T 1558/22 07-02-2024
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R&I- SCHEMA EINGABE
Erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik
Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (ja)
Berichtigung von Mängeln - sofort erkennbar dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung unter anderem festgestellt, dass der Gegenstand der erteilten unabhängigen Ansprüche auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer vorläufig die gegenteilige Auffassung vertreten.
III. Am 7. Februar 2024 fand in Anwesenheit aller Parteien eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
Während der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin einen Hilfsantrag 4a als Berichtigungsantrag für einen Fehler in Hilfsantrag 4 ein. Dessen Nichtzulassung unter Artikel 13(2) VOBK rügte die Beschwerdegegnerin als Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Die schriftlich eingereichte Rüge wurde wie folgt begründet:
"Die Patentinhaberin ist davon ausgegangen, mit Hilfsantrag 4 sämtliche unabhängige Ansprüche auf das Merkmal "domain-spezifische R&I-Schemata" eingeschränkt zu haben. Das war jedenfalls erkennbar ihr Antragsbegehren. Die Beschwerdekammer hat dies mit ihrer vorläufigen Mitteilung vom 2. Oktober 2023 auch so bestätigt, vgl. Ziff 3.2 des vorläufigen Hinweises.
Die unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags 4 enthalten das Merkmal mehrerer "domainspezifischer R&I-Schemata.
Die Richtigstellung des Hilfsantrags 4 in diesem Sinne wurde der Patentinhaberin unter Versagung ihres rechtlichen Gehörs verwehrt, obwohl dazu nur zwei formell nicht entsprechend präzisierte Ansprüche gestrichen werden sollten (in der Verhandlung vorgelegter HA 4a)."
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 4 (Hilfsantrag 4 in der korrigierten Fassung 4a wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht) aufrecht zu erhalten.
V. Die unabhängigen Ansprüche der Haupt- und Hilfsanträge haben folgenden Wortlaut:
Hauptantrag
1."Verfahren zum Steuern und/oder Überwachen einer Kompressoranlage umfassend ein oder mehrere Kompressoren (11, 12, 13) und ein oder mehrere Peripheriegeräte (14 bis 21),
wobei die Kompressoren (11, 12, 13) und Peripheriegeräte (14 bis 21) in einer vorbestimmten Konfiguration angeordnet bzw. verschaltet sind,
wobei die Kompressoranlage über eine Steuer-/Überwachungseinheit (22) gesteuert und/oder überwacht wird,
dadurch gekennzeichnet,
- dass einzelne oder alle Kompressoren (11, 12, 13) und/oder Peripheriegeräte (14 bis 21) sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit (22) anmelden und vorzugsweise auch ihre Spezifizierung selbständig übermitteln,
- dass, insbesondere nach Erstellung der Kompressoranlage, die konkret gegebene Konfiguration in Gestalt eines R&I-Schemas über einen Editor (23) eingegeben
- und nachfolgenden Steuer-, Überwachungs-, Diagnose- oder Auswertroutinen zugrunde gelegt wird."
13.(Unterschiede zu Anspruch 1 durch die Kammer hervorgehoben) "Verfahren zum Überwachen einer Kompressoranlage umfassend ein oder mehrere Kompressoren (11, 12, 13) und ein oder mehrere Peripheriegeräte (14 bis 21),
wobei die Kompressoren (11, 12, 13) und Peripheriegeräte (14 bis 21) in einer vorbestimmten Konfiguration angeordnet bzw. verschaltet sind,
wobei die Kompressoranlage über eine Steuer-/Überwachungseinheit (22) gesteuert und/oder überwacht wird,
wobei das Verfahren eine Prognose für den nächsten Wartungstermin der Kompressoranlage oder einzelner Kompressoren oder einzelner Peripheriegeräte erstellt, insbesondere nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
- dass, insbesondere nach Erstellung der Kompressoranlage, die konkret gegebene Konfiguration in Gestalt eines R&I-Schemas über einen Editor(23) eingegeben wird und diese Eingabe die Grundlage für ein oder mehrere Ausgangsmodelle bildet,
- dass einzelne oder alle Kompressoren (11, 12, 13) und/oder Peripheriegeräte (14 bis 21) sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit (22) anmelden und vorzugsweise auch ihre Spezifizierung selbständig übermitteln,
- dass basierend auf diesen Ausgangsmodellen (M1, M2, ?) ein oder mehrere abgeleitete Modelle (M , M , ?), die Wirkzusammenhänge zwischen den einzelnen Kompressoren (11, 12, 13) und der Peripheriegeräten (14 bis 21), ggf. auch dynamische Prozesse berücksichtigen, erstellt werden, und
- unter Berücksichtigung standardisierter Betriebsdaten der Kompressoranlage unter Verwendung des oder der abgeleiteten Modelle (M , M ,?) eine Prognose für den nächsten Wartungstermin erstellt wird."
