T 0309/22 20-10-2023
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SCHALENVERSCHLIESSMASCHINE
Offenkundige Vorbenutzung - substantiiert - (ja) - bewiesen - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende legten jeweils form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 3 138 778 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
Nachdem beide Verfahrensbeteiligte sowohl Beschwerdeführerin als auch Beschwerdegegnerin sind, werden sie einfachheitshalber im Weiteren als Patentinhaberin und Einsprechende adressiert.
II. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen wäre, während der Beschwerde der Patentinhaberin stattzugeben sein dürfte, d.h. das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten wäre.
Zu dieser Mitteilung der Kammer nahm keine der Beteiligten schriftsätzlich inhaltlich Stellung.
III. Am 20. Oktober 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
IV. Die Patentinhaberin beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag)
oder hilfsweise
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 4.
V. Die Einsprechende beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VI. Die vorliegende Entscheidung nimmt auf das Dokument
D1: DE 20 2009 009 242 U1
sowie auf die folgenden, im Zusammenhang mit den geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen der Maschine STAR2-HS genannten Dokumente Bezug:
E0a: "CFS - STAR 2 HS" Fotos der Maschine 135;
E0b: "CFS - STAR 2 HS" Fotos der Maschine 135;
E0c: Kopie einer Seite aus einer Gebrauchsanweisung mit der Bezeichnung "5802 1 HS 10/02";
E1: Auszug aus der Betriebsanleitung der Maschine '146;
E2: Fotos der Maschine '146 mit Seriennummer und Datum;
E3 bis E5: Videos der Maschine '146;
E7: Fotos der Maschine '145 mit Seriennummer und Datum;
E9: Auszug aus der Betriebsanleitung der Maschine '145;
E10 und E11: Videos der Maschine '145;
E13: Zeugenerklärung von K. S. Matharu;
E14 bis E17: Dokumentation über Änderungen des Gesellschaftsvertrags von CFS Palozzolo S.p.A.;
E18: Zweite Zeugenerklärung von K. S. Matharu;
E19: Ausschnitte aus einem Video betreffend CFS Palazzolo SPA STAR2HS Maschine No. 697-178 zugänglich auf https://www.youtube.com/watch?v=no8rEsbYtO0;
E20: Kopie des Videos aus E19;
E21: Kopie der Webseite https://dfm-auctions.com/lot-details/378/traysealing-packing-machine betreffend CFS Palazzolo SPA STAR2HS Maschine No. 697-107A;
E22: Kopie der Webseite https://www.machinio.com/listings/38821032-cfs-star-2hs-tray-sealing-machine-in-labiszyn-poland;
E23: Kopie der Fotos die auf der Seite E22 vorhanden sind.
VII. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung lautet:
"Schalenverschließmaschine (1), umfassend eine Greifervorrichtung (8) mit zwei Greiferarmen (9), eine Zuführvorrichtung (2) für unversiegelte Schalen (12), eine Abführvorrichtung (4) für versiegelte Schalen (12) und eine Siegelvorrichtung (3) zum Versiegeln der Schalen (12), dadurch gekennzeichnet, dass jeder Greiferarm (9) eine Kopplungsvorrichtung (15) aufweist, die dazu konfiguriert ist, einen ersten Schalengreifer (10) zum Zuführen von Schalen (12) in die Siegelvorrichtung (3) hinein und einen zweiten Schalengreifer (11) zum Abführen von Schalen (12) aus der Siegelstation (3) heraus aufzunehmen."
VIII. Die Einsprechende argumentierte, dass sämtliche Maschinen STAR2-HS der geltend gemachten Vorbenutzungen vor dem Anmeldetag des Streitpatents hergestellt und im Wesentlichen technisch unverändert als Serienprodukte verkauft wurden. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sei nicht neu gegenüber den offenkundigen Vorbenutzungen der Maschinen STAR2-HS.
Ferner beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Patentinhaberin trug vor, dass die behaupteten Vorbenutzungen weder ausreichend substantiiert noch hinreichend bewiesen seien. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sei neu und erfinderisch.
Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Substantiierung der behaupteten Vorbenutzungen
1.1 Die Patentinhaberin wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.3.2.3 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass die gegen den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 vorgebrachten Vorbenutzungen ausreichend substantiiert worden seien, und argumentierte, dass die Umstände der behaupteten Vorbenutzungen nicht ausreichend beschrieben worden seien.
1.2 Laut Patentinhaberin beschränkten sich die Ausführungen der Einsprechenden zu den Umständen der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung darin, dass die durch CFS Palazzolo S.p.A. hergestellten Maschinen '135, '146 und '145 zu irgendeinem nicht näher spezifizierten Zeitpunkt vor dem Anmeldetag des Streitpatents auf irgendeine nicht näher spezifizierte Art und Weise zu Kerry Foods Ltd. gelangten und dort benutzt worden seien. Dies könne für eine Substantiierung der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung nicht ausreichen, da ohne Kenntnis der Umstände des Übergangs der Maschinen zu Kerry Foods Ltd. und der Umstände des Betriebs der Maschinen bei Kerry Foods Ltd. nicht beurteilt werden könne, ob, wann und in welchem Umfang die Maschinen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien.
1.3 Gemäß der ständigen Rechtsprechung sind die Voraussetzungen von Regel 76 (2) c) EPÜ bei einem auf eine offenkundige Vorbenutzung gestützten Einspruchsgrund erfüllt, wenn anhand der innerhalb der Einspruchsfrist in der Einspruchsschrift angegebenen Tatsachen Folgendes ermittelt werden kann:
- der Zeitpunkt der Vorbenutzung ("wann") zur Feststellung der Vorzeitigkeit der Benutzung,
- der Gegenstand der Vorbenutzung ("was") zur Prüfung ihrer Relevanz sowie
- die Umstände der Vorbenutzung ("wie") zur Bestätigung ihrer öffentlichen Zugänglichkeit
(siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, IV.C.2.2.8 i)).
Im gegenwärtigen Fall wurden mit der Einspruchsschrift klare Angaben zu "wann" (vor dem Einreichungsdatum), "was" (Maschinennummer 697-135 und 697-146 - "STAR2") und "wie" (verkauft von CFS Palazzolo S.p.A) (siehe Einspruchsschrift, Seiten 1 und 2, Kapitel "Prior art relied upon") gemacht.
1.4 Die Angaben zum "wann", "was" und "wie" der Vorbenutzung sind alles, was die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung innerhalb der Einspruchsfrist benötigen, um das Vorbringen der Einsprechenden zu verstehen, und damit die einzigen Voraussetzungen bezüglich der Substantiierung der offenkundigen Vorbenutzung. Alles Übrige, d. h., ob die behaupteten Tatsachen hinreichend bewiesen sind bzw. im Laufe des Einspruchsverfahrens mit Hilfe nachgereichter und zugelassener Beweismittel hinreichend bewiesen werden, ist eine Frage der materiellrechtlichen Begründetheit.
1.5 Die Kammer ist daher von der Argumentation der Patentinhaberin nicht überzeugt, sondern folgt der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt II.3.2.3 auf Seite 7) und der Einsprechenden.
Wie schon oben angegeben, hat die Einsprechende innerhalb der Einspruchsfrist vorgetragen, dass zwei Maschinen von CFS Palazzolo S.p.A. in 2002 (Maschine '135) und 2003 (Maschine '146) hergestellt und verkauft wurden und beschrieb deren technischen Merkmale. Die weiteren Umstände und das Datum der behaupteten Vorbenutzungen, dass es sich um Serienprodukte handelte, wurden nach dem Ablauf der Einspruchsfrist vorgetragen (siehe Schriftsätze der Einsprechenden vom 27. Mai 2020 und 26. März 2021).
1.6 Die Kammer folgt daher der Ansicht der Einspruchsabteilung, dass die behaupteten Vorbenutzungen ausreichend substantiiert wurden.
