Hochauflösende Röntgenscans für die bessere Erkennung von Brustkrebs: Marco Stampanoni, Zhentian Wang und ihr Team sind Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2022
- Neues Röntgensystem zur besseren Erkennung von Brustkrebs: Die Wissenschaftler Marco Stampanoni aus der Schweiz, Zhentian Wang aus China sowie ihr Team sind für den Preis des Europäischen Patentamts (EPA) nominiert
- Das System ermöglicht Mammogramme mit höherer Auflösung, die Kliniken helfen können, Brusttumore im Frühstadium besser zu erkennen
- Das Team entwickelt außerdem ein 3D-Mammographiegerät, welches die mit dem Brustscreening verbundenen Schmerzen verringert
München, 17. Mai 2022 - Das Europäische Patentamt (EPA) hat heute bekannt gegeben, dass ein schweizerisch-chinesisches Team unter der Leitung der Forscher Marco Stampanoni und Zhentian Wang für den Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert worden ist. Sie haben Röntgenaufnahmen dahingehend verbessert, dass diese jetzt hochauflösende Bilder von Weichgewebe liefern können und gleichzeitig die Strahlendosis optimiert wird.
Ihre Erfindung verbessert den Kontrast von Mammographien und ermöglicht es Ärzten, Brusttumore zu erkennen, solange sie noch klein sind und leichter behandelt werden können. Die Erfinder haben mit Philips zusammengearbeitet, um ein bewährtes Mammographiesystem mit ihrer Technologie nachzurüsten. Nun entwickeln sie - zusammen mit ihrem Unternehmen GratXray - eine neuartiges Mammographiegerät, das 3D-Scans für die Patientin beschwerdefrei erstellen kann.
„Die Forscher unterstreichen mit ihrer Arbeit die Bedeutung der Früherkennung bei der Bekämpfung von Krebs", sagt EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten. „Dank Marco Stampanoni, Zhentian Wang und ihren Kollegen werden Ärzte und Patienten über eine verbesserte Früherkennungstechnik verfügen."
Stampanoni und Wang gehören zu den drei Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten", mit dem Erfindungen ausgezeichnet werden, die außerhalb der EPO-Mitgliedstaaten oder in enger Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der EPO-Mitgliedstaaten entwickelt wurden. Die Gewinner des Europäischen Erfinderpreises 2022 werden am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Preisverleihung bekannt gegeben.
Vom Synchrotron zum Krankenhaus
Herkömmliche Röntgenstrahlen gehen leicht durch Brustgewebe und Tumore hindurch, so dass es für Ärzte schwierig ist, zwischen beiden zu unterscheiden. Daher müssen Patientinnen unter Umständen zusätzliche Untersuchungen durchführen, um zu bestätigen, dass ein Tumor entdeckt wurde. Eine Möglichkeit, den Kontrast des Bildes zu erhöhen, bestünde darin, die Röntgendosis zu erhöhen, aber die zusätzliche Strahlung könnte für die Patientin gefährlich sein. Dies ist die Herausforderung, die Stampanoni und Wang zu ihrer Erfindung inspiriert hat.
„Eine mammographische Untersuchung sollte nicht mehr Schaden anrichten als der Krebs selbst", sagt Stampanoni. „Wir wollten etwas entwickeln, das eine bessere und präzisere Aufnahme der Brust ermöglicht und gleichzeitig die Dosis im Auge behält."
2010 wechselte Wang aus China als Postdoc an das Paul-Scherrer-Institut (PSI) zu Stampanoni, dessen Team an einer Lösung namens Phasenkontrast-Röntgen arbeitete - eine Technik, die den Kontrast in Röntgenbildern verstärkt. Ursprünglich hatte Stampanonis Team das Synchrotron - eine sehr intensive Röntgenstrahlungsquelle - verwendet, um hochauflösende, kontrastreiche Bilder von kleinen Proben zu erhalten. Aber für eine praktikable Lösung musste eine herkömmliche Röntgenstrahlungsquelle verwendet werden, wie man sie in Krankenhäusern findet.
