T 1586/20 12-10-2023
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GROSSWÄLZLAGER
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I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung oder auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichen Hauptantrags 0 oder eines der mit Schriftsatz vom 24. September 2020 gestellten Hilfsanträge.
V. Die Beschwerdegegnerinnen 1, 2 und 3 (Einsprechende 1, 2 und 3) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde sowie die Vorlage der Sache an die Große Beschwerdekammer.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (erteilte Fassung) lautet wie folgt (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
M1.1 Großwälzlageranordnung (1) mit einem Außendurchmesser von mindestens 250 mm
M1.2 und mindestens einem Laufbahnelement (3, 5) und mindestens einem Wälzkörper (7), die folgende Merkmale aufweist:
M1.3 - wenigstens eine Kontaktzone (21, 23) zwischen dem mindestens einen Laufbahnelement (3, 5) und dem mindestens einen Wälzkörper (7)
M1.4 - die Kontaktzone weist eine induktiv gehärtete Oberflächenschicht auf,
M1.5 - das Laufbahnelement (3, 5) und/oder der mindestens eine Wälzkörper (7) besteht aus einem Stahl, der eine Beimischung von Kohlenstoff von mindestens 0,46 Masse% aufweist,
M1.6 - wobei der Stahl eine Beimischung von Molybdän aufweist,
M1.7 - die Oberflächenschicht weist eine durch ein induktives Härtverfahren erzeugte, maximale Härte auf, die geringer als die maximal erreichbare Härte des verwendeten Stahls ist.
Der davon abhängige Anspruch 2 fordert darüber hinaus, dass
M2.1 die gehärtete Oberflächenschicht (21, 23) eine maximale Härte von mindestens 58 HRC aufweist.
Der unabhängige Anspruch 6 lautet wie folgt:
Verfahren zur Herstellung einer Großwälzlageranordnung (1) mit einem Außendurchmesser von mindestens 250 mm und mindestens einem Laufbahnelement (3, 5), mit folgenden Merkmalen:
- Auswahl eines Stahls, der eine Beimischung von Kohlenstoff von mindestens 0,46 Masse% aufweist;
- wobei der Stahl eine Beimischung von Molybdän aufweist;
- Formen einer Kontaktzone für ein Wälzlagergegenelement;
- Induktives Härten der Oberflächenschicht der Kontaktzone, sodass die Oberflächenschicht (21, 23) durch das induktive Härten eine maximale Härte aufweist, die geringer als die maximal erreichbare Härte des verwendeten Stahls ist.
In Hauptantrag 0 wurde der erteilte abhängige Anspruch 2 gestrichen, und die Nummerierung und die Rückbezüge der verbleibenden Ansprüche wurden angepasst. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 5 von Hauptantrag 0 entsprechen den Ansprüchen 1 und 6 des Hauptantrags.
VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D3-O2: Merkblatt 236 "Wärmebehandlung von Stahl -
Randschichthärten"
D4-O2: Katalog "Thyrofort - Heat-treatable steels"
WW2-O1: DE 199 28 775 A1
VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten ist unten in den Entscheidungsgründen aufgeführt.
1. Hauptantrag - Ausführbarkeit
1.1 Erfindung gemäß Anspruch 1
1.1.1 Die Erfindung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents betrifft eine Großwälzlageranordnung mit mindestens einem Laufbahnelement und mindestens einem Wälzkörper (M1.1, M1.2), die aus einem Stahl mit einer bestimmten Zusammensetzung bestehen (M1.5, M1.6). Zwischen dem Laufbahnelement und dem Wälzkörper liegt eine Kontaktzone (M1.3), die eine induktiv gehärtete Oberflächenschicht aufweist (M1.4).
Das Merkmal M1.7 setzt die maximale Härte dieser induktiv gehärteten Oberflächenschicht in Relation zur "maximal erreichbaren Härte" des verwendeten Stahls, also des konkreten Stahls, aus dem das Laufbahnelement bzw. der Wälzkörper bestehen.
1.1.2 Die maximal erreichbare Härte dieses konkreten Stahls, aus dem das Laufbahnelement bzw. der Wälzkörper bestehen, ist durch dessen Zusammensetzung vorgegeben. Sie kann durch einen Stirnabschreckversuch oder rechnerisch anhand von Formeln ermittelt werden (D3-O2, Punkte 2.4.1 und 2.4.3).
