T 2477/17 01-12-2021
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Relais
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2 (nein)
Beschwerdebegründung - vollständiger Sachvortrag eines Beteiligten
Beschwerdebegründung - Hilfsantrag 4 (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden betreffen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der festgestellt wurde, dass das europäische Patent Nr. 1 837 890 in geänderter Fassung gemäß dem mit Schreiben vom 27. Februar 2017 eingereichten Hilfsantrag 3 den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.
II. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte im schriftlichen Verfahren, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, oder auf der Grundlage des mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerde der Einsprechenden eingereichten Hilfsantrags 1 aufrecht zu erhalten, weiter hilfsweise die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Hilfsantrag 2), oder hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines ihrer ebenfalls mit der Erwiderung auf die Beschwerde der Einsprechenden eingereichten Hilfsanträge 3 bis 5 aufrecht zu erhalten.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, das europäische Patent zu widerrufen und die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
IV. In einer zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versandten Mitteilung unter Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien u.a. mit, dass sie zu der Auffassung neige, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 aus einer Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit dem Dokument D33 nahegelegt sei. Darüber hinaus scheine der Vortrag zu Hilfsantrag 4 nicht ausreichend substantiiert und folglich nicht zu berücksichtigen zu sein.
Keine der Parteien hat sich nach der Mitteilung der Kammer weiter schriftlich geäußert.
Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 1. Dezember 2021 als Videokonferenz statt.
Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm die Patentinhaberin sämtliche Anträge mit Ausnahme des Hilfsantrags 2 und des Hilfsantrags 4 zurück und trug erstmals neue Argumente zur Stützung der Patentierbarkeit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 sowie zur Substantiierung des Hilfsantrags 4 vor.
Die Einsprechende beantragte, die neuen Argumente der Patentinhaberin zu Hilfsantrag 2 aufgrund Verspätung unberücksichtigt zu lassen.
V. Der nachfolgend genannte, während des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung vorgebrachte Stand der Technik ist für die Entscheidung von Bedeutung:
Offenkundige Vorbenutzung V9, Dold Relais des Typs OA 5667, insbesondere die Dokumente D9 und D67.1 bis D67.3;
D33 : EP 1 143 474 A1.
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 (entspricht dem Anspruch 1 gemäß dem in der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrag 3) lautet wie folgt:
"Zwangsgeführtes Relais (11), mit einem Gehäuse (35), dessen Höhe geringer ist als dessen Breite, und dessen Breite geringer ist als dessen Länge,
umfassend:
ein die Länge oder Breite des Relais (11) ausfüllender elektromagnetischer Antrieb, welcher
- eine Spule (17) mit einem länglichen Kern (23) aus einem Magnetweicheisen, und eine um den Kern (23) vorliegende Wicklung, und
- einen Klappanker (21) umfasst;
welche Wicklung einen die Höhe des Gehäuses (35) praktisch ausfüllenden Durchmesser aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Klappanker (21) einen sich in Richtung des Kerns erstreckenden Antriebsarm (25) aufweist, der an seinem freien Ende mit einem Antriebskamm (27) zusammenwirkt;
mehrere Kontaktpaare (13), welche jeweils durch eine Kontaktfeder (29) und einen festen oder federförmigen Gegenkontakt (31) gebildet sind,
welche Kontaktfedern (29)
- einen Fuss (33) und ein freies Antriebsende (49), sowie einen Kontaktkopf (47) zwischen dem Fuss (33) und dem Antriebsende (49) aufweisen,
- jeweils mit dem Fuss (33) an voneinander beabstandeten Stellen entlang einer senkrecht zur Richtung des Kerns liegenden Seite des Gehäuses im Gehäuse (35) verankert sind, und
- sich in Richtung des Kerns (23) erstrecken, und
- mit den Antriebsenden (49) in zwangsführendem Eingriff mit dem Antriebskamm (27) stehen;
Kontaktpins (41) für die Kontaktpaare (13) und für den Antrieb (15), welche Kontaktpins senkrecht zu einer durch Breite und Länge definierten Oberfläche des Gehäuses aus dem Gehäuse (35) herausstehen,
bei welchem Relais
direkt neben dem Anker (21) ein Öffner angeordnet ist, dessen Kontaktfeder (29) in jeder Stellung des Ankers wenigstens annähernd parallel zum Antriebsarm (25) des Klappankers (21) verläuft; und
eine Trennwand (63) zwischen dem Klappanker (21) und dem Öffner (14) wenigstens im Bereich zwischen den Kontaktköpfen des Öffners und dem Antriebskamm (27) annähernd parallel zum Antriebsarm (25) des Klappankers (21) in seiner aktivierten von der Spule entferntesten Stellung verläuft, und
am Antriebskamm (27) zwischen der Kontaktfeder (29) des Öffners (14) und der Kontaktfeder (29) des an diesen anschliessenden Schliessers (13) ein die Luft- und Kriechwege zwischen den Kontaktfedern verlängernder Flügel (28) ausgebildet ist."
