T 0921/21 (Lagerstabiles Reinigungsmittel/Henkel) 25-07-2023
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MEHRPHASIGES VORPORTIONIERTES REINIGUNGSMITTEL
Spät eingereichter Antrag - Zulassung Hauptantrag (nein)
Spät eingereichter Antrag - Zulassung erster und zweiter Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - erster Hilfsantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - zweiter Hilfsantrag (ja)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 3 102 658 zu widerrufen.
Die Einspruchsabteilung ließ die am 23. Dezember 2020 von der Einsprechenden eingereichten und der Patentinhaberin am 19. Januar 2021 zugestellten Entgegenhaltungen D5 (WO 2009/112992), D6 (Datenblatt Monosol M8630), D7 (Infoblatt Poly-Tergent SLF18), D8 (Infoblatt Neodol) und D9 (US 8 283 300) wegen prima facie Relevanz ins Verfahren zu. Die daraufhin am 26. Februar 2021 von der Patentinhaberin eingereichten Hilfsanträge 5-12 (später umnummeriert zu Hilfsanträge 4 und 6 bis 12) ließ die Einspruchsabteilung dagegen nicht zu.
Den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags, mit dem die Patentinhaberin das Patent in geänderter Fassung verteidigte, hielt die Einspruchsabteilung für nicht neu und den Gegenstand von Anspruch 1 der seinerzeitigen Hilfsanträge 1-3 und 5 (eingereicht als Hilfsantrag 4 mit der Einspruchserwiderung) hielt sie für nicht erfinderisch gegenüber D9.
II. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung als neuen Hauptantrag und reichte fünf neue Hilfsanträge sowie den Versuchsbericht D10 ein. Zum zweiten Hilfsantrag führte sie aus, dass das zusätzlich aufgenommene Merkmal, nach dem das Reinigungsmittel mindestens ein Polyalkylenglykol bzw. ein Polyethylenglykol mit einem bestimmten Molekulargewicht enthalten müsse, für den Fachmann aus dem Stand der Technik nicht zu entnehmen sei.
III. Mit der Beschwerdeerwiderung beantragte die Einsprechende (nachfolgend: Beschwerdegegnerin), die Beschwerde zurückzuweisen und D10 sowie den Hauptantrag und die Hilfsanträge 2-5 nicht zum Verfahren zuzulassen. D10 sei verspätet und aufgrund mehrerer Mängel auch technisch irrelevant. Der Antrag, das Patent in seiner erteilten Form aufrecht zu erhalten, sei im Einspruchsverfahren nie gestellt worden, so dass der neue Hauptantrag nicht zulässig sei. Die Hilfsanträge 2-5 hätten ebenfalls bereits erstinstanzlich eingereicht werden müssen. Hilfsantrag 2 sei darüber hinaus nicht prima facie gewährbar. Zudem sei das in Hilfsantrag 2 aufgenommene Merkmal bereits in dem von der Einspruchsabteilung nicht zum Verfahren zugelassenen Hilfsantrag 11 enthalten gewesen.
IV. Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 brachte die Beschwerdeführerin unter anderem Argumente zur Zulassung von D10 sowie der Hilfsanträge 2-5 vor.
V. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer reichte die Beschwerdeführerin einen weiteren Schriftsatz ein und brachte unter anderem vor, es sei bereits in Absatz 0029 des Streitpatents erwähnt, dass die Verwendung von Lösemitteln mit einem niedrigen Molgewicht zu verstärkter Migration führe.
VI. In einem weiteren Schriftsatz brachte die Beschwerdegegnerin unter anderem weitere Argumente zur Zulassung von D10 unter Artikel 12(4) VOBK 2020, zur Zulassung der Hilfsanträge 2-5 unter Artikel 12(6) VOBK 2020, sowie zur Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung vor, die als Hilfsantrag 5-12 eingereichten Hilfsanträge nicht zuzulassen.
VII. Am 25. Juli 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte als Hauptantrag die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Zurückweisung des Einspruchs); hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1-5, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Hauptantrag - Zulassung
1.1 In ihrer vorläufigen Meinung hat die Kammer mitgeteilt, dass sie geneigt ist, ihr Ermessen dahingehend auszuüben, den Hauptantrag nicht zum Verfahren zuzulassen. Da die Beschwerdeführerin weder schriftlich noch mündlich irgendwelche Gegenargumente hierzu vorgebracht hat, hat die Kammer keine Veranlassung, von dieser Würdigung abzuweichen.
