T 1135/22 (Feldbus mit Querverkehr/PILZ) 08-03-2024
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Steuerungssystem mit einer Vielzahl von räumlich verteilten Stationen sowie Verfahren zum Übertragen von Daten in einem solchen Steuerungssystem
Erfinderische Tätigkeit - Patent wie erteilt (nein)
Zulassung von Anspruchssätzen, die bereits im Einspruchsverfahren eingereicht wurden - Hilfsantrag 6 (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz auf der Grundlage von Hilfsantrag 6Zurückverweisung - (ja): andere Anspruchsauslegung und unvollständige Begründung durch die Einspruchsabteilung sind "besondere Gründe"
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung stand keiner der geltend gemachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) bis c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegen.
II. Der folgende Stand der Technik ist für die vorliegende Entscheidung relevant:
E1: DE 199 34 514 C1
E3: A. Baginski und M. Müller: "INTERBUS, Grundlagen
und Praxis", Hüthig Verlag Heidelberg, zweite
bearbeitete Auflage, insbesondere Seiten 20, 21,
38 bis 42, 49; ISBN 3-7785-2471-2, 2004
E5: J. Schwager: "Ethernet erreicht das Feld",
Elektronik, Heft 13, Seiten 38 bis 43, 2004.
III. Am 8. März 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an deren Ende die Entscheidung der Kammer verkündet wurde.
Während dieser mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin der Großen Beschwerdekammer vorzulegende Fragen ein, die wie folgt lauteten:
Vorlagefrage 1:
"Liegt ein nachrangiger Hilfsantrag, welcher bereits im Einspruchsverfahren innerhalb der Schriftsatzfrist eingereicht wurde und welcher im Beschwerdeverfahren unverändert aufrechterhalten wurde, der angefochtenen Entscheidung im Sinne von Art. 12(2) zugrunde, wenn im Einspruchsverfahren positiv über einen vorrangigen Hilfsantrag oder den Hauptantrag entschieden wurde?"
Vorlagefrage 2:
"Liegt es im Ermessen einer Beschwerdekammer nach Art 12 (4) VOBK, über die Zulässigkeit eines Hilfsantrags zu entscheiden, welcher bereits im Einspruchsverfahren innerhalb einer dort gesetzten Schriftsatzfrist eingereicht wurde und welcher im Beschwerdeverfahren unverändert aufrechterhalten wurde?"
IV. Die Schlussanträge der Beteiligten waren wie folgt:
- Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Zudem beantragte sie, die Angelegenheit nicht an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
- Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen (d.h. das Streitpatent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten), hilfsweise das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuverweisen, weiter hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche eines der Hilfsanträge 1 bis 12, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten. Sie beantragte weiter die Vorlage der oben wiedergegebenen Fragen an die Große Beschwerdekammer.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (Merkmalsgliederung durch die Kammer):
a) "Verfahren zum Übertragen von Daten in einem Steuerungssystem (10) mit einer Vielzahl von räumlich verteilten Stationen (14-24), die über ein Kommunikationsmedium (26) miteinander verbunden sind,
b) wobei die Stationen (14-24) logisch in einer Reihe angeordnet sind, die eine erste Station (14), zumindest eine zweite Station (16-22) und eine letzte Station (24) definiert,
c) wobei die Stationen zumindest eine Steuereinheit (12) beinhalten, die dazu ausgebildet ist, Prozessdaten zyklisch zu verarbeiten und in Abhängigkeit davon Steuerdaten zu erzeugen, sowie eine Vielzahl von E/A-Baugruppen (14-24), die dazu ausgebildet sind, Prozessdaten an die Steuereinheit (12) zu senden und Steuerdaten von der Steuereinheit (12) zu empfangen, wobei die folgenden Schritte innerhalb eines Übertragungszyklus ausgeführt werden:
d) - die erste Station (14) erzeugt einen Daten-rahmen (46) mit einer Vielzahl von Daten-feldern (50), wobei jeder zweiten Station (16-22; 16-18) und der letzten Station (24; 20) zumindest ein Datenfeld (50) zum Belegen mit jeweils eigenen Prozess- und/oder Steuerdaten eindeutig zugewiesen ist,
e) - die erste Station (14) sendet den Daten-rahmen (46) als hinlaufenden Datenrahmen (46', 46'') an diejenige zweite Station (16), die der ersten Station (14) in der Reihe nachfolgt,
f) - jede zweite Station (16-22; 16-18) empfängt den hinlaufenden Datenrahmen (46', 46'') von der jeweils vorhergehenden Station in der Reihe, belegt ein ihr zugewiesenes Datenfeld (50) mit jeweils eigenen Prozess- und/oder Steuerdaten und sendet den hinlaufenden Datenrahmen (46', 46'') mit den Prozess- und/oder Steuerdaten an die in der Reihe nachfolgende Station, und
g) - die letzte Station (24; 20) empfängt den hinlaufenden Datenrahmen (46'') von der vorhergehenden Station in der Reihe, belegt ein ihr zugewiesenes Datenfeld (50) mit letzten
Prozess- und/oder Steuerdaten und sendet den Datenrahmen mit allen Prozess- und/oder Steuerdaten als zurücklaufenden Datenrahmen (46''') an die Reihe der Stationen zurück,
h) wobei die Stationen (14-24) fremde
Prozess- und/oder Steuerdaten der anderen Stationen aus den Datenfeldern (50) des zurücklaufenden Datenrahmens (46''') lesen."
