T 2843/19 09-02-2022
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VENTILEINRICHTUNG FÜR EINE LUFTFEDERUNGSANLAGE
KNORR-BREMSE
Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Neuer Einspruchsgrund Neuheit - zugelassen (nein)
Neuer Einwand nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Zur Notwendigkeit einer rechtzeitigen Replik:
1. Unter der seit 1. Januar 2020 geltenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) obliegt es den Parteien, ihren Vortrag so rechtzeitig im Verfahren zu bringen, dass die Beschwerdekammer ihn bereits bei Abfassung des Ladungsbescheids berücksichtigen kann.
2. Soweit die Beschwerdeführerin einen Teil ihres Vortrags nicht, wie es Artikel 12 Abs. 3 VOBK 2020 eigentlich fordert, bereits in der Beschwerdebegründung unterbreiten kann, weil es sich um die Antwort auf Angriffe bzw. Hilfsanträge handelt, die nicht bereits Gegenstand der angegriffenen Entscheidung waren, sondern von der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung unterbreitet wurden, stellt eine Replik hierauf für die Beschwerdeführerin das geeignete Mittel der Wahl dar, um ihre Antwort rechtzeitig vorzubringen. Gerade aus diesem Grund sieht Artikel 15 (1) VOBK 2020 vor, dass die Kammer sich bemüht, nicht früher als zwei Monate nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung (gemäß Artikel 12 (1) c) VOBK 2020) die Ladung zu versenden.
3. Das Argument, es sei nicht zumutbar, Kaskaden von Argumentationslinien im Hinblick auf jede denkbare Einschätzung der Kammer vortragen zu müssen, greift nicht. Im zweiseitigen Beschwerdeverfahren trifft die Parteien die Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung, aus Gründen der Fairness gegenüber der anderen Partei, aber auch um das Verfahren innerhalb einer angemessenen Verfahrensdauer zum Abschluss zu bringen. Artikel 13 (2) VOBK 2020 sanktioniert diese Pflicht zur Verfahrensförderung.
4. Das Argument der Beschwerdeführerin, es sei der Kammer und auch der Patentinhaberin zumutbar, sich in der mündlichen Verhandlung mit der Diskussion eines einfachen neuen Sachverhaltes zu beschäftigen, lässt den Einfluss auf den weiteren Verfahrensverlauf außer Acht. Die erstmalige Diskussion einer Argumentationslinie in der mündlichen Verhandlung mag zu einer Situation führen, in der die andere Partei ihre Verteidigungslinie erstmalig in der mündlichen Verhandlung überdenken und ggf. anpassen muss, was zu einer deutlichen Verzögerung des Verfahrens führen und eine sachgerechte Entscheidung in der mündlichen Verhandlung erschweren oder unmöglich machen kann.
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das Patent Nr. 2 516 188 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der unstrittig neue Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von der Lehre der D1 (DE 10 2004 035 691 A1) in Kombination mit E1 (EP 0 372 218 A2) oder ausgehend von der Lehre der E1 in Kombination mit D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Die Beschwerdeführerin reichte mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 noch innerhalb der Beschwerde- begründungsfrist das Dokument E3 (DE 199 16 040 B4) nach, das als prima facie hochrelevant und neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 anzusehen sei.
IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung der Kammer vom 9. März 2021 gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA Juli 2109, A63) hat die Kammer das Argument aus der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin aufgegriffen, dass E3 nicht als neuheitsschädlich anzusehen und zudem fehlende Neuheit im Einspruchsverfahren nie substantiiert worden sei.
V. Mit Schreiben vom 7. Januar 2022 macht die Beschwerdeführerin hilfsweise das Dokument E3 zu dem bereits eingeführten Einspruchsgrund einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit geltend.
VI. Am 9. Februar 2022 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents in vollem Umfang.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang auf der Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 - 6.
Die Beschwerdeführerin reichte zur Veranschaulichung ihrer Argumentationslinie der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ein Schaubild zur "Wirkkette der Ventilbetätigung" ein (siehe Anlage zum Protokoll).
