T 1851/21 05-03-2024
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VORRICHTUNG ZUM AUFTRAGEN EINER LEIMSPUR AUF EINEN UMHÜLLUNGSSTREIFEN EINES STABFÖRMIGEN PRODUKTES DER TABAK VERARBEITENDEN INDUSTRIE
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2 (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus
Änderungen - Hilfsantrag 1 (ja)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende legten form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 3 235 388 in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 3 aufrechterhalten wurde.
II. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit.
III. Am 5. März 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
IV. Die Patentinhaberin beantragte zuletzt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, hilfsweise in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge 1 bis 6.
V. Die Einsprechende beantragte zuletzt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
VI. Diese Entscheidung nimmt auf folgende Dokumente Bezug:
D1: DE 1 241 742 A;
D2: DE 10 2014 213 858 B3;
D5: DE 10 2013 111 625 A1.
VII. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) mit der Merkmalsgliederung der angefochtenen Entscheidung lautet:
"[1a] Vorrichtung zum Auftragen einer Leimspur (6) auf einen bewegten Umhüllungsstreifen (1) eines stabförmigen Produktes der Tabak verarbeitenden Industrie mit
[1b] einer gegenüber dem Umhüllungsstreifen (1) während des Auftragens der Leimspur (6) feststehenden Düse (2), wobei
[1c] zwischen dem Umhüllungsstreifen (1) und der Austrittsöffnung (3) der Düse (2) eine über eine Antriebseinrichtung rotatorisch antreibbare Walze (4) vorgesehen ist,
[1d] auf welche der Leim mittels der Düse (2) aufgetragen wird, und
[1e] wobei die Walze (4) den Leim in Form der Leimspur (6) unmittelbar auf den Umhüllungsstreifen (1) aufträgt,
dadurch gekennzeichnet, dass
[1f] in Drehrichtung der Walze (4) zwischen der Düse (2) und dem Umhüllungsstreifen (1) ein auf die Walze (4) gerichtetes Abstreifteil (7) vorgesehen ist,
[1g] welches einen Abstand zu der Walze (4) aufweist."
VIII. Anspruch 3 des Patent in der gemäß dem Hilfsantrag 1 geänderten Fassung entspricht dem Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung mit der zusätzlichen Merkmalskombination, dass:
"die Walze (4) symmetrisch zu der Düse (2) und/oder der Austrittsöffnung (3) angeordnet ist".
IX. Anspruch 1 des Patent in der gemäß dem Hilfsantrag 2 geänderten Fassung entspricht dem Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung mit der zusätzlichen Merkmalskombination, dass:
"das Abstreifteil (7) einen Abstand von 0,01 bis 0,1 mm zu der Walze (4) aufweist".
X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Hauptantrag
1. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)
1.1 Die Patentinhaberin wendet sich gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von dem Ausführungsbeispiel der Figur 2 der D2 in Kombination mit der Lehre von D5 nicht erfinderisch sei.
1.2 Die Kammer schließt sich der Patentinhaberin an, dass der Fachmann die Lehre von D2 mit der Lehre von D5 nicht kombinieren würde.
1.3 Wie von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung argumentiert, betrifft D5 die Beleimung von Etiketten, welche grundsätzlich anderen Anforderungen unterliegt als die Beleimung von Umhüllungsstreifen eines stabförmigen Produktes der Tabak wie in der D2, bei der typischerweise hohe Stranggeschwindigkeiten und kleine Leimauftragsmengen verwendet werden (siehe z.B. D2, Absatz [0004]).
1.4 Bereits aufgrund dieser grundlegenden Unterschiede würde der Fachmann die Lehre von D5 nicht ins Betracht ziehen, wenn er ausgehend von D2 einen Weg suchen würde, um einen Leimspurauftrag auf einen Umhüllungsstreifen mit einer sehr hohen Genauigkeit und geringer Verschmutzung des Umhüllungsstreifen zu erzielen (siehe die angefochtene Entscheidung, Punkt 14.4 und Absatz [0012] des Streitpatents).