VI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 6 hat folgenden Wortlaut (Merkmalsgliederung und Unterstreichung von hinzugefügtem Text durch die Kammer):
a) "Verfahren zum Übertragen von Daten in einem
Steuerungssystem (10) mit einer Vielzahl von räumlich verteilten Stationen (14-24), die über ein Kommunikationsmedium (26) miteinander verbunden sind,
b') wobei die Stationen (14-24) unabhängig von der
physikalischen Realisierung des Kommunikationsmediums (26) logisch in einer Reihe angeordnet sind, die eine erste Station (14), zumindest eine zweite Station (16-22) und eine letzte Station (24) definiert,
c) wobei die Stationen zumindest eine
Steuereinheit (12) beinhalten, die dazu ausgebildet
ist, Prozessdaten zyklisch zu verarbeiten und in
Abhängigkeit davon Steuerdaten zu erzeugen, sowie
eine Vielzahl von E/A-Baugruppen (14-24), die dazu
ausgebildet sind, Prozessdaten an die
Steuereinheit (12) zu senden und Steuerdaten von
der Steuereinheit (12) zu empfangen, wobei die
folgenden Schritte innerhalb eines Übertragungs-
zyklus ausgeführt werden:
d) - die erste Station (14) erzeugt einen Daten-
rahmen (46) mit einer Vielzahl von Daten-
feldern (50), wobei jeder zweiten Station
(16-22; 16-18) und der letzten Station (24; 20)
zumindest ein Datenfeld (50) zum Belegen mit
jeweils eigenen Prozess- und/oder Steuerdaten
eindeutig zugewiesen ist,
e) - die erste Station (14) sendet den
Datenrahmen (46) als hinlaufenden Datenrahmen (46',
46'') an diejenige zweite Station (16), die der
ersten Station (14) in der Reihe nachfolgt,
f) - jede zweite Station (16-22; 16-18) empfängt den
hinlaufenden Datenrahmen (46', 46'') von der jeweils vorhergehenden Station in der Reihe, belegt ein ihr zugewiesenes Datenfeld (50) mit jeweils eigenen Prozess- und/oder Steuerdaten und sendet den hinlaufenden Datenrahmen (46', 46'') mit den Prozess- und/oder Steuerdaten an die in der Reihe nachfolgende Station, und
g) die letzte Station (24; 20) empfängt den
hinlaufenden Datenrahmen (46'') von der vorhergehenden Station in der Reihe, belegt ein ihr zugewiesenes Datenfeld (50) mit letzten Prozess- und/oder Steuerdaten und sendet den Datenrahmen mit allen Prozess- und/oder Steuerdaten als zurücklaufenden Datenrahmen (46''') an die Reihe der Stationen zurück,
f') wobei die Stationen (14-24) eigene Prozess-
und/oder Steuerdaten ausschließlich in die
Datenfelder des hinlaufenden Datenrahmens (46',
46'') legen,
h') wobei die Stationen (14-24) fremde Prozess-
und/oder Steuerdaten der anderen Stationen
ausschließlich aus den Datenfeldern (50) des
zurücklaufenden Datenrahmens (46''') lesen,
j) wobei sowohl der hinlaufende Datenrahmen (46',
46'') als auch der zurücklaufende Datenrahmen
(46''') sämtliche Stationen logisch durchläuft
und dadurch ein beliebiger Querverkehr zwischen
zwei oder mehr beliebigen Stationen innerhalb
eines Übertragungszyklus abgeschlossen werden kann,
n) wobei die erste Station (14) überwacht, ob der
zurücklaufende Datenrahmen (46''') innerhalb einer
definierten Zeitspanne eintrifft,
l) wobei den Stationen (14-24) die Datenfelder des
hinlaufenden Datenrahmens (46', 46'') zum
Belegen mit eigenen Prozess- und/oder Steuer-
daten und die Datenfelder des zurücklaufenden
Datenrahmens (46''') zum Auslesen von fremden
Prozess- und/oder Steuerdaten individuell
zugewiesen werden (48),
m) wobei eine zweite Station (20) Prozess- und/oder
Steuerdaten von mehreren anderen Stationen
(14-24) in einem Übertragungszyklus empfängt,
indem sie die einzelnen Daten individuell aus
dem zurücklaufenden Datenrahmen (46''')
entnimmt, und
p) wobei der Datenrahmen (46) zumindest eine erste und
eine zweite Gruppe von Datenfeldern (50, 74)
beinhaltet, wobei die Datenfelder der ersten
Gruppe (50) den einzelnen Stationen (14-24) über
alle Datenrahmen (46) hinweg fest zugewiesen werden
und wobei die Datenfelder (74) der zweiten Gruppe
den Stationen (14-24) auf individuelle Anforderung
für jeweils einen Datenrahmen (46) zugewiesen
werden, und/oder wobei einzelne Datenfelder (50a,
50b) wechselweise von zumindest zwei Stationen mit
Prozess- und/oder Steuerdaten belegt werden."
1. Technischer Hintergrund des Streitpatents
Das Streitpatent betrifft die Datenübertragung in einem Feldbus-Steuerungssystem mit einer Vielzahl von räumlich verteilten und logisch in einer Reihe angeordneten Stationen, die eine "erste Station", eine "letzte Station" und wenigstens eine dazwischen liegende "zweite Station" umfassen. Die "erste Station" sendet nun einen Datenrahmen als "hinlaufenden Datenrahmen" durch diese Reihe zur "letzten Station", die den Datenrahmen dann als "zurücklaufenden Datenrahmen" wieder zurücksendet. Die Stationen tragen hierbei "ihre Daten" in den hinlaufenden Datenrahmen ein und lesen "fremde Daten" aus dem zurücklaufenden Datenrahmen aus.
2. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)
2.1 Die Kammer geht wie die angefochtene Entscheidung von Dokument E1 als dem nächstliegenden Stand der Technik aus.
2.1.1 Betreffend Merkmale a) und c) offenbart E1 ein Steuerungssystem mit mehreren Stationen, die räumlich verteilt, über einen Feldbus miteinander verbunden und logisch in einer "Reihe" angeordnet sind (Titel, Spalte 1, Zeilen 7 - 13, Fig. 1). Einsatzgebiet ist hierbei die industrielle Automatisierungstechnik, bei der Daten von Sensoren eingelesen und an Aktoren ausgegeben werden.
2.1.2 Der Feldbus von E1 ist in einem Ausführungsbeispiel ein sog. "Interbus" (Spalte 7, Zeile 1). Die Stationen umfassen betreffend das Merkmal b) einen "Busmaster" (bzw. eine "erste Station"), der einen Datenrahmen an die anderen "Busteilnehmer" (bzw. mehrere "zweite Stationen" und eine "letzte Station") sendet, wobei die Stationen auch hier in einer "logischen Reihe" angeordnet sind (Spalte 1, Zeilen 50 - 61, Fig. 1).
Die Patentinhaberin argumentierte, dass das Dokument E1 Merkmal b) nicht offenbare und führte diesbezüglich aus, dass der "Interbus" eine Ringstruktur aufweise und eine "logische Reihe" nicht an die physikalische Hardwarestruktur gebunden sei, sondern eine "höhere Ebene" betreffe. Es käme hierbei darauf an, dass der Datenrahmen der Reihe nach an die Stationen gesendet würde.
Die Kammer ist von dem Argument nicht überzeugt. Anspruch 1 spricht von "logisch in einer Reihe" angeordneten Stationen (vgl. Merkmal b)). Dies ist auch in Fig. 1 von E1 gezeigt, da alle Verbindungen zu einer nachfolgenden Station durch die vorausgehende Station verlaufen und die Daten in beide Richtungen die Stationen durchlaufen, selbst wenn sie unterschiedliche Datenleitungen verwenden sollten.
2.1.3 Betreffend die Merkmale d) bis g) erzeugt die "erste Station" einen Datenrahmen, der von einer Station zur nächsten weitergesendet und am Schluss von der "letzten Station" an die "erste Station" zurückgesendet wird (Spalte 1, Zeilen 50 - 61). Die Daten werden sowohl auf dem Hinweg zur letzten Station als auch auf dem Rückweg durch alle anderen Stationen geschleift (Spalte 7, Zeilen 17 - 22, Fig. 1). Der Datenrahmen enthält für jede angeschlossene Station ein Datenfeld bzw. ein "Datentelegramm" (Spalte 7, Zeilen 17 - 22, Spalte 9, Zeilen 24 - 27). Um Daten an die "zweiten Stationen" und die "letzte Station" zu senden, schreibt die "erste Station" die zu sendenden Daten in das Datenfeld der jeweiligen Station (Spalte 1, Zeile 66 - Spalte 2, Zeile 2). Konkret weisen dazu die Stationen "Schieberegister" auf, durch die der Datenrahmen hindurchgeschoben wird und die zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich wenn die erste Station das am Anfang des Datenrahmens gesendete Startwort zurückerhält, die für die jeweilige Station bestimmten Daten enthalten (Spalte 8, Zeilen 35 - 42). Die Schieberegister der Stationen bilden zusammen sozusagen ein langes Schieberegister, in das der Datenrahmen in einem Zyklus komplett hinein geschoben werden muss, bis alle Stationen "ihre Daten" lesen können. Die "zweiten Stationen" und die "letzte Station" lesen somit "fremde Daten", nämlich die der "ersten Station", aus dem hinlaufenden Datenrahmen aus.
2.1.4 Die Patentinhaberin argumentierte in diesem Zusammenhang, dass E1 keinen "Datenrahmen" offenbare, der zu Beginn vollständig in der ersten Station und danach vollständig in der nächsten zweiten Station vorliege, da beim Interbus die Registerinhalte in den verschiedenen Stationen zusammen den Datenrahmen bildeten, der damit zu jedem Zeitpunkt in jeder Station sei. Es gebe vielmehr hin- und rücklaufende "Bits".
Die Kammer folgt dem Argument nicht. Anspruch 1 ist nicht darauf eingeschränkt, dass der Datenrahmen immer als Ganzes von einer Station zur nächsten verschoben wird. Die Kammer teilt auch nicht die Ansicht der Einspruchsabteilung, wonach es sich beim "Interbus" um einen umlaufenden Datenrahmen und keinen hin- und rücklaufenden Datenrahmen handele (vgl. angefochtene Entscheidung, Seite 13, dritter Absatz). Die Kammer ist hingegen der Ansicht, dass von einem "hin- und einem rücklaufenden Datenrahmen" bereits dann gesprochen werden kann, wenn eine Station (d. h. in E1 der "Busmaster") einen Datenrahmen an eine andere Station aussendet und von dort empfängt. Dies gilt insbesondere für das in E1 beschriebene Verfahren, bei dem der Datenrahmen eine (logische) Reihe von Stationen bis zu einer "letzten Station" hin durchläuft und von dort in umgekehrter Reihenfolge die (logische) Reihe der Stationen zurück durchläuft.
