T 1403/04 15-11-2006
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Reguliertes Streckwerk
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte am 14. Dezember 2004 gegen die am 8. Dezember 2004 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 009 870 zu widerrufen, Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 12. April 2005 beim Europäischen Patentamt ein.
II. Der einzige Einspruch war darauf gerichtet, das Patent im gesamten Umfang zu widerrufen und war gestützt auf die in Artikel 100 a) EPÜ genannten Einspruchsgründe, insbesondere mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit. Die Patentinhaberin bemängelte, dass nur die behauptete fehlende Neuheit, bezüglich des unabhängigen Anspruchs 18 überhaupt kein Einspruchsgrund substanziiert ausgeführt worden sei.
III. In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei. Bezüglich des unabhängigen Anspruchs 18 wurde in den Entscheidungsgründen weder auf die Substanziierung der vorgebrachten Einspruchsgründe noch die Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit eingegangen.
IV. Nachdem die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) u.a. die Zulässigkeit der Beschwerde beanstandet hat, da das Erfordernis der Regel 64 b) EPÜ nicht erfüllt sei, zog sie am 17. Januar 2006 ihren Einspruch zurück.
V. In dem mit der Ladung zur mündlichen Handlung versandten Bescheid äußerte die Beschwerdekammer die vorläufige Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei. Für den Fall, dass die Kammer später zu einer positiven Beurteilung der Neuheit gelangen sollte, und angesichts der Tatsache, dass bisher bezüglich des Anspruchs 18 weder die Substanziierung der Einspruchsgründe noch die Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit beurteilt worden war, erwäge sie, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen (Artikel 111 (1) EPÜ). Die Kammer wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass geänderte Ansprüche zwei Monate vor dem anberaumten Termin vorliegen sollten.
VI. Auf den Tag zwei Monate vor dem anberaumten Termin fragte die Beschwerdeführerin schriftlich an, ob wegen Abstimmungsproblemen zwischen der Patentinhaberin und ihrem Vertreter während der Urlaubszeit geänderte Ansprüche erst zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht werden könnten. Nachdem der Berichterstatter die Beschwerdeführerin darüber informiert hatte, dass über die Zulässigkeit der noch einzureichenden geänderten Ansprüche nur die Kammer, abhängig vom Zeitpunkt der Einreichung und dem Inhalt der Ansprüche, entscheiden könne, reichte die Beschwerdeführerin zwei Wochen nach dem von der Kammer festgesetzten Zeitpunkt geänderte Ansprüche in Form eines Hauptantrags und eines Hilfsantrages ein.
VII. Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 15. November 2006 legte die Beschwerdeführerin weitere geänderte, sich der Reihe nach ersetzende Fassungen des Hauptantrags vor, um die jeweiligen Beanstandungen der Kammer nach den Artikeln 84, 123 (2) und 54 EPÜ zu beheben. Nach Vorlage der dritten Fassung des Hauptantrags entschied die Kammer, diesen als verspätet nicht zuzulassen, insbesondere da dessen Gewährbarkeit nicht ohne weiteres erkennbar war. Die schriftliche Vorlage einer zuvor mündlich formulierten vierten Fassung des Hauptantrags ließ die Kammer unter Hinweis auf das verspätete Vorbringen nicht zu.
VIII. Zur Zulässigkeit des Hauptantrags wies die Beschwerdeführerin insbesondere darauf hin, dass der Anspruch 1 im Wesentlichen eine Kombination der Merkmale der erteilten Ansprüche 1, 3 und 5 sei und dass darüber hinaus die Änderung des Ausdrucks "erfassen" in "messen" ihre Grundlage im Absatz [0030] der Beschreibung finde.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Basis des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hauptantrags oder des Hilfsantrags zu erteilen.
X. Der in der mündlichen Verhandlung zuletzt vorgelegte Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:
"1. Streckwerk (30) mit einer vorgeschalteten Karde (1), einem Antrieb (M2) und einer Reguliereinrichtung (M3, 33) zum Ausregulieren von Massenschwankungen einer dem Streckwerk (30) von der Karde (1) zugeführten Fasermasse (6), dadurch gekennzeichnet, dass dem Streckwerk (30) wenigstens ein Mittel (14,20) zur Beeinflussung der Grunddrehzahl des Streckwerks zugeordnet ist, wobei das Mittel geeignet ist, Unterschiede zwischen der Zuführgeschwindigkeit der Karde (1) und der Einlaufgeschwindigkeit in das Streckwerk (30) zu messen, und das Mittel einen Faserbandspeicher (14) umfasst."