VII. Angesichts der Entscheidung der Kammer, ihr Ermessen unter Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend auszuüben, das Vorbringen der Patentinhaberin zu Hilfsantrag 4 nicht zu berücksichtigen, ist der Wortlaut der Ansprüche des Hilfsantrags 4 hier nicht wiedergegeben.
VIII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Patentinhaberin lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Hilfsantrag 2
Der auf einer Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit Dokument D33 basierende Vortrag der Einsprechenden sei erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden und folglich nicht zu berücksichtigen.
Gegenüber den Flügeln nach D33 seien die anspruchsgemäßen Flügel relativ großbauend ausgeführt und bildeten einen wesentlichen Teil der Trennwand. Die anspruchsgemäße Anordnung mit verschiebbaren großbauenden Flügeln sei besonders platzsparend. Der Antriebskamm greife zudem anspruchsgemäß oberhalb der Kontaktköpfe an, wohingegen dies nach D33 unterhalb der Kontaktköpfe geschehe. Das anspruchsgemäße Relais sei kleinbauend ausgeführt. Bei dem Relais nach V9 stelle sich aufgrund der getrennten Kammern die Problematik der Luft- und Kriechstrecken nicht in dominanter Weise. Die Bewegungsrichtung des Antriebskamms zu den Öffnungen in den Trennwänden passe bei D33 verglichen mit V9 nicht zusammen.
Aus den der Vorbenutzung V9 zugehörigen Zeichnungen D67.1 bis 3 ergebe sich, dass das dort abgebildete Relais OA 5667.16/2847L1 der Firma Dold (im Folgenden "Dold-Relais") ein Gehäuse mit 2 Kammern zur Unterbringung von jeweils bis zu 3 Kontaktfedern aufweise. Damit sei es möglich, insgesamt 8 verschiedene Konfigurationen des Dold-Relais herzustellen, je nachdem, ob die Kammern jeweils mit einem Öffner-, einem Schließer- oder einem Wechselkontakt bestückt würden. Das Dold-Relais ziele daher auf größtmögliche Flexibilität ab, wohingegen das Relais der Patentinhaberin möglichst kompakt sein solle. Das Anbringen eines patentgemäßen Flügels sei einerseits aufgrund der geometrischen Verhältnisse, d.h. aufgrund der beengten Platzverhältnisse innerhalb der Kammern des Gehäuses des Dold-Relais, aber auch aufgrund des Verlusts der angestrebten Flexibilität abwegig. Darüber hinaus entspreche der in Dokument D33 gezeigte Flügel nicht der mit dem Patent geschützten "mobilen Trennwand", bei welcher der beanspruchte Flügel als Teil der Trennwand wirke, wodurch Platz geschaffen werde und eine besonders kompakte Bauform des patentgemäßen Relais möglich sei. Gemäß D33 würde kein Flügel mitgenommen, welcher die Kontaktfeder schütze. In D33 diene der Flügel dazu, die Durchbrüche in den Trennwänden 53 abzudecken. Entgegen dem anspruchsgemäßen Relais seien die Trennwände nach D33 feststehend. Es sei darüber hinaus auch nicht bekannt, neben dem Anker einen Öffner anzuordnen. Auch dies diene der kompakten Bauform, welche bereits in der Aufgabenstellung des Patents erläutert sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher durch eine Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit Dokument D33 nicht nahegelegt.