2.1.5 Betreffend die Merkmale f) und g) stellt die Kammer außerdem fest, dass E1 die Übertragung von Daten in umgekehrter Richtung offenbart, d. h. von den "zweiten Stationen" und der "letzten Station" an die "erste Station", nämlich zum Zwecke der Steuerung und Überwachung von Prozessen (Spalte 7, Zeilen 4 - 9). Dokument E1 offenbart zwar die Übertragung von "fremden Daten" der "zweiten Stationen" und der "letzten Station" an die "erste Station", aber ohne nähere Details dazu. Da E1 die Erfindung vor dem Hintergrund des Interbus beschreibt und das relevante Ausführungsbeispiel auch auf ein Interbus-System gerichtet ist (vgl. insbesondere Spalte 5, Zeilen 51 bis 65 und Spalte 6, Zeilen 65 und 66), hätte die Fachperson das Dokument E3, das als Lehrbuch Implementierungsdetails des Interbus erläutert, durchaus zu Rate gezogen und beide Dokumente in Zusammenschau betrachtet.
Die Patentinhaberin widersprach hierzu mit dem Argument, dass das Dokument E1 von der Implementierung eines Standard-Interbus wegführen würde, da es die Adressvergabe für die Stationen betreffe und es gleichzeitig als Vorteil des Standards gemäß E3 herausstelle, dass dort gerade keine individuellen Adressen benötigt würden. Dies sei aber der klare Hinweis darauf, dass die Offenbarung von E3 nicht mit E1 zusammen zu lesen wäre.
Die Kammer stellt dagegen fest, dass die Datenübertragung an die einzelnen Stationen von der Lage der jeweiligen Schieberegister innerhalb des Datenrahmens bestimmt und unabhängig von einer vergebenen Stationsadresse ist. Dokument E1 offenbart zudem explizit, dass die vergebenen Adressen von der physikalischen Struktur unabhängig sind (Spalte 2, Zeilen 38 bis 41). Die Fachperson hätte somit durchaus E1 und E3 in Zusammenschau gelesen. Dem Dokument E3 entnimmt nun die Fachperson, dass die Stationen ihre eigenen Daten an die erste Station senden, indem sie diese in den Datenrahmen schreiben. So beschreibt E3 auf den Seiten 39 bis 41 in Abschnitt 2.5, dass jede Station ("Slave") ihre "Eingabedaten" zunächst in ihr Schieberegister schreibt, das Teil des Datenrahmens ist (vgl. Bild 2.8) bevor sie dann in die erste Station ("Master") geschoben werden (vgl. Bild 2.9). In den Abbildungen 2.8 und 2.9 entsprechen bei Berücksichtigung der Datenübertragungsrichtung die Stationen "Slave 1" bis "Slave 3" den "zweiten Stationen" und "Slave 4" der "letzten Station" im Sinne von Anspruch 1. Dieses Verfahren zur Übertragung von Daten von den zweiten Stationen und der letzten Station zur ersten Station lässt sich ohne Weiteres in dem Feldbus gemäß E1 einsetzen. Dazu würde in Übereinstimmung mit der Ansicht der Einsprechenden die Fachperson die Daten von der letzten Station ("Slave 4") gemäß der Reihenstruktur in E1 nicht direkt, sondern durch die anderen Stationen hindurch zur ersten Station zurück schleifen.
2.1.6 Zu Merkmal h) stellt die Kammer fest, dass "die Stationen" auch die "erste Station" umfassen, und weicht damit von der Auslegung dieses Merkmals durch die Einspruchsabteilung ab. Daraus ergibt sich, dass es bereits eine Station gibt, nämlich die "erste Station", die "fremde" Daten der anderen Stationen aus dem zurücklaufenden Datenrahmen liest (siehe Punkt 2.1.5 oben). Auch lesen die "zweiten Stationen" und die "letzte Station" fremde Daten einer Station, nämlich der "ersten Station", aus dem hinlaufenden Datenrahmen.
2.2 Dokument E1 in Zusammenschau mit E3 offenbart somit alle Merkmale von Anspruch 1 bis auf das Merkmal, dass auch die "zweiten Stationen" und die "letzten Stationen" fremde Daten aus dem rücklaufenden Datenrahmen lesen (d. h. Merkmal h) von Anspruch 1).
2.3 Die technische Wirkung dieses Unterschieds besteht darin, dass Daten zwischen allen Stationen innerhalb eines Übertragungszyklus direkt untereinander ausgetauscht werden können.
2.4 Die der beanspruchten Erfindung zugrunde liegende objektive technische Aufgabe kann nun darin gesehen werden, "Daten zwischen allen Stationen im Bussystem von E1 schneller austauschen zu können".
Die Aufgabenformulierung der Patentinhaberin, "eine schnellere Reaktion der Stationen auf bestimmte sicherheitsrelevante Ereignisse im Bussystem von E1 zu ermöglichen", kann nicht herangezogen werden, da der "schnellere" Austausch von Daten nicht notwendigerweise auch eine schnellere Reaktion nach sich zieht. Dem Wortlaut von Anspruch 1 können nämlich keine Details zu irgendeiner "Reaktion" auf das bloße Auslesen von übertragenen Daten entnommen werden.