XI. Der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:
"1. Streckwerk, dadurch gekennzeichnet, dass dem Streckwerk (83,30) eine Bandablage (KA) nachgeordnet ist und der Verzug der Streckwerkseinheit derart hoch ist, dass dadurch der Faserorientierungsgrad im Band wesentlich vergrößert bzw. der Anteil der Hakenfasern wesentlich verkleinert wird."
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerdeschrift enthält die Erklärung: "Hiermit legen wir Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das oben genannte Patent zu widerrufen." In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist dies als Antrag zu verstehen, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben, womit die Erfordernisse der Regel 64 b) EPÜ erfüllt sind (z. B. T 407/02, 1.1 der Entscheidungsgründe).
Da auch alle übrigen Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 sowie Regel 1 Absatz 1 EPÜ erfüllt sind, ist die Beschwerde nach Regel 65(1) EPÜ zulässig.
2. Zulässigkeit des Hauptantrags
2.1 Die Beschwerdeführerin hat geänderte Ansprüche in Form eines Haupt- und Hilfsantrags in Antwort auf die Mitteilung der Kammer erst nach Ablauf des von der Kammer dafür festgelegten Zeitpunktes schriftlich eingereicht. Sie begründete es mit Abstimmungsproblemen im Urlaubszeitraum, was die Kammer nicht als gültigen Grund anerkennt. Alle nach dem von der Kammer festgesetzten Zeitpunkt vorgelegten Anträge sind somit verspätet, und es liegt in ihrem Ermessen, diese zuzulassen. Nachdem die Kammer der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung noch drei weitere Gelegenheiten zur Änderung gegeben hatte, wobei auch die letzte vorgelegte Fassung des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht zu einem ohne weiteres gewährbaren Anspruch geführt hat (siehe 2.2, unten), hat die Kammer beim gegebenen Verfahrensstand in Ausübung des ihr in Artikel 10b(1) VOBK eingeräumten Ermessens den Hauptantrag als verspätet nicht zugelassen (Artikel 114 (2) EPÜ).
2.2 Anspruch 1 beruht auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 3 und 5. Zusätzlich wurde das Merkmal "mit einer vorgeschalteten Karde" im Oberbegriff definiert und der Ausdruck "erfassen" durch den Ausdruck "messen" ersetzt. Als Grundlage für die Einführung des Ausdrucks "messen", der im Patent nicht explizit auftaucht, nannte die Beschwerdeführerin den Absatz [0030] der Beschreibung des Patents. Dieser Absatz beschreibt eine bevorzugte Ausführungsform einer Karde, wie sie in der Figur 1 schematisch gezeigt wird. Neben einer Reihe anderer Merkmale ist insbesondere beschrieben, wie mittels eines Balkensensors der Durchhang der Faserbandschlaufe abgetastet wird, um damit die Stellung der Faserbandschlaufe exakt zu erfassen. In dieser Passage ist allerdings nicht ohne weiteres eine Offenbarung eines Mittels zu erkennen, das geeignet ist, Unterschiede zwischen der Zuführgeschwindigkeit der Karde und der Einlaufgeschwindigkeit in das Streckwerk zu messen, sondern allenfalls Mittel, die geeignet sind, solche Unterschiede zu erkennen (siehe auch Absatz [0015], "damit können die Unterschiede... anhand des veränderlichen Füllstand des Speichers erkannt werden"). Des weiteren handelt es sich, wie erwähnt, um eine bevorzugte Ausführungsform, die zur Erfassung der Stellung der Faserbandschlaufe nur im Zusammenhang mit den Merkmalen der Karde aus Figur 1 offenbart ist. In Anspruch 1 sind diese Merkmale, jedenfalls explizit, nicht enthalten, so dass es sich augenscheinlich bei seinem Gegenstand um eine unzulässige Verallgemeinerung des in der Beschreibung offenbarten Gegenstands handeln dürfte. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ginge somit über den Inhalt des Patents sowie der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinaus, so dass das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt zu sein scheint. Folglich wäre der Anspruch offensichtlich nicht ohne weiteres gewährbar, so dass der Antrag nicht mehr zugelassen werden konnte.
3. Hilfsantrag
Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten (einzigen) Hilfsantrags beruht auf dem erteilten Anspruch 18. Da in der Einspruchsschrift der Widerruf des Patents im gesamten Umfang beantragt worden war, umfasst der Einspruch auch Anspruch 18 und die von ihm abhängigen Ansprüche. Da die angefochtene Entscheidung weder zur (von der Patentinhaberin bestrittenen) Substanziierung der Einspruchsgründe in Bezug auf Anspruch 18 noch zu dessen Patentfähigkeit Stellung genommen hat, übt die Kammer das ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass sie die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverweist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen zur weiteren Entscheidung auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.