T 0460/95 (Beschwerdeschrift) 20-10-1997
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DREHBANK, VERSEHEN MIT STEUEREINRICHTUNG
I Gildemeister AG
II Heidehain GmbH
III Fanuc Ltd.
Einlegung der Beschwerde - Beschwerde eingelegt (bejaht)
Beschwerdeschrift - zulässig (verneint)
Res judicata
I. Am 8. Juli 1992 wurde der Beschwerdeführerin auf der Grundlage der internationalen Anmeldung PCT/FR 88/00048 (Veröffentlichungsnr. WO 88/05936) das europäische Patent Nr. 0 299 046 (Anmeldung Nr. 88 901 423.9) erteilt (Patentblatt 92/28). Die Beschwerdegegnerinnen I bis III legten unter Berufung auf Artikel 100 a) EPÜ gegen das Patent als Ganzes Einspruch ein. In einer am 30. März 1995 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde das Patent widerrufen.
II. Am 30. Mai 1995 wurde einem Bankkonto des EPA unter Angabe der Anmeldenummer ein Betrag von 7 270 FRF gutgeschrieben.
III. Am 2. Juni 1995 erhielt das EPA vom Vertreter der Beschwerdeführerin eine Sendung, die ein Schreiben vom 30. Mai 1995, ein Formblatt für die Zahlung von Gebühren und Auslagen (EPA-Formblatt 1010) und einen Beleg für die Gebührenzahlung enthielt. In dem an die Direktion "Kassen- und Rechnungswesen" des EPA gerichteten Schreiben sind als Betreff die Nummer der europäischen Patentanmeldung, die Nummer des Patents, der Name des Inhabers, die Bezeichnung der Erfindung und ein Aktenzeichen angegeben. Das Schreiben lautet wie folgt:
"Zu der im Betreff genannten Patentanmeldung übersenden wir Ihnen als Anlage:
- ein Formblatt für die Zahlung der Beschwerdegebühr bezüglich der im Betreff genannten Anmeldung,
- einen Beleg für die Zahlung der Gebühr.
(Schlußformel)
NB: Bitte senden Sie die beigefügte Kopie dieses Schreibens als Empfangsbescheinigung an uns zurück (adressierter Umschlag liegt bei)."
Das Formblatt für die Zahlung von Gebühren und Auslagen enthält den Namen und die Anschrift des Vertreters, die Anmeldenummer, die Angabe 011 Beschwerdegebühr, die Höhe der Zahlung und Angaben zur Zahlungsweise. Die Unterlagen sind datiert und unterschrieben.
Das EPA unterrichtete die Beteiligten, daß Beschwerde eingelegt wurde. Am 26. Juli 1995 beantragte die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf "die mit unserem Schreiben vom 30. Mai 1995 eingelegte Beschwerde" eine Nachfrist von zwei Monaten für die Einreichung einer Beschwerdebegründung.
Am 23. August 1995 teilte das EPA der Beschwerdeführerin mit, daß sie die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung versäumt habe und daß die Beschwerde wahrscheinlich als unzulässig verworfen werde. Am 23. September 1995 reichte die Beschwerdeführerin die Beschwerdebegründung sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 122 EPÜ) ein; zur Begründung führte sie aus, sie habe ein Telefonat mit der Geschäftsstelle der Beschwerdekammern so verstanden, daß die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung auf Antrag verlängert werden könne. Am 5. Oktober 1995 unterrichtete das EPA die Beschwerdegegnerinnen, daß ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliege. In der Zwischenentscheidung T 460/95 vom 16. Juli 1996 (im ABl. EPA nicht veröffentlicht) gab diese Kammer dem Wiedereinsetzungsantrag statt; die Entscheidungsformel lautet wie folgt:
1. Die Beschwerdeführerin wird in den vorigen Stand wiedereingesetzt.
2. Die Beschwerdebegründung gilt als rechtzeitig eingereicht.
IV. Anschließend erhoben die Beschwerdegegnerinnen II und III Einwände gegen die Zwischenentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag; sie machten geltend, die Wiedereinsetzung sei nicht gerechtfertigt. Ferner entspreche die Beschwerdeschrift nicht den Formerfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens, so daß die Beschwerde nicht zulässig sei.
In einer Mitteilung nach Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern wies die Kammer darauf hin, daß die Zwischenentscheidung res judicata sei und daß dies auch für alle Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Beschwerde gelten könne; insoweit könne es der Kammer verwehrt sein, Zulässigkeitsfragen erneut zu prüfen.