1.2 Der Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung liegt der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde und stellt damit eine Änderung im Sinne von Artikel 12(4) VOBK 2020 dar, deren Zulassung im Ermessen der Kammer liegt. Nach Artikel 12(6) VOBK 2020, zweiter Satz, lässt die Kammer Anträge nicht zum Beschwerdeverfahren zu, die in dem Verfahren, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, vorzubringen gewesen wären, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigten die Zulassung. Die Kammer hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, den Hauptantrag nicht zum Verfahren zuzulassen, denn ein solcher Antrag wäre im Einspruchsverfahren zu stellen gewesen. Vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens ist gemäß Artikel 12(2) VOBK 2020 die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung. Die Beschwerdeführerin hat das Patent jedoch schon mit ihrer Einspruchserwiderung nur beschränkt verteidigt und damit eine im Beschwerdeverfahren überprüfbare Entscheidung der Einspruchsabteilung über das Patent in der erteilten Fassung vereitelt. Gründe oder besondere Umstände, die das Einreichen des Antrags erst in diesem Stadium des Verfahrens rechtfertigen würden, wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen und sind auch für die Kammer nicht ersichtlich.
2. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit
2.1 Anspruch 1 dieses Antrags hat den folgenden Wortlaut:
"1. Vorportioniertes Reinigungsmittel, bevorzugt Maschinengeschirrspülmittel, in einer wasserlöslichen Verpackung mit mindestens zwei Kompartimenten, umfassend mindestens eine feste, bevorzugt pulverförmige Phase und mindestens eine flüssige Phase, dadurch gekennzeichnet, dass die flüssige Phase (bzw. die flüssigen Phasen)
a) mindestens eine, bevorzugt zwei, drei, vier oder mehr alkoxylierte Komponenten gemäß Formel I enthält
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
b) weniger als 5 Gew.-% von solchen organischen Verbindungen enthält, welche ein durchschnittliches Molekulargewicht von kleiner 175 g/mol, bevorzugt von kleiner als 150 g/mol aufweisen; und
c) weniger als 7 Gew.-% Wasser enthält, wobei der pH-Wert einer wässrigen Lösung bei 20°C, enthaltend 10 Gew.- % des gesamten Reinigungsmittels, in einem Bereich von 7 bis 14, insbesondere größer 7, insbesondere in einem Bereich von 8 bis 13, vorzugsweise von 9 bis 12 liegt."
2.2 Im Hinblick darauf, dass der Hilfsantrag 1 bis auf die Streichung eines fakultativen Merkmals in Anspruch 8 dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden ersten Hilfsantrag entspricht, hat die Kammer ihr Ermessen in Übereinstimmung mit der vorläufigen Meinung dahingehend ausgeübt, den Antrag gemäß Artikel 12(4), (6) VOBK 2020 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
2.3 In der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer zudem ihre vorläufige Meinung mitgeteilt, dass Anspruch 1 gegenüber D9 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und zwar selbst dann, wenn D10 zugelassen und berücksichtigt wird. Da die Beschwerdeführerin weder schriftlich noch mündlich irgendwelche Gegenargumente vorgebracht hat, hat die Kammer keine Veranlassung, von dieser Würdigung abzuweichen.
2.4 Die Erfindung ist auf vorportionierte Reinigungsmittel mit einer festen und einer flüssigen Phase gerichtet.
2.5 D9 offenbart ebenfalls solche Reinigungsmittel (Zusammenfassung, Beispiele 1-8), so dass dieses Dokument einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Die Kammer bestreitet nicht, dass Dl (WO 2006/086109) ebenfalls in Frage kommt, aber das bedeutet nicht, dass D9 als möglicher Ausgangspunkt ausscheidet.