VII. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:
"Ventileinrichtung für eine Luftfederungsanlage in einem Fahrzeug,
(a) die Ventileinrichtung (6) weist wenigstens einen mit einem Luftfederbalg (3) der Luftfederungsanlage verbindbaren Balganschluss (14, 15), einen mit einem Druckluftvorrat verbindbaren Vorratsanschluss (18) und einen mit der Atmosphäre verbindbaren Entlüftungsanschluss (12) auf,
(b) die Ventileinrichtung (6) weist eine elektrische Betätigungsanordnung (7, 8, 21, 22) und ein manuelles Betätigungselement (9) auf,
(c) die Ventileinrichtung (6) weist eine pneumatisch betätigbare Arbeitsventilanordnung (27, 28, 29) auf, durch deren Betätigung der Balganschluss (14, 15) wahlweise mit dem Vorratsanschluss (18) oder dem Entlüftungsanschluss (12) verbindbar oder absperrbar ist,
(d) die Arbeitsventilanordnung (27, 28, 29) ist pneumatisch sowohl von der elektrischen Betätigungsanordnung (7, 8, 21, 22) als auch von einer über das manuelle Betätigungselement (9) betätigbaren Pneumatikventilanordnung (23, 24, 25, 26) betätigbar,
dadurch gekennzeichnet, dass
(e) die Arbeitsventilanordnung (27, 28, 29) Balganschluss-seitig wenigstens ein Halteventil (28) und Vorratsanschluss-seitig ein pneumatisch zum Halteventil (28) in Reihe geschaltetes Heben/Senken-Ventil (27) aufweist, wobei durch Betätigung des Heben/Senken-Ventils (27) das Halteventil (28) wahlweise mit dem Vorratsanschluss (18) oder dem Entlüftungsanschluss (12) verbindbar ist und durch Betätigung des Halteventils (28) wahlweise ein Druckluftpfad zwischen dem Balganschluss (15) und dem Heben/Senken-Ventil (27) sperrbar oder auf Durchlass schaltbar ist."
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, insoweit es für die vorliegende Entscheidung relevant ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
Die Wirkkette der Ventilbetätigung gemäß Anspruch 1 sei letztlich nur eine Merkmalsaggregation, so dass sich eine Diskussion der Kombinierbarkeit damit erübrige. Der Oberbegriff sei auf eine redundante elektrische und manuelle Ventilbetätigung über eine pneumatische Vorsteuerung einer Arbeitsventilanordnung gerichtet (erster Teilaspekt), um das Heben/Senken-Ventil 27 anzusteuern. Dies löse die Aufgabe, eine flexible Ansteuerung zu gewährleisten, und sei aus D1 bekannt. Das Kennzeichen des erteilten Anspruchs 1 gebe eine Absperrlösung für das Heben/Senken-Ventil an, sei also auf eine entlastende Absperrung gerichtet und sehe ein Halteventil vor (zweiter Teilaspekt). Da hohe Drücke vom Luftfederbalg zurückwirkten und ansonsten das Heben/Senken-Ventil (z. B. die Ventildichtungen) belasteten, werde so die Aufgabe einer Erhöhung der Dauerbelastbarkeit gelöst, wie in E1 gezeigt. Wenn vorbekannte Lösungen für vorbekannte Zwecke verwendet werden und vorbekannte Wirkungen entfalteten, ohne in Wechselwirkung zu treten, so fehle es an einer funktionellen Wechselwirkung bzw. einem synergetischen Effekt. In diesem Fall genüge der Nachweis, dass die jeweiligen Teilaspekte vorbekannt seien (siehe dazu Richtlinien G VII, 7). Zum zweiten Teilaspekt sei im Streitpatent selbst (Sp. 3, Z. 14-20) ausgeführt, das dem Balganschluss zugeordnete Halteventil erlaube vorteilhaft eine einfache Erweiterbarkeit bei Steuerung einer zwei- oder mehrkreisigen Luftfederungsanlage. Das im Streitpatent ebenfalls angesprochene Problem "unerwünschte Druckluftbefüllung der Luftfederbälge infolge einer Leckage" spiele sich nur im Bereich des Heben/Senken Ventils ab, d. h. es sei von zwei Merkmalsgruppen auszugehen.
Unstreitig offenbare D1 in Fig. 3 eine elektrische und manuelle, pneumatisch vorgesteuerte Ventilbetätigung, wobei die Druckluftleitung 17 die Arbeitsdruckleitung zu den Luftfederbälgen hin bilde (siehe Fig. 1 oder 2). Die Ventile 30, 31 entsprächen in ihrer Gesamtheit einem Heben/Senken-Ventil, pneumatisch vorgesteuert über Ventile 32, 33 (elektrisch) und Ventile 34, 35 (manuell), wobei gemäß D1 (siehe Fig. 2) eine derartige redundante Betätigungslösung auch austauschbar sei gegen eine direkte elektrisch/manuelle Betätigung ohne pneumatische Vorsteuerung. Streitpatent (Absatz [0054]) und Anspruch 1 schlössen eine manuelle Bedienung über mehr als ein einziges Betätigungselement nicht aus.