14. (Unterschiede zu Anspruch 1 durch die Kammer hervorgehoben) "Verfahren zum Überwachen einer Kompressoranlage umfassend ein oder mehrere Kompressoren (11, 12, 13) und ein oder mehrere Peripheriegeräte (14 bis 21),
wobei die Kompressoren (11, 12, 13) und Peripheriegeräte (14 bis 21) in einer vorbestimmten Konfiguration angeordnet bzw. verschaltet sind,
wobei die Kompressoranlage über eine Steuer-/Überwachungseinheit (22) gesteuert und/oder überwacht wird,
wobei das Verfahren als Diagnoseverfahren zur Diagnose der Kompressoranlage oder einzelner Kompressoren oder einzelner Peripheriegeräte ausgestaltet ist, insbesondere nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
- dass, insbesondere nach Erstellung der Kompressoranlage, die konkret gegebene Konfiguration in Gestalt eines R&I-Schemas über einen Editor (23) eingegeben wird und diese Eingabe die Grundlage für ein oder mehrere Ausgangsmodelle bildet,
- dass einzelne oder alle Kompressoren (11, 12, 13) und/oder Peripheriegeräte (14 bis 21) sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit (22) anmelden und vorzugsweise auch ihre Spezifizierung selbständig übermitteln,
- dass basierend auf diesen Ausgangsmodellen (M1, M2, ?) ein oder mehrere abgeleitete Modelle (M , M , ?), die Wirkzusammenhänge zwischen den einzelnen Kompressoren (11, 12, 13) und der Peripheriegeräten (14 bis 21), ggf. auch dynamische Prozesse berücksichtigen, erstellt werden, und
- unter Berücksichtigung standardisierter Betriebsdaten der Kompressoranlage unter Verwendung des oder der abgeleiteten Modelle ( M , M ,?) eine Fehlerdiagnose durchgeführt wird."
Hilfsantrag 1
Der Wortlaut der unabhängige Ansprüche 1, 13 und 14 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem der entsprechenden Ansprüche gemäß Hauptantrag durch die Streichung der Alternative "ein Kompressor"
(Hervorhebung durch die Kammer):
"Verfahren zum [Steuern und/oder] Überwachen einer Kompressoranlage umfassend [deleted: ein oder] mehrere Kompressoren (11, 12, 13) und ein oder mehrere Peripheriegeräte (14 bis 21)...".
Hilfsantrag 2
Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem des entsprechenden Anspruchs gemäß Hauptantrag durch die Streichung der Option für die Übermittlung der Kompressoren- oder Peripheriegerätespezifizierung (Hervorhebung durch die Kammer):
"... dadurch gekennzeichnet,
- dass einzelne oder alle Kompressoren (11, 12, 13) und/oder Peripheriegeräte (14 bis 21) sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit (22) anmelden und [deleted: vorzugsweise] auch ihre Spezifizierung selbständig übermitteln,...".
Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 13 und 14 gemäß Hilfsantrag 2 ist unverändert gegenüber dem der entsprechenden Ansprüche gemäß Hauptantrag.
Hilfsantrag 3
Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beinhaltet sowohl die in Hilfsantrag 1, als auch die in Hilfsantrag 2 vorgenommenen Änderungen (Hervorhebung durch die Kammer):
"Verfahren zum Steuern und/oder Überwachen einer Kompressoranlage umfassend [deleted: ein oder] mehrere Kompressoren (11, 12, 13) und ein oder mehrere Peripheriegeräte (14 bis 21)...
dadurch gekennzeichnet,
- dass einzelne oder alle Kompressoren (11, 12, 13) und/oder Peripheriegeräte (14 bis 21) sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit (22) anmelden und [deleted: vorzugsweise] auch ihre Spezifizierung selbständig übermitteln,..."
Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 13 und 14 gemäß Hilfsantrag 3 ist unverändert gegenüber dem der entsprechenden Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1.
Hilfsantrag 4
Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich von dem des entsprechenden Anspruchs gemäß Hilfsantrag 1 durch die Hinzufügung von Merkmalen hinsichtlich der R&I-Schemata (Hervorhebungen durch die Kammer):
"...
- dass, insbesondere nach Erstellung der Kompressoranlage, die konkret gegebene Konfiguration in Gestalt eines R&I-Schemas über einen Editor (23) eingegeben, wobei für die Kompressoranlage mehrere domänespezifische R&I-Schemata eingegeben werden, beispielsweise
? ein oder mehrere Druckluft-R&I-Schema
? und/oder ein oder mehrere Wärmerückgewinnungs-R&I-Schema
? und/oder ein oder mehrere kühlkreislaufbezogenes R&I-Schema
? und/oder ein oder mehrere stromversorgungsbezogener Wirkzusammenhang, insbesondere ein elektrischer Schaltplan,
- und nachfolgenden Steuer-, Überwachungs-, Diagnose- oder Auswertroutinen zugrunde gelegt wird."
Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 12 und 13 gemäß Hilfsantrag 4 ist unverändert gegenüber dem der entsprechenden Ansprüche 13 und 14 gemäß Hilfsantrag 1.
Hilfsantrag 4a
In Hilfsantrag 4a sind gegenüber Hilfsantrag 4 die unabhängigen Ansprüche 12 und 13 gestrichen.
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: US 2007/0005805 A1
D4: US RE40,817 E.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das allgemeine Leittechnik-Verfahren nach D1 bildet den nächsten Stand der Technik und ist auch in Form der Prioritätsanmeldung zu D1 in Absatz [0003] der Patentschrift gewürdigt. Eine selbständige Anmeldung von Anlagenkomponenten war schon zum Prioritätszeitpunkt dem Fachmann notorisch bekannt, ebenso wie das darüber hinaus wechselseitigen Datenaustausch umfassende "Plug&Play"-Prinzip. Ausgehend von D1 seien daher die Verfahren der unabhängigen Ansprüche unter Berücksichtigung von Fachwissen oder der D4 naheliegend.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Fachmann ist in erster Linie auf dem Gebiet der Kompressoranlagen kompetent und würde von einer Kompressoranlage ausgehen, nicht von D1, die nicht zu seinem Fachgebiet zählt. Plug&Play war zum Prioritätszeitpunkt für Kompressoranlagen weder bekannt, noch nahegelegt. Dies wäre von der Beschwerdeführerin nachzuweisen gewesen, was jedoch unterblieb. In Abwesenheit eines solchen Nachweises ist von erfinderischer Tätigkeit auszugehen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
2.1 Das Patent befasst sich mit der Steuerung oder Überwachung von Kompressoranlagen, die mindestens einen Kompressor und ein Peripheriegerät (z.B. Ventil, Tank) in einer bestimmten Konfiguration oder Verschaltung umfassen. Eine Art von typischer Konfiguration, auch Domäne genannt, ist die Verbindung der Komponenten über ein Luftleitungsnetz, aber auch andere Verbindungsnetze/Domänen wie wasserführende oder elektrische kommen in Betracht, siehe Absätze [0001], [0002] der Patentschrift.