In beiden Fällen ist die maximal erreichbare Härte dieses Stahls kein einzelner Wert, sondern liegt innerhalb eines Streubands. Mehrere Stirnabschreckversuche desselben Probenkörpers bzw. derselben Stahlcharge führen nämlich aufgrund der ungleichmäßigen Verteilung der Legierungsbestandteile im Stahl zu unterschiedlichen Ergebnissen. In den Berechnungsformeln ist dies durch einen Faktor wie "± 2 HRC" berücksichtigt.
Näherungsweise kann die maximal erreichbare Härte eines konkreten Stahls dem Datenblatt des Herstellers entnommen werden. Ein bevorzugter Stahl gemäß dem Streitpatent ist ein Stahl der Spezifikation 50CrMo4 (Streitpatent, Absatz [0017]), dessen maximal erreichbare Härte zwischen 60 und 65 HRC liegt, sofern er im Gütegrad HH vorliegt (D4-O2, Seite 54, letzte Tabelle; Seite 55, mittlere Abbildung).
1.1.3 Das Merkmal M1.7 verlangt nun, dass die gehärtete Oberflächenschicht des Laufbahnelements bzw. des Wälzkörpers eine maximale Härte aufweisen muss, die geringer als die maximal erreichbare Härte des verwendeten Stahls ist. Der unterste Wert des Streubands der maximal erreichbaren Härte für den konkret verwendeten Stahl definiert also die Grenze, unterhalb der die maximale Härte der gehärteten Oberflächenschicht liegen muss, damit das Merkmal M1.7 erfüllt ist.
Wenn also beispielsweise der für die Herstellung des Laufbahnelements bzw. des Wälzkörpers verwendete Stahl der Spezifikation 50CrMo4 im Gütegrad HH entspricht, wird der unterste Wert des gemessenen oder berechneten Streubands der maximal erreichbaren Härte nicht unter 60 HRC liegen (da der Stahl andernfalls nicht der Spezifikation entspräche). Das Merkmal M1.7 wäre damit beispielsweise erfüllt, wenn die Oberflächenschicht auf 50 HRC gehärtet wird.
Für die Erfüllung des Merkmals M1.7 genügt es demnach, die Oberflächenschicht des Laufbahnelements bzw. des Wälzkörpers hinreichend "schlecht" zu härten. Dies gelingt dem Fachmann ohne Weiteres im Lichte seines allgemeinen Fachwissens und der in den Absätzen [0010], [0018] und [0019] des Streitpatents angegebenen Informationen, indem er das Erhitzen und Abschrecken des verwendeten Stahls entsprechend nachteilig durchführt.
1.2 Erfindung gemäß Anspruch 2
1.2.1 Der von Anspruch 1 abhängige Anspruch 2 definiert als zusätzliches Kriterium, dass
M2.1 die gehärtete Oberflächenschicht eine maximale Härte von mindestens 58 HRC aufweist.
1.2.2 Dieses Kriterium schließt aus, dass die Oberflächenschicht beliebig "schlecht" gehärtet werden kann. Die oben beispielhaft angegebene maximale Härte der gehärteten Oberflächenschicht von 50 HRC genügt dem zusätzlichen Kriterium des Anspruchs 2 jedenfalls nicht.
1.2.3 Bei der Verwendung von Stahl der Spezifikation 50CrMo4 im Gütegrad HH bedeutet das also, dass das Ergebnis des Härtens zu einer Oberflächenschicht führen muss, deren maximale Härte in einem Korridor von weniger als 2 HRC liegt. Unterhalb von 58 HRC wäre nämlich das Merkmal M2.1 nicht erfüllt, und bei 60 HRC und darüber wäre das Merkmal M1.7 nicht erfüllt.
1.2.4 Wie bei den Stirnabschreckversuchen macht sich aber auch beim Härten die ungleichmäßige Verteilung der Legierungsbestandteile im Stahl bemerkbar. Die durch das Härten einstellbare maximale Härte eines Stahls liegt daher unstreitig nicht bei einem einzelnen Wert, sondern wiederum innerhalb eines Streubands. Die Beschwerdeführerin selbst nannte diesbezüglich eine Spanne von zumindest "± 1 HRC", über die das Ergebnis des Härtens gestreut ist. Das hat zur Folge, dass die maximale Härte der gehärteten Oberflächenschicht zwangsläufig in einem Band zu liegen kommt, das mindestens 2 HRC umspannt.