2. Beweis der behaupteten Vorbenutzungen
2.1 Beweismaß
Die Einspruchsabteilung wandte zur Beurteilung der vorgebrachten offenkundigen Vorbenutzungen das Beweismaß der Abwägung der Wahrscheinlichkeit an und begründete dies damit, dass es sich um eine Vorbenutzung von einer Drittpartei handele, bei der die Beweismittel nicht ausschließlich der Verfügungsmacht und dem Wissen der Einsprechenden unterlagen.
Die Kammer stellt das von der Einspruchsabteilung angewandte Beweismaß nicht in Frage.
2.2 Umstände der behaupteten Vorbenutzung
2.2.1 Die Einsprechende argumentierte, dass STAR2-HS Maschinen als Serienprodukte hergestellt und als solche frei auf dem Markt angeboten und verkauft worden seien.
Die Herstellung der Maschinen vor dem Einreichungstag des Streitpatents ergebe sich zum einen aus den Bezeichnungen an den Maschinen und zum anderen anhand der Unternehmensunterlagen E14 bis E17, da der Name CFS Palazzolo S.p.A., der auf den Fotos der Maschinen zu sehen sei, seit 2006 nicht mehr benutzt worden sei.
Dass die STAR2-HS Maschinen '145, '135 und '146, hergestellt und verkauft von CFS Palazzolo S.p.A., bei Kerry Foods verwendet worden seien, gehe aus den Erklärungen E13 und E18 eines Zeugen hervor. Da dieser Zeuge nicht der Kontrolle der Einsprechenden unterlegen hätte, wäre er nicht zur Vernehmung vor der Einspruchsabteilung verfügbar gewesen. Dies verringere aber nicht den Wert seiner Zeugenerklärungen als Beweismittel. Zumindest sollte diesem Beweismittel etwas Gewicht gegeben werden oder, sollte die Zeugenerklärungen gänzlich unberücksichtigt bleiben, wenigstens den in den Zeugenerklärungen enthaltenen Bildern.
Zusätzlich zu den spezifischen Maschinen, die bei Kerry Foods verwendet worden seien, seien die STAR2-HS Maschinen aber auch als allgemein kommerziell erhältlicher Maschinentyp verkauft worden (siehe E19 bis E23). Aus der Nummerierung der Maschinen ergebe sich die übereinstimmende Modelnummer 697 und aus der jeweiligen Seriennummer, dass die Maschinen in zeitlicher Reihenfolge hergestellt worden seien (Maschine 697-107A in 2002 (E21), Maschine 697-135 in 2002 (E0a), Maschine 697-145 in 2003 (E7), Maschine 697-146 in 2003 (E0b und E2), Maschine 697-178 in 2005 (E19, E20)). Dies spreche für eine Annahme einer Herstellung in Serie. Serienprodukte würden normalerweise frei auf dem Markt verkauft. Es sei wahrscheinlich, dass mehrere Maschinen an unterschiedliche Abnehmer in unterschiedliche Länder (Vereinigtes Königsreich, Niederlande, Polen) nicht unter Geheimhaltung verkauft worden seien. Es wäre außergewöhnlich, dass diese Maschinen unverkauft blieben oder Anfang 2000 hergestellte Maschinen erst mehrere Jahre nach ihrer Herstellung zum Verkauf angeboten würden.
Auch aufgrund der Konformitätserklärung E9 sei davon auszugehen, dass die Maschine '145 vor dem Einreichungstag ohne Geheimhaltungsverpflichtung verkauft worden sei.
2.2.2 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt, sondern folgt hingegen dem Vortrag der Patentinhaberin.
Unstreitig ist zwar, dass die STAR2-HS Maschinen vor dem Einreichungstag des Streitpatent hergestellt wurden. Allerdings wurde zu einem konkreten Verkauf der Maschinen von CFS Palazzolo S.p.A. an Kerry Foods Ltd. nicht vorgetragen.
