T 0211/20 (Reinigungsmittel/Henkel) 18-11-2022
Download und weitere Informationen:
REINIGUNGSMITTEL
Spät eingereichte Beweismittel - im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - Ermessensfehler in erster Instanz (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 364 351 zu widerrufen.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin den Versuchsbericht D9 sowie ein Datenblatt D10 und Bericht D11 ein und brachte vor, das erstinstanzlich nicht zugelassene Dokument D9 solle zum Verfahren zugelassen werden, denn es zeige das Vorliegen eines technischen Effekts, sodass ausgehend von D3 (WO 2008/095563) die Aufgabe formuliert werden könne als die Bereitstellung eines phosphatfreien Geschirrspülmittels mit verbesserter Klarspülleistung. Da D3 weder alleine noch in der Zusammenschau mit D6 (Handbook for Cleaning/Decontamination of Surfaces, 2007, S. 197-256, I. Johansson and P. Somasamdaran) nahelege, dass diese Aufgabe durch den Gegenstand von Anspruch 1 gelöst werde, liege eine erfinderische Tätigkeit vor.
III. Die Einspreche (Beschwerdegegnerin) beantragte, D9-D11 nicht zum Verfahren zuzulassen und die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Bei der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2022 entschied die Kammer D9-D11 nicht zum Verfahren zuzulassen. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Zulassung
1.1 D9 wurde von der Einspruchsabteilung als verspätet und nicht prima-facie relevant nicht zum Verfahren zugelassen.
1.2 Die Kammer hat ihr Ermessen unter Artikel 12(6) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, D9 nicht zum Verfahren zuzulassen, denn die Entscheidung der Einspruchsabteilung war aus den folgenden Gründen nicht ermessensfehlerhaft und es liegen auch sonst keine Umstände vor, die eine Zulassung des Dokumentes rechtfertigen würden.
1.3 Die Einspruchsabteilung hat die mangelnde Prima-Facie-Relevanz von D9 sinngemäß damit begründet, dass die in D9 verwendeten Polymere lediglich anhand ihrer kommerziellen Bezeichnungen ("Acusol 590" bzw. "Acusol 588") identifiziert würden, ohne dass ihre chemische Struktur bekannt sei, so dass nicht klar sei, ob Beispiel 3 ein erfindungsgemäßes Geschirrspülmittel darstelle.
1.4 Die Beschwerdeführerin ist dieser Entscheidung mit dem Argument entgegengetreten, es sei in Verfahren vor dem europäischen Patentamt allgemein üblich, von der Richtigkeit eines Parteivortrags auszugehen. Wenn zum Beispiel ein Versuchsbericht eingereicht würde, sei zunächst immer davon auszugehen, dass die darin gemachten Angaben korrekt seien, d.h. dass die Versuche so wie angegeben durchgeführt worden und nicht lediglich erfunden seien. Im vorliegenden Fall habe die Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung nach bestem Wissen und Gewissen bestätigt, dass Acusol 590 ein hydrophob modifiziertes Copolymer vom Typ "A" und Acusol 588 ein nicht hydrophob modifiziertes Copolymer vom Typ "B" sei, und in diesem Zusammenhang auch die entsprechende Verwechslung der Bezeichnungen in Tabelle 2 von D9 angesprochen. Die Abteilung habe somit keinen Grund gehabt, die Richtigkeit dieser Aussage anzuzweifeln.
1.5 Die Kammer sieht dies anders. Unabhängig von der grundsätzlichen Frage des Beweiswertes einer von einem Vertreter während der mündlichen Verhandlung gemachten Versicherung zu einem technischen Sachverhalt ist im vorliegenden Fall entscheidend, dass diese Versicherung keine reine Tatsachenbehauptung betraf, sondern eine Wertung, nämlich dass die beiden lediglich durch ihre Handelsnamen identifizierten Polymere ein anspruchsgemäßes "hydrophob modifiziertes Copolymer A" bzw. ein anspruchsgemäßes "nicht hydrophob modifiziertes Copolymer B" darstellten.
Im Kontext des Anspruchs ist jedoch zumindest letzteres Merkmal auslegungsbedürftig, denn Copolymer B ist offen definiert und kann somit neben den Monomeren "ein- oder mehrfach ungesättigte Sulfonsäure" und "ein- oder mehrfache ungesättigte Carbonsäure" auch weitere Monomere verschiedener Hydrophilie bzw. Hydrophobie enthalten, und es ist nicht klar, wann ein solches Polymer als "nicht hydrophob modifiziert" im Sinne des Anspruchs einzustufen ist.