2.5 Die Fachperson ist ein Ingenieur auf dem Gebiet der Automatisierungstechnik und würde ausgehend von E1 und E3 und vor die oben genannte Aufgabe gestellt, Dokument E5 berücksichtigen, das ebenfalls Feldbusse betrifft und Details verschiedener Feldbusse offenbart. Darunter befindet sich der Feldbus "SERCOS-III", der einen "in der Antriebstechnik häufig geforderte[n] Querverkehr" ermöglicht (Seite 39, linke Spalte, erster Absatz). Der Begriff "Querverkehr" impliziert, bezogen auf den Ausgangspunkt gemäß E1, bei dem nur Daten zwischen der "ersten Station" und den anderen Stationen ausgetauscht werden, dass auch diese anderen Stationen Daten untereinander direkt austauschen können. Die Fachperson hätte mithin die Anregung aus E5 aufgenommen und einen "Querverkehr" implementiert, indem sie auch die anderen Stationen zum Auslesen fremder Daten aus dem Datenrahmen ertüchtigt hätte, so wie es bei E1 und E3 bereits bei der ersten Station der Fall ist. Hierbei die fremden Daten aus dem rücklaufenden Datenrahmen zu lesen ist zumindest für diejenigen Stationen zwingend, die Daten einer weiter entfernten Station lesen sollen, da der hinlaufende Datenrahmen bereits an ihnen vorübergezogen ist, bevor die weiter entfernte Station ihre Daten eintragen konnte. Die Fachperson hätte daher die einfachste verfügbare Möglichkeit gewählt und grundsätzlich vorgesehen, dass alle Stationen fremde Daten aus dem rücklaufenden Datenrahmen auslesen, um nicht je nach Lage der Stationen zueinander unterschiedliche Verfahren wählen zu müssen. Ausgehend von E1 und E3 und vor die oben genannte objektive Aufgabe gestellt, wäre die Fachperson somit unter Berücksichtigung der Anregung aus E5 und unter Anwendung des allgemeinen Fachwissens zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
2.6 Die Einspruchsabteilung war in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass eine Interbus-Struktur mit zugehörigem Protokoll und eine Busstruktur auf Ethernet-Basis wie SERCOS-III nicht kompatibel seien (vgl. angefochtene Entscheidung, Gründe 8). Die Kammer ist anderer Auffassung, da es nur um die Übernahme der "Querkommunikation" von SERCOS-III geht und diese mitnichten untrennbar mit den übrigen Merkmalen verbunden ist.
2.7 Die Patentinhaberin argumentierte zudem, dass die Fachperson eine "Querkommunikation" beim Feldbus von E1 nicht vorgesehen hätte, weil es technisch nicht möglich gewesen sei. Der Interbus sei dafür schlicht und ergreifend nicht vorgesehen.
Die Kammer hält dem entgegen, dass die Dokumente E1 und E3 bereits für eine Station, nämlich die "erste Station" bzw. den "Master", vorsehen, Daten fremder Stationen aus dem rücklaufenden Rahmen zu lesen. Die Fachperson hätte somit lediglich eine für die erste Station bereits bekannte Maßnahme auch auf die anderen Stationen anwenden müssen.
2.8 Ferner argumentierte die Patentinhaberin, dass die Fachperson nicht den "Interbus" mit Merkmalen von "SERCOS-III" kombiniert, sondern gleich komplett "SERCOS-III" ohne einen Datenrahmen verwendet hätte, wenn ein Querverkehr erwünscht gewesen wäre. Ein Grund dafür sei es auch, dass "Interbus" und "SERCOS-III" zwei verschiedene Ansätze verfolgten, nämlich das E/A-Verfahren beim "Interbus" (vgl. E3, Seite 19, Abschnitt 1.2, erster Absatz) und die "Zeitzuteilung durch einen Master" bei "SERCOS-III" (vgl. E5, Seite 42, Tabelle 8). Die Verschiedenartigkeit der Verfahren zeige sich auch daran, dass in Dokument E3 nachrichtenorientierte Übertragungsverfahren mit Zeitsteuerung und E/A-Verfahren (vgl. Abschnitte 1.1 und 1.2) erläutert würden.
Auch dieses Argument vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Der "Querverkehr" ist nämlich nicht untrennbar mit der Zeitzuteilung durch einen Master verbunden, entwickelt mithin keine Synergien damit und kann unabhängig davon auch bei einem E/A-Verfahren wie dem Interbus sehr wohl implementiert werden, ohne dass dem technisch etwas entgegenstehen würde.
2.9 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung somit entgegen.
3. Antrag der Patentinhaberin auf Zurückverweisung
3.1 Im Zusammenhang mit dem Antrag der Patentinhaberin auf Zurückverweisung der Sache zur weiteren Entscheidung für den Fall, dass ihr Hauptantrag (d. h. die Zurückweisung des Einspruchs) nicht gewährbar sein sollte, wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer intensiv darüber diskutiert, ob eine eventuelle Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung gemäß Artikel 111 (1) EPÜ - ohne einen in das Verfahren zugelassenen Anspruchssatz (wie z. B. in dem von der Patentinhaberin zitierten Fall T 1374/21, Gründe 4) - angezeigt wäre.
3.2 Beide Beteiligten vertraten hierbei die Ansicht, dass eine weitere Prüfung des vorliegenden Falls ohne die Angabe eines konkreten Gegenstands in Form eines Anspruchssatzes für eine solche Prüfung keinen Sinn machen würde. Das weitere Verfahren könnte vielmehr dadurch zusätzlich verzögert werden.
3.3 Auch die Kammer sieht eine eventuelle Zurückverweisung im vorliegenden Fall nur dann als verfahrensökonomisch an, falls zumindest eines der vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 12 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen wäre und die Gründe, die der Aufrechterhaltung des Streitpatents wie erteilt entgegenstehen, nicht unmittelbar auf einen solchen zulässigen, geänderten Anspruchssatz anwendbar sein sollten. Falls hingegen keiner der geltenden Hilfsanträge zuzulassen wäre, müsste nach Auffassung dieser Kammer das Patent nach Artikel 101 (3) b) EPÜ logischerweise widerrufen werden.