V. In der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 1997 beantragten die Beschwerdegegnerinnen II und III, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdegegnerin II vertrat die Auffassung, daß die Beschwerdeschrift unzulässig sei, weil sie nicht den Formerfordernissen der Regel 64 b) EPÜ entspreche, und verwies dazu auf mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammern, insbesondere auf J 16/94 (ABl. EPA 1997, 331), J 19/90 (vom 30. April 1992, im ABl. EPA nicht veröffentlicht), T 371/92 (ABl. EPA 1995, 324), T 167/93 (ABl. EPA 1997, 229) und T 843/91 (ABl. EPA 1994, 832). Zu der Frage, inwieweit die Zwischenentscheidung res judicata sei, führte die Beschwerdegegnerin aus, daß ausschließlich über die Einhaltung der Frist nach Artikel 108 Satz 3 EPÜ entschieden worden sei und es diese Entscheidung der Kammer folglich nicht verwehre zu prüfen, ob die Beschwerdeschrift der Regel 64 b) EPÜ genüge. Im übrigen würden die Einsprechenden II und III ihre früheren Einwände gegen die Zwischenentscheidung nicht mehr aufrechterhalten.
VI. Die Beschwerdeführerin machte geltend, sie habe definitiv beabsichtigt, mit ihrem Schreiben vom 30. Mai 1995 Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung einzulegen. In Anbetracht der von ihr ergriffenen Maßnahmen habe an dieser Absicht auch kein Zweifel bestehen können, denn sie habe bei der Entrichtung der Beschwerdegebühr klar den Zahlungszweck angegeben: Sie habe die Nummer des Patents genannt und als Gegenstand der Zahlung "Beschwerdegebühr" vemerkt. Da die angefochtene Entscheidung einzig und allein den Widerruf des Patents betreffe, sei klar gewesen, daß die Entscheidung in vollem Umfang aufgehoben werden solle. Somit seien alle Formerfordernisse einer Beschwerdeschrift wenn nicht explizit, so doch schlüssig erfüllt worden.
VII. In der mündlichen Verhandlung wurden folgende Anträge gestellt:
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) beantragten, die Beschwerde nach Regel 65 EPÜ als unzulässig zu verwerfen. Hilfsweise beantragten sie, die Große Beschwerdekammer mit folgenden Fragen zu befassen:
a) Stellt ein Begleitschreiben zu einem Gebührenzahlungsformular und einer Empfangsbestätigung für die Beschwerdegebühr eine wirksame Einlegung einer Beschwerde gemäß Artikel 108 und Regel 64 EPÜ dar?
b) Hat eine Beschwerdekammer nach Wiedereinsetzung des Patentinhabers in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung die Möglichkeit, die Einhaltung der Frist zur Einlegung der Beschwerde unabhängig von der gewährten Wiedereinsetzung zu überprüfen, oder ist durch die gewährte Einsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung automatisch auch die Frage der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Beschwerde eine res judicata und als erfüllt anzusehen unabhängig von dem tatsächlichen Sachverhalt?
c) Entspricht es dem allgemein gültigen Prinzip des Vertrauensschutzes, wenn nach einem Rechtsverlust Wiedereinsetzung aufgrund dieses Prinzips gewährt wird und der Rechtsverlust eingetreten ist aufgrund falschen Verstehens wegen Sprachschwierigkeiten eines zugelassenen Vertreters bei einer vom EPA gegebenen richtigen telefonischen Auskunft zur Fristverlängerung für die Einreichung einer Beschwerdebegründung?
1. Die Beschwerde kann nur dann sachlich geprüft werden, wenn sie zulässig ist (Art. 110 (1) EPÜ). Die Beschwerdegegnerinnen II und III bezweifeln aber, daß die Beschwerde dem Artikel 108 Satz 1 EPÜ und der Regel 64 b) EPÜ entspricht. Im vorliegenden Fall hat die Kammer bereits die Zwischenentscheidung T 460/95 vom 16. Juli 1996 (im ABl. EPA nicht veröffentlicht) erlassen, was die Frage aufwirft, ob die Zulässigkeit der Beschwerde noch geprüft werden kann.
2. Res judicata
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. T 79/89, ABl. EPA 1992, 283; T 843/91, ABl. EPA 1994, 832; T 167/93, ABl. EPA 1997, 229; J 3/95, ABl. EPA 1996, 169) gilt nämlich der Grundsatz der res judicata auch im Rahmen des Übereinkommens, und zwar im wesentlichen für die Entscheidungsformel und die Entscheidungsgründe.
