Lebensraumfreundlicher Beton zur Förderung von Artenvielfalt im Meer: Ido Sella und Shimrit Perkol-Finkel als Finalisten für Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert
- Israelischer Wissenschaftler Ido Sella und die verstorbene israelische Wissenschaftlerin Shimrit Perkol-Finkel sind für den Preis des Europäischen Patentamts (EPA) in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten" für die Erfindung von ECOncrete® nominiert
- Der innovative Beton der israelischen Wissenschaftler unterstützt das Gedeihen lokaler Meeresfauna und stärkt gleichzeitig die Infrastruktur
- Das Produkt wird bereits weltweit in zehn Ländern eingesetzt und kann der Betonindustrie helfen, ihre Emissionen zu senken und die marinen Ökosysteme bei Häfen, Deichen und Jachthäfen verbessern
München, 17. Mai 2022 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt bekannt, dass der israelische Wissenschaftler Ido Sella und die verstorbene israelische Wissenschaftlerin Shimrit Perkol-Finkel für den Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert worden sind. Sie haben einen neuartigen Beton erfunden, der lokalen Meereslebewesen hilft zu gedeihen, was gleichzeitig die Struktur des Betons stärkt. Ihre Erfindung namens ECOncrete® trägt dazu bei, den ökologischen Fußabdruck von Infrastrukturen wie Deichen, Häfen und Jachthäfen zu verringern.
Die beiden Meeresbiologen haben sich im Umweltbereich einen Namen für die Entwicklung von meeresfreundlichen Baustoffen gemacht, die eine umweltfreundlichere Infrastruktur an den Küsten ermöglichen. Ihr Produkt wird weltweit bereits in zehn Ländern eingesetzt.
„Durch Forschung und Innovation haben Sella und Perkol-Finkel ein Standard-Baumaterial in einen Schutzraum für marines Leben verwandelt", sagte EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2022. „Da der Wasserbau ein wachsender Sektor ist, hat diese Erfindung das Potenzial, eine breite Wirkung zu erzielen und den ökologischen Fußabdruck der Branche auf globaler Ebene zu verbessern."
Sella und Perkol-Finkel, die 2021 verstorben ist, sind als Team als einer der drei Finalisten des Europäischen Erfinderpreises in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten" nominiert, in der Erfindungen ausgezeichnet werden, die außerhalb der EPO-Mitgliedstaaten entwickelt wurden. Die Gewinner der diesjährigen Ausgabe des Europäischen Erfinderpreises werden am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Preisverleihung bekannt gegeben.
Damit Beton lebensraumfreundlicher wird
Beton, der traditionell in der Meeresinfrastruktur verwendet wird, kann das chemische Gleichgewicht der Meeresumwelt stören und flache, glatte Oberflächen schaffen. Diese behindern das Wachstum von Muscheln und Korallen, welche sich in den kleinen Spalten des Meeresbodens ansiedeln. Zudem gedeihen in der Nähe von Beton invasive Meereslebewesen, die lokale Ökosysteme bedrohen.
Um dieses Problem zu lösen, entwickelten Sella und Perkol-Finkel Betonzusatzstoffe, die verhindern, dass schädliche Chemikalien ins Meerwasser gelangen, und gleichzeitig die Festigkeit des Materials um bis zu 10 % erhöhen. Die Formen, in denen die Betonblöcke gebildet werden, enthalten Rillen und Poren, damit Meeresbewohner Unterschlupf finden. Diese Rillen und Poren ziehen Muschellarven an, die kleine Öffnungen bevorzugen, um in einem Ökosystem zu wachsen und zu überleben. Die Auskleidungen, Beschichtungen und modifizierten Bestandteile des Produkts schaffen auch die mikroskopisch kleinen Oberflächen, die für die Ansiedlung von Meereslarven erforderlich sind. Diese Organismen können dann den Beton weiter verstärken, da ihre Skelette die Oberfläche einkapseln und als biologischer Klebstoff wirken.