Hinzu kommt, dass die in der D2 stromabwärts angeordnete vorstehenden Randseite 7 der Düse 2 einen Spalt bildet, der die Dicke der auf der Walze gebildeten Leimspur 10 bestimmt (siehe Abs. [0039]). In der D5 dagegen bestimmt die parallel zur Walzenachse verlaufende Rakelkante 6.1 der Rakel 6 die Dicke der Leimspur (siehe Abs. [0021]). Es ist schon fraglich, ob der Fachmann überhaupt die Aufnahme der Rakel der D5 in die Vorrichtung gemäß D2 in Betracht ziehen würde, da beide eigentlich die selbe Funktion haben, und ggf. welche Modifizierungen der Vorrichtung gemäß D2 vorzunehmen wären (z.B. eine Modifizierung der Düse). Zwar hat die Einspruchsabteilung (und die Beschwerdeführerin) auf die Passagen im Abs. [0017] und [0037] der D2 hingewiesen, wonach der Leim mit nahezu bzw. im Wesentlichen konstanter Dicke aufgetragen wird. In diesem Kontext hat die Einspruchsabteilung (siehe Seite 16, 2. Absatz, der angefochtenen Entscheidung) ausgeführt, es bleibe in der D2 offen, ob eine Veränderung der Spaltweite eine Leimspur mit konstanter Dicke auf der Walze erzeugt. Weiterhin würde der Fachmann erkennen - so die Einspruchsabteilung -, dass mittels der Rakel gemäß D5 eine Leimspur mit einer definierten und gleichmäßigen Dicke erzielt werden könnte. Dieses Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen: Erstens kann man nicht bloß aufgrund der Verwendung von "nahezu" bzw. "im Wesentlichen" zu dem Schluss kommen, die D2 offenbare, dass die Dicke der Leimspur nicht ausreichend konstant und die Vorrichtung gemäß D2 daher in dieser Hinsicht verbesserungsbedürftig sei. Zweitens ist es nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Fachmann erkennen würde, dass die Rakel der D5, die für Etikettieraggregate zum Ausstatten von Behältern mit Etiketten (siehe Abs. [0002]) gedacht ist, auch bei den Betriebsparametern der D2, insbesondere Leimauftragsmengen von 3-8 g/600 m bzw. 10 bis 30 g/600 m auf sehr dünnen Papierstreifen und Stranggeschwindigkeit von ca. 200 bis über 600 m/min, die gleiche Wirkung einer konstanten Dicke der Leimspur erzielen würde.
1.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird daher durch die Kombination der Dokument D2 und D5 nicht nahegelegt.
2. Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 (Artikel
100 a) and 54 EPÜ)
2.1 Die Einsprechende argumentiert, dass die angefochtene Entscheidung nicht korrekt ist, weil Dokument D1 ebenfalls das Merkmal des Anspruchs 1, dass "der Leim mittels der Düse aufgetragen wird", offenbart.
2.2 Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden, dass der obige Ausdruck breit zu verstehen ist, wobei der Umstand, dass der Auftrag des Leims "mittels der Düse" erfolgt, nicht bedeutet, dass dieser unmittelbar und ausschließlich durch die Düse stattfinden soll. Dieses Verständnis wird auch von dem Wortlaut des Anspruchs insoweit bestätigt, als der anschließend erfolgende Auftrag des Leims auf den Umhüllungsstreifen durch das Wort "unmittelbar" weiter qualifiziert wird, so dass ein nur mittelbarer Auftrag dort ausdrücklich ausgeschlossen ist. Im Gegensatz hierzu fehlt im streitgegenständlichen Merkmal, das den zeitlich direkt vorangehenden Auftrag des Leims auf die Walze betrifft, eine derartige Einschränkung, so dass hier implizit die Möglichkeit eines nicht unmittelbaren Auftrags anerkannt wird.