Wenn der Fachmann ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik die Dauerbelastung (des Heben/Senken-Ventils) erkenne und das Ventil entlasten wolle bzw. sich die Aufgabe stelle, die Dauerbelastbarkeit zu erhöhen, schaue er sich im gesamten gattungsgemäßen Stand der Technik um (also bei Ventileinrichtungen für Luftfederungen), nicht unbedingt nur bei manuell betätigbaren Ventilen, wozu auch die E1 zähle. Allein durch Betrachten des einzigen Schaltbildes der E1 erkenne er ein Heben/Senken-Ventil 25 und dazu Ventile 26, 27, die im Text als "Absperrventile" (Halteventile) bezeichnet seien und somit druckentlastend wirkten, unabhängig von der Auslegung des Heben/Senken-Ventils. Es spiele keine Rolle, dass in E1 das Heben/Senken-Ventil als Einzelventil verkörpert sei (D1 sehe separate Ventile für die Be- und Entlüftefunktion vor), da beide Varianten üblich und (funktionsidentisch) austauschbar seien. Um diesen Gedanken in D1 zu implementieren, setze der Fachmann in Fig. 3 der D1 zusätzlich ein Absperrventil in die Arbeitsleitung 17 ein, wobei er natürlich den Drucksensor zu Messung des Arbeitsdrucks verschiebe. Für die Kombinierbarkeit komme es einzig darauf an, ob der Fachmann die Funktion der Ventile in E1 erkenne (anhand der Leitungsführung und den in Absperrstellung gezeigten Halteventilen in E1, d. h. mit Entlastungswirkung), also die offenbarte Teillösung (zur Druckentlastung), und zur Erhöhung der Dauerbelastbarkeit in Betracht ziehe. Ebenso stelle die in E1 nur exemplarisch gezeigte rein elektrische Ventilbetätigung kein Kombinationshindernis dar, weil es zum einen bei der objektiven Aufgabe nicht hierauf ankomme, zum anderen weil auch D1 eine elektrische Ansteuerung des Heben/Senken Ventils zeige und E1 auch alternative Betätigungsarten als gleichwertig offenbare (siehe Sp.5, Z. 57 - Sp. 6, Z. 3: "elektromagnetisch vorgesteuerte, pneumatisch betätigte Ventile", also Pilotventile sein, die über Elektromagneten betätigt den Vorsteuerdruck lieferten). Im Übrigen sei das "Wie" der Ansteuerung nicht Gegenstand des Anspruchs 1, der keine Steuerlogik beinhalte, und die Ansteuerung des Halteventils sei im Kennzeichen nicht spezifiziert. E1 offenbare die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 und somit dieselbe Absperrlösung wie dort angegeben. In einer Hinzufügung zu der aus D1 bekannten und im Oberbegriff angegebenen redundanten Betätigungslösung sei deshalb keine erfinderische Tätigkeit zu sehen, weil es sich nur um eine mosaikartige Aneinanderreihung von an sich aus dem Stand der Technik bekannten und für eine solche Aneinanderreihung auch vorgesehenen technischen Lösungen handele. Dies werde auch durch den Hinweis im Streitpatent gestützt (Sp. 3, Z. 14-10), dass das Halteventil bei mehrkreisigen Luftfederungs-anlagen eine einfache Erweiterbarkeit erlaube, also eine einfache Nachrüstoption darstelle. Für den gewünschten Effekt würde der Fachmann auch zusätzliche Mittel (Ventile) vorsehen, auch bei höheren Kosten.
Dokument E3
Die noch innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingeführte E3 sei prima facie hochrelevant (siehe Schaltbild in Fig. 1; sämtliche Merkmale von Anspruch 1 seien in E3 offenbart) und im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Der Grund des verspäteten Vorbringens liege in einem Wechsel der technischen Fachabteilungs-Zuständigkeit und der verzweigten Konzernstruktur. Auch sei erst infolge einer Fokusverschiebung nach Kenntnisnahme der Entscheidungsgründe klar geworden, dass es im vorliegenden Fall wohl doch auf das Detail der Ventilbetätigung ankomme, obwohl es beim Anspruch 1 zentral um die Dauerbelastbarkeit und Druckentlastung mittels Absperrventil gehe. Es sei anfangs als hinreichend angesehen worden, ein Absperrventil in der Arbeitsdruckleitung vorzusehen.
