T 1191/18 29-09-2022
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Luftaufbereitungsvorrichtung, insbesondere einer Luftdruckbremsanlage mit einem Abscheider für flüssige Fluide
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Hauptantrag - Neuheit - (nein)
Beschwerdeerwiderung - vollständiger Sachvortrag (nein)
Hilfsanträge - substanziiert (nein)
Hilfsanträge - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (nachstehend "Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, nach der das europäische Patent Nr. 2 130 577 (nachstehend das "Streitpatent") in seiner geänderten Fassung auf Basis des vor der Einspruchsabteilung damals anhängigen Hilfsantrags 1b und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.
II. Anspruch 1 gemäß dem von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Hilfsantrag 1b lautet wie folgt:
"1. Luftaufbereitungsvorrichtung (10) insbesondere einer Luftdruckbremsanlage mit einem Abscheider (12) für flüssige Fluide, insbesondere Öl oder Wasser, der ein im Wesentlichen zylindrisches Gehäuse (14, 16) aufweist, das an seinen Stirnseiten über einen Gehäusedeckel (16) und einen Gehäuseboden (21) verfügt, und das in seinem Inneren einen Abscheidekanal (23) aufweist, den die zu reinigende Luft durchströmen kann, wobei der Abscheidekanal (23) in Umfangsrichtung des Gehäuses (14, 16) gebogen verläuft und wenigstens eine Eintrittsöffnung (27) für die zu reinigende Luft, wenigstens eine Fluid-Austrittsöffnung (41) für abgeschiedenes Fluid und wenigstens eine Reinluft-Austrittsöffnung (51) für gereinigte Luft aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Abscheidekanal (23) grob spiralförmig verläuft und stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung (41) eine Luftleitrampe (45) zur Leitung der Reinluft zur Reinluft-Austrittsöffnung (51) aufweist."
III. Im Einspruchsverfahren hatte die Einsprechende unter anderem mangelnde Neuheit als Einspruchsgrund nach Artikel 100 (a) EPÜ geltend gemacht. Folgende Dokumente wurden unter anderem genannt:
D2: DE 70 17 459 U
D7: EP 1 529 562 A1
D8: US 2,229,860
IV. Die Einspruchsabteilung kam unter anderem zu folgendem Schluss:
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 1b sei neu gegenüber jedem der Dokumente D2 und D8.
V. In der Beschwerdebegründung widersprach die Beschwerdeführerin der Entscheidung der Einspruchsabteilung und vertrat unter anderem die Auffassung, dass es dem in Anspruch 1 definierten Gegenstand an Neuheit gegenüber jedem der Dokumente D2 und D8 mangele.
VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung führte die Patentinhaberin (nachstehend "Beschwerdegegnerin") hingegen aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Hilfsantrag 1b ("Hauptantrag" im Beschwerdeverfahren) neu gegenüber den Offenbarungen der D2 und D8 sei. Sie reichte zudem Anspruchsätze und Beschreibungsabsätze gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4 ein.
VII. Mit Schriftsatz vom 3. April 2019 erhob die Beschwerdeführerin Einwände gegen jeden der Hilfsanträge 1 bis 4.
VIII. Die Parteien wurden antragsgemäß zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erging eine Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020. In dieser Mitteilung äußerte die Kammer die vorläufige Meinung, dass jedes der Dokumente D2 und D8 neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sei. Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass die Zulassung der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung gegebenenfalls zu diskutieren sei.
IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen.
X. Am 29. September 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer in Anwesenheit beider Parteien als Videokonferenz statt.
XI. Anträge
Die abschließenden Anträge der Parteien lauten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage der Ansprüche und der Beschreibungsabsätze [0001] bis [0015] gemäß einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4.
XII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Ausführungen der Beschwerdeführerin werden nachfolgend zusammengefasst.
Hauptantrag:
- Die in D2 gezeigte Vorrichtung offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1.
- Insbesondere weise die in Figur 1 der D2 gezeigte Vorrichtung eine Luftleitrampe im Sinne des Anspruchs 1 auf. Unter dem Wort "Rampe" werde sowohl ein Sockel als auch eine schiefe Ebene verstanden. In D2 sei die Rampe als Sockel ausgeführt.