Um ein Steuerungs-/Überwachungsverfahren noch besser an die individuelle Konfiguration einer Kompressoranlage anzupassen, also die "Gegebenheiten vor Ort" noch genauer zu berücksichtigen, wird als Kerngedanke ein Fließschema der Verschaltung, ein sogenanntes R&I Schema, über einen Editor eingegeben, also mit anderen Worten ein digitales Äquivalent zu einem grafischen Verbindungsschema der einzelnen Komponenten erzeugt, Absätze [0005] - [0007].
Gemäß den erteilten unabhängigen Ansprüchen melden sich zudem einzelne oder alle Komponenten selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit an, bevorzugt mit ihrer jeweiligen Spezifikation. Wie aus den Absätzen [0020] und [0026] der Patentschrift hervorgeht, soll dadurch die Eingabe des R&I Schemas automatisiert und erleichtert werden.
2.2 Die unabhängigen Ansprüche beziehen sich auf eine Kompressoranlage mit Kompressor(en) und Peripheriegerät(en). Solche Anlagen stellen üblicherweise ein gewisses Druckniveau für industrielle Anlagen oder Pipelines bereit. In diesem Sinne ist die zuständige Fachperson auch auf dem Gebiet der Kompressoranlagen kompetent und nicht etwa in technischen Gebieten, in denen unter anderem Kompressoren oder Verdichter als Komponenten zum Einsatz kommen, wie der Klima- oder Flugantriebstechnik. Die Fachperson hat vorliegend besondere Kenntnisse in der Steuerung und Regelung solcher Kompressoranlagen. Dazu gehört aber nicht nur, dass sie die speziellen Regelgrößen und -problematiken bei Kompressoranlagen kennt, also welche Ausgangsgrößen in Abhängigkeit welcher Eingangsgrößen über welche Algorithmen geregelt werden können. Sie ist auch grundsätzliche mit den zur Ausführung einer solchen Regelung eingesetzten Steuerungen, Verfahren und Systemen der Prozess- und Leitsystemtechnik für technische Anlagen vertraut, siehe z.B. Absatz [0004] des Patents.
2.3 Die Eingabe des R&I-Schemas, das die konkret gegebene Konfiguration der Kompressoranlage wiedergibt, erfolgt nach den unabhängigen Ansprüchen nur "insbesondere" nach Erstellung der Kompressoranlage. Das bedeutet, dass eine Eingabe der geplanten Kompressoranlage als R&I-Schema vor deren realen Existenz ebenfalls von den unabhängigen Ansprüchen umfasst sein soll, was ausdrücklich in Absatz [0015] des Patents bestätigt wird. In dieser Alternative sind während der Eingabephase also noch gar keine Kompressoren und/oder Peripheriegeräte vorhanden, die sich selbständig bei der noch ebenso wenig vorhandenen Steuer-/Überwachungseinheit der Kompressoranlage anmelden könnten. Folglich kann sich dieses Merkmal dann nur auf den späteren Betrieb der Kompressoranlage beziehen, während dessen sich bereits vorher implementierte und der Steuer-/Überwachungseinheit "bekannte" Komponenten beispielsweise nach einer Wartung, Abschalt- oder Stand-by-Phase wieder als betriebsbereit zurückmelden oder aber neu hinzugekommene, ergänzte oder als Ersatz dienende Anlagenkomponenten sich erstmals bei der Steuer-/Überwachungseinheit "vorstellen".
3. Hautptantrag - erfinderische Tätigkeit
3.1 D1 offenbart ein allgemeines System und Verfahren zur Bereitstellung einer technischen Anlage samt ihres weitgehend automatisierten Betriebs (Steuerung, Regelung), Service und Wartung, einer nachträglichen Erweiterung oder eines Umbaus, Absätze [0001] - [0007]. Das System und Verfahren ist insofern allgemein, als es zwar beispielhaft anhand einer Brauerei und ihrer Komponenten als technischer Anlage erläutert wird (siehe Fig. 3, 4), jedoch anlagenspezifische Wirkzusammenhänge zwischen den Komponenten hinsichtlich ihrer Steuerung im Betrieb der Anlage in D1 keine Rolle spielen.
3.1.1 Daher liegt D1 entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin auch nicht außerhalb des Fokus der Fachperson als nächstliegender Stand der Technik. Im Gegenteil behandelt D1 ein dem oben in Punkt 2.3 erörterten Umfang der unabhängigen Verfahrensansprüche entsprechendes Spektrum an sich über den Lebenszyklus einer technischen Anlage erstreckenden Aspekten (Konfiguration, Realisation, Betrieb, Wartung, Erweiterung). Auch wenn die Fachperson für die Steuerung von Kompressoranlagen kein Spezialist in jedem dieser einzelnen Aspekte sein sollte, kann sie dem im Ausführungsbeispiel zu Fig. 5 der D1 in den Absätzen [0086] - [0089] beschriebenen Vorgehen entnehmen, welche weiteren Spezialisten sie für die einzelnen Aspekte hinzuziehen könnte, um ein Verfahren zur Steuerung und/oder Überwachung einer Kompressoranlage ausgehend von einer durch vorgegebene Spezifikationen bestimmten Konfiguration bis zum dauerhaften und lebenslangen Betrieb der fertiggestellten Anlage bereitzustellen.