Bei der Verwendung von Stahl der Spezifikation 50CrMo4 - der einzigen im Streitpatent als Ausführungsbeispiel genannten Legierung - im Gütegrad HH ist dieses Band also breiter als der Korridor, der durch die Merkmale M2.1 und M1.7 vorgegeben wird (mindestens 58 HRC einerseits, weniger als 60 HRC andererseits). Folglich ist unweigerlich entweder das Merkmal M2.1 oder das Merkmal M1.7 nicht erfüllt.
1.2.5 Die Beschwerdeführerin argumentierte, für die Merkmale M2.1 und M1.7 sei der Mittelwert des Härtens entscheidend.
Diese Merkmalsauslegung ergibt sich aber weder aus dem Anspruchswortlaut noch aus der Beschreibung des Streitpatents, selbst wenn man diese im vorliegenden Fall zur Auslegung des Anspruchs heranziehen würde.
1.2.6 Die Beschwerdeführerin führte weiter aus, der Fachmann könne für die Ausführung der Erfindung auf Stähle zurückgreifen, die eine deutlich höhere maximal erreichbare Härte aufweisen als Stahl der Spezifikation 50CrMo4.
In der Tat würde sich bei einer Verwendung solcher Stähle der beanspruchte Korridor für die maximale Härte der gehärteten Oberflächenschicht verbreitern, was die Ausführbarkeit der in Anspruch 2 beanspruchten Erfindung in einem anderen Licht erscheinen ließe. Die Beschwerdeführerin legte jedoch nicht dar, dass dem Fachmann solche Stähle mit deutlich höherer maximal erreichbarer Härte als Stahl der Spezifikation 50CrMo4, die darüber hinaus die übrigen in Anspruch 1 aufgeführten Merkmale erfüllen, aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt sind. Auch das Streitpatent nennt keine solchen Stähle.
Der in Absatz [0004] des Streitpatents erwähnte Stahl der Spezifikation 100Cr6 kommt jedenfalls nicht in Betracht, weil ihm unstreitig eine Beimischung von Molybdän gemäß Merkmal M1.6 fehlt.
1.2.7 Dem Fachmann ist es daher nicht möglich, anhand seines allgemeinen Fachwissens und der im Streitpatent angegebenen Informationen eine Großwälzlageranordnung zu erhalten, die sämtliche Merkmale des Anspruchs 2 aufweist.
Das Streitpatent offenbart folglich die in Anspruch 2 des Hauptantrags beanspruchte Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
1.2.8 Daher steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung entgegen.
2. Hauptantrag 0 - Zulassung
2.1 In dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag 0 wurde der abhängige Anspruch 2 gestrichen.
2.2 Die Beschwerdegegnerinnen machten mit Verweis auf Artikel 13 (2) VOBK geltend, der Antrag solle nicht in das Verfahren zugelassen werden. Zum einen sei die Diskussion, dass die in Anspruch 2 beanspruchte maximale Härte von mindestens 58 HRC zu Problemen bei der Ausführbarkeit führe, schon lange Gegenstand des Verfahrens. Zum anderen räume der Antrag prima facie die aufgeworfene Frage der mangelnden Ausführbarkeit nicht aus. Ferner gebe er Anlass zu neuen Einwänden unter Artikel 84 EPÜ, weil nun ein Widerspruch zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung bestehe. Die Beschreibung stelle nämlich in Absatz [0019] das Merkmal M2.1 als erfindungsgemäß dar, in den Ansprüchen hingegen sei es nicht (mehr) als ein Merkmal der beanspruchten Erfindung erwähnt.
2.3 Im schriftlichen Verfahren vor der Kammer wurde jedoch die Ausführbarkeit der "Erfindung gemäß Anspruch 2" nicht diskutiert. Vielmehr kam dieser Aspekt erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zur Sprache. Das Argument, dass eine maximale Härte von mindestens 58 HRC zu Problemen bei der Ausführbarkeit führe, wurde bis zu diesen Zeitpunkt ausschließlich auf Anspruch 1 und die Beschreibung gestützt.
Die Streichung des Anspruchs 2 räumt auch prima facie den Einwand der mangelnden Ausführbarkeit aus, da die Kammer in der mündlichen Verhandlung nur die Ausführbarkeit der "Erfindung gemäß Anspruch 2" des Hauptantrags verneinte.
Darüber hinaus legten die Beschwerdegegnerinnen nicht zur Überzeugung der Kammer dar, dass die Streichung des Anspruchs 2 deshalb zu einem Verstoß unter Artikel 84 EPÜ führt, weil dadurch ein Widerspruch zwischen dem Anspruchssatz nach Hauptantrag 0 und der Beschreibung gemäß der erteilten Fassung hervorgerufen wird. Wenn überhaupt ein Widerspruch zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung zu erkennen ist, war dieser nämlich bereits vor der Streichung des Anspruchs vorhanden und wurde nicht durch diese verursacht. Schon in den erteilten Ansprüchen wurde das Merkmal M2.1 nämlich nur als eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung beschrieben (Anspruch 2).