- Der funktionale Zweck der in Anspruch 1 des Streitpatents definierten Luftleitrampe bestehe darin, eine gegenüber der Fluid-Austrittsöffnung erhöhte Anordnung der Reinluft-Austrittsöffnung zu schaffen, damit abzuscheidendes Fluid über die tiefer liegende Fluid-Austrittsöffnung abgeführt werden könne. Dieser funktionale Zweck werde von dem in D2 gezeigten Sockel erfüllt.
- Auch die in Figur 3 der D8 gezeigte Vorrichtung umfasse alle in Anspruch 1 erwähnten Merkmale.
- Insbesondere bewirke der Ausdruck "im Wesentlichen zylindrisch" in Anspruch 1 keine Abgrenzung gegenüber dem Gehäuse der Vorrichtung der D8.
- Zudem offenbare D8 zwei eindeutig definierte Fluid-Austrittsöffnungen in Form der beiden separaten Austrittskanäle (12, 12a). Der erste Austrittskanal (12) erstrecke sich entlang der ersten Spiralumdrehung und der separate weitere Austrittskanal (12a) entlang der nächsten Spiralumdrehung.
- Werde der erste Austrittskanal (12) als die wenigstens eine Fluid-Austrittsöffnung angesehen, so stelle der an die erste Spiralumdrehung anschließende obere Abschnitt der Rampe (7a) eine Luftleitrampe im Sinne des Anspruchs 1 dar.
- Diese Rampe befinde sich innerhalb des Abscheidekanals, der grob spiralförmig verlaufe, und leite die Reinluft zur Reinluft-Austrittsöffnung, wie von Anspruch 1 gefordert.
- Somit mangele es dem Gegenstand des Anspruchs 1 an Neuheit gegenüber D2 und D8.
Hilfsanträge 1 bis 4
- Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 enthalte Merkmale, die aus der Beschreibung aufgenommen wurden.
- Es könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die ursprüngliche Recherche diese Merkmale erfasst habe.
- Bei Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4 würden Neuheit und erfinderische Tätigkeit des in Anspruch 1 der Hilfsanträge definierten Gegenstands in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal diskutiert werden.
- Hilfsanträge 1 bis 4 seien somit nicht zum Verfahren zuzulassen.
XIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Ausführungen der Beschwerdegegnerin werden nachfolgend zusammengefasst. Einzelheiten sind den nachstehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen.
- Die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Vorrichtung sei neu gegenüber den in D2 und in Figur 3 der D8 gezeigten Vorrichtungen.
- Die Hilfsanträge 1 bis 4 seien in der Beschwerdeerwiderung ausreichend substanziiert worden. Sie seien somit zum Verfahren zuzulassen.
Hauptantrag - Anspruch 1 - Neuheit gemäß Artikel 54 EPÜ
1. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Punkt II oben) ist auf eine Luftaufbereitungsvorrichtung (10) (die Bezugszeichen beziehen sich auf die Figuren im Streitpatent), insbesondere einer Luftdruckbremsanlage mit einem Abscheider (12) für flüssige Fluide, insbesondere Öl oder Wasser, gerichtet, wobei der Abscheider
a) ein im Wesentlichen zylindrisches Gehäuse (14, 16) aufweist, das
b) an seinen Stirnseiten über einen Gehäusedeckel (16) und einen Gehäuseboden (21) verfügt, und das
c) in seinem Inneren einen Abscheidekanal (23) aufweist, den die zu reinigende Luft durchströmen kann, wobei
d) der Abscheidekanal (23) in Umfangsrichtung des Gehäuses (14, 16) gebogen verläuft und
e) wenigstens eine Eintrittsöffnung (27) für die zu reinigende Luft,
f) wenigstens eine Fluid-Austrittsöffnung (41) für abgeschiedenes Fluid und
g) wenigstens eine Reinluft-Austrittsöffnung (51) für gereinigte Luft aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass
h) der Abscheidekanal (23) grob spiralförmig verläuft und
i) stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung (41) eine Luftleitrampe (45) zur Leitung der Reinluft zur Reinluft-Austrittsöffnung (51) aufweist.