3.1.2 Dies steht auch in Einklang mit der Patentschrift, in deren Absatz [0003] das prioritätsbegründende Dokument der D1 als Stand der Technik zitiert wird, der geeignete Verfahren zum Steuern und/oder Überwachen einer gesamten Kompressoranlage betrifft.
Darüber hinaus werden in Absatz [0095] der Patentschrift ähnlich wie in D1 die allgemeinen, nicht auf Kompressoranlagen und ihre spezifischen Regelungsgrößen und -algorithmen beschränkten Prinzipien der beanspruchten Verfahren betont. Für die vorhin definierte Fachperson ist sofort ersichtlich, insbesondere in Anbetracht der allgemeinen Angabe in Absatz [0001] und Anspruch 1 der D1, dass diese Prinzipien auf jeder technische Anlage, darunter auch Kompressoranlagen, übertragbar sind, in denen anstelle von im Beispiel genannten (Fluid-)Pumpen (Gas-)Kompressoren in anderen Wirkzusammenhängen stehen. Der Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist somit ein Verfahren zum Steuern und/oder Überwachen nach D1, das in naheliegender Weise auf eine durch Spezifikationen konkret gegebene Kompressoranlage angewandt wird.
3.2 Im vorher erwähnten Ausführungsbeispiel der Fig. 5 aus D1 erstellt ein Prozessingenieur zunächst ein R&I-Schema ("P-I diagram") einer technischen Anlage mit Tanks, Pumpen, Ventilen, Leitungen, wie eine Kompressoranlage mit ähnlichen Komponenten eine darstellt, in einer bestimmten Konfiguration entsprechend der vorgegebenen Spezifikationen, Absatz [0086]. Die Kammer geht ferner implizit davon aus, dass eine technische Anlage, wie eine Kompressoranlage, immer über irgendeine Art von Steuer- und Überwachungseinheit gesteuert und überwacht wird. Mithilfe eines ersten "tools" (Werkzeugs) 1 wird diese vorgegebene Konfiguration in Gestalt des R&I-Schemas unter Rückgriff auf eine Objektdatei A mit den entsprechenden Symbolen (siehe Absatz [0071], Fig. 2) in eine XML Datei 12 eingegeben. Sowohl das "tool" 1, als auch die Objektdatei A fungieren dabei als Editoren im Sinne der Verfahrensansprüche 1, 13 und 14. Das R&I Schema wird zusammen mit Spezifizierungen der einzelnen Komponenten wie deren Volumen über eine erste Zuordnungstabelle ("mapping table") 1 für das erste "tool" 1 in einen Bereich XML1 der XML Datei 12 "übersetzt" und dort als Ausgangsmodell hinterlegt.
Die so erstellte XML1 Datei als Ausgangsmodell dient einem Steuerungsprozessentwickler als Grundlage für die Einbindung von Steuerungsobjekten wie Sensoren, Stellgliedern und Regelkreisen, die er über eine zweite Zuordnungstabelle ("mapping table") 2 entsprechenden Objekten des R&I Schemas bzw. dortigen Messpunkten zuordnet und dann ebenfalls in der XML Datei 12 als abgeleitetes Modell XML2 ablegt, Absatz [0087]. Sodann entwickelt er daraus mittels eines zweiten tools 2, das auf einen Teil der Information in der XML Datei 12 zugreift, unter anderem Steuerungs- und Überwachungsroutinen ("control software"), denen also das R&I Schema zumindest mittelbar zugrunde liegt. Sämtliche so abgeleiteten Daten werden ebenfalls in der XML Datei ergänzt.
Zu seinen Tätigkeiten gehört auch die Bereitstellung einer Bedienoberfläche ("operator graphics", "operator control software") als drittes "tool" 3, mit dem auf Grundlage der in der XML Datei abgelegten Daten und Modelle sowie Betriebsdaten Unregelmäßigkeiten erkannt, also Fehler diagnostiziert und verschiedene Wartungsmaßnahmen eingeführt werden, Absatz [0088]. Dass zum einen dies aber nur ein Teil der Steuerungssoftware und zum anderen Absatz [0088] auf für Leitsysteme typische, besondere Eingriffe eines Bedieners in den regulären Betrieb der Anlage gerichtet ist, spricht ebenfalls dafür, dass der reguläre Betrieb der technischen Anlage über die mittels des "tools" 2 programmierten Routinen durch eine Steuerungs-/Überwachungseinheit erfolgt.
3.3 Das Verfahren nach den Ansprüchen 1, 13 und 14 unterscheidet sich unstrittig dadurch von einem Verfahren nach D1, das in naheliegender Weise auf eine Kompressoranlage angewandt worden ist, dass einzelne oder alle Objekte der technischen Anlage und des R&I Schemas, also im Fall einer Kompressoranlage Kompressoren und/oder Peripheriegeräte, sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit anmelden und vorzugsweise auch ihre Spezifizierung übermitteln.
Das Verfahren nach Anspruch 13 unterscheidet sich zudem dadurch, dass eine Prognose für den nächsten Wartungstermin erstellt wird.
Im Übrigen besteht zwischen diesen Unterschiedsmerkmalen und dem Merkmal, dass die Anlage eine Kompressoranlage ist, keine Synergie oder sonstiger besonderer Wirkungszusammenhang. Dies ist auch nicht argumentiert worden. Somit können diese Unterschiedsmerkmale unabhängig von diesem Merkmal auf erfinderische Tätigkeit beurteilt werden.