2.6 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung der Beispiele 5 und 7 aus D9 dadurch, dass anspruchsgemäß der Gehalt an organischen Verbindungen mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von kleiner als 175 g/mol bei weniger als 5 Gew.-% liegt, denn die flüssigen Phasen der Beispiele 5 und 7 enthalten jeweils über 50 Gew.% DPG (Dipropylenglykol) mit einer Molmasse von 134 g/mol. Weitere Unterscheidungsmerkmale wurden von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht und sind auch für die Kammer nicht ersichtlich.
2.7 Das Streitpatent stellt sich die Aufgabe, eine unerwünschte Migration von Material insbesondere von der Flüssig- in die Festphase zu vermeiden (Absatz 0009).
2.7.1 Die Versuche im Streitpatent können eine Verminderung der Migration gegenüber D9 jedoch nicht belegen, denn die flüssige Phase VI (Tabelle 2) ist nicht repräsentativ für die flüssigen Phasen der Beispiele 5 und 7 aus D9. Darüber hinaus unterscheidet sich die erfindungsgemäße Mischung El von der Vergleichsmischung VI nicht nur durch das Molgewicht des Lösungsmittels sondern auch durch dessen Mengenanteil sowie insbesondere auch durch den Wassergehalt, so dass der beobachtete Effekt nicht auf den Molgewichtsunterschied zurückgeführt werden kann.
2.7.2 Auch D10 vermag nicht den Nachweis zu erbringen, dass Reinigungsmitteln nach Anspruch 1 gegenüber D9 über den kompletten beanspruchten Bereich eine verminderte Migrationsneigung aufweisen. Selbst wenn man die grundsätzlichen Bedenken der Beschwerdegegnerin gegen den Versuchsbericht D10 (Fehlen von Silikat in der Pulverphase, keine Versuchswiederholung, keine Mehrkomponenten-Pouches, keine quantitative Bestimmung des behaupteten Gewichtsverlusts der flüssigen Phase und die unzureichende Aussagekraft der Photos) außer acht lässt, lässt sich aus D10 höchstens ableiten, dass eine Flüssigphase, die als Lösemittel ausschließlich eine Mischung aus PEG 4000 und PEG 400 mit mittleren Molmassen von 4000 bzw. 400 g/mol enthält, weniger Migrationsneigung aufweist als die aus D9 bekannte Phase, die anstelle der PEG Dipropylenglykol (DPG) mit einer Molmasse von 134 g/mol enthält. Der Anspruch ist jedoch deutlich breiter und umfasst Lösemittel ab einem Molgewicht von 175 g/mol. Eine erfinderische Tätigkeit aufgrund eines technischen Effektes kann dem Anspruch jedoch nur dann zugesprochen werden, wenn der Effekt über die gesamte Anspruchsbreite vorliegt und nicht nur in einem Teilbereich.
2.7.3 Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern können angebliche Vorteile des beanspruchten Gegenstands, auf die sich der Patentinhaber gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beruft, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, I.D.4.3.1 m.w.N.). Wenn der Patentinhaber daher behauptet, dass die beanspruchte Erfindung eine technische Wirkung verbessert, so ist er hierfür beweispflichtig und zwar für den gesamten beanspruchten Bereich (a.a.O).
Es oblag daher auch im vorliegenden Fall der Patentinhaberin nachzuweisen, dass nicht nur einzelne unter den Anspruch fallende Ausführungsformen eine verringerte Migrationsneigung zeigen, sondern im Wesentlichen alle. Die Kammer erkennt an, dass Bereiche in Patentansprüchen üblicherweise etwas breiter sind als die in Versuchen ermittelten Einzelwerte. Dies ist in der Regel auch akzeptabel, solange es zumindest technisch plausibel ist, dass der erfinderische Effekt im gesamten Bereich auftritt. Was D10 angeht, fällt jedoch auf, dass die Untergrenze des beanspruchten Bereichs von 175 g/mol deutlich dichter an der Molmasse von DPG (134 g/mol) liegt, bei welcher der erfinderische Effekt, wie in D10 nachgewiesen, eben nicht auftritt, als an der Molmasse des erfinderischen Lösemittels PEG 400. Aus D10 lässt sich somit ein technischer Effekt für Lösemittel mit einer Molmasse im unteren Teil des beanspruchten Bereichs nicht ohne Weiteres ableiten, insbesondere auch, weil das Streitpatent keinerlei Daten enthält, die es erlauben würden, die Migrationsneigung mit dem Molgewicht zu korrelieren bzw. aus diesem zu extrapolieren.