Hilfsantrag 4
Hinsichtlich der Substantiierung von Anträgen seien Verweise auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren zulässig und ausreichend. In der Beschwerdeerwiderung habe die Patentinhaberin auf ihren Schriftsatz vom 27. Februar 2017 verwiesen, in welchem der Hilfsantrag 4 ausreichend substantiiert sei. Darüber hinaus sei der Hilfsantrag 4 auch zulässig, da in Artikel 12 (2) VOBK 2007 ausgeführt sei, dass alle Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, als Anlagen beizufügen seien, soweit es sich nicht um im Zuge des Erteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahrens bereits eingereichte Unterlagen oder vom Amt in diesen Verfahren erstellte oder eingeführte Schriftstücke handelt. Da der Hilfsantrag 4 bereits während des Einspruchsverfahrens eingereicht worden sei, sei er daher zulässig. Zudem gehe es im Beschwerdeverfahren um die Sache, d.h. das Patent, dessen Fortbestand Vorrang habe über eventuelle formelle Mängel der Beschwerde. Daher seien die Sachfragen jedenfalls zu behandeln. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 sei lediglich eine Kombination der erteilten Ansprüche 1, 6 und 8. Die Einsprechende könne daher nicht überrascht sein. Somit sei der Hilfsantrag 4 zu berücksichtigen.
IX. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Einsprechenden lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Hilfsantrag 2
Der vorgetragene Angriff basierend auf der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit Dokument D33 sei im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Die Einspruchsabteilung habe in ihrer vorläufigen Meinung den erteilten Anspruch 6 für nicht erfinderisch gehalten. Folglich habe die Einsprechende während des Einspruchsverfahrens keine Veranlassung gehabt, einen neuen Angriff gegen Hilfsantrag 3 vorzubringen. Dann habe die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Meinung geändert und für den Gegenstand des vormaligen Hilfsantrags 3, welcher lediglich eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 6 darstelle, eine erfinderische Tätigkeit festgestellt.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei aus einer Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit dem Dokument D33 nahegelegt. Die schriftlich vorgebrachten Argumente der Patentinhaberin gingen am Wortlaut des Anspruchs 1 vorbei. Auch die von der Patentinhaberin mündlich vorgetragenen Argumente fänden keine Stütze in Anspruch 1 oder im Patent. Das Patent enthalte kaum Offenbarungen zum Flügel. In Absatz [0052] sei nur angegeben, dass der Flügel dazu diene, die Luft- und Kriechstrecken zu verlängern. Gerade dies sei explizit aus D33 bekannt. Die angebliche mobile Trennwand entspreche darüber hinaus nicht der Trennwand 63 des Anspruchs 1. Dies sei aus Figur 1 des Patents ersichtlich, in der die beanspruchte Trennwand 63 keinerlei Bezug zu den Flügeln habe. Der Fachmann sei auch nicht aus Gründen verminderter Flexibilität daran gehindert gewesen, einen Flügel im Sinne des Dokuments D33 bei dem Relais nach V9 vorzusehen.