Die Beschwerdeführerin hat die in den Dokumenten D2 und D8 offenbarten Vorrichtungen als neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 angesehen.
2. Dokument D2
2.1 Die Luftaufbereitungsvorrichtung gemäß D2 ist in den Figuren 1 und 2 dieses Dokuments gezeigt. Figur 1 ist nachstehend wiedergegeben (kursiv gedruckte Zusätze und die dazu gehörenden Pfeile wurden von der Kammer zur Verdeutlichung hinzugefügt).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.2 Die Vorrichtung (die Bezugszeichen beziehen sich auf die Figuren 1 und 2 der D2) umfasst ein Gehäuse in der Form einer Scheibe (4) mit einem Bolzen (6), das im Wesentlichen zylindrisch ist. Im Inneren der Scheibe befindet sich ein Abscheidekanal (3), den die zu reinigende Luft durchströmen kann. Der Abscheidekanal (3) verläuft in Umfangsrichtung gebogen und weist eine Luft-Eintrittsöffnung (2), eine im Boden des Abscheidekanals vorgesehene Fluid-Austrittsöffnung für das abgeschiedene Fluid (die Öffnung liegt oberhalb des Flüssigkeitsauffangraums (8), siehe die Figur oben) und eine Reinluft-Austrittsöffnung für gereinigte Luft auf, die zu der Entlüftungsöffnung (7) führt. Der Abscheidekanal (3) verläuft spiralförmig. Wie aus der oben gezeigten Figur 1 der D2 erkennbar ist, ist die Reinluft-Austrittsöffnung (Eintritt zur Entlüftungsöffnung (7)) im Vergleich zu der im Boden des Abscheidekanals vorgesehenen Fluid-Austrittsöffnung höher angesetzt. Somit stellt der vertikale Teil der Wand des Abscheidekanals (3) (siehe die Figur oben), der sich unmittelbar vor dem Eintritt zur Entlüftungsöffnung (7) befindet, und sich nach unten bis zum Boden des Abscheidekanals erstreckt, eine Luftleitrampe dar, die sich stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung befindet. Diese Luftleitrampe leitet die Reinluft zur Entlüftungsöffnung (7).
Folglich offenbart das Dokument D2 eine Vorrichtung, die sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags aufweist.
2.3 Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass die Scheibe (4) gemäß der Vorrichtung der D2 ohne den Bolzen (6) offen sei und somit kein Gehäuse im Sinne des Anspruchs 1 darstelle. Werde hingegen die Scheibe (4) mit dem Bolzen (6) als Gehäuse angesehen, dann sei dieses Gehäuse nicht im Wesentlichen zylindrisch, wie von Anspruch 1 gefordert.
2.4 Die Kammer schließt sich dieser Ansicht nicht an. Wie oben ausgeführt, sieht die Kammer die Scheibe (4) mit dem Bolzen (6) als Gehäuse an. Es ist somit die von der Beschwerdegegnerin aufgeworfene Frage zu klären, ob dieses Gehäuse die anspruchsgemäße Form aufweist. Bezüglich dieser Form verlangt Anspruch 1 an keiner Stelle eine exakt zylindrische Form. Vielmehr wird lediglich gefordert, dass das Gehäuse "im Wesentlichen zylindrisch" ist. Durch den im Anspruch gewählten Zusatz des vagen Ausdrucks "im Wesentlichen" werden Abweichungen von einer exakt zylindrischen Form, einschließlich der durch den Bolzen (6) der D2 bedingten Abweichung eingeschlossen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der genannte Ausdruck "im Wesentlichen" von der Patentinhaberin bzw. der damaligen Patentanmelderin selbst gewählt wurde, und die fehlende Eindeutigkeit dieses Ausdrucks daher zu Lasten der Patentinhaberin gehen muss. In diesem Zusammenhang wird auch auf die in der Figur 2 des Streitpatents gezeigte Ausführungsform einer erfindungsgemäßen Vorrichtung verwiesen. Das Gehäuse der gezeigten Vorrichtung weist einen Aufbau (49) auf, der, ähnlich wie der Bolzen (6) in der Vorrichtung der D2, aus der Außenseite des Deckels herausragt. Gemäß dem Streitpatent selber ist ein solches Gehäuse einer erfindungsgemäßen Ausführung auch "im Wesentlichen zylindrisch" im Sinne des Anspruchs 1.
