Papier-Transistor für recycelbare Einwegelektronik: Elvira Fortunato und Rodrigo Martins als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis nominiert
- Erstmals ersetzt Papier teures Silizium als Halbleiter in Mikrochips
- Transistoren aus Papier sind leicht herzustellen, kostengünstig und umweltfreundlich
- Breite Einsatzmöglichkeiten der recycelbaren Transistoren im Bereich der Einwegelektronik, beispielsweise bei intelligenten Verpackungen
- EPA-Präsident Battistelli: „Die von Elvira Fortunato und ihrem Team entwickelten Mikrochips aus Papier haben das Potenzial, intelligente Computertechnologie in völlig neue Bereiche des täglichen Lebens zu integrieren"
München, 26. April 2016 - In Zeiten der Digitalisierung schien Papier seinen Stellenwert für das Speichern von Informationen verloren zu haben - bis Elvira Fortunato (51) gemeinsam mit ihrem Ehemann Rodrigo Martins (64) Transistoren aus Zellulose entwickelte. Das mit Metalloxiden beschichtete Papier wird bei ihrer Erfindung selbst zum isolierenden Material - anstelle des teuren und umweltschädlichen Siliziums, das bislang für die Herstellung von Halbleitern unverzichtbar war. Dank dem kostengünstigen und umweltschonenden Einsatz von Papier können bestehende Technologien in der Bestandsverwaltung und Logistik revolutioniert werden. Durch die flexiblen Transistoren eröffnen sich zudem völlig neue Anwendungsgebiete im Bereich der Einwegelektronik, beispielsweise bei der Etikettierung von Lebensmitteln oder bei Flugtickets, die ihre Daten bei Verspätungen automatisch aktualisieren.
Für ihre Erfindung wurden Elvira Fortunato und Rodrigo Martins als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2016 in der Kategorie „Forschung" nominiert. Die begehrte Auszeichnung wird am 9. Juni in Lissabon vom Europäischen Patentamt (EPA) zum elften Mal verliehen.
„Die von Elvira Fortunato und Rodrigo Martins entwickelten Mikrochips aus Papier haben das Potenzial, intelligente Computertechnologie in völlig neue Bereiche des täglichen Lebens zu integrieren", sagte EPA-Präsident Benoȋt Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2016. „Mikrochips aus Papier ermöglichen eine neue Generation von kostengünstigen und recycelbaren Anwendungen, die eine wichtige Rolle für das Internet der Dinge und weitere digitale Technologien der Zukunft spielen können."
Vom einfachen Blatt Papier zum High-Tech-Material
Elvira Fortunato ist seit 1998 Leiterin des Instituts für Nanomaterialien, Nanofabrikation und Nanomodellierung am CENIMAT, dem Forschungsinstitut für Materialwissenschaft, an der Neuen Universität von Lissabon (UNL). Dort forscht sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Team an den Einsatzmöglichkeiten von anorganischen Oxiden in der Elektronik. Die Idee, Transistoren auf Papier statt auf konventionelle Wafer aus Silizium aufzubringen, wurde bereits von anderen Wissenschaftlern realisiert. Bahnbrechend war jedoch der Gedanke von Fortunato, gewöhnliches Papier als essenziellen Bestandteil des Transistors zu integrieren.
Für die Erfindung wird ein Papierbogen mit einem Nanofluid, das winzige Partikel von Metalloxiden aus Zink, Gallium oder Indium enthält, überzogen und anschließend mithilfe von Aluminium mit den anderen beiden Schichten des Transistors verbunden. Dank der Beschichtung übernimmt das Papier nicht nur die Funktion des Trägermaterials, sondern auch jene der dielektrischen Schicht - also des isolierenden Bestandteils. Das Ergebnis ist ein vollwertiger Transistor aus Zellulosefaser. Bislang wurde als isolierendes Element das ebenso teure wie aufwendig herzustellende Silizium eingesetzt, das unter extrem hohen Temperaturen verarbeitet werden muss. Zudem wird bei der Produktion von Silizium das umweltschädliche Treibhausgas Schwefelhexafluorid freigesetzt. Hier liegen die entscheidenden Vorteile der Transistoren aus Papier: Sie sind günstig, leicht herzustellen und vollständig recycelbar. „Natürlich kann elektronisches Papier keinesfalls alles ersetzen, was man heute mit Siliziumtechnologie macht. Es wird zusätzlich zu den bestehenden Technologien eingesetzt. Und zwar für Anwendungen, die wenig kosten und in großen Mengen produziert werden sollen", sagt Elvira Fortunato.