Hilfsantrag 4
Der Hilfsantrag 4 sei nicht ausreichend substantiiert. Ein Verweis auf Vorbringen im Einspruchsverfahren sei nicht ausreichend. Außerdem habe die Kammer in ihrer Mitteilung unter Artikel 15 (1) VOBK auf die mangelnde Substantiierung hingewiesen und die Patentinhaberin habe trotzdem bis zur mündlichen Verhandlung abgewartet, ehe sie erstmals Argumente hinsichtlich des Hilfsantrags 4 vorgebracht habe. Diese seien jedoch verspätet.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerden
Die Beschwerde der Einsprechenden wurde frist- und formgerecht eingereicht und ausreichend substantiiert. Die Beschwerde der Einsprechenden ist daher zulässig.
Die Beschwerde der Patentinhaberin wurde frist- und formgerecht eingereicht und zumindest hinsichtlich des vormaligen Hauptantrags ausreichend substantiiert. Daher ist auch die Beschwerde der Patentinhaberin zulässig.
2. Hilfsantrag 2
Zulässigkeit des Vorbringens der Einsprechenden - Artikel 12 (4) VOBK 2007
2.1 Der auf eine Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit dem Dokument D33 beruhende Vortrag der Einsprechenden ist nicht vom Verfahren auszuschließen.
Der Hilfsantrag 2 entspricht dem der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zugrundeliegenden seinerzeitigen Hilfsantrag 3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich lediglich durch die Merkmale des erteilten Anspruchs 6 vom Gegenstand des erteilten Anspruchs. Die Patentinhaberin hat die offenkundige Vorbenutzung V9 nicht bestritten. Die Merkmale des erteilten Anspruchs 1 waren von beiden Parteien im schriftlichen Verfahren als unstrittig aus der Offenbarung der offenkundigen Vorbenutzung V9 bekannt angesehen worden.
Die Patentinhaberin beantragte, den auf einer Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit der Offenbarung des Dokuments D33 beruhenden Vortrag der Einsprechenden nicht zum Verfahren zuzulassen, da dieser zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden und damit verspätet vorgetragen worden sei.
Die Kammer stimmt der Patentinhaberin nicht zu. Der erteilte Anspruch 6 war von der Einsprechenden zwar im erstinstanzlichen Verfahren nur in Verbindung mit der Vorbenutzung V6 sowie den Dokumenten D22 und D28 angegriffen worden. Die Einspruchsabteilung hatte jedoch in ihrer vorläufigen Meinung vor der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, der erteilte Anspruch 6 sei nicht erfinderisch, da das Dokument D24 der offenkundigen Vorbenutzung V6 einen Flügel offenbare, welcher die Luft- und Kriechwege zwischen der Kontaktfeder des Öffners und der Kontaktfeder eines an diesen anschließenden Schließers verlängere.
Obgleich es sich bei dem seinerzeitigen Hilfsantrag 3 um eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 6 handelte, hat die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung die Ansicht vertreten, dass der beanspruchte Gegenstand erfinderisch sei. Damit hat sie entgegen ihrer vorläufigen Auffassung entschieden.
Die Einsprechende macht daher zurecht geltend, vor der mündlichen Verhandlung keinen Anlass gehabt zu haben, weitere Angriffe gegen den erteilten Anspruch 6 vorzubringen und durch die Änderung der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung überrascht worden zu sein.
Das Dokument D33 wurde zudem bereits mit der Einspruchsbegründung eingereicht und es handelt sich um eine Patentanmeldung der Patentinhaberin.
Die Kammer übt daher ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 unter den gegebenen Umständen dahingehend aus, den auf eine Kombination der Vorbenutzung V9 mit dem Dokument D33 gestützten Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht vom Beschwerdeverfahren auszuschließen.
Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 beruht entgegen den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
V9 ist nach Ansicht der Kammer und nach unstreitiger Ansicht der Parteien als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Das Dokument D33 offenbart mit dem Schild 59 einen anspruchsgemäßen Flügel und zwar zum gleichen Zweck wie das Streitpatent. Ausgehend von dem Unterscheidungsmerkmal am Antriebskamm zwischen der Kontaktfeder des Öffners und der Kontaktfeder des an diesen anschliessenden Schliessers einen die Luft- und Kriechwege zwischen diesen Kontaktfedern verlängernden Flügel auszubilden, besteht die objektive Aufgabe darin, ein zwangsgeführtes Relais zu schaffen, bei welchem ein ausreichender Luft- und Kriechweg zwischen den Kontaktfedern eingerichtet ist. Bei der Lösung dieser Aufgabe, hätte der Fachmann die Lehre der Vorbenutzung V9 mit jener des Dokuments D33 kombiniert und wäre in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt. Denn, wie die Einsprechende zutreffend dargelegt hat, offenbart D33 an verschiedenen Stellen, wie die Luft- und Kriechstellen zwischen den Kontaktelementen benachbarter Kontakte durch Schilde 59 zu verlängern sind (z.B. Absätze [0004], [0011], und [0028], sowie Anspruch 14), welche explizit derselben Funktion wie die anspruchsgemäßen Flügel dienen, nämlich die Luft- und Kriechstrecken zu verlängern. Somit gibt D33 auch einen Hinweis darauf, wie die objektive Aufgabe zu lösen ist. Die Kammer stimmt der Einsprechenden daher zu, dass der Fachmann die aus D33 bekannten Schilde auf das Dold-Relais gemäß V9 anwenden und in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde.
2.3 Das schriftliche Vorbringen der Patentinhaberin zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 überzeugt die Kammer nicht, da es am Anspruchswortlaut vorbeigeht.
2.4 Hinsichtlich des abweichenden Aufbaus des Relais gemäß D33 kommt es entgegen den Ausführungen der Patentinhaberin hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit nicht auf die Art des Antriebs und des Antriebskamms an, da diese Merkmale bereits unstrittig aus der offenkundigen Vorbenutzung V9 bekannt sind, sondern lediglich auf das Vorhandensein eines, irgendwie gestalteten, Flügels am Antriebskamm und zwischen benachbarten Kontaktpaaren.
2.5 Die Kammer stimmt der Patentinhaberin auch nicht dahingehend zu, dass das in Anspruch 1 des Streitpatents definierte Relais als kleinbauend zu bezeichnen ist. Es mag zwar sein, dass sich durch die Merkmale des Anspruchs 1 bei entsprechend dichter Anordnung der einzelnen Elemente zueinander eine besonders kleine Bauform erreichen lässt. Dies lässt der Wortlaut des Anspruchs 1 jedoch völlig offen. Insofern ist auch der durch die Patentinhaberin geltend gemachte Unterschied gegenüber dem "großbauenden" Relais gemäß Dokument D33 nicht durch den Anspruchswortlaut des Streitpatents gestützt.
2.6 Auch die während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten neuen Argumente der Patentinhaberin überzeugen die Kammer nicht, da die von der Patentinhaberin vorgetragenen Vorteile und Unterschiede ebenfalls am Anspruchswortlaut vorbeigehen.
2.7 Die Einsprechende hatte in diesem Zusammenhang beantragt, das neue Vorbringen der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung nicht zu berücksichtigen. Eine Entscheidung der Kammer diesbezüglich kann jedoch dahinstehen, da das neue Vorbringen der Pateninhaberin sachlich nicht überzeugend ist.
2.8 Die Patentinhaberin hat zusätzlich und entgegen ihrem schriftlichen Vorbringen geltend gemacht, V9 offenbare zusätzlich nicht, dass angrenzend an den Klappanker ein Öffner angeordnet sei. Dies ist jedoch unzutreffend. Wie sich aus der Figur der Anlage D67.3 der offenkundigen Vorbenutzung V9 unmittelbar ergibt, ist der an den Klappanker angrenzende Kontakt des Dold-Relais im nicht aktivierten Zustand des Relais geschlossen, also ein Öffner im fachüblichen Sinn. Das strittige Merkmal ist daher, wie bereits im schriftlichen Verfahren festgestellt, bereits aus V9 bekannt.