Auch der behauptete Betrieb der Maschinen bei der Kerry Foods Ltd. wurde nicht nachgewiesen. Jeglicher Bezug zur Kerry Foods Ltd. wurde ausschließlich durch die Zeugenerklärungen E13 und E18 hergestellt. Aufgrund der Entscheidung der Einspruchsabteilung, diese Erklärungen nicht zu berücksichtigen (siehe angefochtene Entscheidung, Seite 8, letzter Absatz, bis Seite 9, erster Absatz), ist daher nicht ersichtlich, dass die diesbezüglich behaupteten Vorbenutzungen ausreichend bewiesen wurden.
Der Inhalt der Erklärungen E13 und E18 bleibt auch im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt, weil die von der Patentinhaberin bestrittenen Zeugenerklärungen nicht verifiziert werden konnten und keine Möglichkeit geboten wurde, sich von der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu überzeugen.
Die Kammer ist auch nicht überzeugt, dass bei lediglich fünf Maschinen, die in der angefochtenen Entscheidung angegeben sind (siehe angefochtene Entscheidung, Seite 10, zweiter Absatz), eine Serienproduktion anzunehmen ist. Dafür, dass die Maschinen frei auf dem Markt als Serienprodukte angeboten und verkauft worden seien, fehlt aus Sicht der Kammer ein hinreichender Beweis.
Zwar kann der Einsprechenden insofern zugestimmt werden, dass die Konformitätserklärung E9, die am 5. März 2003 unterschreiben wurde, einen Hinweis auf einen Verkauf der Maschine '145 im März 2003 oder kurz danach geben könnte. Allerdings ist aus dieser Konformitätserklärung nicht ersichtlich, welche Merkmale die Maschine '145 zum Zeitpunkt eines solchen möglichen Verkaufs aufwies. Somit ist unklar, was in diesem Fall verkauft worden wäre (siehe Punkt 2.3.2 unten).
Daher ist festzustellen, dass die Umstände zur Bestätigung der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzungen nicht ausreichend bewiesen sind.
2.3 Gegenstand und Zeitpunkt der behaupteten Vorbenutzung
2.3.1 Die Einsprechende argumentierte, dass die technischen Merkmale der Maschinen den eingereichten Unterlagen entnommen werden könnten. Die Fotos und Videos der Maschinen seien so ähnlich, dass davon auszugehen sei, dass die Maschinen grundsätzlich die gleichen technischen Merkmale aufwiesen. Die Gesamtheit der Beweismittel weise darauf hin, dass die Maschinen STAR2-HS zwischen 2002 und 2005 technisch unverändert als Serienprodukte angeboten und dass die Maschinen '135, '145 und '146 seitdem nicht geändert worden seien. Es sei daher sehr unwahrscheinlich, dass alle diese Maschinen unabhängig voneinander auf dieselbe Weise umgebaut worden sind.
Zudem zeige der Auszug aus einer Gebrauchsanweisung E0c bzw. E1 relevante technische Merkmale der Maschine '146. Die zweite Seite von E1 zeige zusätzlich den Vermerk "print: 10/03/2003". Dies entspreche dem Herstellungsdatum der Maschine '146. Ferner werde ein Ordner mit einer Gebrauchsanweisung im Video E3 gezeigt. E0c bzw. E1 sei ein Foto einer Seite aus der losen Blattsammlung der Gebrauchsanweisung. E21 zeige Seiten aus einer ähnlichen Gebrauchsanweisung (ähnliches Layout, Nummerierungen und ähnlicher Font). Somit sei es sehr wahrscheinlich, dass die Gebrauchsanweisung E1 die Maschine '146 vor dem Einreichungstag des Streitpatents zeige.
Die Zangentransportgruppen der Maschinen seien zwar teilweise mit einer unterschiedlichen Anzahl an Zungen vorgesehen. Dies sei aber lediglich dem Umstand geschuldet, dass die verschiedenen Abnehmer der Maschinen unterschiedliche Schalengreifer einsetzen könnten. Dass sich die Art der Schalengreifer je nach Verwendung ändern könne, sei bekannt. Allerdings sei das gemeinsame Grundkonzept stets vorhanden, wonach alle Maschinen zwei Paare von Schalengreifern mit Kopplungsvorrichtungen aufwiesen. Es sei unwahrscheinlich, dass die als Kern der Maschine zu betrachtende Kopplungsvorrichtung geändert worden sei.