2.7.4 Die Beschwerdeführerin hat in dieser Hinsicht auf Absatz 0029 des Streitpatents verwiesen. Diese Passage enthält aber letztendlich nur die Behauptung, dass die genannte Grenze von 175 g/mol kritisch sei, aber keinen experimentellen Nachweis, dass schon ab dieser Molmasse eine messbar geringere Migration erreicht wird.
2.7.5 Aus diesen Gründen muss die Aufgabe weniger ambitioniert formuliert werden, nämlich als die Bereitstellung einer Alternative zu den Reinigungsmitteln der Beispiele 5 und 7 der D9.
2.7.6 Die Lösung dieser Aufgabe gemäß erstem Hilfsantrag ist ein Reinigungsmittel, das weniger als 5 % organische Verbindungen mit einer Molmasse von 175 g/mol enthält.
2.7.7 Diese Lösung ist im Wesentlichen aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten Gründen nicht erfinderisch (Punkte 22.4 und 22.5). Insbesondere offenbart D9 in den Spalten 15 und 16 eine Reihe von Lösemitteln, die alternativ zu dem in den Beispielen verwendeten DPG eingesetzt werden können, darunter Diethylenglykolmonoethyletheracetat mit einem Molgewicht von 176 g/mol und Diethylenglykol-monobutyletheracetat mit einem Molgewicht von 204 g/mol. Der Austausch von DPG durch jedes dieser beiden Lösemittel wird somit durch D9 selbst nahegelegt und führt den Fachmann ohne Weiteres zum Gegenstand von Anspruch 1.
2.7.8 Das Argument der Beschwerdeführerin, der Fachmann würde nicht willkürlich aus der Liste mit über 40 alternativen Lösemitteln (D9, Spalte 15-16) gezielt eines der beiden auswählen, ist nicht überzeugend, denn der Fachmann wird durch die Aufgabe, eine Alternative zu den Reinigungsmitteln nach Beispiel 5 oder 7 bereitzustellen, dazu veranlasst, in D9 nach alternativen Komponenten zu suchen. Der Einsatz jedes der genannten Lösemittel ist somit eine durch D9 selbst nahegelegte Alternative zu DPG. Die Tatsache, dass Lösemittel mit Molmassen von weniger als 175 g/mol ebenfalls nahegelegt werden, ist hierbei irrelevant, denn eine Alternative muss nicht die einzige Alternative sein, um den Gegenstand eines Anspruchs nahezulegen.
2.7.9 Aus den genannten Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags naheliegend und somit nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).
3. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit
3.1 Gegenüber dem ersten Hilfsantrag wurde in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags das folgende Merkmal eingeführt: "und in der flüssigen Phase als eine der Komponente gemäß a) mindestens ein Polyalkylenglycol, bevorzugt mindestens ein Polyethylenglycol oder mindestens ein Polypropylenglycol, insbesondere mindestens ein Polyethylenglycol, mit einem mittleren Molekulargewicht zwischen 160 und 6000 enthalten ist."
3.2 Zulassung
Die Kammer hat ihr Ermessen unter Artikel 12(4) bzw. (6) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, den Antrag in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
3.2.1 Nach Artikel 12(6) VOBK 2020, erster Satz, lässt die Kammer Anträge nicht zum Beschwerdeverfahren zu, die in dem Verfahren, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, nicht zugelassen wurden, es sei denn, die Entscheidung über die Nichtzulassung war ermessensfehlerhaft oder die Umstände des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen die Zulassung. Laut Artikel 12(6) VOBK, zweiter Satz, werden zudem Anträge, die im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen wären aber nicht vorgebracht wurden, ebenfalls nicht zugelassen, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigten die Zulassung.