2.9 Es mag auch sein, dass sich in der Praxis die verkauften Relais der Einsprechenden und der Patentinhaberin deutlich unterscheiden. Hierauf kommt es jedoch im Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht an. Maßgeblich für die Bewertung, ob eine patentfähige Erfindung vorliegt, ist der Wortlaut der Patentansprüche in ihrer breitesten Form.
2.10 Das Argument der Patentinhaberin, dass laut Anspruch 1 der Flügel eine mobile Trennwand darstelle, welche sich nicht im Stand der Technik finde, überzeugt die Kammer ebenfalls nicht.
Einerseits findet sich in Absatz [0052] der Beschreibung des Patents zum Merkmal "Flügel" lediglich eine sinngemäße Wiederholung des Anspruchswortlauts, dass der Antriebskamm mit Flügeln ausgerüstet ist, welche die Kriech- und Luftstrecken zwischen den benachbarten Kontaktpaaren verlängerten. Angaben über eine mobile Trennwand finden sich im gesamten Patent jedoch nicht. Dies deckt sich auch mit der Offenbarung der Figur 1, wonach die dort gezeigten Flügel, entgegen den Argumenten der Patentinhaberin, nicht mit der dort ebenfalls gezeigten anspruchsgemäßen Trennwand 63 zusammenwirken. Diese ist laut Anspruch 1 zwischen dem Klappanker und dem Öffner angeordnet. Die Flügel sind jedoch zwischen benachbarten Kontaktpaaren des Relais angeordnet und betreffen daher gerade nicht die beanspruchte Trennwand 63 zwischen Klappanker und Öffner, sondern die Trennwände zwischen den Relaiskammern. Die anspruchsgemäße Trennwand 63 hat somit, wie von der Einsprechenden vorgetragen, nichts mit den beanspruchten Flügeln zu tun. Die Kammer ist daher nicht davon überzeugt, dass die von der Patentinhaberin vorgebrachte Wirkung einer "mobilen Trennwand" durch die beanspruchte Trennwand 63 in Verbindung mit den beanspruchten Flügeln 28 verwirklicht ist. Dafür spricht auch der explizite Anspruchswortlaut, welcher sich mit dem Inhalt der Beschreibung deckt, dass die Flügel lediglich dazu dienen, die Luft- und Kriechwege zwischen benachbarten Kontaktpaaren zu verlängern. Weitere Wirkungen der Flügel sind im Patent nicht offenbart.
2.11 Auch das angebliche Hindernis für den Fachmann, die im Dold-Relais gemäß V9 vorliegende Flexibilität durch Anbringen eines Flügels am Antriebskamm gemäß D33 nicht aufgeben zu wollen, liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor.
Da der Anspruch 1 den Flügel ausschließlich über dessen Wirkung definiert und keinerlei Dimensionierung vorgibt, verbietet sich nach Auffassung der Kammer eine Beurteilung aufgrund geometrischer Verhältnisse. Die Größe des Flügels hängt von der Gesamtdimensionierung des Relais, insbesondere der gewünschten Spannungsfestigkeit unter Berücksichtigung der Kontaktabstände innerhalb des Relaisgehäuses ab. Anspruch 1 gibt hierzu keinerlei Hinweis, sodass auch nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Fachmann aufgrund der Abmessungen der Kammern des Dold-Relais daran gehindert wäre, die Flügel zum Zweck der Verlängerung von Luft- und Kriechwegen vorzusehen. Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Fachmann, entgegen den Ausführungen der Patentinhaberin, die aus D33 bekannten Flügel mit dem Dold-Relais aus V9 kombiniert hätte.
2.12 Die Kammer hält daher an ihrer bereits in der Mitteilung unter Artikel 15 (1) VOBK geäußerten Meinung fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 aus einer Kombination der offenkundigen Vorbenutzung V9 mit der Lehre des Dokuments D33 nahegelegt ist. Der Hilfsantrag 2 der Patentinhaberin ist folglich nicht gewährbar.