2.5 Die Beschwerdegegnerin vertrat ferner die Auffassung, dass der in der Vorrichtung der D2 (siehe Figur 1 oben) unmittelbar an der Entlüftungsöffnung (7) liegende vertikale Absatz aus verschiedenen Gründen keine "Luftleitrampe" im Sinne des Anspruchs 1 darstelle. Erstens liege dieser Absatz im Bereich der Fluid-Austrittsöffnung und nicht - wie von Anspruch 1 gefordert - stromabwärts von dieser. Zweitens bestehe der gezeigte Absatz aus einem vertikalen und einem waagerechten Element. Das waagerechte Element liege in der Entlüftungsöffnung (7) und somit, entgegen den Anforderungen von Anspruch 1, außerhalb des Abscheidekanals. Zudem sei eine "Luftleitrampe" im Sinne des Anspruchs 1 als geneigt zu verstehen. Dies werde durch die Aussagen in den Abschnitten [0006] und [0028] der Beschreibung des Streitpatents bestätigt. Vertikale so wie waagerechte Elemente seien somit von diesem Begriff ausgeschlossen. Selbst wenn man annehmen würde, dass das vertikale Element des Absatzes in Figur 1 der D2 eine Luftleitrampe darstelle, würde diese lediglich einen kleinen Teil der Reinluft zur Entlüftungsöffnung (7) leiten. Der größte Teil der Reinluft fließe nämlich von oben und somit direkt in die Entlüftungsöffnung (7). Die in Anspruch 1 angegebene Funktion der Luftleitrampe sei daher nicht erfüllt.
2.6 Auch diesen Argumenten folgt die Kammer aus den folgenden Gründen nicht.
2.6.1 Gemäß Figur 1 der D2 (siehe oben) liegt die Austrittsöffnung für das abgeschiedene Fluid im Boden des Abscheidekanals. Der Eintritt zur Entlüftungsöffnung (7) ist im Vergleich zu dieser Fluid-Austrittsöffnung höher angesetzt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin liegt somit der vertikale Teil der Wand des Abscheidekanals (3), der sich unmittelbar vor dem Eintritt zur Entlüftungsöffnung (7) befindet, und sich nach unten bis zum Boden des Abscheidekanals erstreckt, stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung, vom Fluss der Reinluft aus gesehen.
2.6.2 Dieser vertikale Teil der Wand leitet die Luft zur Austrittsöffnung und stellt damit die Luftleitrampe dar. Dieser Teil befindet sich im Abscheidekanal (3), wie von Anspruch 1 für die Luftleitrampe gefordert. Das von der Beschwerdegegnerin angesprochene waagerechte Element in Figur 1 der D2 stellt jedoch nicht Teil der Luftleitrampe dar. Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Tatsache, dass dieses waagerechte Element in der Entlüftungsöffnung (7) liegt, spielt daher für die Frage der Neuheit der beanspruchten Vorrichtung keine Rolle.
2.6.3 Außerdem wird in Anspruch 1 keine Form der Luftleitrampe erwähnt, geschweige denn eine geneigte oder schräge Form. Vielmehr wird die Luftleitrampe im Anspruch 1 selber durch ihre Funktion definiert: sie leitet die Reinluft zur Reinluft-Austrittsöffnung ("zur Leitung der Reinluft zur Reinluft-Austrittsöffnung"). Die Tatsache, dass Ausführungsformen mit geneigten Luftleitrampen in der Beschreibung des Streitpatents offenbart werden, bewirkt keine Einschränkung des beanspruchten Gegenstandes. Wie oben ausgeführt, leitet der besagte vertikale Teil der Wand des Abscheidekanals (3) der D2 die Reinluft zum Eintritt der Entlüftungsöffnung (7) und erfüllt daher die in Anspruch 1 angegebene Funktion der Luftleitrampe.