Intelligente Verpackungen von morgen
Transistoren sind ein wichtiger Bestandteil von Mikrochips, den „Gehirnzellen" elektronischer Geräte. Das Potenzial von Transistoren aus Papier liegt jedoch nicht in den klassischen Anwendungsgebieten von Silizium-Transistoren in Hochleistungsrechnern, sondern eröffnet vielmehr ein völlig neues Feld der Einwegelektronik, beispielsweise im Bereich intelligenter Verpackungen oder bei Markierungen für Radiofrequenz-Identifikation (RFID) in der Logistik. Dank der Innovation sind zudem futuristisch anmutende Ideen wie animierte Zeitungen sowie sich selbst aktualisierende Visitenkarten oder Flugtickets aus Papier denkbar. Auch bei Biosensoren für einfache medizinische Tests könnten Papier-Transistoren zukünftig zum Einsatz kommen.
Portugiesische Denkfabrik CENIMAT
Nach ihrem PhD in Mikroelektronik und Optoelektronik an der UNL 1995 forschte Fortunato weiter an anorganischen Oxiden in der Materialwissenschaft - heute gilt sie als Pionierin in diesem Bereich. Gemeinsam mit Martins arbeitet Fortunato bei CENIMAT eng mit der portugiesischen Start-up-Szene und nationalen sowie internationalen Forschungsinitiativen zusammen. Insgesamt ist sie an mehr als 40 erteilten und 20 angemeldeten Patenten beteiligt. Der Europäische Forschungsrat förderte ihre Arbeit mit 2,5 Millionen Euro. Das ist die größte Fördersumme, die einem portugiesischen Forscher bislang von dieser Organisation zugutekam.
Fortunatos Arbeit an Transistoren aus Papier weckte 2008 die Aufmerksamkeit der Augmented Reality Firma YDreams, eines Spin-offs der UNL, die sich für Anwendungen von Papier als interaktiver Oberfläche für Elektronik interessiert. Im selben Jahr sicherte sich das Unternehmen die Markenrechte an den Transistoren unter dem Namen Paper-e® in mehr als einem Dutzend Ländern und arbeitet an mehreren Prototypen zur Anwendung, wie beispielsweise an intelligenten Flugtickets. In naher Zukunft ist das vielversprechendste Einsatzgebiet jedoch der Smart Packaging Markt. Aktuellen Analysen zufolge wird der globale Bedarf in diesem Bereich von 26 Millionen Euro (2012) bis 2022 auf 1,51 Milliarden Euro wachsen. Gleichzeitig haben die Transistoren aus Papier das Potenzial, eine neue Nische auf dem lukrativen Markt für Halbleiter einzunehmen. Dort wird das Marktvolumen auf 4,21 Milliarden Euro (2014) geschätzt. Dies könnte sich bis 2021 auf 10,56 Milliarden Euro mehr als verdoppeln.
Weiterführende Informationen
Erfahren Sie mehr über die Erfinder
Ein Blick auf das Patent: EP2235741, EP2059810
Nanotechnologie: Das nächste große Thema in der Materialwissenschaft
Die Erfindung von papierbasierten Mikrochips wäre nicht möglich ohne die enormen Fortschritte in der Nanotechnologie. Nanotechnologie (νᾶνος aus dem Griechischen bedeutet „Zwerg"), hat die Vorstellungskraft von Wissenschaftlern und Künstlern seit Jahrzehnten beflügelt. Heute gilt Nanotechnologie unter Forschern als das nächste große Thema im Bereich der Materialwissenschaft. Lesen Sie mehr über Nanotechnologie im Rampenlicht
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