3.3.1 Beim Verfahren nach D1 kann eine solche Anmeldung nicht schon bei der Ersteingabe des R&I Schemas durch den Prozessingenieur erfolgen, da diese zur Phase der Projektierung einer technischen Anlage gehört, in der die Objekte der technischen Anlage noch nicht physisch präsent sind. Wird die technische Anlage jedoch in Betrieb genommen, kann die korrekte Eingabe des R&I-Schemas mittels sich selbständig bei der Steuer-/Überwachungseinheit anmeldender Komponenten überprüft und können so fehlerhafte Eingaben entdeckt und korrigiert werden, wie die Beschwerdegegnerin zu den technischen Wirkungen der Unterschiedsmerkmale erläutert. Während des Betriebs der technischen Anlage kann die Steuer-/Überwachungseinheit sich zurückmeldende Komponenten automatisch erkennen und wieder in die Steuerungsabläufe einbinden. Insbesondere bei Wartung bzw. Austausch von Objekten, späterer Veränderung und Modernisierung der technischen Anlage wird durch eine selbständige Anmeldung von neu hinzugekommenen Komponenten die notwendige Ergänzung des R&I Schemas mit diesen unterstützt.
3.3.2 Obwohl die Beschwerdegegnerin bestreitet, dass das ursprüngliche R&I-Schema in D1 an eine modifizierte Anlage angepasst wird, ist dies nach Ansicht der Kammer eine unabdingbare Bedingung für spätere Betriebs- und Serviceverfahren, die alle letztendlich auf das Ausgangsmodell in der ersten XML-Datei zurückgreifen. Es ist ja gerade ein Kerngedanke der D1, dass spätere Erweiterungen mittels anderer "tools" immer in die Ursprungsdatei 12 "zurück" übertragen werden, auf die andere Module dann wieder zugreifen, so dass unterschiedliche "tools" und Objektdateien Zugang zu den gleichen Informationen haben, siehe Ende der Absätze [0067], [0074], Absätze [0079], [0084].
Im übrigen verlangen die Verfahrensansprüche 1, 13 und 14 keine Anpassung des R&I Schemas nach Anmeldung neuer Kompressoren und/oder Peripheriegeräte.
3.3.3 Die objektiv zu lösende Aufgabe kann demnach darin gesehen werden, die Ausführung des Verfahrens nach D1 für eine Kompressoranlage, insbesondere die Eingabe des R&I-Schemas, weiter zu erleichtern und zu automatisieren.
Da in D1 die Konfiguration einer (Kompressor)Anlage bereits in einem R&I Schema erfasst wird, scheint die in Absatz [0005] des Patents diesbezüglich formulierte Aufgabe, die Gegebenheiten vor Ort noch genauer zu berücksichtigen, bereits auf gleiche Weise gelöst zu sein.
3.3.4 Die Umsetzung des Verfahrens nach D1 für eine Kompressoranlage sieht die Kammer nicht als ersten Schritt zur Lösung der Aufgabe, sondern als Ausgangspunkt, siehe oben. Denn der Fachperson sind sowohl die anlagenspezifischen Steuerungs- und Überwachungsparameter für Kompressoranlagen, als auch grundlegende Verfahren zur Anlagensteuerung wie in D1 bekannt, siehe oben Punkte 3.1.1 und 3.1.2.
3.4 D4 befasst sich allgemein mit Prozessleitsystemen und deren Automatisierung, siehe Spalte 2, Zeilen 16 -34. D4 ist genauso wenig fachgebietsspezifisch wie D1, denn Prozessleitsysteme zur Überwachung, Steuerung von Steuerungselementen wie Ventilen oder Schaltern und Regelung entsprechender Parameter wie Temperatur, Druck und Durchsatz sind weit verbreitet und gehören zum technischen Grundlagenwissen der für die Steuerung und Überwachung von Kompressoranlagen zuständigen Fachperson.
3.4.1 Die Fachperson erachtet D4 darüber hinaus als relevant, weil dort als Ausgangspunkt Verfahrensschritte beschrieben sind, die Parallelen zu den oben dargelegten aus D1 unter Zuhilfenahme der "tools" 1, 2 und 3 aufweisen, siehe Spalte 2, Zeile 35 - Spalte 3, Zeile 31. Als Nachteile solcher Verfahren sind die ineffiziente individuelle Einbindung bzw. Programmierung einzelner Endgeräte ("field devices") genannt, die einzeln und "händisch" erfolgen muss, sowie die nötige Rekonfiguration eines Endgeräts nach einem temporären Ausfall, Spalte 3, Zeilen 2 - 16. Vorteil der in D4 vorgestellten Maßnahmen ist, dass die Konfiguration des Systems bei der Einbindung (erstmals oder erneut) angeschlossener Endgeräte vereinfacht und automatisiert wird, Spalte 4, Zeilen 62 - 66. Daher würde die Fachperson D4 zur Lösung der objektiven Aufgabe heranziehen.
3.4.2 In D4 ermöglicht ein Kommunikationsprotokoll, dass sich ein dem System neu hinzugefügtes Gerät bzw. dessen Steuerung ("digital device") selbständig anmeldet und seine für seine Konfiguration notwendigen Parameter abliefert, auf die ein Benutzer dann zugreifen kann, um es in das System einzubinden, Spalte 3, Zeile 50 - Spalte 4, Zeile 14, Zeilen 28 - 43. Dieses "plug&play" Konzept findet sich auch in Schritt 2212 der Verfahrensgrafik in Fig. 15 der D4, die die obige Lösung anhand eines Ausführungsbeispiels detailliert, siehe Spalte 23, Zeile 29 - Spalte 24, Zeile 7. Damit offenbart D4 die Unterschiedsmerkmale zu D1 als naheliegende Lösung der objektiven Aufgabe.