Aus dem Grundsatz, wonach das Gericht nicht mehr zuständig ist, sobald das Urteil verkündet worden ist (J 3/95), der auch für die verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem EPA gilt, sowie aus den Bestimmungen des Übereinkommens über die Beschwerdewege ergibt sich, daß die Entscheidungen der Beschwerdekammern endgültig sind; eine Ausnahme bildet die in Regel 89 EPÜ vorgesehene Berichtigung von Fehlern in Entscheidungen, worunter jedoch nur sprachliche Fehler, Schreibfehler und offenbare Unrichtigkeiten fallen.
Die Beschwerdeführerin war durch die Zwischenentscheidung dieser Kammer nach Artikel 122 EPÜ in die Frist nach Artikel 108 Satz 3 EPÜ für die Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereingesetzt worden, was rechtlich zur Folge hatte, daß letztere als rechtzeitig eingereicht galt. Diese Fiktion der rechtzeitigen Einreichung der Begründung ist somit endgültig geworden.
Auf die Frage, ob die Beschwerdeschrift der Regel 64 b) EPÜ entspricht, war jedoch weder in den Gründen noch in der Entscheidungsformel der Zwischenentscheidung eingegangen worden. Danach war die Zulässigkeit der Beschwerdeschrift nicht in Frage gestellt worden. Die Kammer hatte die Beschwerdeschrift zwar nicht als offensichtlich unzulässig betrachtet, sich aber auch nicht zu ihrer Zulässigkeit geäußert. Deshalb erstreckt sich die res judicata der Zwischenentscheidung nicht auf die Zulässigkeit der Beschwerdeschrift selbst. Somit kann und muß die Kammer prüfen, ob die Beschwerdeschrift formal zulässig ist.
3. Voraussetzungen, unter denen eine Beschwerde als eingelegt gilt
In Artikel 108 EPÜ ist festgelegt, innerhalb welcher Frist und in welcher Form eine Beschwerde einzulegen ist: Sie ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung schriftlich einzulegen und gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist. Innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der Entscheidung ist die Beschwerde ferner schriftlich zu begründen. Außerdem bestimmt Regel 64 EPÜ, daß die Beschwerdeschrift - denn nach Artikel 108 EPÜ ist die Beschwerde "schriftlich" einzulegen - folgendes enthalten muß:
a) den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers und
b) einen Antrag, der die angefochtene Entscheidung und den Umfang anzugeben hat, in dem ihre Änderung oder Aufhebung begehrt wird.
4. Existenz einer Beschwerde im vorliegenden Fall
Die angefochtene Entscheidung wurde am 30. März 1995 zur Post gegeben und der Beschwerdeführerin gemäß Regel 78 (1) EPÜ durch eingeschriebenen Brief zugestellt. Entsprechend den Regeln 78 (3) und 85 (1) EPÜ lief die Zweimonatsfrist nach Artikel 108 Sätze 1 und 2 EPÜ somit am 9. Juni 1995 ab. Bezogen auf diesen Stichtag wurde die Beschwerdegebühr rechtzeitig entrichtet. In dieser Zeitspanne hatte das Amt auch das an die Direktion "Kassen- und Rechnungswesen" des EPA gerichtete Schreiben erhalten. Aus dem anschließenden Schriftwechsel und den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen geht hervor, daß die Beschwerdeführerin dieses Schreiben als die eigentliche Beschwerdeschrift betrachtet.
Das genannte Schreiben betrifft aber seinem Inhalt nach ausschließlich die Entrichtung der Beschwerdegebühr und sieht lediglich wie ein Begleitschreiben aus. Außer dem Hinweis "Beschwerdegebühr bezüglich der im Betreff genannten Anmeldung" enthält das Schreiben keinerlei Antrag, der die angefochtene Entscheidung und den Umfang angibt, in dem ihre Änderung oder Aufhebung begehrt wird (vgl. R. 64 b) EPÜ). Es wird auch nicht ausdrücklich die feste Absicht erklärt, eine bestimmte Entscheidung anzufechten. Somit stellen sich zwei Fragen: Ist im vorliegenden Fall tatsächlich Beschwerde eingelegt worden, und - wenn ja - entspricht die Beschwerdeschrift der Regel 64 EPÜ?