Vor dem Hintergrund der Entscheidung G 07/95 sei Dokument E3 zumindest bei der Entscheidung über den Einspruchsgrund einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.
Auch unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 sollte es (wie im Prüfungsverfahren) in der Ausnahme des vorliegenden Falles dazu kommen dürfen, dass ein anderes Dokument im Fokus stehe, wenn der Erfindungskern bzw. das Unterschiedsmerkmal plötzlich woanders gesehen werde und die prima facie Relevanz mit einem Blick auf ein Schaltbild feststellbar sei. Ansonsten hätte man abhängig von einer möglichen Auffassung der Kammer Argumentationskaskaden zur erfinderischen Tätigkeit vortragen müssen. Dokument E3 sei bereits in der Beschwerdebegründungsfrist bekannt gemacht und hinsichtlich Neuheit diskutiert worden. Erst der vorläufigen Auffassung der Kammer (die eine Wertung eines Arguments der Beschwerdegegnerin beinhalte) sei entnommen worden, dass die Serienbetätigung der Arbeitsventilanordnung (elektrisch - pneumatisch) der entscheidende Diskussionspunkt sei. Es gehe nur um die Interpretation von Schaltsymbolen bzw. die Diskussion eines Schaltbild, was einfach zu überblicken sei. Es sei daher zumutbar, dass die Kammer und auch die Patentinhaberin sich damit beschäftige - da es sich um eine Marginalität handele, auch in der mündlichen Verhandlung. Zu berücksichtigen sei, dass auch im Beschwerdeverfahren nicht bestandsfähige Patente nicht aufrechterhalten werden sollten.
IX. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:
Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
Das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Schaubild "Wirkkette der Ventilbetätigung" stehe nicht im Zusammenhang mit den Anspruchsmerkmalen. Die technische Lehre des Patents könne nicht auf die Begriffe "Absperrlösung" und "redundante Betätigungslösung" reduziert werden. Es gehe um eine Luftfederbetätigung bei Anhängefahrzeugen ohne permanente Stromversorgung. Anspruch 1 betreffe eine Ventileinrichtung mit einem dreiteiligen Aufbau der Ventilstruktur, wobei eine pneumatische Arbeitsventilanordnung pneumatisch sowohl von einer elektrischen Betätigungsanordnung als auch einer über das manuelle Betätigungselement betätigbaren Pneumatikventilanordnung betätigbar sei (Merkmal (d)). Um dies zu ermöglichen, werde im Kennzeichen eine spezifische Arbeitsventilanordnung vorgeschlagen. Es werde eine komplexe Ventilanordnung als Gesamtsystem beansprucht, nicht nur Einzelventile. Im Streitpatent werde eine ganze Reihe von Effekten erläutert, neben der "Erweiterbarkeit" auch das Verhindern von Leckagen.
D1 zeige nicht das Kennzeichen von Anspruch 1 und zudem nicht alle Teilmerkmale der Merkmalsgruppe (d), da das Streitpatent mit einem einzigen Betätigungselement für die vollständige Bedienung der Arbeitsventilanordnung auskomme ("über das manuelle Betätigungselement betätigbaren ..."). E1 gebe keine Hinweise zur Lösung eines Problems der Dauerbelastbarkeit von Ventilen und keine Anregung zur Änderung von D1. In E1 gehe es um ein Regelverfahren, das Effekte bei Verspannung des Fahrzeugrahmens beseitige. Zudem seien D1 und E1 auf unterschiedliche technische Gebiete gerichtet (D1: Anhängefahrzeuge ohne eigene Stromversorgung, E1: Zugfahrzeuge). In E1 bestehe kein Bedarf an einer manuell mechanisch betätigten Ventileinrichtung. Hieraus ergebe sich der in E1 dargestellte einfache Aufbau, bei dem die Ventileinrichtung lediglich elektrisch betätigbare Magnetventile aufweise, die nicht direkt in D1 (statt Ventile 30, 31) zu übernehmen seien. Ein Fachmann, der nach Verbesserungen beim Gegenstand von D1 suche, würde E1 nicht heranziehen.