4. Hilfsanträge 1 bis 12 - automatisch im Verfahren?
4.1 Die Patentinhaberin hat die Hilfsanträge 1 bis 12 bereits im Einspruchsverfahren (innerhalb des bestimmten Zeitpunkts nach Regel 116 (1) EPÜ) eingereicht. Die Hilfsanträge mussten jedoch von der Einspruchsabteilung nicht behandelt werden, da das Streitpatent wie erteilt aufrechterhalten wurde (es handelt sich hierbei also um sog. "carry-over requests").
4.2 Die Patentinhaberin brachte hierzu vor, dass diese Hilfsanträge automatisch Bestandteil des Beschwerdeverfahrens seien, da sie im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK bereits der angefochtenen Entscheidung "zugrunde gelegen" hätten. Dies sei auch der angefochtenen Entscheidung explizit zu entnehmen, weil die Einreichung dieser Hilfsanträge in Punkt VIII des Abschnitts "Sachverhalt und Anträge" der angefochtenen Entscheidung und deren Erörterung durch die Einsprechende explizit erwähnt werde. Somit seien diese Hilfsanträge keine "Änderung" im Sinne von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK - mit der Folge, dass die Kammer auch kein Ermessen hätte, diese unberücksichtigt zu lassen.
4.3 Die Kammer kann sich jedoch dieser Ansicht nicht anschließen. Die bloße Erwähnung von Hilfsanträgen im Teil "Sachverhalt und Anträge" kann nämlich nicht damit gleichgesetzt werden, dass die erwähnten Hilfsanträge im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK tatsächlich der angefochtenen Entscheidung "zugrunde lagen". Anderenfalls wäre der Passus von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK ("[...] sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde") schlichtweg belanglos. Es entspricht aber sowohl Sinn und Zweck von Artikel 12 (2) VOBK als auch der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. T 42/20, Gründe 4.2; T 221/20, Gründe 2.4; T 1800/20, Gründe 3.2; T 364/20, Gründe 5.3), dass Änderungsanträge nur dann der angefochtenen Entscheidung "zugrunde liegen", wenn das Entscheidungsorgan diese Anträge auch behandelt und darüber entschieden hat. Wie auch die Patentinhaberin selbst einräumte, wurden jedoch im vorliegenden Fall "die Hilfsanträge 1 bis 12 im bisherigen Verfahren gar nicht diskutiert" (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 2, vierter Absatz). Folglich sind die Hilfsanträge 1 bis 12 nicht automatisch Teil des Beschwerdeverfahrens.
5. Hilfsanträge 1 bis 12 - in zulässiger Weise vorgebracht?
5.1 Liegen bestimmte Anträge gemäß Artikel 12 (2) VOBK nicht der Entscheidung "zugrunde", so sind diese Anträge als "Änderung" im Sinne von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK zu betrachten, "sofern der betroffene Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde".
5.2 Aus dem Wortlaut von Artikel 12 (4) VOBK ergibt sich nun, dass die Kammer bei der Prüfung der Frage, ob sie über einen Ermessensspielraum bei der Berücksichtigung von sog. "carry-over requests" verfügt, zwei Dinge zu untersuchen hat. Zunächst muss die Kammer prüfen, ob der Beteiligte "gezeigt" hat, wie und warum die betreffenden Anträge im erstinstanzlichen Verfahren "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten" wurden. Liegt ein solcher Vortrag vor, dann hat die Kammer als zweiten Schritt zu prüfen, ob das betreffende Vorbringen sachlich zutreffend ist, d. h. ob die betreffenden Anträge nach den anwendbaren und von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien tatsächlich als "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten" anzusehen sind.
5.3 Was den ersten der oben genannten Aspekte betrifft, so geht, wie z. B. diese Kammer in anderer Besetzung ausgeführt hat (vgl. T 246/22, Gründe 4), aus dem Wortlaut von Artikel 12 (4) VOBK klar hervor, dass der Gesetzgeber den Kammern keine Verpflichtungen von Amts wegen auferlegen wollte, das erstinstanzliche Verfahren zu studieren, Anträge zu identifizieren und bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und zu verstehen, warum sie eingereicht wurden. Vielmehr obliegt es dem betreffenden Verfahrensbeteiligten, darzulegen, dass diese Anträge "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden. Die Bestimmung sieht zwar nicht ausdrücklich vor, dass diese Darlegung bereits in der Beschwerdebegründung oder -erwiderung erfolgen muss. Dies ergibt sich jedoch aus dem Erfordernis, dass die Beschwerdebegründung und -erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen der Parteien enthalten müssen (vgl. Artikel 12 (3) Satz 1 VOBK).
5.4 Im vorliegenden Fall ist die Patentinhaberin dieser Darlegungslast nicht nur in ihrer Beschwerdeerwiderung, sondern auch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht nachgekommen. Die Patentinhaberin war nämlich der Ansicht, dass die entsprechenden Hilfsanträge, da sie erstinstanzlich eingereicht wurden, zugleich Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren; und dies obwohl die Kammer auch in ihrer vorläufigen Meinung auf das betreffende Erfordernis verwiesen und dargelegt hatte, warum die betreffenden Anträge als nicht der Entscheidung zugrunde liegend und erstinstanzlich nicht als "in zulässiger Weise vorgebracht" anzusehen waren. Erst nachdem die Kammer die in der vorläufigen Meinung geäußerte Ansicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestätigt hatte, hat die Patentinhaberin darauf reagiert. Sie hat jedoch nur auf die in der Beschwerdeerwiderung enthaltenen Ausführungen sowie auf den Umstand, dass die vorliegenden Anträge innerhalb der erstinstanzlichen Schriftsatzfrist (d. h. die Frist gemäß Regel 116 (1) i.V.m. 116 (2) EPÜ) eingereicht wurden, verwiesen. Beide Argumente sind jedoch weder ausreichend noch überzeugend.