Im Übereinkommen wird nicht ausdrücklich definiert, welche wesentlichen Elemente eine wirksam eingelegte Beschwerde kennzeichnen; es besagt lediglich, daß sie schriftlich einzulegen ist und erst dann als eingelegt gilt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist (Art. 108 Satz 2 EPÜ). Ferner müssen nach Regel 65 EPÜ alle Anforderungen der Artikel 106 bis 108 und der Regeln 1 (1) und 64 EPÜ erfüllt sein, damit eine Beschwerde zulässig ist. Daher wird in diesen Artikeln und Regeln davon ausgegangen, daß eine Beschwerde vorliegt. Wäre folglich eine der Anforderungen der Regel 65 EPÜ nicht erfüllt, so könnte dies nur zur Folge haben, daß die Beschwerde unzulässig ist, nicht aber, daß keine Beschwerde vorliegt; eine Ausnahme bildet die Fiktion des Artikels 108 Satz 2 EPÜ, die hier aber nicht zutrifft.
Der Unterschied zwischen Unzulässigkeit und Nichtvorliegen einer Beschwerde ist natürlich nicht nur theoretischer Natur, sondern hat rechtliche Folgen. So tritt insbesondere die aufschiebende Wirkung nur ein, wenn eine Beschwerde vorliegt, und die Verpflichtung zur Entscheidung nach Artikel 111 EPÜ kommt erst dann zum Tragen, wenn die Kammer befaßt wird, was voraussetzt, daß eine Beschwerde vorliegt. Läge keine Beschwerde vor, so würde die Beschwerdegebühr - anders als im Fall einer unzulässigen Beschwerde - automatisch zurückgezahlt. Der Unterschied zwischen einer unzulässigen Beschwerde und einer Handlung, die keine Beschwerde ist, war bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen der Beschwerdekammern. In den Entscheidungen J 19/90 vom 30. April 1992, Nr. 2.1 ff. der Entscheidungsgründe (im ABl. EPA nicht veröffentlicht), T 371/92, Nr. 3.5 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 1995, 324) und J 16/94, Nrn. 3 und 4 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 1997, 331) stellten die Kammern fest, daß die Entrichtung der Beschwerdegebühr allein keine rechtswirksame Einlegung einer Beschwerde darstelle, und zwar im wesentlichen deshalb, weil die Absicht, eine bestimmte Entscheidung mit der Beschwerde anzufechten, nicht ausdrücklich und eindeutig erklärt worden sei.
In den Entscheidungen J 19/90 und T 371/92 hatten die Anmelderinnen lediglich die Beschwerdegebühr unter Verwendung des EPA-Formblatts 1010 entrichtet, auf dem als Zahlungszweck eine "Beschwerdegebühr" angegeben war. Eine Beschwerdeschrift im Sinne der Regel 64 EPÜ war nicht eingereicht worden. Die Kammern schlossen daraus, daß keine Beschwerde eingelegt worden sei, und ordneten die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an. In der Sache J 16/94 war zwar eine Beschwerdeschrift rechtzeitig eingereicht worden, aber die Beschwerde war in Form eines Hilfsantrags und somit bedingt eingelegt worden. Die Kammer vertrat die Auffassung, eine Beschwerde, in der nicht die feste Absicht erklärt werde, eine beschwerdefähige Entscheidung anzufechten, entspreche nicht Artikel 108 Satz 1 und Regel 64 b) EPÜ und sei damit unzulässig. Außerdem lehnte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ab. In einer Reihe von Entscheidungen (vgl. zum Beispiel T 925/91, ABl. EPA 1995, 469) ging es um Beschwerdeschriften, die mit verschiedenen Formmängeln behaftet waren; die erklärte Absicht, Beschwerde einzulegen, stand in diesen Fällen nicht in Frage.
Diese Kammer stimmt dem Grundsatz zu, daß nur dann eine wirksam eingelegte Beschwerde vorliegt, wenn die Absicht geäußert wurde, Beschwerde einzulegen. Eine solche Absichtserklärung gilt nämlich allgemein als Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Rechtshandlung. Dennoch ist keine der vorstehend genannten Entscheidungen auf den vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar. Die (bereits genannten) Entscheidungen J 19/90 und T 371/92 unterscheiden sich von dem hier vorliegenden Fall insofern, als dort nur das Zahlungsformblatt, aber kein Schreiben vorlag. Was die übrigen erwähnten Entscheidungen angeht, so betrafen sie Fälle, in denen die Beschwerde zwar eindeutig eingelegt worden war, aber mit einer Bedingung verknüpft oder mit anderen Formfehlern behaftet war.