Ferner ist auch aus der Beschreibung des Streitpatents ersichtlich, dass der Auftrag nicht unbedingt unmittelbar mittels der Düse stattfinden muss (siehe Absatz [0032], letzter Satz); diese muss daher nur am Auftrag beteiligt sein.
Da in Figur 6 der D1 der Leim von der Düse (21) auf die Rolle (22) und mit dieser auf die Scheibe (27) aufgetragen wird, wird in D1 der Leim auch "mittels der Düse" auf die Scheibe bzw. Walze (27) aufgetragen. Das Merkmal ist also offenbart.
2.3 Die Patentinhaberin argumentierte in der mündlichen Verhandlung, dass auch weitere Merkmale des Anspruchs 1 in Dokument D1 nicht offenbart seien.
2.4 Die Patentinhaberin argumentierte, dass das Element (27) der D1 als Scheibe bezeichnet sei und daher nicht als Walze anzusehen sei.
Die Argumentation der Patentinhaberin ist nicht überzeugend, weil nicht gezeigt wurde und auch nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund der rotationssymmetrische Körper (27), der als Scheibe bezeichnet wird, nicht zugleich als eine Walze im breitesten Sinn dieses Wortes, das technisch ohne weiteres noch Sinn ergibt, angesehen werden könnte.
2.5 Dem Argument, dass das Abstreifteil 28 in Figur 6 der D1 nicht als ein Abstreifteil gemäß Anspruch 1 anzusehen sei, weil es eine andere Funktion als das Abstreifteil des Streitpatents ausübt, kann ebenfalls nicht gefolgt werden, da im Anspruch 1 ein Abstreifteil an sich beansprucht wird ohne jegliche Einschränkung in Bezug auf seine Funktionsweise.
2.6 Dass die Düse der D1 eine andere Ausgestaltung als die des Streitpatents aufweist, insbesondere sie weniger spitzförmig sei, als die im Streitpatent darstellte Düse, ist für die Beurteilung der Neuheit unerheblich, weil solche strukturelle Einschränkung im Anspruch 1 nicht anwesend ist.
2.7 Dass es zur Ausformung einer Leimspur notwendig sei, dass die Ränder der Leimspur einen Abstand von der Stirnseite der Walze haben, und dass dieses bei dem Element (27) der D1 nicht der Fall sei, ist ebenfalls nicht überzeugend, weil nicht überzeugend dargelegt wurde, wieso das Element (27) von D1 nicht in der Lage sein soll, eine Leimspur auf den Umhüllungsstreifen aufzutragen. Mehr als diese Eignung verlangt der Vorrichtungsanspruch nicht.
2.8 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher nicht neu gegenüber D1.
Hilfsantrag 1
3. Unzulässige Erweiterung des Gegenstandes des Anspruchs 3 gemäß Hilfsantrag 1 (Artikel 123(2) EPÜ)
3.1 Anspruch 3 des Hilfsantrags 1 entspricht der Merkmalskombination des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung mit dem zusätzlichen Merkmal, dass
"die Walze (4) symmetrisch zu der Düse (2) und/oder der Austrittsöffnung (3) angeordnet ist".
3.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass für den Fachmann aus der Figur 1 der ursprünglichen Anmeldung in Verbindung mit der zugehörigen Beschreibung in Absatz [0029] ersichtlich sei, dass die Symmetrie der Anordnung der Walze sich auf die senkrechte, durch die Drehachse der Walze verlaufende Symmetrieachse bezieht.
3.3 Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass, unabhängig davon, ob die vermeintliche Symmetrie bezüglich der angegebene Achse aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eindeutig und unmittelbar zu entnehmen ist, die Feststellung der Einspruchsabteilung zu bestätigen ist, dass der Anspruch nicht auf eine solche Symmetrie beschränkt und dabei kein Grund ersichtlich ist, warum eine symmetrische Anordnung der Walze und der Düse bezüglich aller Ansicht/Schnittebenen und Symmetrieachsen bzw. -punkte beansprucht werden dürfte (siehe in der angefochtenen Entscheidung die die Seiten 19 und 20 überbrückende Passage).