5.5 Die Patentinhaberin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung nur die jeweilige Basis für die vorgenommenen Änderungen angegeben. Sie hat hierbei lediglich kursorisch erwähnt, dass die hinzugefügten Merkmale im Stand der Technik E1 bis E3 bzw. E6 nicht offenbart seien oder deren Anwendung in einem Interbus-System systembedingt sogar technisch unmöglich seien (siehe Abschnitte III.2 bis III.7). Diese Ausführungen sind jedoch nur relevant für die Frage, ob die vorliegenden Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren substanziiert wurden, aber nicht für die Frage, ob sie in zulässiger Weise erstinstanzlich vorgebracht wurden.
5.6 Die Patentinhaberin konnte auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht präzise angeben, für welchen Zweck die diesen Hilfsanträgen zugrunde liegenden Änderungen vorgenommen worden waren. Insbesondere wurde nicht angegeben, wie die vorliegenden, von der Einsprechenden geltend gemachten Einwände der mangelnden Ausführbarkeit, der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (z. B. in Bezug auf die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale, der Formulierung der objektiven Aufgabe, etwaiger Hinweise im Stand der Technik, etc.) ausgeräumt werden sollten.
5.7 Der Umstand, dass die Hilfsanträge vor dem nach Regel 116 (1) EPÜ bestimmten Zeitpunkt eingereicht wurden, ist ebenso nicht entscheidend. Auch solche Anträge könnten nämlich nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern durchaus als "verspätet" angesehen werden (siehe z. B. T 364/20, Gründe 7.2.3).
5.8 Selbst wenn die Kammer die Ausführungen im erstinstanzlichen Schriftsatz der Patentinhaberin vom 13. August 2021, mit dem auch die Hilfsanträge 1 bis 12 eingereicht wurden, in ihre Betrachtungen einbeziehen würde - was aus den dargelegten Gründen nicht erforderlich ist - würde sich kein anderes Ergebnis ergeben. Diese Ausführungen erschöpfen sich nämlich in der Angabe, dass die hinzugefügten Merkmale die Unterschiede zum Stand der Technik weiter hervorheben bzw. "aufgrund der neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern" eine "entsprechende Rückzugsposition" darstellen sollen (vgl. Seite 2, zweiter Absatz). Auch aus dem erstinstanzlichen Vorbringen geht nicht hervor, warum die Anträge nicht früher hätten eingereicht werden können.
5.9 Somit konnte die Patentinhaberin nicht zeigen, dass die Hilfsanträge 1 bis 12 im Einspruchsverfahren tatsächlich "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden. Daraus folgt unmittelbar, dass diese Hilfsanträge "Änderungen" im Sinne von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK darstellen. Es steht somit gemäß Artikel 12 (4) Satz 2 VOBK im Ermessen der Kammer, diese "Änderungen" in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
6. Hilfsantrag 6 - Zulassung in das Verfahren
6.1 In Anspruch 1 von Hilfsantrag 6 wurden die Merkmalsänderungen b'), f') und h') und die neuen Merkmale j), l), m), n) und p) hinzugefügt.
6.2 Für die Änderungsmerkmale b'), f') und h') findet sich eine Stütze in der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Seite 9, Zeilen 5 bis 8 und 15 bis 17). Prima facie sind alle vorgenannten Merkmale klar (Artikel 84 EPÜ) und stellen auch keine unzulässige Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ) dar.
6.3 Die zusätzlichen Merkmale j) und m) sind ebenfalls in der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 9, Zeile 25 bis Seite 10, Zeile 9 und Seite 17, Zeilen 11 bis 16 offenbart. Auch wenn diese beiden Merkmale nach der vorläufigen Meinung der Kammer Anlass zum Einwand der mangelnden Klarheit (Artikel 84 EPÜ) gegeben haben, ist eine andere, positive Beurteilung dieser Frage nicht ausgeschlossen. Beispielsweise könnte das "logische Durchlaufen" der Stationen in Merkmal j) als auf deren "logische Reihe" bezogen verstanden werden, die bereits im erteilten Anspruch 1 enthalten war und somit nicht dem Einwand der mangelnden Klarheit zugänglich wäre.
6.4 Die Merkmale l), n) und p) sind zudem den erteilten Ansprüchen 3, 5, 10 bzw. 12 entnommen und sollten bereits aus diesem Grund keinen Anlass zu Beanstandungen nach Artikel 84 und 123 (2) EPÜ geben.
6.5 Merkmal p) ermöglicht trotz Verwendung eines festen Datenrahmens eine variable Zuteilung der Übertragungskapazität an die einzelnen Stationen. Sowohl diese erzielte Wirkung als auch die konkreten Mittel dazu sind von keinem der erörterten Dokumente E1, E3 und E5 prima facie offenbart oder nahegelegt.