Selbst wenn man D1 und E1 kombiniere, gelange man nicht zu einem Gegenstand mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1. E1 zeige keine Arbeitsventilanordnung im Sinne des Anspruchs 1. Die Magnetventile von E1 würden sich bei D1 weder anstelle der Magnetventile 32, 33 noch anstelle der Pneumatikventile 30, 31 einsetzen lassen, da die gewünschte Funktionalität der Ventilanordnung gemäß Fig. 3 von D1 dann nicht mehr gegeben sei. Es gebe bereits keine Anregung für den Fachmann, gerade die Ventile 30, 31 der Fig. 3 von D1 durch die Ventile aus E1 zu ersetzen, da er auch eine Parallelschaltung in Betracht ziehen könnte, was eine elektrische Betätigung der Ventile 30, 31 überflüssig mache und deren Belastung verringere. Das Einzelventil 25 aus E1 (mit nur zwei Schaltstellungen) sei entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht funktionsidentisch mit den beiden Ventilen 30, 31 aus D1 (vier Schaltstellungen). Eine Absperrfunktion sei zwar in der Pneumatik bekannt (und zur Erweiterbarkeit auf mehrkreisige Luftfederungsanlagen gerechtfertigt), aber die Besonderheit bestehe immer im Einbau in eine gegebene Verschaltung. Das Vorsehen eines gesonderten Absperrventils, wie von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, mache die Schaltung aufwendiger und teurer. Zudem passe die Zuordnung zum Oberbegriff von Anspruch 1 nicht mehr, wenn man zu der in D1 schon gezeigten Arbeitsventilanordnung 30, 31 ein Absperrventil als drittes Ventil hinzufüge. Dieses Extraventil müsse Teil der Arbeitsventilanordnung sein, also auch pneumatisch betätigbar (siehe Merkmal (d)), und durch deren Betätigung den Balganschluss absperren (Merkmal (c)). Damit werde nicht die Möglichkeit eröffnet für ein zusätzliches, elektrisch betätigbares Absperrventil im Kennzeichen. Es stelle sich die Frage, wie dieses Absperrventil in D1 - bei sinnvoller Steuerung der gesamten Ventilanordnung - einbaubar sei. Die Funktionalität in D1 sei ausreichend, was gegen das Vorsehen eines zusätzlichen Absperrventils spreche.
Dokument E3
Der Einführung des neuen, von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einspruchsgrunds mangelnder Neuheit gegenüber E3 ins Verfahren werde nicht zugestimmt.
Dokument E3 sei auch ohne Rechtfertigung (zumal zuvor von der Einsprechenden in anderen Einspruchsverfahren schon geltend gemacht) verspätet eingereicht, zudem nicht prima facie relevant (zeige keine zweifache pneumatische Betätigung, eine davon durch die elektrische Betätigungsanordnung) und deshalb nicht ins Verfahren zuzulassen. Es werde auch nicht die Situation gesehen, dass ein nicht bestandsfähiges Patent aufrechterhalten würde.
1. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
1.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht ausgehend von Dokument D1 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
1.2 Sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Streitpatents sind aus D1 (Fig. 3) bekannt, was im Einspruchsverfahren unstrittig war (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 10.1). Die Beschwerdegegnerin will noch einen Unterschied im einzigen Betätigungselement der Merkmalsgruppe (d) sehen.
Im Oberbegriff von Anspruch 1 wird zwar mit Merkmal (b) nur "ein manuelles Betätigungselement" definiert, auf das Merkmal (d) ("über das manuelle Betätigungselement betätigbaren Pneumatikventilanordnung") Bezug nimmt. Anspruch 1 enthält damit aber keine Einschränkung dahingehend, dass die vollständige Bedienung der Arbeitsventilanordnung - also Befehle sowohl zum Heben wie zum Senken - über ein einziges Betätigungselement erfolgen muss, und schließt eine Ventileinrichtung, die wie in D1 gezeigt über zwei Betätigungselemente manuell betätigbar ist, nicht aus.
Die Kammer sieht den Unterschied des beanspruchten Gegenstands gegenüber D1 daher nur in den Merkmalen des Kennzeichens des erteilten Anspruchs 1, welche den konkreten Aufbau der Arbeitsventilanordnung definieren.
1.3 Das Streitpatent geht (ebenso wie die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung) von D1 als bekanntem Stand der Technik aus und sieht demgegenüber die Aufgabe darin, die Dauerhaltbarkeit einer solchen Ventileinrichtung mit geringem Aufwand zu erhöhen.