„Seepocken, Austern und Korallen bauen ihr Skelett auf, indem sie Kalziumionen aus dem Wasser aufnehmen und gelöstes CO2 zur Bildung von Kalziumkarbonat [für ihre Schalen] verwenden", so Sella. „Wenn sich diese festsitzenden Organismen auf dem Beton ansiedeln und ihn mit Kalziumkarbonat einkapseln, machen sie ihn stärker. Es wurde festgestellt, dass Beton, der von Austern bedeckt ist, eine 10-mal höhere Festigkeit aufweist als nackter Beton."
Von Studenten zu CEOs
Sella und Perkol-Finkel lernten sich an der Universität Tel Aviv kennen, wo sie beide die ökologischen Auswirkungen großer Meeresbauprojekte untersuchten. Sie wollten herausfinden, ob sie Beton neu entwickeln könnten. So begannen sie 2011 mit Experimenten in kleinem Maßstab, um zu sehen, wie die erforschte Substanz dieses neuartigen Betons in den verschiedenen gemäßigten und tropischen Gewässern rund um Israel reagierte. 2012 gründeten sie gemeinsam ihr Start-up-Unternehmen ECOncrete für Umweltinfrastrukturen, mit Sella als CTO und Perkol-Finkel als CEO und Leitende Wissenschaftlerin. Als sie ihr Experiment bei einer Konferenz vorstellten, wurden verschiedene US-Bundesbehörden aufmerksam, die sie einluden, weitere Untersuchungen an der Pazifik- und Atlantikküste durchzuführen.
Zwischen 2012 und 2014 führten sie Tests in verschiedenen Meeresgebieten und Labors im Mittelmeer und im Roten Meer sowie entlang der amerikanischen Atlantikküste von Florida bis in den Nordosten durch. Alle drei Monate reisten Sella und Perkol-Finkel nur mit einem Rucksack im Gepäck zwischen den Meeres- und Süßwasserteststandorten hin und her und schliefen in Studentenwohnheimen, während sie Experimente durchführten. So sammelten sie die für ihre Patentanmeldung benötigten Daten, die 2014 erfolgte: „Für uns war es sehr wichtig, dass alles [rund um das geistige Eigentum] geschützt ist, bevor wir die Technologie zum ersten Mal in großem Maßstab anwenden", sagt Sella.
ECOncrete kam bisher an über 40 Standorten in mehr als zehn Ländern zum Einsatz, darunter Küsten und Uferbereiche in Spanien, Monaco, den Niederlanden, Italien, San Diego und New York. Das Unternehmen führt derzeit Gespräche über den Einsatz des Produkts zum Schutz von Windparks und Unterwasserpipelines in der Nordsee. Perkol-Finkel und Sella selbst sind sowohl in der Baubranche als auch in der Forschung weithin anerkannt dafür, dass sie ökologische Technologien auf Meeres- und Küsteninfrastrukturen anwenden. Ihre Erfindung wurde 2020 mit dem Ray of Hope Preis des Biomimicry-Instituts ausgezeichnet und vom TIME-Magazin zu einer der 100 wertvollsten Erfindungen des Jahres 2019 gekürt.
Im Jahr 2021 verdreifachte ECOncrete seine Einnahmen im dritten Jahr in Folge, nahm eine Risikokapitalfinanzierung der Serie A auf und erhielt umfangreiche Zuschüsse von EU Horizon 2020, der BIRD-Stiftung und dem US-Energieministerium. Das Unternehmen beschäftigt 35 Angestellte, darunter Ingenieure, Biologen und Spezialisten für Betontechnologie. Das Wachstum des Unternehmens erfolgt zu einer Zeit, in der die Küsten der Welt aufgrund des prognostizierten Anstiegs des Meeresspiegels und zunehmender Stürme umfassend verändert werden und die Meeresbauindustrie vor erheblichen Chancen wie Herausforderungen steht. Der weltweite Markt für Unterwasserbeton wird für das Jahr 2021 auf ein Volumen von rund 320 Mrd. Euro geschätzt und soll bis 2030 jährlich um mehr als 10,8 % wachsen.