3.5 Darüber hinaus gehört die Entwicklung von automatisierten und effizienten Kommunikationsprotokollen zwischen den einzelnen Komponenten einer Anlage und der Steuerungs-/Überwachungseinheit zur Routinetätigkeit eines Steuerungsprozessentwicklers, der gemäß D1 die Steuerungs-, Überwachungs- und Auswerteroutinen erstellt, siehe Absatz [0087]. Dass Komponenten einer Anlage, vorliegend Kompressoren und Peripheriegeräte, sich über abgegebene Statusmeldungen selbständig bei einer Steuerungs-/Überwachungseinheit melden, war nach Überzeugung der Kammer zum Prioritätszeitpunkt des Patents der Fachperson bereits ebenso geläufig, wie dass sich neu hinzugefügte Geräte eigenständig im Sinne eines plug&play-Konzepts dort anmelden. Daher sind die entsprechenden Unterschiedsmerkmale der Verfahrensansprüche auch unter Berücksichtigung von allgemeinem Fachwissen nahegelegt.
Die Beschwerdegegnerin trägt vor, das plug&play-Prinzip sei zum Prioritätszeitpunkt des Patents nicht für technische Anlagen, insbesondere Kompressoranlagen bekannt gewesen, sondern allenfalls aus der Büro-, Kommunikations- und Unterhaltungselektronik. Selbst wenn dies zuträfe (die Kammer ist auf Grund eigener Erfahrung nicht davon überzeugt), würde dies nichts am Naheliegen seines Einsatzes in Kompressoranlagen ändern. Auch wenn plug&play noch nicht für die Steuerung von Kompressoranlagen Verwendung fand, war es der Fachperson aus dem alltäglichen Leben wohlbekannt, vgl. RSdBK, 10.Auflage, 2020, I.D.8.4. Es stellt keine besondere Erkenntnis dar, dass ein Prinzip, das die automatische Einbindung von elektronisch gesteuerten Geräten in ein Netzwerk zum Zwecke ihrer externen Ansteuerung vorsieht, auch in anderen Bereichen vorteilhaft anwendbar ist, in denen technische Anlagen mit an eine gemeinsame (Rechner-)Steuerung angebundenen Haupt- und Peripheriekomponenten konfiguriert oder rekonfiguriert werden. Die Kammer erkennt somit in einem Transfer dieses aus dem alltäglichen Leben bekannten Prinzips auf Kompressoranlagen keine erfinderische Tätigkeit. Weitere Einschränkungen im Zusammenhang mit der selbständigen Anmeldung von Kompressoren und/oder Peripheriegeräten beinhalten die Verfahrensansprüche 1, 13 und 14 nicht.
3.6 Die zusätzlichen Merkmale des Verfahrensanspruchs 13 hinsichtlich der Prognose eines Wartungstermins sind ausgehend von D1 ebenfalls naheliegend.
Laut Absätzen [0008], [0013] sind üblicherweise "tools" vorgesehen, die für die Organisation der an der Anlage durchzuführenden Service- uns Wartungsarbeiten benutzt werden. Zu einer solchen Organisation gehört insbesondere die terminliche Festsetzung dieser Arbeiten. Absatz [0089] offenbart ein entsprechendes Service "tool" 4, mit dem der Serviceingenieur auf eine Auswahl dafür relevanter Komponenten und Betriebsdaten zugreifen kann. Die Zusammenstellung der relevanten Komponenten kann als abgeleitetes Modell angesehen werden.
3.7 Wie oben am Ende des Punkts 3.2 dargelegt, sind die zusätzlichen Merkmale des unabhängigen Anspruchs 14 (Fehlerdiagnose) ebenfalls aus D1 bekannt.
3.8 Aus den vorstehenden Gründen beruht das Verfahren nach den Ansprüchen 1, 13 und 14 gemäß Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
4. Hilfsanträge - erfinderische Tätigkeit
4.1 Die Hilfsanträge 1 - 4 sind alle im Einspruchsverfahren eingereicht und mit Beschwerdeerwiderung wieder eingereicht worden.
Die Ansprüche 13 und 14 des Hilfsantrags 2 sind identisch mit denen des Hauptantrags. Bei den Ansprüchen 13 und 14 der Hilfsanträge 1 und 3 bzw. 12 und 13 des Hilfsantrags 4 ist die Kompressoranlage auf die Alternative "mehrere Kompressoren umfassend" beschränkt.
4.2 Wie oben in Punkt 2.2 angedeutet, umfassen gattungsgemäße Kompressoranlagen im Verständnis der Fachperson typischerweise mehrere Kompressoren, so dass diese Einschränkung keine wirkliche Abgrenzung zu einem für Kompressoranlagen angewandten Verfahren nach D1 bewirkt.
4.3 Daher beruhen die unabhängigen Verfahrensansprüche 13 und 14 bzw. 12 und 13 der Hilfsanträge 1 - 4 aus den für die Ansprüche 13 und 14 des Hauptantrags dargelegten Gründen ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
5. Zulassung des Hilfsantrags 4a als korrigierte Fassung des Hilfsantrags 4
5.1 Nachdem die Kammer in der mündlichen Verhandlung ihre obige Auffassung zur erfinderischen Tätigkeit der unabhängigen Verfahrensansprüche 13 und 14 bzw. 12 und 13 der Hilfsanträge 1 - 4 geäußert hatte, reichte die Beschwerdegegnerin einen Hilfsantrag 4a ein, um einen geltend gemachten offensichtlichen Fehler der Ansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 zu korrigieren. Als außergewöhnliche Umstände, die die verspätete Einreichung im Sinne von Artikel 13(2) VOBK zusätzlich zur Offensichtlichkeit des Fehlers und seiner Korrektur rechtfertigen, gab sie an, die Kammer habe den Fehler in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK ebenfalls übersehen oder zumindest nicht darauf hingewiesen. Dies sei vielmehr erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgt, so dass ihr das Recht einer angemessenen Reaktion eingeräumt werden sollte. Diese bestünde lediglich in der Streichung der Verfahrensansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4, die den offensichtlichen Fehler enthielten.