Die Zeugenerklärungen E13 und E18 bestätigten die Verbindung, dass die Maschinen '146, '135 und '145 seit dem Einreichungstag des Streitpatents nicht substantiell verändert worden seien und dabei stets eine Greifervorrichtung mit zwei Greifarmen aufwiesen, die jeweils zwei Schalengreifern enthielten, bei denen die beiden Schalengreifer jeweils in einer Kopplungseinrichtung aufgenommen seien.
2.3.2 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt, sondern folgt hingegen dem Vortrag der Patentinhaberin.
Wie von der Einsprechenden selbst zugestanden, wurden die Bilder und Videos der angeblich bei Kerry Foods Ltd. verwendeten Maschinen nach dem Anmeldetag des Streitpatents aufgenommen (siehe Schriftsatz der Einsprechenden vom 26. März 2021, Seite 2, erster Absatz). Es gibt auch keinen Hinweis auf das Entstehungsdatum der Dokumente E19 bis E23, so dass diese sowohl vor als auch nach dem Anmeldetag des Streitpatents entstanden sein könnten.
Somit ist nicht bewiesen, dass die in den Fotos und Videos gezeigten Maschinen bereits vor dem Anmeldetag des Streitpatents in dem Zustand waren, der in den Fotos und Videos gezeigt ist. Es ist möglich, dass die Maschinen durch die Betreiber selbst umgebaut wurden. Auch ein nachträglicher Umbau der Maschinen mit Hilfe eines von dem Hersteller oder einem Dritten bereitgestellten Ergänzungssets wäre denkbar. In diesem Fall könnten sogar mehrere Maschinen bei unterschiedlichen Betreibern unabhängig voneinander auf dieselbe Art und Weise umgebaut worden sein. Ein Umbau der Maschinen innerhalb eines Zeitraums von ungefähr 12 Jahren (von der angenommenen Herstellung der Maschinen bis zum Anmeldetag des Streitpatents) ist weder auszuschließen noch wäre dies ungewöhnlich. Dass ein Umbau kompliziert und daher unwahrscheinlich wäre, ist eine reine, nicht überzeugende Behauptung der Einsprechenden.
Ohne weitere Details zu den einzelnen Maschinen kann daher nicht angenommen werden, dass die Aufnahmen den Zustand der Maschinen vor dem Anmeldetag des Streitpatents darstellen.
Dass es unwahrscheinlich erscheine, dass alle Maschinen unabhängig voneinander auf dieselbe Weise umgebaut worden seien, belegt hingegen nicht, dass alle Maschinen STAR2-HS zwischen 2002 und 2005 technisch unverändert als Serienprodukte angeboten wurden und kann auch nicht als Beweis gelten, dass insbesondere die Maschinen '135, '145 und '146 nicht nachträglich geändert wurden.
Zudem gibt es keinen Nachweis, dass die Beweismittel E0c und E1 tatsächlich Seiten aus einem Handbuch der Maschine '146 sind oder E21 tatsächlich eine Gebrauchsanweisung wie E0c und E1 zeigt.
In der Tat gibt es eine Diskrepanz zwischen E1 und E3 in der Anzahl der übereinander angeordneten Greiferplatten. Es ist somit fraglich, ob die in E1 gezeigte Zangentransportgruppe überhaupt in der Maschine '146 eingesetzt wurde. Außerdem kann die Diskrepanz zwischen E1 und E3 darauf hindeuten, dass die Zangentransportgruppe zu einem nicht bekannten Zeitpunkt modifiziert oder angepasst wurde. Somit ist es durchaus denkbar, dass die Maschine '146 erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents in den in den Beweismitteln dargestellten Zustand gebracht wurde.