3. Hilfsantrag 4 - Artikel 12 (3) VOBK 2020 bzw. Artikel 12 (2) VOBK 2007
3.1 Die Kammer ist von den Argumenten der Patentinhaberin, der Vortrag zu Hilfsantrag 4 sei ausreichend substantiiert worden, nicht überzeugt. Ein Verweis auf entsprechendes Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren ist grundsätzlich nicht ausreichend, um die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK 2020 bzw. Artikel 12 (2) VOBK 2007 zu erfüllen.
3.2 Die Tatsache, dass ein Antrag bereits vor der ersten Instanz gestellt worden ist, befreit nicht von der Substantiierungspflicht gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2007.
3.3 Der von der Patentinhaberin zitierte Teil des Satzes 3 in Artikel 12 (2) VOBK 2007,
"Alle Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, sind a) als Anlagen beizufügen, soweit es sich nicht um im Zuge des Erteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahrens bereits eingereichte Unterlagen oder vom Amt in diesen Verfahren erstellte oder eingeführte Schriftstücke handelt;"
betrifft lediglich die Frage, inwieweit in der Beschwerdebegründung oder der Erwiderung Anlagen beizufügen sind, und nicht die Kriterien, welche für eine ausreichende Substantiierung erforderlich sind. Somit kann aus Artikel 12 (2) Satz 3 VOBK 2007 bzw. Artikel 12 (3) VOBK 2020 nicht der Schluss gezogen werden, dass jegliches Vorbringen zulässig wäre, nur weil es auf bereits eingereichte Unterlagen Bezug nimmt. (Siehe hierzu auch die Entscheidung T 1792/17, Gründe Nr. 3.2.8.)
3.4 Die Kriterien für die Zulässigkeit des Vorbringens einer Partei finden sich in den ersten beiden Sätzen des Artikels 12 (2) VOBK 2007, und lauten:
"Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und sollen ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen." (Hervorhebung durch die Kammer)
Artikel 12 (3) VOBK 2020 sieht eine vergleichbare Regelung vor.
Genau daran mangelt es dem Vortrag der Patentinhaberin jedoch. Weder auf Seite 4 noch auf Seite 25 der Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin findet sich irgendeine Angabe darüber, wo die im Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen ursprünglich offenbart sind oder warum die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 eine erfinderische Tätigkeit begründen sollten. Es ist folglich zwar angegeben worden, wie die angefochtene Entscheidung abgeändert werden soll (durch Aufrechterhaltung gemäß Hilfsantrag 4) aber eben nicht warum, d.h. aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung abzuändern.
Das pauschale Argument der Patentinhaberin auf Seite 25 ihrer Beschwerdebegründung,
"Weder die vorgebrachten Dokumente, noch die geltend gemachten Vorbenutzungen zeigen eine derartige Anordnung oder legen eine solche - auch in Kombination miteinander - nahe."
ist hierfür unzureichend. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einsprechende nicht weniger als neun unterschiedliche Angriffe aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit in ihrer Beschwerdebegründung gegen den der Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag vorgebracht hat, von dem sich der Hilfsantrag 4 lediglich durch ein zusätzliches Merkmal (konvergierende Kontaktfeder) unterscheidet. Bei der Durchsicht der vorgebrachten Dokumente hätte der Patentinhaberin zudem auffallen müssen, dass jedenfalls das Dold-Relais nach der mehrfach diskutierten Vorbenutzung V9 konvergierende Kontaktfedern benachbarter Kontaktfederpaare aufweist und entsprechende Argumente in ihrer Beschwerdeerwiderung vorbringen müssen. Da einige Entgegenhaltungen dieses zusätzliche Merkmal offenbaren, hätte die Patentinhaberin zumindest spezifisch zu den in den Entgegenhaltungen offenbarten Anordnungen vortragen müssen, um ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal substantiiert darzulegen. In der Erwiderung auf die Beschwerde der Einsprechenden hat die Patentinhaberin jedoch überhaupt nicht zu Hilfsantrag 4 vorgetragen, sondern lediglich auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren verwiesen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern jedoch nicht ausreichend.