5.2 Eine Berichtigung einer Unrichtigkeit in eingereichten Patentansprüchen nach Regel 139 EPÜ ist möglich, wenn die Berichtigung derart offensichtlich ist, dass sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was mit der Berichtigung vorgeschlagen wird.
5.2.1 Vorliegend beruft sich die Beschwerdegegnerin darauf, in den Ansprüchen 12 und 13 des Hilfsantrags versehentlich nicht die einschränkenden Merkmale des Anspruchs 1 bezüglich der domänespezifischen R&I-Schemata aufgenommen zu haben, obwohl dies erkennbar beabsichtigt war.
5.2.2 Die Kammer vermag hierin jedoch keinen offensichtlichen Fehler zu erkennen.
Die unabhängigen Ansprüche 13 und 14 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 enthalten zwar alle Merkmale der Alternative "Verfahren zum Überwachen einer Kompressoranlage" des jeweiligen Anspruchs 1 - dies gilt jedoch nicht für die Ansprüche 13 und 14 bzw. 12 und 13 der Hilfsanträge 2 - 4. Hier wurden die zusätzlichen Einschränkungen im jeweiligen Anspruch 1 (mehrere Kompressoren, selbständige Übermittlung der Spezifizierung, mehrere R&I-Schemata) nur selektiv übernommen, obwohl die nachfolgenden unabhängigen Ansprüchen 15 und 20 bzw. 14 und 19, die auf eine Kompressoranlage und eine Steuer-/Überwachungseinheit gerichtet sind, wieder sämtliche zusätzliche Einschränkungen des jeweiligen Anspruchs 1 aufweisen. Das erweckt nicht den Eindruck eines Versehens in den Ansprüchen 13 und 14 bzw. 12 und 13 der Hilfsanträgen 2 - 4, sondern vielmehr den einer bewussten Entscheidung und Auswahl von Merkmalen. Jedenfalls ist für diese unabhängigen Verfahrensansprüche der Hilfsanträge 2 - 4 nicht offensichtlich, dass beabsichtigt war, ihren Wortlaut vollständig an die jeweils in Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen anzupassen.
5.2.3 Falls dies der Fall gewesen wäre, hätte eine dem Fehler entsprechende Berichtigung wohl in der Ergänzung der Ansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 mit den angeblich versehentlich weggelassenen Merkmalen bestanden, um die beabsichtigte vollständige Anpassung an den geänderten Wortlaut des Anspruchs 1 zu erreichen, nicht in einer Streichung der Ansprüche 12 und 13 wie in der korrigierten Fassung des Hilfsantrags 4a.
5.2.4 Aus den vorstehenden Gründen sind die Voraussetzungen für die Zulassung einer Berichtigung des Hilfsantrags 4 nach Regel 139 EPÜ vorliegend nicht erfüllt.
5.3 Die Beschwerdegegnerin ist auch nicht durch die Auffassung der Kammer zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Ansprüche 12 und 13 gemäß Hilfsantrag 4 in der mündlichen Verhandlung überrascht und mit neuen Tatsachen oder Argumenten konfrontiert worden.
5.3.1 Die Kammer ist in Punkt 3.1 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK zunächst pauschal auf "die zusätzlichen Merkmale der unabhängigen Ansprüche gemäß der Hilfsanträge 1 - 3" eingegangen. Da, wie oben dargelegt, nicht alle unabhängigen Ansprüche eines dieser Hilfsanträge die gleichen zusätzlichen Merkmale aufweisen, konnte sich diese Aussage nicht auf alle unabhängigen Ansprüche, sondern nur auf die überhaupt geänderten und dort nur auf die jeweils vorhandenen zusätzlichen Merkmale beziehen. Entsprechend kann die pauschale Feststellung im folgenden Punkt 3.2 "die unabhängigen Ansprüchen des Hilfsantrags 4 enthalten das Merkmal mehrerer domänespezifischer R&I-Schemata, die beispielhaft, also nicht einschränkend erläutert sind" sich nur auf die unabhängigen Ansprüche 1, 14 und 19 beziehen, die dieses Merkmal im Gegensatz zu den unabhängigen Ansprüchen 12 und 13 tatsächlich enthalten. Laut Punkt 3.3 wird die erfinderische Tätigkeit dieser unabhängigen Ansprüche "gegebenenfalls in der mündlichen Verhandlung zu erörtern sein", mithin falls Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 - 3 wie vorläufig beschieden nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen sollte, die Ansprüche 13 und 14 bzw. 12 und 13 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 - 4 entgegen der vorläufigen Meinung aber doch.
Die Kammer hat hier nicht vorläufig ausgedrückt, dass zwar die Ansprüche 13 und 14 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten (Punkte 2.3.6, 3.1), dies aber für die gleichlautenden Ansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 noch zur Debatte stünde, um dann erst in der mündlichen Verhandlung überraschend einen neuen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen letztere zu erheben. Ein solcher als außergewöhnlich anerkannter Umstand im Sinne von Artikel 13(2) VOBK liegt also nicht vor (siehe die Erläuterungen zum Konvergenzansatz - Stufe 3 in der Zusatzpublikation 1 des ABl. EPA, Seite 199, fünfter Absatz).
5.3.2 Selbst wenn die Beschwerdegegnerin den Bescheid der Kammer in dieser Weise verstanden hat, und subjektiv davon ausgegangen ist, die Ansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 enthielten die einschränkenden Merkmale hinsichtlich der domänespezifischen R&I-Schemata, obliegt es ihr im Rahmen ihrer prozessualen Sorgfaltspflicht, ihre eigenen Anträge vor der mündlichen Verhandlung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.