2.4 Der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hauptantrag 0 wurde daher in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
3. Hauptantrag 0 - Ausführbarkeit
3.1 Die Beschwerdegegnerinnen machten zunächst mit Verweis auf das Dokument WW2-O1 geltend, der in Merkmal M1.1 verwendete Begriff "Großwälzlageranordnung" impliziere, dass die gehärtete Oberflächenschicht eine maximale Härte von mindestens 58 HRC aufweisen muss. Dadurch ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 dasselbe Ausführbarkeitsproblem, das hinsichtlich des erteilten Anspruchs 2 bestand.
Das Dokument WW2-O1 ist jedoch eine Offenlegungsschrift einer Patentanmeldung und repräsentiert daher weder das allgemeine Fachwissen, noch ist es ein Beleg für das allgemeine Begriffsverständnis des Fachmanns. Zwar mag es zutreffen, dass Großwälzlager in bestimmten technischen Gebieten wie beispielsweise Windkraftanlagen nur dann sinnvoll eingesetzt werden können, wenn deren Laufflächen und Wälzkörper gewisse Anforderungen an die Härte erfüllen. Dies führt aber nicht dazu, dass der Fachmann zwingend nur dann von einem Großwälzlager im Allgemeinen sprechen würde, wenn dessen Laufflächen und Wälzkörper eine bestimmte Härte aufweisen.
Aus dem Begriff "Großwälzlageranordnung" ergibt sich daher keine Mindestanforderung hinsichtlich der maximalen Härte der gehärteten Oberflächenschicht.
3.2 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten weiter, Anspruch 1 sei nicht klar und stehe im Widerspruch zur Beschreibung. Insbesondere die im Anspruch verwendeten Ausdrücke "maximale Härte" und "maximal erreichbare Härte" hätten für den Fachmann keine eindeutige Bedeutung. Der Klarheitsmangel sei dergestalt, dass der Fachmann das erfindungsgemäße Ziel nicht erreichen könne, weshalb ein Verstoß gegen Artikel 83 EPÜ vorliege.
Der Anspruch 1 vermittelt dem Fachmann aber eine klare und eindeutige Lehre (siehe oben Punkt 1.1). Die "maximale Härte" der Oberflächenschicht des Laufbahnelements bzw. des Wälzkörpers bezieht sich auf das Ergebnis des induktiven Härtens (Merkmale M1.4 und M1.7), also auf die tatsächliche Härte des Werkstücks. Die "maximal erreichbare Härte" beschreibt die Härtbarkeit des hierfür verwendeten Stahls, also die maximal mögliche Härte, die dieser Stahl erreichen kann.
Aus diesem Grund ist die Beschreibung des Streitpatents für die Auslegung des Anspruchs und insbesondere der beiden beanstandeten Ausdrücke schon gar nicht heranzuziehen.
Doch selbst wenn man zur Auslegung des Anspruchs die Beschreibung hinzuziehen würde, ergäbe sich kein anderes Bild.
Der von den Beschwerdegegnerinnen in Bezug genommene Hinweis in den Absätzen [0013] und [0019], wonach (vorteilhaft) die maximale Härte der Oberflächenschicht mindestens 58 HRC betragen müsse, damit das Laufbahnelement eine ausreichend stabile Laufbahn aufweise, um eine lange Lebensdauer zu gewährleisten, vermittelt dem Fachmann zwar, dass niedriger gehärtete Laufbahnelemente bzw. Wälzkörper nachteilig sind. Dieser Hinweis führt aber weder zu einem anderen Verständnis der beanstandeten Ausdrücke als dem oben dargelegten, noch hindert er den Fachmann daran, die beanspruchte Erfindung derart "nachteilig" auszuführen und die Oberflächenschicht beispielsweise nur auf 50 HRC zu härten (siehe oben Punkt 1.1.3).
Der von den Beschwerdegegnerinnen geltend gemachte Klarheitsmangel ist folglich schon nicht gegeben, sodass auch nicht zu prüfen ist, ob daraus ein Verstoß gegen Artikel 83 EPÜ resultieren könnte.