Die Kammer schließt sich daher der mit überzeugender Begründung getroffenen Feststellung der Einspruchsabteilung an, dass Anspruchs 3 des Hilfsantrags 1 unzulässig erweitert ist.
Hilfsantrag 2
4. Zulassung des Einwands fehlender Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber D1 in das Verfahren
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 entspricht der Merkmalskombination des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung mit dem zusätzlichen Merkmal, dass
"das Abstreifteil (7) einen Abstand von 0,01 bis 0,1 mm zu der Walze (4) aufweist."
4.2 Während der mündlichen Verhandlung beantragte die Einsprechende mit Bezug auf T0131/01 und T0184/17 den Einwand fehlender Neuheit ggf. erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber D1 ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Die Einsprechende gab zu, dass der Einwand vor der mündlichen Verhandlung noch nicht im Verfahren vorgebracht worden war. Der Einwand beziehe sich allerdings auf die für den Hauptantrag vorgelegten Fakten und sei nur durch weitere Argumente gestützt. Außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK wurden nicht angegeben, seien aber nach Ansicht der Einsprechenden nicht erforderlich, weil Artikel 13(2) VOBK den Anforderungen von Artikel 114 (2) EPÜ unterliege und Artikel 114(2) vorsehe, dass nur Tatsache und Beweismittel, nicht dagegen Argumente, unberücksichtigt bleiben dürfen.
Die Einsprechende argumentiert weiter, dass die im Leitsatz der Entscheidung G9/91 angegebene Feststellung, nämlich:
"Die Befugnis einer Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer, gemäß den Artikeln 101 und 102 EPÜ zu prüfen und zu entscheiden, ob ein europäisches Patent aufrechterhalten werden soll, hängt von dem Umfang ab, in dem gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift gegen das Patent Einspruch eingelegt wird. Allerdings können Ansprüche, die von einem im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vernichteten unabhängigen Anspruch abhängig sind, auch dann auf die Patentierbarkeit ihres Gegenstands geprüft werden, wenn dieser nicht ausdrücklich angefochten worden ist, sofern ihre Gültigkeit durch das bereits vorliegende Informationsmaterial prima facie in Frage gestellt wird,"
auf den vorliegenden Fall sinngemäß anzuwenden sei, weil der vorliegende Anspruch 1 der Merkmalskombination der erteilten Ansprüche 1 und 8 entspricht.
4.3 Die Kammer kann sich der Einsprechenden nicht anschließen, dass der neu vorgebrachte Einwand auch ohne Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gemäß Artikel 13(2) VOBK ins Verfahren zuzulassen sei und dies zumindest aus den folgenden Gründen:
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält, wie oben erläutert, zusätzliche Merkmale im Vergleich zu Anspruch 1 wie erteilt, nämlich die des erteilten Anspruchs 8. D1 wurde von der Einsprechenden bis zur mündlichen Verhandlung nur herangezogen, um einen Einwand fehlender Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung darzulegen. Da ein Einwand fehlender Neuheit in Bezug auf Anspruch 1 des Hilfsantrag 2 auch die zusätzlichen Merkmale des erteilten Anspruch 8 in Betracht nehmen muss, ist jedenfalls diesbezüglich zwingend ein neuer, weil im Verfahren bislang nicht vorgebrachter Tatsachenvortrag erforderlich, um diesen Einwand zu begründen.
Das gleiche gilt für den Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 ausgehend von D1, weil die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs im Stand der Technik identifiziert und vorgetragen werden müssen, was ebenfalls eine bislang noch nicht vorgebrachte Tatsachenbehauptung darstellt und entsprechend eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Einsprechenden (siehe auch T1042/18, Punkt 4.9 der Gründe und J14/19, Punkt 14 der Gründe).