Die Kammer sieht keinen Grund, von dieser (zwischen den Parteien unstrittigen) Formulierung der objektiven technischen Aufgabe abzuweichen, da die kennzeichnenden Merkmale die Arbeitsventilanordnung - und zwar vom Vorratsanschluss zum Balganschluss hin gesehen - als Reihenschaltung aus einem Heben/Senken-Ventil und einem Halteventil definieren. Im Unterschied zu D1 werden so hohe Drücke, die vom Luftfederbalg auf das Heben/Senken-Ventil zurückwirken, abgesperrt, was die Dauerhaltbarkeit oder Dauerbelastbarkeit erhöht. Der in Absatz [0010] des Streitpatents angesprochene Vorteil einer einfachen Erweiterbarkeit auf mehrere Kreise bei balgseitig angeordnetem Halteventil käme erst zum Tragen, wenn mehreren Luftfederbälge beansprucht würden, was für Anspruch 1 nicht zutrifft.
1.4 Eine bloße Aggregation von Merkmalen oder Merkmalsgruppen, die unterschiedliche Teilprobleme lösen und unabhängig voneinander auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit geprüft werden können, sieht die Kammer vorliegend nicht. Insbesondere konnte dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden, dass das Heben/Senken-Ventil in der mit Anspruch 1 definierten Wirkkette der Ventilbetätigung in keiner Wechselwirkung mit dem Halteventil stehe.
Der Oberbegriff von Anspruch 1 (Merkmal (c)) definiert eine pneumatisch betätigbare Arbeitsventilanordnung, durch deren Betätigung der Balganschluss wahlweise mit dem Vorrats- oder dem Entlüftungsanschluss verbindbar oder absperrbar sein soll. Damit wird bereits eine Heben/Senken-Funktion (bei Verbindung mit dem Vorrat oder einer Entlüftung) sowie eine Haltefunktion (durch Absperren der Verbindung) definiert, d. h. der Oberbegriff impliziert bereits die Funktion einer Heben/Senken/Halten-Ventilanordnung. Die konkrete strukturelle Ausbildung der Arbeitsventilanordnung wird im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 (Merkmal (e)) spezifiziert, und zwar als Reihenschaltung aus einem balgseitigen Halteventil und einem vorratsseitigen Heben/Senken-Ventil.
Das Heben/Senken-Ventil und das Halteventil sind somit nicht isoliert voneinander zu betrachten, da sie beide zur Realisierung der im Oberbegriff definierten Funktion erforderlich sind. Insbesondere wird eine Heben/Senken-Funktion im Streitpatent und auch in Anspruch 1 erst in Verbindung mit einem Halteventil ermöglicht, das aus der Absperrstellung in die Durchlassstellung geschaltet wird. Diese Funktionalität wird in D1 durch die in Reihe geschalteten Ventile 30 und 31 realisiert.
1.5 Der von der Beschwerdeführerin angeführte erste Teilaspekt der Erfindung "redundante Ventilbetätigung" betrifft die aus D1 bereits bekannten Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 und damit kein zu lösendes (Teil-)Problem. Die spezifische Anordnung eines Heben/Senken-Ventils und eines Halteventils gemäß dem kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 trägt zur Erhöhung der Dauerhaltbarkeit bei, wie weiter oben dargelegt. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass das Kennzeichen des erteilten Anspruchs 1 lediglich eine Absperrlösung für das Heben/Senken-Ventil angebe, konnte nicht überzeugen. Zudem ist für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht entscheidend, ob die fehlenden Merkmale des Kennzeichens von Anspruch 1 aus E1 vorbekannt sind, sondern ob der Fachmann ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik - hier von D1 - unter Berücksichtigung von E1 in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangt.
1.6 Zur Lösung der Aufgabe, eine erhöhte Dauerhaltbarkeit der Ventileinrichtung zu realisieren, mag der Fachmann bekannte gattungsgemäße Ventilanordnungen zur Ansteuerung der Bälge von Luftfederungsanlagen in Betracht ziehen, die nicht notwendigerweise die Dauerbelastbarkeit explizit ansprechen, und so auch auf Dokument E1 stoßen. Wie vorstehend ausgeführt, würde der Fachmann bei Betrachten des Schaltbilds der E1 das Heben/Senken-Ventil 25 für sich betrachtet aber nicht als funktionsidentisch mit den beiden in D1 gezeigten Ventilen 30 und 31 ansehen, da das Heben/Senken-Ventil 25 im unbetätigten Zustand den Balganschluss nicht (wie in D1 die Ventile 30, 31) gegen eine Entlüftung absperrt. Dies erfolgt in E1 erst durch eines der nachgeschalteten Halteventile 26 oder 27.