Der gegenwärtige Erfolg von ECOncrete wurde im vergangenen Jahr jedoch von einer Tragödie überschattet, als Perkol-Finkel bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. „ Es ist, als ob man seine Schwester verliert", sagt Sella. „Wir haben zusammen studiert, seit wir an der Universität am selben Tisch im Labor saßen, bis zu dem letzten Tag, als sie das Büro verließ."
Ihr Tod sei genau zu dem Zeitpunkt eingetreten, als das Unternehmen ein Jahr des Durchbruchs erlebte: „ Wir haben die Größe unseres Unternehmens seit ihrem Tod am 7. März letzten Jahres mehr als verdoppelt", sagt Sella. „ Das ist ein Sprung, den wir geplant und auf den wir uns vorbereitet haben. Shimrit verließ uns auf tragische Weise, kurz bevor dies passierte, und wir vermissen sie sehr."
Hinweis für die Redaktionen
Informationen zu den Erfindern
Ido Sella promovierte 2012 in Meereswissenschaften an der Universität Tel Aviv zum Thema biologischer und biomechanischer Eigenschaften von Korallen. Sein besonderes Interesse galt der Frage, wie festsitzende Organismen zur Wiederherstellung von Riffen beitragen können. 2010 gründeten er und Perkol-Finkel ein ökologisches-maritimes Beratungsunternehmen, um den ökologischen Wert von Küsteninfrastrukturen zu erhöhen. Im Rahmen ihrer Arbeit wurden sie auf die Probleme aufmerksam, die durch Chemie und unzureichende Gestaltung von Meeresbetoninfrastrukturen verursacht werden. 2012 gründeten sie gemeinsam ECOncrete, wo Sella derzeit CEO und Leitender Wissenschaftler ist. Mit über 20 Veröffentlichungen und Patenten für u. a. Aquafarming und biologische Materialien bis hin zu bautechnischen Anwendungen gilt Sella als Vorreiter auf dem Gebiet der ökologischen Verbesserung der Küsten- und Meeresinfrastruktur.
Sella wird als Erfinder in dem europäischen Patent EP2956001B1 (erteilt 2016) genannt.
Shimrit Perkol-Finkel studierte Zoologie und Meereswissenschaften an der Universität Tel Aviv und promovierte 2007 mit einer Arbeit über die biologischen und ökologischen Aspekte künstlicher Riffe. Die begeisterte Taucherin wollte einen Weg finden, den Prozess der allmählichen Zerstörung natürlicher Riffe umzukehren, und gründete 2012 gemeinsam mit Sella ECOncrete. Perkol-Finkel war 2018 Preisträgerin der WE Empower UN SDG Challenge, wurde in der Forbes-Liste „top 50 women-led start-ups crushing tech" sowie der Fast Company-Liste der kreativsten Unternehmer 2019 aufgeführt und erhielt 2019 den EU-Preis für Innovatorinnen. 2021 starb sie bei einem Verkehrsunfall. Sie hinterlässt ihren Ehemann und drei Töchter.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt Einzelpersonen und Teams, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, die sich aus früheren Finalisten des Preises zusammensetzt. Gemeinsam prüfen sie die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wohlstand. Das EPA verleiht den Preis in vier Kategorien (Industrie, Forschung, KMU und Nicht-EPO-Staaten) und wird darüber hinaus am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Zeremonie einen Preis für das Lebenswerk ausloben. Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 13 Finalisten über ein Online-Voting auf der Webseite es EPA ermittelt. Die Stimmenabgabe ist bis zum 21. Juni 2022 möglich. Lesen Sie mehr über die Teilnahmebedingungen und Auswahlkriterien für den Europäischen Erfinderpreis.
In diesem Jahr wird das EPA zum ersten Mal auch den Young Inventors prize vergeben. Der neue Preis für junge Menschen unter 30 ist mit einer Geldprämie für die drei Finalisten dotiert, um sie weiter zu ermutigen, kreative Lösungen für drängende Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu finden.
Über das EPA
Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
Pressekontakte Europäisches Patentamt
Luis
Berenguer Giménez
Leiter
Kommunikation
Pressestelle
des Europäischen Patentamts
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