T 0296/93 (Herstellung von HBV-Antigenen) 28-07-1994
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Murex Technologies
Institut Pasteur Etablissement public
Immuno Aktiengesellschaft
Hexal-Biotech GmbH
Medeva PLC
Zulässigkeit des Beitritts des vermeintlichen Patentverletzers (verneint) - verspätet
Bestehen des Prioritätsrechts (bejaht) - gleiche Erfindung
Zitierbarkeit der Vorveröffentlichung (verneint)
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Große Beschwerdekammer - Vorlage (verneint)
I. Das europäische Patent Nr. 0 182 442 wurde für zehn Vertragsstaaten mit 26 Ansprüchen sowie für Österreich mit 13 Ansprüchen auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 85 201 908.2 erteilt, die als Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung Nr. 79 303 017.2 vom 21. Dezember 1979 eingereicht worden war. Dabei wurde die Priorität von drei früheren GB-Anmeldungen vom 22. Dezember 1978, 27. Dezember 1978 und 1. November 1979 beansprucht (nachstehend als BI, BII und BIII bezeichnet).
II. Gegen das europäische Patent wurde von vier Parteien Einspruch eingelegt (nachstehend als Einsprechende I bis IV bezeichnet).
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1992 verkündete die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung, das europäische Patent gemäß Artikel 102 (1) EPÜ wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Einreichung von BI sowie wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Einreichung von BIII zu widerrufen. Die mit Gründen versehene Entscheidung wurde am 21. Januar 1993 versandt.
V. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein und reichte seine Beschwerdebegründung zusammen mit den Anlagen 1 bis 9 ein, unter denen sich drei Hilfsanträge (Anlagen 1 bis 3) befanden.
VI. Die Beschwerdegegner (die nachstehend als Beschwerdegegner I bis IV bezeichneten Einsprechenden I bis IV) reichten eine Beschwerdeerwiderung ein. Der Beschwerdegegner IV legte die Anlagen 1 bis 8 bei.
VII. Beitritt von Medeva PLC:
a) Medeva PLC (nachstehend als Beitretender bezeichnet) erhielt am 1. Juli 1992 eine mit einer Klageschrift verbundene Ladung vor ein nationales Gericht des Vereinigten Königreichs, worin der Beschwerdeführer den Beitretenden aufforderte, die angebliche Verletzung des streitigen europäischen Patents zu unterlassen.
b) Am 30. September 1992 erhob der Beitretende eine Widerklage gegen den Beschwerdeführer und ersuchte das Gericht um eine Feststellung, daß er das betreffende Patent nicht verletze.
c) Am 29. Dezember 1992, d. h. nach Verkündung der Entscheidung der Einspruchsabteilung, das in Frage stehende europäische Patent zu widerrufen (siehe Nummer III, erster Absatz), reichte der Beitretende beim EPA eine Beitrittserklärung ein.
d) Am 10. März 1993 erließ der Formalprüfer der Einspruchsabteilung einen Bescheid des Inhalts, daß die Beitrittserklärung zulässig sei.
e) In seinem Schreiben vom 7. Mai 1993 bezeichnete der Beschwerdeführer den Beitritt als unzulässig, da er mehr als drei Monate nach Einleitung des Verletzungsverfahrens erklärt worden sei, das der Beschwerdeführer bezüglich desselben Patents vor einem Gericht im Vereinigten Königreich gegen den Beitretenden angestrengt habe.
f) Am 17. August 1993 gab die Beschwerdekammer ihre vorläufige Auffassung bekannt, wonach der Beitritt unzulässig sei, da er aufgrund der Tatsache, daß für den Beitretenden die erste der beiden Kategorien von Fristen nach Artikel 105 EPÜ maßgeblich sei ("innerhalb von drei Monaten nach dem Tag ..., an dem die Verletzungsklage erhoben worden ist"), in bezug auf die Ladung vom 1. Juli 1992 verspätet erklärt worden sei. Die Beitrittsfrist sei somit am 1. Oktober 1992 abgelaufen.
g) Im anschließenden Verfahren brachte der Beitretende im wesentlichen vor, daß er mit seiner Widerklage ein getrenntes Verfahren eingeleitet habe. So sehe Artikel 105 EPÜ vor, daß jeder Dritte beitreten könne, der nachweise, daß er nach einer Aufforderung des Patentinhabers, eine angebliche Patentverletzung zu unterlassen, gegen diesen Klage auf gerichtliche Feststellung erhoben habe, daß er das Patent nicht verletze; die beiden alternativen Beitrittsmöglichkeiten schlössen sich nicht gegenseitig aus. Da er die Voraussetzungen für die zweite Alternative erfüllt habe, sei sein Beitritt zulässig.