3.2.2 Hilfsantrag 2 ist ein neuer Antrag, so dass über seine Zulassung nach Artikel 12(4) VOBK in Verbindung mit dem zweiten Satz von Artikel 12(6) VOBK 2020 zu entscheiden ist. Zu den Umständen der Beschwerdesache, die bei der Entscheidung über die Zulassung des Antrags zu berücksichtigen sind, gehört in diesem Fall jedoch auch die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die erstinstanzlich als Hilfsanträge 5-12 eingereichten Anträge und insbesondere Hilfsantrag 11 nicht zum Verfahren zuzulassen, denn auf diesem Antrag basiert Hilfsantrag 2, siehe unten. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob unter den gegebenen Umständen die Nichtzulassung der Anträge und insbesondere von Hilfsantrag 11 überhaupt im Ermessen der Abteilung lag, bzw. ob die Abteilung ihr Ermessen in angemessener
Weise und gemäß den richtigen Kriterien ausgeübt hat.
3.2.3 Die Einsprechende hat am 23. Dezember 2020 und damit am letzten Tag des Zeitraums zum Einreichen neuer Beweismittel nach Regel 116(1) Satz 2 EPÜ die neuen Dokumente D5-D9 eingereicht. Der entsprechende Schriftsatz der Einsprechenden wurde der Patentinhaberin am 19. Januar 2021 zugestellt, worauf sie mit Schriftsatz vom 26. Februar 2021 und dem Einreichen der Hilfsanträge 5-12 reagiert hat.
3.2.4 Regel 116(1) Satz 4 EPÜ besagt, dass geänderte Unterlagen nach dem vom Europäischen Patentamt bestimmten Zeitpunkt nicht berücksichtigt zu werden brauchen, soweit sie nicht wegen einer Änderung des dem Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalts zuzulassen sind. Letzteres trifft hier zu, denn das Einreichen bzw. die spätere Zulassung der Dokumente D5-D9 stellte eine Änderung des dem Verfahren zugrunde liegenden Sachverhaltes dar.
3.2.5 In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern gibt es unterschiedliche Ansätze zur Beurteilung von Anträgen,
die gemäß Regel 116(1) Satz 4, (2) EPÜ in Reaktion auf ein geändertes Vorbringen eingereicht werden.
3.2.6 Nach einer Ansicht gilt ein neuer Antrag, der durch neues Vorbringen veranlasst wurde, zumindest dann als fristgerecht, wenn dieser zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Verfahren eingereicht wurde (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, IV. C.4.3 sowie T 754/16, Entscheidungsgründe 1.3.1;
T 487/13, Entscheidungsgründe 6.2; vgl. auch T 688/16, Entscheidungsgründe 2, wonach das Ermessen durch eine Mitteilung der Gründe, die der Aufrechterhaltung entgegenstehen, bedingt sei). Die Bestimmung dieses frühestmöglichen Zeitpunkts erfolgt dabei anhand wertender Kriterien. Gemäß dieser Rechtsauffassung hätte ein Ermessen der Einspruchsabteilung, die Anträge nicht zuzulassen, nicht bestanden.
3.2.7 Nach anderer Ansicht soll es stets möglich sein, neues Vorbringen nicht zuzulassen, wenn eine Frist nicht eingehalten wurde (Artikel 114(2) EPÜ). Dies soll insbesondere für Anspruchssätze gelten, die nach der in Regel 116(1) EPÜ gesetzten Frist eingereicht werden
(T 1776/18, Entscheidungsgründe 4.6). Nach dieser Ansicht beschränkt sich die Würdigung nicht darauf zu prüfen, ob die Einreichung zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgte, sondern es können auch inhaltlich wertende Kriterien, wie zum Beispiel die prima facie Gewährbarkeit, berücksichtigt werden (T 966/17, Entscheidungsgründe 2; T 1776/18, Entscheidungsgründe 4.6).
3.2.8 Selbst wenn man von dieser letztgenannten Rechtsauffassung ausgeht, musste die Einspruchsabteilung ihrem Ermessen indes die richtigen Kriterien zugrunde legen. Vorliegend wurde jedoch, wie im Folgenden ausgeführt wird, ein unzulässiges Kriterium zumindest mitberücksichtigt.