Die Kammer sieht sich nicht verpflichtet, in ihrem Bescheid auf alle einmal für einen höherrangigen Antrag dargelegten Gründe nochmals einzugehen, wenn sie offensichtlich auch zum Scheitern eines nachrangigen Antrags führen könnten. Die Antragstellerin genießt hier keinen Vertrauensschutz aufgrund einer Art von "rügelosem Einlassen" der Kammer, also in dem Sinne, dass die Antragstellerin davon ausgehen dürfte, nicht nochmals erwähnte Einwände gälten trotz gleichen Sachverhalts in nachrangigen Hilfsanträgen nicht unverändert weiter.
5.3.3 Im übrigen kann dahingestellt bleiben, ob der Kammer und/oder der Beschwerdegegnerin anfangs tatsächlich bewusst war, dass die Ansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 die einschränkenden Merkmale hinsichtlich der domänespezifischen R&I-Schemata nicht enthielten. Denn die Beschwerdeführerin hat in ihrem Schreiben vom 7. Dezember 2023 auf Seite 10 unten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie deshalb aus den gleichen Gründen wie die gleichlautenden Ansprüche 13 und 14 des Hilfsantrags 1 nicht gewährbar seien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Beschwerdegegnerin ihren möglichen Irrtum bezüglich des Inhalts der Ansprüche 12 und 13 gemäß Hilfsantrag 4 erkennen können. Sie hat auch auf das Schreiben der Beschwerdeführerin mit der Einreichung von weiteren Hilfsanträgen 5 und 6 vom 23. Januar 2024 reagiert, in denen konsequent die unabhängigen Ansprüche 12 und 13 gestrichen waren, aber nicht gleichzeitig den Hilfsantrag 4 entsprechend geändert. Dies versuchte sie erst während der mündlichen Verhandlung mit dem Hilfsantrag 4a nachzuholen, nachdem die Kammer nochmals ausdrücklich auf die Übereinstimmung der Verfahrensansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 mit 13 und 14 des Hilfsantrags 1 hingewiesen hatte. Einer solchen Art von abwartender, verzögernder Verfahrensführung soll aber nach Ansicht der Kammer mit dem Konvergenzansatz der reformierten Verfahrensordnung gerade Einhalt geboten werden.
5.4 Ein außergewöhnlicher Umstand außerhalb des Verantwortungsbereichs der Beschwerdegegnerin, der die verspätete Einreichung des Hilfsantrags 4a als Korrektur des Hilfsantrags 4 rechtfertigen würde, liegt somit nicht vor. Daher ist auch nicht maßgeblich, ob weitere in den Artikeln 12(4), 13(1) VOBK definierte Kriterien der Ermessenausübung, die zusätzlich zu den strikten Erfordernissen des Artikels 13(2) VOBK Berücksichtigung finden können, erfüllt sind, wie die mangelnde Komplexität der in einer Streichung von unabhängigen Ansprüchen bestehenden Änderung oder die offensichtliche Eignung dieser Änderung zur Ausräumung von Einwänden gegen die gestrichenen Ansprüche.
5.5 Aus den vorstehenden Gründen hat die Kammer den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 4a nicht zum Verfahren zugelassen.
6. Rüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs
6.1 Die Beschwerdegegnerin erhob in der mündlichen Verhandlung in Vorbereitung eines Antrags auf Überprüfung nach Artikel 112a(2)c) EPÜ den Einwand, ihr rechtliches Gehör nach Artikel 113(1) EPÜ sei durch Nichtzulassung des Hilfsantrags 4a verletzt worden. In ihrer dazu schriftlich eingereichten Rüge gemäß Regel 106 EPÜ nennt sie die oben in Punkt 5 behandelten Gründe und Umstände, siehe oben Punkt III.
6.2 Der in Artikel 113(1) EPÜ verankerte Grundsatz des rechtlichen Gehörs schließt nicht das Recht auf Berücksichtigung jeden Vorbringens zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens ein. Dieses findet vielmehr seine Beschränkung in der Möglichkeit, verspätetes Vorbringen nach Artikel 114(2) EPÜ sowie den im Beschwerdeverfahren einschlägigen Vorschriften der Verfahrensordnung 2020 nicht zum Verfahren zuzulassen.
Die Kammer hat während der mündlichen Verhandlung die Beschwerdegegnerin zu den von ihr dargelegten, die Einreichung des Hilfsantrags 4a rechtfertigenden Umständen gehört, zu ihnen vorläufig Stellung genommen und sie bei ihrer Beratung über die Zulassung des Hilfsantrags 4a berücksichtigt. Insoweit war das rechtliche Gehör der Beschwerdegegnerin gewährleistet.
6.3 Wie oben in Punkt 5.3 erörtert, handelte es sich bei dem Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen die Ansprüche 12 und 13 des Hilfsantrags 4 auch nicht um einen neuen Grund, zu dem der Beschwerdegegnerin eine erstmalige Gelegenheit zur Stellungnahme und angemessenen Reaktion durch einen entsprechend eingeschränkten Hilfsantrag 4a verweigert worden wäre.
6.4 Aus diesen Gründen hat die Kammer den Einwand und die Rüge zurückgewiesen.
7. Ergebnis
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Einsprechende erfolgreich gegen die Auffassung der Einspruchsabteilung, das Verfahren der erteilten Ansprüche 1, 13 und 14 beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Daher ist die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Zurückweisung des Einspruchs aufzuheben. Dass die unabhängigen Verfahrensansprüche der Hilfsanträge 1 - 4 ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhen und Hilfsantrag 4a als korrigierte Fassung des Hilfsantrags 4 nicht zum Verfahren zugelassen wurde, führt zum Widerruf des Patents, Artikel 101(2), 111(1) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
2. Das Patent wird widerrufen.