2.6.4 Anspruch 1 spezifiziert ferner nicht, dass der gesamte Reinluftstrom von der Luftleitrampe zur Austrittsöffnung geleitet werden muss. Selbst wenn der besagte vertikale Teil der Wand des Abscheidekanals (3) der D2 nur einen Teil der Reinluft zum Eintritt der Entlüftungsöffnung (7) leitet, erfüllt er die Funktion der Luftleitrampe gemäß Anspruch 1.
2.6.5 Ferner weist die Figur 1 der D2 einen zusätzlichen vertikalen Teil der Wand des Abscheidekanals (3) auf, der sich nach oben bis zum Deckel des Abscheidekanals (3) erstreckt. In gleicher Weise wie der oben diskutierte untere vertikale Teil stellt auch dieser obere vertikale Teil eine Luftleitrampe dar, die die Reinluft, die vom oberen Teil des Abscheidekanals (3) fließt, zum Eintritt der Entlüftungsöffnung (7) leitet. Dieser zweite vertikale Teil befindet sich ebenfalls stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung, vom Fluss der Reinluft aus gesehen, wie von Anspruch 1 gefordert. Somit wird durch die beiden vertikalen Teile ein Großteil der Luft zum Eintritt der Entlüftungsöffnung (7) geleitet. Auch aus diesem Grund kann das Argument der Beschwerdegegnerin, dass durch die Rampe der D2 nur ein kleiner Teil der Luft zum Eintritt der Entlüftungsöffnung (7) geleitet wird, nicht durchgreifen.
2.7 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung in D2 ist. Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar (Artikel 52(1) und 54 EPÜ).
3. Dokument D8
3.1 Die für die Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag relevante Luftaufbereitungsvorrichtung gemäß D8 ist in der Figur 3 dieses Dokuments gezeigt. Figur 3 ist nachstehend wiedergegeben (kursiv gedruckte Zusätze und die dazu gehörenden Pfeile wurden von der Kammer zur Verdeutlichung hinzugefügt).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3.2 Die in dieser Figur gezeigte Vorrichtung umfasst ein im Wesentlichen zylindrisches Gehäuse, das an seinen Stirnseiten über einen Deckel und einen Boden verfügt. Im Inneren des Gehäuses befindet sich ein Abscheidekanal, den die zu reinigende Luft durchströmen kann. Der Abscheidekanal verläuft in Umfangsrichtung gebogen und weist eine Luft-Eintrittsöffnung (10) und eine Reinluft-Austrittsöffnung (4) für die gereinigte Luft auf. Außerdem weist die gegenüber dem Rand des schrägen Bodens (7a) befindliche Wand zwei separate Abflusskanäle (12) und (12a) auf, die Fluid-Austrittsöffnungen für das aus dem Abscheidekanal abgeschiedene Fluid darstellen (Seite 2, linke Spalte, Zeilen 61 bis 70). Der schräge Boden (7a) verläuft im Bereich der zweiten Windung stromabwärts des Abflusskanals (12) weiter nach oben und leitet die gereinigte Luft zur Reinluft-Austrittsöffnung (4). Die in Figur 3 der D8 gezeigte Vorrichtung weist somit auch eine Luftleitrampe im Sinne des Anspruchs 1 auf.
Somit offenbart das Dokument D3 eine Vorrichtung, die sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags aufweist.
3.3 Die Beschwerdegegnerin führte aus, die Luftaufbereitungsanlage gemäß Figur 3 der D8 weise kein im Wesentlichen zylinderförmiges Gehäuse (Merkmal (a), Punkt 1 oben) auf. Sie verwies auf das Dokument D7. In Absatz [0015] dieses Dokuments werde, ähnlich wie im Streitpatent, auch der Begriff "im Wesentlichen zylindrisch" verwendet. Aus der Figur 1 der D7 sei ersichtlich, dass das gezeigte Gehäuse, im Gegensatz zur in Figur 3 der D8 gezeigten Vorrichtung, wenn überhaupt, nur eine kleine Abweichung von der zylindrischen Form habe. Das Gehäuse gemäß der Vorrichtung in D8 habe hingegen die Form eines Kegels oder Kegelstumpfs. Betrachte man das Gehäuse der D8 als zylindrisch, dann verlaufe der Abscheidekanal helixförmig, nicht jedoch spiralförmig, wie von Anspruch 1 gefordert.