Um dieses Problem zu lösen, hat Stampanonis Team - aufbauend auf früheren Arbeiten von Christian David und Franz Pfeiffer vom PSI - intensiv untersucht, ob eine Technik namens Gitter-Interferometrie helfen könnte. Wenn man Röntgenstrahlen durch Gitter hindurchgehen lässt, kann man messen, wie diese auf ihrem Weg durch das Gewebe gebeugt und abgelenkt werden. Diese zusätzliche Information verstärkt den Kontrast der endgültigen Bilder, was zu schärferen Aufnahmen als bei normalen Röntgenstrahlen führt. Gemeinsam mit den chinesischen Wissenschaftlern Zhu Peiping und Wu Ziyu vom Institut für Hochenergiephysik in Peking zeigte Stampanonis Team, dass es möglich ist, ein Gitter-Interferometer unter ähnlichen Bedingungen wie in einer klinischen Umgebung erfolgreich zu betreiben, und meldete diese Erfindung 2009 zum Patent an.
Auf dem Weg zur Mammographie
Wang, der als erster Doktorand in China an der Gitter-Interferometrie gearbeitet hatte, schloss sich Stampanonis Gruppe an, um die Technologie unter realen Bedingungen, insbesondere bei Röntgenaufnahmen, anzuwenden. Die Herausforderung bestand darin, den Versuchsaufbau (für den nur wenige Millimeter große Proben verwendet wurden) so zu vergrößern, dass das Organ eines Menschen gescannt werden konnte, und dabei sicherzustellen, dass die Apparatur auch in einem normalen Krankenhaus funktioniert, in dem nicht die gleiche, streng kontrollierte Anwendungsumgebung wie in einem Labor vorherrscht.
Eine weitere Aufgabe bestand darin, die Signale des Gitter-Interferometers in Bilder umzuwandeln, die Ärzte leicht verstehen und interpretieren können. Mit den zusätzlichen Daten können zwei weitere klare, detaillierte Aufnahmen erstellt werden, die Ärzten dabei helfen, Mikroverkalkungen (kleine Kalkablagerungen) und kleine Tumore zu erkennen, bevor diese weiterwachsen, um so eine frühere Brustkrebsdiagnose zu ermöglichen. Ursprünglich hatten Stampanoni und sein Team aus allen Daten, die sie generiert hatten, mehrere separate Aufnahmen erstellt, aber die Rückmeldungen der Ärzte zeigten, dass eine einzige verbesserte Aufnahme zielführender wäre.
„Wir als Physiker haben uns sehr bemüht, die verschiedenen Signale zu trennen", sagt Wang. „Am Ende mussten wir sie wieder kombinieren um (den Ärzten) den Nutzen zu zeigen."
Im Jahr 2014 meldeten Stampanoni, Wang und ihr Team zwei Patente für ihre Methoden an, mit denen sie Signale aus dem Gitter-Interferometer abrufen und in eine einzige aussagekräftige Aufnahme umwandeln können. Gemeinsam mit Philips haben sie ein kommerzielles Mammographiesystem mit ihren Gitter-Interferometrie-Komponenten ausgestattet. Dieser nachgerüstete Brustscanner, der in der Lage ist, ein hochauflösendes 2D-Bild in der gleichen Zeit wie eine Standardmammographie zu erzeugen, wurde 2021 fertiggestellt und wird in diesem Jahr in Pilotstudien bei Patientinnen eingesetzt.