Die Zeugenerklärungen E13 und E18 sind aufgrund der oben unter Punkt 2.2.2 angegeben Gründe auch in diesem Zusammenhang unbeachtlich.
Die Kammer ist daher nicht überzeugt, dass die als Beweismittel vorgelegten Fotos und Videos die technischen Merkmale der Maschinen zeigen, wie sie vor dem Einreichungstag des Streitpatents bzw. bei einem etwaigen Verkauf der Maschinen waren, und dass an den Maschinen Modifikationen seit deren Herstellung unwahrscheinlich waren. Es gibt keinen ausreichenden Nachweis, mit welchen technischen Merkmalen der Gegenstand der geltend gemachten Vorbenutzungen eigentlich verkauft wurde.
Der Gegenstand und der Zeitpunkt der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung ist somit fraglich.
2.4 Die behaupteten Vorbenutzungen der Maschine STAR2-HS wurden zur Überzeugung der Kammer daher nicht ausreichend bewiesen.
2.5 Somit bilden die behaupteten Vorbenutzungen keinen Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ.
Dem Gegenstand von Anspruch 1 steht somit kein neuheitsschädlicher Stand der Technik entgegen.
3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)
3.1 Die Einsprechende wandte ein, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von der Offenbarung von D1 dadurch, dass die Kopplungsvorrichtung jedes Greiferarms dazu konfiguriert sei, einen ersten Schalengreifer zum Zuführen von Schalen in die Siegelvorrichtung und einen zweiten Schalengreifer zum Abführen von Schalen aus der Siegelstation aufzunehmen.
Laut der Einsprechenden könne das technische Problem ausgehend von D1 entsprechend dem im Streitpatent, Absatz [0006], beschriebenen Problem formuliert werden. Die zur Erhöhung der Maschinenkapazität verlängerten Schalengreifer seien schwer zu handhaben und stellten insbesondere beim Transport auf einem Werkzeugwechselwagen ein Hindernis dar. Die Lösung dieses Problems bestehe darin, jeden Greiferarm in zwei Teile zu unterteilen, die über eine geeignete Kopplungsvorrichtung separat an einem Greiferarm befestigt werden könnten.
Figur 4 von D1 zeige bereits, wie auch der im Streitpatent genannte Stand der Technik, eine lösbare Anordnung der Schalengreifer an den Greiferarmen und somit eine Kopplungsvorrichtung. Der einzige erforderliche Schritt wäre, jeden Schalengreifer in zwei Teile zu teilen.
Es sei jedoch eine aus anderen technischen Gebieten bekannte Routinetechnik, die keine erfinderische Tätigkeit erfordere, eine einzelne große Komponente durch zwei kleinere Komponenten zu ersetzen, die im Gebrauch in geeigneter Weise miteinander gekoppelt seien, um die gleiche Funktion wie eine einzelne große Komponente auszuüben. Beispielsweise seien Leitern routinemäßig mit zwei oder mehreren Abschnitten versehen, die bei Verwendung miteinander gekoppelt seien, um eine größere Reichweite zu schaffen, aber eine Bewegung und Lagerung zu erleichtern, wenn die Leiter nicht benötigt werde. In der lebensmittelverarbeitenden Industrie, in der Schalenverschließmaschinen verwendet würden, sei es üblich, mehrere kürzere Förderbänder für den Transport von Lebensmitteln und Verpackungen über eine bestimmte Strecke anstelle eines einzigen großen Förderbands vorzusehen, um die Herstellung und Installation der Förderbänder zu erleichtern.
Da es naheliegend sei, einen Schalengreifer aus zwei Teilen zu formen, wäre es auch naheliegend, zwei Teile mit gleicher Länge vorzusehen, da dies die maximale Länge jedes Teils minimiere. Dabei sei es unvermeidlich, dass ein Teil für die Zuführung von Schalen zur Versiegelungsvorrichtung und der andere Teil für Entnahme von Schalen aus der Versiegelungsvorrichtung konfiguriert werden müsse, da eine gleiche Anzahl von Schalen wie die zugeführten entnommen werden müsse.