Als hypothetisches Beispiel für diese Problematik mag ein Copolymer dienen, das neben den für Copolymer B genannten Monomeren Acrylsäuremethylester enthält. Diese Verbindung ist einerseits nicht als hydrophobes Monomer unter Punkt a) des Anspruchs genannt, aber sie ist andererseits ohne Zweifel hydrophober als eine Sulfon- und Carbonsäuregruppe. Ob ein solches Polymer als "nicht hydrophob modifiziert" im Sinne des Anspruchs anzusehen wäre oder nicht, ist Auslegungssache. Andere Beispiele sind denkbar. Dieses hypothetische Beispiel soll dabei keinesfalls suggerieren, dass Acusol 588 Acrylsäuremethylester enthält, sondern lediglich illustrieren, dass die Entscheidung, ob ein bestimmtes Polymer als "nicht hydrophob modifiziert" und damit anspruchsgemäß anzusehen ist, nichts ist, was die Patentinhaberin glaubhaft versichern könnte. Vielmehr muss die Einspruchsabteilung aufgrund ihrer eigenen Fachkenntnis beurteilen können, ob dieses Anspruchsmerkmal erfüllt ist oder nicht. Da dies vorliegend nicht möglich war, konnte die Einspruchsabteilung auch nicht feststellen, ob Rezeptur 3 aus D9 erfindungsgemäß war oder nicht. Unter diesen Umständen kann die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Versuchsbericht D9 als prima-facie nicht relevant nicht zuzulassen, nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.
1.6 Darüber hinaus ist D9 auch aus einem weiteren Grund nicht relevant. Nach gefestigter Rechtsprechung muss ein Effekt gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik (hier Beispiel E2 der D3) gezeigt werden, um bei der Formulierung der Aufgabe berücksichtigt werden zu können. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, denn Spülmittel E2 aus D3 enthält 8 Gew.-% MGDA, während die Rezepturen aus D9 lediglich 0,8 Gew.-% MGDA enthalten. Dies ist ein gravierender Unterschied, zumal MGDA als Gerüststoff zum Klarspülergebnis beiträgt (siehe in D3: Seite 1, Absatz 3 und Seite 2, Absatz 2). Auch die Menge an Polymer entspricht nicht der in D3 verwendeten Menge. Somit ist D9 für den Ausgang des Verfahrens prima-facie nicht relevant. Selbst wenn die Einspruchsabteilung oder die Kammer das Dokument zugelassen hätten, wäre es doch nicht geeignet gewesen eine Verbesserung der Klarspülleistung gegenüber D3 nachzuweisen. Unter diesen Umständen ist eine Zulassung des Dokuments ins Verfahren nicht gerechtfertigt.
1.7 D10 und D11 wurden erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereicht, so dass ihre Zulassung im Ermessen der Kammer liegt. Die Kammer hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, die Dokumente nicht zuzulassen, denn sie beziehen sich ausschließlich auf D9 und erfüllen ohne dieses Dokument keine Funktion. In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin, nachdem D9 nicht zugelassen wurde, zur Zulassung von D10 und D11 keine Argumente mehr vorgetragen hat.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Die Erfindung betrifft phosphatfreie Mittel zur maschinellen Reinigung von Geschirr (Absatz 0001).
2.2 D3 betrifft die gleiche Aufgabe (Seite 1, Zeile 1-3) und es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dieses Dokument einen geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
2.3 Das Streitpatent stellt sich wie D3 die Aufgabe, ein phosphatfreies maschinelles Geschirrspülmittel mit verbesserter Reinigungsleistung zur Verfügung zu stellen, insbesondere was die Belagsinhibierung betrifft (Absatz 0010, D3: Seite 2, vierter Absatz).
2.4 Da das Streitpatent keinerlei experimentelle Daten enthält und D9 nicht zum Verfahren zugelassen wird, muss die Aufgabe jedoch weniger ambitioniert formuliert werden, nämlich als das Bereitstellen eines weiteren phosphatfreien maschinellen Geschirrspülmittels. Dies hat bereits die Einspruchsabteilung so gesehen und entschieden, dass die in Anspruch 1 definierte Lösung für diese Aufgabe naheliegend sei.
2.5 Die Beschwerdeführerin hat weder im schriftlichen Verfahren noch während der mündlichen Verhandlung Argumente vorgebracht, warum die Begründung der Einspruchsabteilung, die in Anspruch 1 definierte Lösung sei für diese Aufgabe ausgehend von D3 naheliegend, falsch wäre. Sie hat dies zwar behauptet (Seite 3 der Beschwerdebegründung, Zeile 15-16), aber nicht begründet. Vielmehr stützt sich ihr kompletter Vortrag auf D9, also ein Dokument, das nicht zum Verfahren zugelassen wurde. Somit hat die Beschwerdeführerin nicht begründet, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung, es mangele dem Gegenstand von Anspruch 1 an einer erfinderischen Tätigkeit, aufzuheben wäre. Unter diesen Umständen kann der Beschwerde nicht stattgegeben werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.