3.4 Die Kammer folgt diesem Argument nicht. Wie oben bereits ausgeführt wurde, verlangt Anspruch 1 keine exakte Zylinderform, sondern lediglich ein "im Wesentlichen zylindrisches Gehäuse". Ferner sieht der Anspruch keine exakte, sondern lediglich eine grobe Spiralform vor. Die Ausdrücke "im Wesentlichen zylindrisch" und "grob spiralförmig" sind zu vage, um eine klar umfasste Beschränkung des Anspruchs hinsichtlich des Grads der Abweichungen von einer zylindrischen Form bzw. von einem spiralförmigen Verlauf zu implizieren. Aufgrund dieses von der Patentinhaberin bzw. der damaligen Patentanmelderin selbst gewählten (siehe auch Punkt 2.4 oben) Fehlens einer klar umfassten Beschränkung muss die Vorrichtung gemäß Figur 3 der D8 zu Lasten der Patentinhaberin als ein im Wesentlichen zylindrisches Gehäuse mit einem Abscheidekanal, der grob spiralförmig verläuft, angesehen werden. Merkmale a) und h) des Anspruchs 1 (siehe Punkt 1 oben) sind somit erfüllt. Die Tatsache, dass in D7 der Ausdruck "im Wesentlichen zylindrisch" für eine anders als in D8 gestaltete Vorrichtung verwendet wird, hat keinen Einfluss auf diese Schlussfolgerung.
3.5 Die Beschwerdegegnerin argumentierte ferner, die Abflusskanäle (12) und (12a) seien nicht separat ausgeführt. D8 führe nicht aus, wie der Übergangsbereich zwischen diesen Kanälen ausgestaltet sei. Es sei anzunehmen, dass der Kanalabschnitt (12) in Umfangs- bzw. Durchströmungsrichtung unmittelbar und ohne Unterbrechung in den Kanalabschnitt (12a) übergehe. Aufgrund dieser fehlenden Trennung zwischen den Abflusskanälen (12) und (12a) könne der Kanalabschnitt (12) nicht als eine separate erste Fluid-Austrittsöffnung im Sinne des Anspruchs 1 angesehen werden.
3.6 Auch diesem Argument schließt sich die Kammer nicht an. D8 (Seite 2, linke Spalte, Zeilen 61 bis 70) offenbart eindeutig, dass die Abflusskanäle (12) und (12a) separat sind, eine bestimmte Länge haben, und in der Wand des Gehäuses gegenüber dem Rand des schrägen Bodens (7a) angeordnet sind. Außerdem münden die zwei Abflusskanäle (12) und (12a) in die äußere Tasche ("outer pocket") (12b). Somit stellen die Abflusskanäle (12) und (12a) zwei separate Fluid-Austrittsöffnungen im Sinne des Merkmals (f) (siehe Punkt 1 oben) des Anspruchs 1 dar.
3.7 Die Beschwerdegegnerin vertrat zusätzlich die Auffassung, dass die zweite Windung des schrägen Bodens (7a) gemäß der Figur 3, die sich oberhalb des Abflusskanals (12) befindet, keinen Bestandteil eines Abscheidekanals darstelle. Dies liege insbesondere daran, dass sich der konische Pfosten (8b) nicht bis zur Decke des Gehäuses erstrecke, sodass die besagte zweite Windung des schrägen Bodens (7a) im oberen Bereich keine Abdeckung aufweise, die eine Decke eines Kanals bilde. Diese zweite Windung könne daher nicht dem Merkmal des Anspruchs 1 gleichgesetzt werden, wonach die Luftleitrampe ein Bestandteil eines in Umfangsrichtung gebogenen und spiralförmig verlaufenden Abscheidekanals darstellt.