3.5 Sogar unter der Annahme, dass ein Verweis auf einen Schriftsatz aus dem Einspruchsverfahren entgegen der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu Artikel 12 (2) VOBK 2007 bzw. Artikel 12 (3) VOBK 2020 zulässig wäre, ergäbe sich im Ergebnis nichts anderes.
Die einzigen Ausführungen im Schriftsatz der Patentinhaberin vom 27. Februar 2017 zur Substantiierung des Hilfsantrags 4 auf Seite 3 lauten:
"Anspruch 1 gemäss Hilfsantrag 4: Ausgangspunkt ist Hilfsantrag 3, der durch eine Kombination mit dem Unteranspruch 3 weiter eingeschränkt wurde. Die verbleibenden Unteransprüche sind unverändert Teil des vorliegenden Hilfsantrags."
Weder in dem oben wiedergegeben Absatz, noch in dem den Hilfsantrag 3 betreffenden Absatz des Schreibens vom 27. Februar 2017 findet sich irgendeine Information darüber, warum die Kombination der Merkmale der Hilfsanträge 3 oder 4 aus dem Einspruchsverfahren gegenüber dem Vorbringen der Einsprechenden neu und erfinderisch sein sollte. Daher wären auch die Angaben im genannten Schriftsatz aus dem Einspruchsverfahren ungeeignet, den Hilfsantrag 4 ausreichend zu substantiieren.
3.6 Für die Beschwerde kommt es entgegen den Ausführungen der Patentinhaberin auch nicht nur auf sachliche Argumente zur Patentierbarkeit an. Stattdessen betrifft das Beschwerdeverfahren vielmehr die Frage, ob eine getroffene Entscheidung aufzuheben, abzuändern, oder zu bestätigen ist. Dies ergibt sich bereits aus Artikel 106 EPÜ, in dem geregelt ist, dass durch die Beschwerde Entscheidungen u.a. der Prüfungsabteilungen oder der Einspruchsabteilungen anfechtbar sind. Primärer Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist folglich die angefochtene Entscheidung. Hierbei sind gegebenenfalls auch die von der Patentinhaberin genannten Sachfragen zu erörtern, aber eben nur in dem von der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vorgegebenen Rahmen. Die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hat dabei vornehmlich den Zweck, ein faires und effizientes Verfahren für alle Beteiligten sicherzustellen und nicht, wie von der Patentinhaberin behauptet, eine Grundlage dafür zu bieten, eine Sache anstatt aus sachlichen Gründen aufgrund formeller Mängel erledigen zu können.
3.7 Hinsichtlich der Substantiierungspflicht ist es darüber hinaus auch unerheblich, ob die Gegenpartei oder die Kammer durch einen neuen Antrag überrascht wurde. Die Tatsache, dass ein Antrag aus der Kombination von erteilten Ansprüchen besteht, wie im vorliegenden Fall der Hilfsantrag 4, macht eine Substantiierung des Vorbringens im Sinne des Artikels 12 (2) VOBK 2007 bzw. Artikel 12 (3) VOBK 2020 nicht entbehrlich.
3.8 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Vortrag der Patentinhaberin zu Hilfsantrag 4 im Sinne des Artikels 12 (2) VOBK 2007 bzw. Artikel 12 (3) VOBK 2020 nicht ausreichend substantiiert ist. Daher bleibt der Vortrag zu Hilfsantrag 4 gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt. Folglich wird auch Hilfsantrag 4 nicht berücksichtigt (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, V.A.4.12.5).
4. Schlussfolgerung
Da kein gewährbarer Antrag der Patentinhaberin vorliegt, gibt die Kammer dem Antrag der Einsprechenden statt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.