3.3 Die Beschwerdegegnerinnen führten weiter aus, der Fachmann wisse nicht, ob er innerhalb oder außerhalb des Schutzbereichs des Anspruchs 1 arbeite. Dies sei insbesondere den Merkmalen "maximale Härte" und "maximal erreichbare Härte" geschuldet, die jeweils keinen exakten Wert angäben, sondern ein Streuband.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern bezieht sich aber die Frage, ob sich der Fachmann im beanspruchten Bereich ("verbotenen Schutzbereich" eines Anspruchs) befindet, auf die Definition des begehrten Schutzumfangs unter Artikel 84 EPÜ und nicht auf die ausreichende Offenbarung der Erfindung unter Artikel 83 EPÜ (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, II.C.6.6.4 und II.C.8.2).
Es mag zutreffen, dass der Schutzbereich des vorliegenden Anspruchs 1 in dessen Randbereichen nicht klar definiert ist, da für legierte Stähle die maximale Härtbarkeit ebenso wie das Ergebnis einer tatsächlichen Härtung stets innerhalb eines Streubands liegen (Artikel 84 Satz 2 EPÜ). Dies führt aber nicht dazu, dass der Fachmann die Erfindung in diesen Randbereichen des Schutzbereichs nicht erfolgreich ausführen könnte (Artikel 83 EPÜ).
3.4 Die Beschwerdegegnerinnen trugen ferner vor, die Erfindung sei zumindest nicht über den gesamten beanspruchten Bereich ausführbar. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Schutzbereich des erteilten abhängigen Anspruchs 2 zwingend eine Teilmenge von dem des Anspruchs 1 sei. Da für Anspruch 2 die Ausführbarkeit verneint wurde, sei zumindest der hiervon umfasste Teilbereich des Anspruchs 1 nicht ausführbar.
Dieses Argument setzt voraus, dass die Ausführbarkeit für einen bestimmten Bereich verneint wurde, der unter den Schutzbereich des Anspruchs 1 fällt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Anspruch 2 wie erteilt wurde stattdessen verneint, weil es dem Fachmann nicht möglich ist, die durch die Anspruchsmerkmale M2.1 und M1.7 definierten Bereichsgrenzen einzuhalten.
Die Kammer bezweifelt nicht, dass der Fachmann einen Stahl der Spezifikation 50CrMo4 im Gütegrad HH für die Herstellung des Laufbahnelements bzw. des Wälzkörpers verwenden und die Oberflächenschicht derart härten kann, dass das Ergebnis den Bereich von 58 bis 60 HRC abdeckt (Anspruch 1). Aufgrund des Streubands beim Härten von zumindest ± 1 HRC ist der Fachmann aber nicht in der Lage, die durch die Merkmale M2.1 (Anspruch 2 wie erteilt) und M1.7 definierten Ober- und Untergrenzen gleichzeitig einzuhalten (siehe oben Punkt 1.2.4).
Die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung ist also durchaus über den gesamten beanspruchten Bereich, und insbesondere auch in den Randbereichen des Schutzbereichs (siehe oben Punkt 3.3) ausführbar.
3.5 Auf diesen Aspekt beziehen sich auch die von den Beschwerdegegnerinnen eingereichten Rechtsfragen zur Vorlage bei der Großen Beschwerdekammer, die wie folgt lauten:
"Rechtsfrage 1
Kann ein unabhängiger Anspruch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein, wenn die Ausführbarkeit des Gegenstands eines auf diesen unabhängigen Anspruch zurückbezogenen Anspruchs verneint wurde?
Rechtsfrage 2
Sofern Rechtsfrage 1 bejaht wird:
Ist der Bereich, dessen Ausführbarkeit verneint wird, im unabhängigen Anspruch oder in der Beschreibung kenntlich zu machen?
"
Insbesondere die Rechtsfrage 2 geht davon aus, dass die Ausführbarkeit für einen Bereich verneint wird, der von einem abhängigen Anspruch definiert und von dem in Bezug genommenen unabhängigen Anspruch zwangsläufig umfasst ist. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein unabhängiger Anspruch einen breiteren Bereich von 20 bis 80 bestimmt, und ein davon abhängiger Anspruch einen engeren von 50 bis 60. Wenn hier die Ausführbarkeit für den engeren Bereich von 50 bis 60 zu verneinen wäre, so kann sie auch nicht über den gesamten breiteren Bereich von 20 bis 80 gegeben sein.
Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, bei dem der unabhängige Anspruch die Erfindung über eine erste Bedingung definiert, und der davon abhängige Anspruch eine weitere Bedingung hinzufügt. In einem solchen Fall kann sich die Frage der ausführbaren Offenbarung stellen, wenn die beiden Bedingungen widerstreitend sind oder sich gar gegenseitig ausschließen. Ein typisches Beispiel hierfür ist, wenn der unabhängige Anspruch den beanspruchten Gegenstand mittels einer ersten Bereichsgrenze definiert, beispielsweise "kleiner als A", und der davon abhängige Anspruch eine weitere Bereichsgrenze hinzufügt, beispielsweise "größer als B". Kennt der Fachmann Gegenstände, die kleiner als A sind, kann er die im unabhängigen Anspruch definierte Erfindung über die gesamte beanspruchte Breite ausführen. Kennt er aber keine Gegenstände, die gleichzeitig kleiner als A und größer als B sind, beispielsweise weil A < B gilt, ergibt sich ein Ausführbarkeitsproblem bezüglich der im abhängigen Anspruch definierten Erfindung.
Der letztgenannte Fall umfasst auch den vorliegenden Sachverhalt, bei dem die Ausführbarkeitsproblematik daraus resultiert, dass es dem Fachmann nicht gelingt, gleichzeitig zwei im erteilten abhängigen Anspruch 2 definierte Bereichsgrenzen einzuhalten, wie oben dargelegt (siehe Punkte 1.2.4 und 3.4).
Da die Vorlagefragen folglich für die Entscheidung in der Sache nicht maßgeblich sind, entschied die Kammer, die Große Beschwerdekammer hiermit nicht zu befassen und den entsprechenden Antrag der Beschwerdegegnerinnen zurückzuweisen (Artikel 112 EPÜ).
3.6 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten zuletzt, das einzige Beispiel, das in der Beschreibung des Streitpatents genannt sei und unter den Anspruch falle, müsse ausführbar sein.
Hierzu ist festzustellen, dass Regel 42 (1) e) EPÜ zwar festlegt, dass in der Beschreibung wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im Einzelnen anzugeben ist. Dies soll, wo es angebracht ist, durch Beispiele und gegebenenfalls unter Bezugnahme auf Zeichnungen geschehen. Für die Frage der ausführbaren Offenbarung unter Artikel 83 EPÜ ist es aber unerheblich, ob die Beschreibung überhaupt ein Beispiel aufführt, und wenn ja, ob dieses unter den Anspruch fällt, solange der Fachmann aufgrund der Gesamtheit der im Patent gegebenen Informationen und seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, die beanspruchte Erfindung auszuführen.
Im Übrigen ist im vorliegenden Fall die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung mit dem in Absatz [0017] genannten Stahl der Spezifikation 50CrMo4 tatsächlich ausführbar. Die Zusammensetzung dieses Stahls erfüllt unstreitig die Merkmale M1.5 und M1.6, und der Fachmann kann hieraus unstreitig eine Großwälzlageranordnung gemäß den Merkmalen M1.1 bis M1.4 herstellen. Für die Erfüllung des Merkmals M1.7 muss der Fachmann die Oberflächenschicht des Laufbahnelements bzw. des Wälzkörpers lediglich entsprechend "schlecht" härten, beispielsweise auf 50 HRC. Dies gelingt dem Fachmann ohne Weiteres (siehe oben Punkt 1.1.3).
Entsprechendes gilt für das in Anspruch 5 beanspruchte Verfahren.
3.7 Das Streitpatent offenbart folglich die in den Ansprüchen 1 und 5 gemäß Hauptantrag 0 beanspruchte Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
4. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
4.1 Gemäß Artikel 11 VOBK 2020 kann die Kammer die Angelegenheit an das Organ zurückverweisen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
4.2 Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung das Streitpatent widerrufen, da sie zu dem Schluss kam, dass der Einspruchsgrund des Artikels 100 b) EPÜ seiner Aufrechterhaltung entgegensteht. Die Einspruchsabteilung hat sich im Rahmen ihrer Entscheidung - folgerichtig - nicht mit der Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 befasst.
4.3 Da es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens ist, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK 2020), und da zur Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 noch keine Entscheidung der Einspruchsabteilung vorliegt, die überprüft werden könnte, bestehen besondere Gründe für eine Zurückverweisung.
4.4 Die Absicht der Kammer, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen, wie von der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin 2 beantragt, wurde den Beteiligten bereits in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 3. August 2023 unter Punkt 5 mitgeteilt. Keiner der Beteiligten sprach sich dagegen aus.
4.5 Daher wird die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Antrag auf Vorlage der Sache an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
3. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.