1.6.1 Hinsichtlich einer Übertragung der Ventile 25 bzw. 26 oder 27 der E1 an die Stelle der Ventile 30 bzw. 31 der Fig. 3 der D1 folgt die Kammer der angefochtenen Entscheidung (siehe dazu Seite 11, vorletzter und letzter Absatz), dass bei Betätigung des Ventils 25 der E1 an der Stelle des Ventils 30 der D1 keine Belüftung der in Fig. 1 der D1 dargestellten Luftfederbälge (wie zuvor in D1 der Fall) hervorgerufen wird, da die Druckluftleitung durch das Ventil 26 oder 27 an der Stelle des Ventils 31 der D1 abgesperrt wird. Die Kammer stimmt mit der angefochtenen Entscheidung auch überein, dass im Ergebnis die gesamte Steuerlogik der D1 verändert bzw. modifiziert werden muss, was einen erfinderischen Schritt begründet.
1.6.2 Die Kammer ergänzt diesbezüglich lediglich, dass insbesondere die in D1 vorgesehene manuelle Betätigung über jeweils einen eigenen Taster oder Hebel zur Vorgabe des Befehls zum Belüften bzw. Entlüften der Luftfederbälge mit mechanisch angesteuerten Ventilen 34 bzw. 35 nicht mehr wie in D1 (durch Schalten des Vorratsdrucks an nachgeschaltete Magnetventile 32 bzw. 33) möglich wäre. Um die in D1 vorgesehene und in Anspruch 1 verlangte redundante manuelle und elektrische Betätigung weiter zu gewährleisten, müsste die manuell betätigbare Ventilanordnung neu konzipiert werden. Dies stellt eine für den Fachmann nicht naheliegende Modifikation dar bzw. würde ihn sogar davon abhalten, die aus E1 bekannte Ventilanordnung in D1 zu übernehmen.
1.6.3 Im Übrigen ist es mit gleicher Begründung auch nicht nahegelegt, ein zusätzliches Absperrventil in der Arbeitsdruckleitung 17 der D1 vorzusehen, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert.
Auch in diesem Fall muss die manuell betätigbare Pneumatikventilanordnung aus D1, die in einfacher Weise mittels separater Taster für Belüften und Entlüften manuell betätigbar ist, neu konzipiert werden, um weiter eine redundante manuelle und elektrische Betätigung zu ermöglichen.
1.7 Die Kammer war somit nicht überzeugt, dass es für den Fachmann ausgehend von der einfach strukturierten Schaltung und Funktionalität zur Realisierung einer redundanten elektrischen und manuellen Betätigung wie in D1 gezeigt naheliegend ist, bei Berücksichtigung der Lehre der E1 zum Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt zu gelangen.
2. Neuer Einspruchsgrund mangelnder Neuheit
2.1 Die Beschwerdeführerin hat mangelnde Neuheit gegenüber dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokument E3 geltend gemacht. Der Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit wurde im Einspruchsverfahren nie substantiiert und stellt damit einen neuen Einspruchsgrund dar. Dies hat die Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.
Somit kann der neu geltend gemachte Einspruchsgrund gemäß geltender Rechtsprechung (siehe G 10/91, G 7/95) nicht ohne das Einverständnis des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden.
2.2 Vorliegend hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) der Einführung des neuen Einspruchsgrunds der mangelnden Neuheit nicht zugestimmt.
3. Zulassung des neuen Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E3
3.1 Mit Schreiben vom 7. Januar 2022 und damit etwa einen Monat vor dem anberaumten Termin für eine mündliche Verhandlung hat die Beschwerdeführerin erstmals "hilfsweise das Dokument E3 zu dem bereits eingeführten Einspruchsgrund einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit geltend gemacht" (Seite 3, erster Absatz).
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Nichtzulassung der verspätet eingereichten E3 und sah den Bestand des europäischen Patents durch E3 nicht gefährdet.
3.2 Der vorliegende Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit stellt eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar (Artikel 13 VOBK 2020), da mit der Beschwerdebegründung nur mangelnde Neuheit gegenüber E3 geltend gemacht wurde. Zudem wurde dieser Einwand erst erhoben, nachdem die Ladung zur mündlichen Verhandlung der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. März 2021 zugestellt worden war, so dass im vorliegenden Fall Artikel 13 (2) VOBK 2020 (gemäß Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020) Anwendung findet.
Artikel 13 (2) VOBK 2020 bestimmt, dass Änderungen nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung "grundsätzlich unberücksichtigt [bleiben], es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen".