3.8 Auch dieses Argument ist nicht überzeugend. Erstens erfordert Anspruch 1 nicht, dass der Abscheidekanal oben durch eine Decke völlig verschlossen sein muss. Außerdem zeigt der sich in der Mitte der Vorrichtung gemäß der Figur 3 der D8 befindende Pfeil (siehe die Figur oben) eindeutig, dass die Luft stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung (12), im Bereich der zweiten Windung des schrägen Bodens (7a), weiter entlang des in Umfangsrichtung gebogenen Abscheidekanals verläuft. Hierbei wird Fluid weiter abgeschieden, wie aus dem auf die Fluid-Austrittsöffnung (12a) gerichteten kleinen Pfeil ersichtlich ist. Zudem stellt der letzte Teil der zweiten Windung, der sich links des Pfostens (8b) befindet, eine Decke dar, die oberhalb der unmittelbar stromabwärts der Fluid-Austrittsöffnung (12) fließenden Luft liegt. Somit ist die zweite Windung des schrägen Bodens (7a) der Vorrichtung der D8 im grob spiralförmig verlaufenden Abscheidekanal enthalten, wie von Anspruch 1 gefordert wird.
3.9 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung in D8 ist. Auch aus diesem Grund ist der Hauptantrag nicht gewährbar (Artikel 52(1) und 54 EPÜ).
Hilfsanträge 1 bis 4 - Zulassung zum Verfahren
4. Die Beschwerdegegnerin hat mit der Beschwerdeerwiderung Anspruchssätze gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 eingereicht. In Anspruch 1 gemäß diesen Hilfsanträgen wurden im Gegensatz zum Hauptantrag folgende Merkmale am Ende des Anspruchs hinzugefügt:
Hilfsantrag 1 - Anspruch 1
", wobei die Luftleitrampe (45) durch entsprechende Formgebung des Gehäusebodens (21) realisiert ist".
Hilfsantrag 2 - Anspruch 1
", wobei die Luftleitrampe (45) durch entsprechende Formgebung des Gehäusebodens (21) realisiert ist, wobei der axiale Abstand des Gehäusebodens (21) zu dem Gehäusedeckel (16) kontinuierlich abnimmt."
Hilfsantrag 3 - Anspruch 1
", wobei die Luftleitrampe (45) durch entsprechende Formgebung des Gehäusebodens (21) realisiert ist, wobei der axiale Abstand des Gehäusebodens (21) zu dem Gehäusedeckel (16) kontinuierlich abnimmt, wobei im Abscheidekanal (23) wenigstens eine Prallwand (33, 35, 43) angeordnet ist, die eine zum Strömungsweg senkrechte Flächenkomponente aufweist."
Hilfsantrag 4 - Anspruch 1
", wobei die Luftleitrampe (45) durch entsprechende Formgebung des Gehäusebodens (21) realisiert ist, wobei der axiale Abstand des Gehäusebodens (21) zu dem Gehäusedeckel (16) kontinuierlich abnimmt, wobei im Abscheidekanal (23) wenigstens eine Prallwand (33, 35, 43) angeordnet ist, die eine zum Strömungsweg senkrechte Flächenkomponente aufweist, wobei der Gehäusedeckel (16) an seiner dem Abscheidekanal (23) abgewandten Außenseite einen Aufbau (49) aufweist, der sich wenigstens im Bereich der Luftleitrampe (45) entlang des Abscheidekanals (23) erstreckt und zum Abscheidekanal (23) hin offen ist, wobei in einer radial inneren und/oder einer radial äußeren Seiten wand des Aufbaus (49) wenigstens eine Reinluft-Austrittsöffnung (51) angeordnet ist."
Die in Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 aufgenommenen Merkmale, die auch in Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 3 und 4 enthalten sind, stammen aus der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (siehe Absätze [0006] und [0028]).