6.6 Die Erfordernisse gemäß Artikel 56, 83, 84 und 123 (2) EPÜ stehen somit der Gewährbarkeit von "Hilfsantrag 6" prima facie nicht zwingend entgegen. Die Kammer lässt diesen Hilfsantrag daher - unter angemessener Berücksichtigung der in Artikel 12 (4) Satz 5 VOBK genannten Kriterien wie die "Komplexität der Änderungen", ihre "Eignung zur Behandlung der Fragestellungen, die zur angefochtenen Entscheidung führten", und das "Gebot der Verfahrensökonomie" - in das Verfahren zu.
7. Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ; Artikel 11 VOBK)
7.1 Die Kammer stimmt der Patentinhaberin darin zu, dass sie eine grundsätzlich andere Auslegung von Anspruch 1 als die Einspruchsabteilung ihrer Prüfung zugrunde gelegt hat (siehe Punkte 2.1.4 und 2.1.6 oben), die im Verfahren bislang nicht diskutiert worden ist und die erhebliche Implikationen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von Anspruch 1 aller Anträge zur Folge hat.
7.2 Darüber hinaus kann die unvollständige Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch die Einspruchsabteilung in Bezug auf den Gegenstand des Streitpatents wie erteilt nicht der Patentinhaberin vorgehalten werden (siehe z. B. die kursorische Bemerkung in der angefochtenen Entscheidung im Anschluss an die bloße Zusammenfassung des Parteienvorbringens, Gründe 8, letzter Absatz: "Die Einspruchsabteilung konnte den Ausführungen der Einsprechenden nicht folgen, da sie eine Zusammenschau von einer Interbus-Struktur mit zugehörigem Protokoll und einer Bus-Struktur, die nach der Ethernet-Struktur funktioniert, wie der SERCOS-III Bus für nicht kompatibel hält").
7.3 Aus dem Obigen folgt, dass hier in der Tat "besondere Gründe" im Sinne von Artikel 11 VOBK vorliegen.
7.4 Die Angelegenheit wird daher zur weiteren Entscheidung - auf der Grundlage des vorliegenden Hilfsantrags 6 - an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
8. Antrag auf Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer
8.1 Während der Diskussion der vorliegenden Hilfsanträge stellte die Beschwerdegegnerin den Antrag, die oben in Punkt III wiedergegebenen Fragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
8.2 Gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält. Für die "Erforderlichkeit" der Vorlage sollte hierbei ersichtlich sein, dass die Vorlagefrage nicht nur von theoretischer Bedeutung ist. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die Kammer nach dem Stand der Akten unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefrage zu derselben Entscheidung käme (vgl. G 3/98, Gründe 1.2.3). Mit anderen Worten geht es darum, ob sich die vorzulegende Rechtsfrage in dem betreffenden Beschwerdeverfahren tatsächlich stellt (vgl. G 1/14, Gründe 3). Es genügt hierbei nicht, dass die vorzulegende Frage von allgemeinem Interesse ist. Vielmehr muss ihre Beantwortung für die Entscheidung des Beschwerdefalls auch notwendig sein (vgl. J 16/90, Gründe 1.2).
8.3 Im vorliegenden Fall erklärte die Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer mehrmals die Absicht, den Antrag zu stellen, bestimmte die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern betreffende Fragen an die Große Beschwerdekammer vorzulegen. Die Kammer erwiderte hierzu, dass die beabsichtigten Fragen höchstens dann relevant würden, wenn die Hilfsanträge nicht zugelassen werden sollten. Die Fragen zielten nämlich darauf ab, die Große Beschwerdekammer prüfen zu lassen, ob diese Kammer überhaupt ein Ermessen hätte, die Hilfsanträge nicht zu berücksichtigen. Letztendlich hat die Kammer ihr Ermessen derart ausgeübt, dass ein Hilfsantrag (nämlich "Hilfsantrag 6") in das Verfahren zugelassen und über die Zulassung der restlichen Hilfsanträge nicht entschieden wurde.
8.4 Die Beantwortung der Vorlagefragen ist somit nicht erforderlich, um über den Gegenstand der Beschwerde entscheiden zu können. Allein aus diesem Grund liegen die in Artikel 112 (1) a) EPÜ genannten Voraussetzungen nicht vor, die eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer rechtfertigen könnten. Darüber hinaus war die Kammer auch in der Lage, die Vorlagefragen - unter Heranziehung des EPÜ und des Wortlauts der VOBK - selbst zu beantworten (vgl. Punkte 4 und 5 oben). Denn die Antwort auf die gestellten Fragen folgten entweder direkt aus der einheitlichen Rechtsprechung oder aus dem Wortlaut der relevanten Vorschriften.
Hinsichtlich der ersten Frage ist diese nach Kenntnis der Kammer von der Rechtsprechung nie unterschiedlich beantwortet worden. Ein Antrag liegt nicht schon deshalb der angefochtenen Entscheidung zugrunde, weil er in erster Instanz eingereicht wurde. Die Kammer hat keinen Anlass, die Richtigkeit dieser Auffassung anzuzweifeln.
Was die zweite Frage anbelangt, ergibt sich die Antwort darauf direkt aus dem zweiten Teil der auszulegenden Vorschrift: Es liegt nämlich im Ermessen einer Beschwerdekammer nach Artikel 12 (4) VOBK, über die Zulassung eines Hilfsantrags zu entscheiden, welcher bereits im Einspruchsverfahren innerhalb einer dort gesetzten Schriftsatzfrist eingereicht und im Beschwerdeverfahren unverändert weiterverfolgt wurde - sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass die betreffenden Anträge in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten" wurden.
8.5 Der Antrag auf Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer wird daher zurückgewiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.