3.3 Die Beschwerdeführerin hat weder außergewöhnliche Umstände noch stichhaltige Gründe diesbezüglich angeben können.
Die Kammer hat in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung lediglich ihre vorläufige Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass möglicherweise dass Dokument E3 nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei. Selbst wenn die Kammer damit eine Wertung der von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Argumente vorgenommen haben mag, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, hat sie damit keinen neuen Einwand erhoben, sondern lediglich die Argumente der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung zusammengefasst. Dem hat die Beschwerdeführerin auch nicht widersprochen.
Darin kann kein außergewöhnlicher Umstand gesehen werden, der das späte Vorbringen des neuen Einwandes der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber E3 erst kurz vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnte.
Unter der seit 1. Januar 2020 geltenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) obliegt es den Parteien, ihren Vortrag so rechtzeitig im Verfahren zu bringen, dass die Beschwerdekammer ihn bereits bei Abfassung des Ladungsbescheids berücksichtigen kann. Soweit die Beschwerdeführerin einen Teil ihres Vortrags nicht, wie es Artikel 12 Abs. 3 VOBK 2020 eigentlich fordert, bereits in der Beschwerdebegründung unterbreiten kann, weil es sich um die Antwort auf Angriffe bzw. Hilfsanträge handelt, die nicht bereits Gegenstand der angegriffenen Entscheidung waren, sondern von der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung unterbreitet wurden, stellt eine Replik hierauf für die Beschwerdeführerin das geeignete Mittel der Wahl dar, um ihre Antwort rechtzeitig vorzubringen. Eine Berücksichtigung ist dann noch nach Artikel 13(1) VOBK 2020 möglich; die strenge Grenze des Artikel 13(2) 2020 gilt dagegen bis zur Ladung noch nicht. Gerade aus diesem Grund sieht Artikel 15 (1) VOBK 2020 vor, dass die Kammer sich bemüht, nicht früher als zwei Monate nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung (gemäß Artikel 12 (1) c) VOBK 2020) die Ladung zu versenden.
Stichhaltige Gründe, warum die Replik auf die in der Beschwerdeerwiderung vom 26. März 2020 enthaltenen Argumente nicht in direkter Reaktion auf diese erfolgte, sondern erst nahezu zwei Jahre später kurz vor der mündlichen Verhandlung, und damit deutlich nach Erhalt des Ladungsbescheids vom 9. März 2021, hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt.
Ihr Argument, es sei ihr nicht zumutbar, Kaskaden von Argumentationslinien zur erfinderischen Tätigkeit (im Hinblick auf jede denkbare Einschätzung der Kammer) vorzutragen, und sie habe erst der vorläufigen Auffassung der Kammer den entscheidenden Diskussionspunkt entnehmen können, greift somit nicht. Im zweiseitigen Beschwerdeverfahren trifft die Parteien die Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung, aus Gründen der Fairness gegenüber der anderen Partei, aber auch um das Verfahren innerhalb einer angemessenen Verfahrensdauer zum Abschluss zu bringen. Artikel 13 (2) VOBK 2020 sanktioniert diese Pflicht zur Verfahrensförderung im Beschwerdeverfahren, d. h. konkret der Obliegenheit im vorliegenden Fall, eine etwaige Argumentation der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber E3 rechtzeitig vor Erhalt der Ladung und Abfassung des Ladungsbescheids durch die Kammer vorzulegen.
Das Argument der Beschwerdeführerin, es sei der Kammer und auch der Patentinhaberin zumutbar, sich mit der Interpretation bzw. Diskussion eines einfachen Schaltbildes zu beschäftigen, lässt den Einfluss auf den weiteren Verfahrensverlauf außer Acht. Die erstmalige Diskussion von E3 als nächstliegender Stand der Technik in der mündlichen Verhandlung mag zu einer Situation führen, in der die Patentinhaberin ihre Verteidigungslinie erstmalig in der mündlichen Verhandlung überdenken und ggf. anpassen muss, was zu einer deutlichen Verzögerung des Verfahrens führen und eine sachgerechte Entscheidung in der mündlichen Verhandlung erschweren oder unmöglich machen kann.
3.4 Die Argumentationslinie zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument E3 bleibt somit unberücksichtigt (Artikel 13 (2) VOBK 2020).
4. Vor diesem Hintergrund musste über die Zulassung der erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Druckschrift E3 in das Beschwerdeverfahren nicht entschieden werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.