Daraufhin erwiderte der Beschwerdeführer, dieses Argument des Beitretenden würde ja bedeuten, daß die Bestimmung der Frist stets dem Beitretenden überlassen bliebe, was in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht hingenommen werden könne.
VIII. ...
XII. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hauptantrags.
Die Beschwerdegegner beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
XIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 1994 verkündete die Beschwerdekammer ihre in der Entscheidungsformel wiedergegebene Entscheidung.
XIV. Am 10. August 1994 erhielt die Kammer ein Schreiben des Beschwerdegegners II mit weiteren Anmerkungen und einem Antrag auf erneute Prüfung der Sache; am 17. August 1994 gingen diesbezügliche Bemerkungen des Beschwerdeführers ein.
1. Zulässigkeit und sonstige Verfahrensfragen
Die Beschwerde ist zulässig.
Das Vorbringen des Beschwerdegegners II und des Beschwerdeführers vom 10. August 1994 bzw. vom 16. August 1994 bleiben unberücksichtigt, weil sie nach Beendigung der sachlichen Debatte (siehe diesbezüglich auch die Entscheidung T 595/90 , ABl. EPA 1994, 695, insbesondere Nummer 1 der Entscheidungsgründe) und - mehr noch - nach Verkündung der Entscheidung (siehe G 12/91, ABl. EPA 1994, 285, Nummern 2 und 3) eingereicht worden sind.
2. Zulässigkeit des Beitritts (Artikel 105 EPÜ)
2.1 Zunächst bemerkt die Kammer, daß die Einspruchsabteilung mit der Verkündung ihrer Entscheidung vom 28. Oktober 1992, das Patent zu widerrufen, die Sache für ihren Teil abgeschlossen hatte und daher nicht mehr über den Beitritt entscheiden konnte. Wäre gegen die Entscheidung auf Widerruf des Patents keine Beschwerde eingelegt worden, so bestünde keinerlei Grundlage für einen Beitritt (siehe G 4/91, ABl. EPA 1993, 707). Damit wurde diese Angelegenheit Sache der Kammer. Darüber hinaus ist in G 1/94 (ABl. EPA 1994, 787) von der Großen Beschwerdekammer festgestellt worden, daß ein Beitritt in der Beschwerdephase zulässig ist.
2.2 Artikel 105 (1) EPÜ lautet wie folgt:
"Ist gegen ein europäisches Patent Einspruch eingelegt worden, so kann jeder Dritte, der nachweist, daß gegen ihn Klage wegen Verletzung dieses Patents erhoben worden ist, nach Ablauf der Einspruchsfrist dem Einspruchsverfahren beitreten, wenn er den Beitritt innerhalb von drei Monaten nach dem Tag erklärt, an dem die Verletzungsklage erhoben worden ist. Das gleiche gilt für jeden Dritten, der nachweist, daß er nach einer Aufforderung des Patentinhabers, eine angebliche Patentverletzung zu unterlassen, gegen diesen Klage auf gerichtliche Feststellung erhoben hat, daß er das Patent nicht verletze."
2.3 Bei den Vorarbeiten zum EPÜ wurde die Frage des Beitritts im Jahr 1971 in der Arbeitsgruppe I aufgeworfen; diese beschloß, die Einführung einer Beitrittsmöglichkeit zu einem Einspruchsverfahren für Dritte vorzuschlagen, damit sich ein vermeintlicher Patentverletzer nicht vor einem nationalen Gericht verteidigen muß, obwohl das zentrale Einspruchsverfahren vor dem EPA noch anhängig ist (BR/144/71, Nummern 75 bis 77).
In späteren Sitzungen wurden im Rahmen der Erörterung näherer Einzelheiten Vorschläge vorgelegt, um zu gewährleisten, daß etwaige Beitritte nicht zu Verzögerungen der Einspruchsverfahren führten (BR/168/72, BR/169/72 und BR/177/72). Aufgrund dieser den Zeitfaktor betreffenden Erwägungen wurde schließlich eine feste Frist von drei Monaten nach der Erhebung der entsprechenden Verletzungsklage vor einem nationalen Gericht festgelegt.
