. Es ist zwar richtig, daß es normalerweise nicht Aufgabe der Eingangsstelle ist, Anmeldungsunterlagen auf inhaltliche Konsistenz zu prüfen und Widersprüche durch Rückfragen zu klären. Dies gilt aber nicht, wenn in einer an einem 28. Dezember eingehenden Patentanmeldung ein Staat benannt wird, der vom darauffolgenden 1. Januar an benennbar ist. Auch im patentamtlichen Verfahren kann eine Güterabwägung zwischen Verfahrensökonomie und Anmelderinteresse geboten sein. Diese kann eine Regelabweichung zugunsten des Anmelders notwendig machen (vgl. T 166/86 -"gesonderter Anspruchssat:li.HENKEL", ABl. EPA 1987, 372, Gründe Nr. 7).
4. Durch die Zuerkennung des 1. Januar 1990 als Anmeldetag für die europäische Patentanmeldung Nr. 89 124 087.1 ist Dänemark in diese Anmeldung eingeschlossen. Die rechtzeitig gezahlte und dann zurückgezahlte Benennungsgebühr ist erneut gezahlt. Die Benennung ist somit gültig. Die Benennung wurde in der Akte 89 124 087.1 auch nie zurückgenommen. Die Einreichung einer gesonderten Anmeldung für Dänemark - "Teilanmeldung" genannt - war immer hilfsweise, d. h. konditional.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der europäischen Patentanmeldung Nr. 89 124 087.1 wird der
1. Januar 1990 als Anmeldetag zuerkannt.