3.2 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung von D1 zumindest dadurch, dass die Kopplungsvorrichtung eines Greiferarms dazu konfiguriert ist, einen ersten Schalengreifer zum Zuführen von Schalen in die Siegelvorrichtung hinein und einen zweiten Schalengreifer zum Abführen von Schalen aus der Siegelstation heraus aufzunehmen.
Aufgrund dieses Unterschieds wird die Länge der Schalengreifer etwa halbiert. Dadurch sind die Schalengreifer sowohl beim Wechsel als auch beim Transport auf einem Werkzeugwechselwagen sehr gut handzuhaben (siehe Streitpatent Absatz ([0006]). Die zugrunde liegende objektive technische Aufgabe kann somit gemäß Streitpatent unstreitig darin gesehen werden, eine Schalenverschließmaschine mit verbesserter Handhabbarkeit der Schalengreifer bereitzustellen (siehe Streitpatent, Absätze [0004], [0006], [0007]).
Bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, wenden die Beschwerdekammern nach gefestigter Rechtsprechung den "could would approach" an. Danach ist es nicht ausschlaggebend, ob eine Fachperson den Gegenstand des Streitpatents hätte ausführen können, sondern vielmehr, ob sie in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre des nächstliegenden Standes der Technik so abgewandelt hätte, dass sie zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre, weil dem Stand der Technik Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren (siehe RdB, a.a.O., I.D.5).
Die Kammer folgt der Patentinhaberin, dass die Fachperson ohne Kenntnis der vorliegenden Erfindung keine Veranlassung hätte, die Schalenverschließmaschine nach D1 so abzuändern, dass für das Zuführen von Schalen und das Abführen von Schalen getrennte Schalengreifer an einem Greiferarm vorgesehen sind. Denn weder D1 noch dem von der Patentinhaberin argumentierten Fachwissen ist eine Anregung dahingehend zu entnehmen, jeden Schalengreifer in zwei Teile zu unterteilen, die durch eine geeignete Kopplungseinrichtung getrennt an einem jeweiligen Greiferarm befestigt werden können. Es fehlt jeglicher Beweis, dass die beanspruchte Lösung auf dem vorliegenden technischen Gebiet zum Fachwissen der Fachperson gehört hätte.
Vielmehr sähe die Fachperson vom Vorsehen getrennter Schalengreifer ab, da sie bestrebt wäre, den bei einem Vorsehen zweier getrennter Schalengreifer erwarteten Mehraufwand beim Montieren oder Demontieren zu Wartungszwecken oder bei einem Formatwechsel zu vermeiden.
Gemäß Absatz [0021] von D1 soll die Masse des Schalengreifers gering gehalten werden. Dies hätte die Fachperson davon abgehalten, zwei getrennte Schalengreifer vorzusehen, die über jeweilige Befestigungsmittel angebracht werden müssten, was insgesamt eine höhere Masse bedeutete. In Absatz [0021] von D1 wird auch darauf hingewiesen, dass aufgrund hoher hygienischer Anforderungen schwer reinigbare Rillen vermieden werden sollen. Auch vor diesem Hintergrund wäre die Fachperson abgehalten, den einteiligen Schalengreifer von D1 zu ersetzen, und der Fachperson wäre das Vorsehen zweier getrennter Schalengreifer und zugehöriger Befestigungselemente als nicht erstrebenswert erschienen.
Die Argumentation der Einsprechende scheint hingegen vielmehr auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise in Kenntnis des Gegenstands des Streitpatents zu beruhen.
Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Schlussfolgerung
Die Patentinhaberin hat somit die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden Neuheit des Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in überzeugender Weise dargelegt.
Die Einsprechende hat keinen weiteren Einwand als den oben unter Punkt 3 angegebenen, aber letztlich nicht durchgreifenden Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag vorgebracht.
Somit steht kein Einwand der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung gemäß Hauptantrag entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.