Daher kann es nicht überzeugen, dass die für eine schlüssige Untermauerung der neu vorgebrachten Einwände erforderlichen Darlegungen der Einsprechenden sich nur auf rein rechtliche Argumente beschränken würden.
Das Argument, Artikel 114 (2) EPÜ erlaube es nicht, die neuen erhobenen Einwände der mangelnden Neuheit und erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf D1 auf der Basis von Artikel 13 (2) VOBK unberücksichtigt zu lassen, da diese Einwände lediglich argumentativer Natur seien, trifft daher aus den oben genannten Gründen nicht zu. Artikel 13(2) VOBK hält sich insoweit vielmehr in dem von Artikel 114(2) EPÜ vorgegebenen Rahmen.
Die obigen Einwände stellen somit eine Änderung des Vorbringens der Einsprechenden im Sinne von Artikel 13(2) VOBK dar, die erst in der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat. Da keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne vom Artikel 13 (2) VOBK vorgebracht wurden, sieht die Kammer keinen Grund, diese Einwände gemäß Artikel 13 (2) VOBK ins Verfahren zuzulassen.
Der eingangs zitierte Leitsatz von G9/91 kann an der obigen Feststellung der Kammer nichts ändern, weil er sich, unabhängig von anderen Überlegungen, nur auf die allgemeinen Grenzen dessen bezieht, was durch die Anforderungen des EPÜ an die Einspruchsschrift als Rahmen des anschließenden Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren abgesteckt wird, nicht aber auf die im EPÜ und dem sekundären Recht parallel dazu aufgestellten Verspätungsregeln. Nicht alles was grundsätzlich noch Verfahrensgegenstand sein kann, kann zu jeder Zeit in das Verfahren eingeführt werden. Eine zeitlich unbeschränkte Möglichkeit, neue Einwände in das Beschwerdeverfahren vorzubringen, lässt sich weder dem Leitsatz noch den Gründen dieser Entscheidung entnehmen, siehe insoweit auch T1767/18, Gründe Nr. 53.2 bis 53.5.
Auch die von der Einsprechenden zitierten Entscheidungen T0131/01 und T0184/17 geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Denn diese Entscheidungen beziehen sich ebenfalls nur auf die Frage, welche Einspruchsgründe tatsächlich als neu anzusehen sind und welche nicht und daher ggfs. auch ohne Einverständnis der Patentinhaberin in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden können. Sie beziehen sich dagegen nicht auf die Frage, ob verspäteter Vortrag im Verfahren überhaupt noch zu berücksichtigen ist oder nicht. Es kommt noch hinzu, dass beide Entscheidungen ohnehin vor dem Inkrafttreten der aktuellen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern getroffen wurden, als Artikel 13 (2) VOBK 2020 noch nicht zur Anwendung kam. Aus beiden Gründen sind diese Entscheidungen daher grundsätzlich ungeeignet, die Kammer zu einer anderen Einschätzung des Falls zu bewegen.
5. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 (Artikel 56 EPÜ)
Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung von der Kammer im Bezug auf die Kombination der Lehre von D2 mit D5 als erfinderisch angesehen wurde und kein weiterer zulässiger Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 vorgebracht wurde, ist dieser als erfinderisch anzusehen.
6. Anpassung der Beschreibung
Eine dem Anspruchssatz des Hilfsantrags 2 angepasste Beschreibung wurde während der mündlichen Verhandlung eingereicht und mit den Parteien besprochen. Gegen die endgültige Version wurde seitens der Einsprechenden kein Einwand erhoben. Die Kammer sieht auch keinen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang aufgrund der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1-10 gemäß dem der Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2;
- Beschreibung
- Absätze 1 bis 21 und 23 bis 49 wie in der Patentschrift;
- Absatz 22 wie gemäß Antrag im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;
- Figuren 1-17 wie in der Patentschrift.