Im Rahmen der Vorarbeiten zur Münchner Diplomatischen Konferenz im Jahr 1973 schlug die schweizerische Delegation eine separate Beitrittsmöglichkeit für Fälle vor, wo der Patentinhaber keine Verletzungsklage erhoben, aber einen Dritten - beispielsweise mit einem formlosen Schreiben - aufgefordert hat, die Patentverletzung zu unterlassen, und der Dritte eine Klage auf gerichtliche Feststellung erhoben hat, daß er das Patent nicht verletze (M/31, 28. Mai 1973). Dieser Vorschlag wurde von der Konferenz angenommen (M/PR/I, Seite 51), wobei eine Delegation nicht ausschließen wollte, daß diese weitere Möglichkeit vielleicht doch zu Verzögerungen der Einspruchsverfahren führen könnte.
2.4 Die Kammer ist sich mit dem Beitretenden nicht darin einig, daß sich aus den oben angeführten Vorarbeiten ein Recht ableiten läßt, den Ausgangspunkt für die Berechnung der Beitrittsfrist nach freiem Ermessen zu wählen.
Die zweite Beitrittsmöglichkeit wurde nur deshalb eingeführt, um einem Dritten den Beitritt zum zentralen Verfahren vor dem EPA grundsätzlich zu ermöglichen, auch wenn keine formale Verletzungsklage erhoben wurde. Die Sachlage selbst ist für den Beitretenden bei der zweiten Kategorie ja gleich wie bei der ersten, mit dem - allerdings entscheidenden - Unterschied, daß er andernfalls keinen Anspruch auf das zentrale Verfahren vor dem EPA geltend machen könnte. Dies wurde als ungerecht in solchen Fällen erachtet, wo sich der Patentinhaber gegen die Erhebung einer Klage entscheidet und damit den Beitretenden ausschließt. Dieser müßte dann selbst ein Verfahren vor einem nationalen Gericht einleiten, das sich im nachhinein als unnötig erweisen könnte, wenn das Patent beispielsweise später vom EPA widerrufen würde.
2.5 Durch die Bestimmung, wonach der Zeitpunkt der Klageerhebung als Ausgangsdatum für die Berechnung der Beitrittsfrist zu gelten hat, ist ein unanfechtbares offizielles Datum festgelegt. Wie der Beschwerdeführer zu Recht angeführt hat, ist es in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht üblich, daß es einem Beteiligten, der selbst von einer Frist Gebrauch machen möchte, auch freisteht, den Ausgangspunkt für die Berechnung dieser Frist zu bestimmen.
Dem Artikel 105 EPÜ liegt das Prinzip zugrunde, daß mit der Erhebung einer Klage die einzig in Frage kommende Beitrittsfrist in Lauf gesetzt wird. Jede andere Auslegung würde die Möglichkeit eröffnen, die bestehende Beitrittsmöglichkeit dadurch zu mißbrauchen, daß nationale Nichtigkeitsklagen ungeachtet der Sachlage nur erhoben würden, damit eine neue Frist nach Artikel 105 EPÜ in Lauf gesetzt wird.
2.6 Daher befindet die Kammer, daß sich die beiden Alternativen unter Artikel 105 (1) erster bzw. zweiter Satz EPÜ im Falle ein und derselben Patentverletzung gegenseitig ausschließen. Bezüglich ein und desselben Patents kann ein vermeintlicher Patentverletzer nur einer der beiden Kategorien angehören; welcher er angehört, hängt entscheidend davon ab, welche Klage zuerst erhoben wurde.
2.7 Demzufolge wurde die Beitrittsfrist im vorliegenden Fall mit der Ladung vom 1. Juli 1992 in Lauf gesetzt. Da die Beitrittserklärung nicht innerhalb von drei Monaten ab diesem Zeitpunkt eingereicht wurde, erfüllt der Beitritt nicht die Erfordernisse von Artikel 105 (1) erster Satz EPÜ und ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
3. Formale Zulässigkeit der geänderten Patentansprüche (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ)
4. Anspruch auf den Prioritätstag (Artikel 87 EPÜ)
5. Anführbarkeit der Vorveröffentlichung (3)
6. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
7. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Beitritt wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
3. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 23 (benannte Staaten außer AT) bzw. der Ansprüche 1 bis 11 (AT) entsprechend der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fassung aufrechtzuerhalten.
4. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird abgelehnt.