Im Jahr 2017 gründeten die beiden gemeinsam GratXray, wobei Stampanoni als Mitglied des Verwaltungsrats und Wang als CTO fungierten, um ihre Technologie zu vermarkten. Das schweizerisch-chinesische Duo entwickelt derzeit ein neuartiges Röntgenaufnahmegerät, das 3D-Bilder erzeugen kann und dabei die Belastungen für den menschlichen Körper von herkömmlichen Mammographien vermeidet: Die Patientin liegt bäuchlings auf dem Gerät und eine Öffnung an der Oberseite des Geräts lässt die Brust auf natürliche Weise in den Scanbereich fallen. Dort wird die Brust durch ein rotierendes Scansystem gemessen. Algorithmen fügen anschließend die einzelnen Scans zu einem 3D-Modell zusammen. Die Forscher gehen davon aus, dass sie noch in diesem Jahr über einen funktionsfähigen Prototypen verfügen werden.
Allein in der EU wurde im Jahr 2020 bei mehr als 355 000 Frauen Brustkrebs diagnostiziert, was 13,3 % aller Krebsdiagnosen entspricht. Die Früherkennung von Krebs kann die Sterblichkeitsrate senken, den Patientinnen und Patienten helfen, schneller zu genesen, und die Behandlungskosten reduzieren.
Hinweis für die Redaktionen
Informationen zu den Erfindern
Marco Stampanoni begann seine Forschungslaufbahn an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Im Jahr 2003 promovierte er in Physik mit dem Schwerpunkt Röntgentomographie und wurde mit der ETH-Medaille für seine herausragende Doktorarbeit ausgezeichnet. Daraufhin wechselte er im selben Jahr an die Lichtquelle Schweiz (SLS) des Paul-Scherrer-Instituts. Im Jahr 2008 wurde er Assistenzprofessor für Röntgenmikroskopie an der ETH Zürich und ist dort seit 2018 Professor. Er ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften. Dazu zählen die Schweizerische Physikalische Gesellschaft (seit 2002), die Schweizerische Gesellschaft für Biomedizinische Technik (seit 2005) und Institute of Electrical and Electronics Engineers Association (seit 2008).
Zhentian Wang hat sich auf die Gebiete Röntgenbildgebung, Computertomografie und Bildverarbeitung spezialisiert. Er studierte Physik am Department of Engineering Physics der Tsinghua Universität in Peking und wechselte 2010 an das Paul-Scherrer-Institut in die Schweiz, um als Postdoc bei Stampanoni zu forschen. Seit 2014 arbeitet er als Wissenschaftler am Institut für Biomedizinische Technik der ETH Zürich, um gemeinsam mit Stampanoni die klinische Phasenkontrast-Mammographie zu entwickeln. 2017 war er Mitgründer des Start-ups GratXray AG, wo er zudem die Rolle des Chief Technical Officer übernahm. Im August 2021 verließ er die Schweiz, um eine Stelle als außerordentlicher Professor für Röntgenbildung an der Tsinghua Universität anzutreten.
Die Erfinder trugen zu den europäischen Patenten EP2400891B1 (2017 erteilt), EP3140641B1 (2018 erteilt), EP3005289B1 (2018 erteilt) bei, die das PSI hält.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt Einzelpersonen und Teams, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, die sich aus früheren Finalisten des Preises zusammensetzt. Gemeinsam prüfen sie die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wohlstand. Das EPA verleiht den Preis in vier Kategorien (Industrie, Forschung, KMU und Nicht-EPO-Staaten) und wird darüber hinaus am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Zeremonie einen Preis für das Lebenswerk ausloben. Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 13 Finalisten über ein Online-Voting auf der Webseite es EPA ermittelt. Die Stimmenabgabe ist bis zum 21. Juni 2022 möglich. Lesen Sie mehr über die Teilnahmebedingungen und Auswahlkriterien für den Europäischen Erfinderpreis.
In diesem Jahr wird das EPA zum ersten Mal auch den Young Inventors prize vergeben. Der neue Preis für junge Menschen unter 30 ist mit einer Geldprämie für die drei Finalisten dotiert, um sie weiter zu ermutigen, kreative Lösungen für drängende Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu finden.
Über das EPA
Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
Pressekontakte Europäisches Patentamt
Luis
Berenguer Giménez
Leiter
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