4.1 In ihrer Beschwerdeerwiderung (Seiten 9 bis 11) hat die Beschwerdegegnerin zwar die Basis der hinzugefügten Änderungen in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung genannt. Als Begründung, weshalb die hinzugefügten Änderungen durchgeführt wurden, hat sie jedoch lediglich angegeben, dass keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften "eine solche Gestaltung" lehre.
4.2 Gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2007 muss die Erwiderung zur Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag der Beschwerdegegnerin enthalten und soll ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen, auf die sich ihr Sachvortrag stützt. Der auf den Seiten 9 bis 11 der Beschwerdeerwiderung enthaltene Satz "Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften lehrt eine solche Gestaltung" erfüllt dieses Erfordernis hinsichtlich der Hilfsanträge 1 bis 4 nicht. Die Beschwerdegegnerin hat nämlich weder erklärt, warum insbesondere die oben beschriebenen, in der Beschwerdebegründung als neuheitsschädlich zitierten Vorrichtungen gemäß D2 und D8 die hinzugefügten Merkmale nicht aufweisen, noch angegeben, ob und, wenn ja, weshalb die hinzugefügten Merkmale die in der Beschwerdebegründung erhobenen Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausräumen.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin entspricht daher nicht dem in Artikel 12 (2) VOBK 2007 verankerten Erfordernis des vollständigen Sachvortrags.
4.3 Selbst als die Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 3. April 2019 spezifische Einwände gegen den in den Hilfsanträgen 1 bis 4 beanspruchten Gegenstand vorgebracht hat, reagierte die Beschwerdegegnerin nicht.
4.4 Die Hilfsanträge 1 bis 4 waren somit bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unsubstanziiert.
4.5 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. T 0217/10, Punkt 5 der Entscheidungsgründe) gelten unsubstanziierte Anträge erst ab dem Zeitpunkt ihrer Begründung als eingereicht. Da eine Substanziierung der Hilfsanträge 1 bis 4 erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hätte erfolgen sollen, können Hilfsanträge 1 bis 4 bestenfalls als während der mündlichen Verhandlung eingereicht angesehen werden (siehe T 0478/16, Punkt 6.3 der Entscheidungsgründe).
4.6 Es ist zu prüfen, ob unter dieser Annahme einer Einreichung der Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung diese hätten zugelassen werden können. Ausgehend von dieser Annahme stellen die Hilfsanträge eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung dar, deren Zulassung im Ermessen der Kammer steht (Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020, anwendbar gemäß Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020).
4.7 Gemäß den Kriterien des Artikels 13 (1) VOBK 2020, die auch bei der Anwendung des Artikels 13 (2) VOBK 2020 herangezogen werden können, hat die Kammer bei ihrer Zulassungsentscheidung unter anderem den Stand des Verfahrens sowie die Frage, ob die Änderungen in diesen Anträgen der Verfahrensökonomie abträglich sind, zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall hätte die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4 komplexe Fragen zu einem äußerst späten Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens aufgeworfen, insbesondere weil einige in Anspruch 1 hinzugefügte Merkmale aus der Beschreibung stammen. Wie die Beschwerdeführerin betonte, kann bei solchen Fällen nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die ursprüngliche Recherche diese Merkmale erfasst hat. Bei der Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4 hätte sich die Kammer zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren unter anderem mit der Deutlichkeit, Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands auseinandersetzen müssen. Die Zulassung dieser Hilfsanträge hätte somit dazu geführt, dass der Fall zu einem sehr späten Verfahrensstadium neu aufgerollt hätte werden müssen, sodass diese Änderung der Verfahrensökonomie abträglich gewesen wäre.
4.8 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben zudem Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Die Beschwerdegegnerin konnte keine solchen stichhaltigen Gründe nennen und die Kammer sieht auch keine außergewöhnliche Umstände, die eine Substanziierung der Hilfsanträge 1 bis 4 erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer rechtfertigen würden.
4.9 Aus den oben genannten Gründen hat die Kammer entschieden, die Hilfsanträge 1 bis 4 nicht zum Verfahren zuzulassen.
Schlussfolgerung
5. Keiner der Anträge der Beschwerdegegnerin ist gewährbar und zulässig.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.