Im vorliegenden Fall erklärte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, sie habe ihr Schreiben in der Absicht abgefaßt, gegen die Entscheidung über den Widerruf ihres Patents Beschwerde einzulegen. Diese Beschwerdeschrift sei ohne jeden Zweifel rechtsgültig, und es hätte auf der Hand liegen müssen, daß mit der Beschwerde die Aufhebung der Entscheidung in vollem Umfang bezweckt werde. Diese Aussage der Beschwerdeführerin wurde von keiner der Beschwerdegegnerinnen bestritten. Folglich hatte die Beschwerdeführerin nach Meinung der Kammer tatsächlich die Absicht, Beschwerde einzulegen, und das genannte Schreiben muß als Äußerung dieser Absicht betrachtet werden. Daher vertritt die Kammer die Auffassung, daß das Schreiben eine Beschwerdeschrift darstellt und somit Beschwerde eingelegt wurde.
5. Zulässigkeit der Beschwerde
Es wurde zwar Beschwerde eingelegt, doch muß diese auch alle Formerfordernisse der Artikel 106 bis 108 und der Regeln 1 (1) und 64 EPÜ erfüllen. Da das Schreiben, das die Beschwerdeschrift darstellt, so formuliert ist, daß es sich ausschließlich auf die Zahlung der Beschwerdegebühr bezieht, stellt sich die Frage, ob die Beschwerde der Regel 64 b) EPÜ entspricht, wonach die Beschwerdeschrift einen Antrag enthalten muß, der die angefochtene Entscheidung und den Umfang anzugeben hat, in dem ihre Änderung oder Aufhebung begehrt wird.
In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern wird die Auffassung vertreten, daß die Frage, welche Entscheidung angefochten werden soll, anhand der Akte geklärt werden kann und daß sich auch der Umfang, in dem die Entscheidung geändert oder aufgehoben werden soll, aus der Art der in Frage stehenden Entscheidung ergibt. Diese Rechtsprechung ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, da sie voraussetzt, daß in der Beschwerdeschrift ausdrücklich und eindeutig die definitive (feste) Absicht erklärt wird, die Entscheidung anzufechten. In diesem Punkt eben unterscheidet sich der vorliegende Fall von den übrigen Entscheidungen der Beschwerdekammern, in denen die Beschwerdeschrift - durch Auslegung der bekundeten Absicht - als zulässig betrachtet wurde, obwohl der Umfang der Beschwerde nicht ausdrücklich angegeben war (vgl. zum Beispiel T 925/91, ABl. EPA 1995, 469).
Die Beschwerdeführerin machte zu ihrer Verteidigung geltend, es gebe nur eine mögliche Auslegung, nämlich die, daß sie Beschwerde einlegen wolle, um die Aufhebung der Entscheidung in vollem Umfang zu erreichen. Damit verkennt sie aber, daß das Schreiben objektiv eine andere Auslegung zuläßt, nämlich die, daß es lediglich als Begleitschreiben zum Zahlungsformblatt betrachtet werden kann, das nicht in der Absicht abgefaßt worden ist, gleichzeitig als Beschwerdeschrift zu dienen. Eine solche Vorgehensweise kann aus verschiedenen Gründen vorteilhaft sein. Beispielsweise kann man sich so bis zum letzten Tag der Frist für die Einreichung der Beschwerdeschrift die Möglichkeit offenhalten, die Beschwerdegebühr zurückzuerhalten.
Im vorliegenden Fall kommt dies de facto einer bedingt eingelegten Beschwerde gleich, die nach Regel 64 b) EPÜ nicht zulässig ist (vgl. J 16/94). In dem Schreiben ist nämlich lediglich von einer Beschwerde die Rede, aber es wird nicht ausdrücklich und eindeutig die feste Absicht erklärt, eine beschwerdefähige Entscheidung anzufechten, und auch nicht angegeben, in welchem Umfang deren Änderung oder Aufhebung begehrt wird. Da sich aus der Form und dem Inhalt der Beschwerdeschrift nicht eindeutig ergibt, welches Ziel mit der Beschwerde verfolgt wird, ist die Beschwerde aus denselben Gründen wie in der Sache J 16/94 unzulässig.
6. Schlußfolgerung
Die Beschwerde gilt zwar als eingelegt, aber die Beschwerdeschrift entspricht nicht der Regel 64 b) EPÜ. Nach Regel 65 (1) EPÜ ist die Beschwerde wegen dieses Formfehlers als unzulässig zu verwerfen. Es muß daher den Anträgen der Beschwerdegegnerinnen stattgegeben werden, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Der Hilfsantrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer ist damit gegenstandslos geworden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.