In der Begründung ihrer Ermessensentscheidung legt die Einspruchsabteilung dar, dass Anträge, die in Reaktion auf verspätet vorgebrachte Tatsachen eingereicht werden, "im Prinzip" in das Verfahren zuzulassen seien, dass dies aber nicht gelte, wenn die Anträge, wie im vorliegenden Verfahren, "so" spät (Hervorhebung im Original) eingereicht worden seien (Seite 4, fünfter Absatz). Somit spielte das späte Einreichen der Anträge für die Ermessensausübung der Abteilung eine entscheidende Rolle. Weiter hat die Abteilung in diesem Zusammenhang ausgeführt, es gäbe Gründe für die Annahme, dass die Patentinhaberin den Schriftsatz der Einsprechenden nicht erst mit dessen Übermittlung durch das Amt am 20. Januar 2021, sondern bereits vor Weihnachten zur Kenntnis genommen habe. Diese Erwägung stellt jedoch ein unzulässiges Ermessenskriterium dar, denn sie ist spekulativ und wurde von der Beschwerdeführerin bestritten. Maßgeblich ist vielmehr, wann der Schriftsatz der Patentinhaberin zugestellt wurde. Die Zustellung wurde indes erst vier Wochen nach dem Eingang der Dokumente D5 bis D9 veranlasst. Wann die Möglichkeit bestanden hätte, diese im Register einzusehen, ist unerheblich und zudem nicht belegt. Damit ist die Einspruchsabteilung (zumindest auch) aufgrund der Berücksichtigung eines unzulässigen Kriteriums zu ihrer Schlussfolgerung gekommen, die Anträge seien so außergewöhnlich spät eingereicht, dass ein Abweichen von dem normalerweise geltenden Prinzip gerechtfertigt sei, Anträge zuzulassen, die in Reaktion auf von der Gegenseite verspätet eingereichte Tatsachen eingereicht wurden. Damit war die Ermessensausübung der Einspruchsabteilung unter anderem zu dem vormaligen Hilfsantrag 11, der Ausgangspunkt für den jetzigen Hilfsantrag 2 ist, fehlerhaft.
3.2.9 Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die anderen Kriterien, die die Abteilung im Rahmen ihres Ermessens geprüft hat, die richtigen waren, wie die mangelnde prima facie Relevanz, das Fehlen einer inhaltlichen Substanziierung der Anträge sowie ihre mangelnde Konvergenz. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn die Tatsache, dass die Abteilung ihrem Ermessen teilweise auch die richtigen Kriterien zugrunde legte, ändert nichts daran, dass auch ein unzulässiges Kriterium berücksichtigt wurde, siehe oben. Zudem hat die Abteilung in ihrer Entscheidung nur das zeitliche Kriterium, nämlich den "so" späten Zeitpunkt des Einreichens der Hilfsanträge, als Grund dafür genannt, dass es überhaupt gerechtfertigt sei, von dem Prinzip abzuweichen, dass Anträge zuzulassen seien, wenn sie als Reaktion auf verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel eingereicht werden, siehe oben. Somit wiegt ein Ermessensfehler, der zu dieser Einschätzung der Einspruchsabteilung beigetragen hat, besonders schwer.
3.2.10 Aus den genannten Gründen war die Nichtzulassung von Hilfsantrag 11 ermessensfehlerhaft, so dass der Antrag ins Beschwerdeverfahren zuzulassen gewesen wäre, wäre er erneut vorgelegt worden. Die Beschwerdeführerin hat stattdessen die Zulassung von Hilfsantrag 2 beantragt. Dieser Antrag basiert auf Hilfsantrag 11 und schränkt ihn weiter ein. So enthält der Antrag die Einschränkung des pH-Wertes aus Hilfsantrag 1, wodurch auch der Einwand der mangelnden Konvergenz mit diesem ausgeräumt wird. Die Änderungen gegenüber Hilfsantrag 11 sprechen somit nicht gegen die Zulassung von Hilfsantrag 2. Vielmehr handelt es sich bei dem Antrag um die Weiterentwicklung eines Antrags, der bereits erstinstanzlich eingereicht, aber ermessensfehlerhaft nicht zugelassen wurde.
3.2.11 Die Beschwerdegegnerin hat weiter vorgebracht, der Antrag erfülle nicht die Erfordernisse von Artikel 12(4) VOBK 2020, weil die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung keine Gründe angegeben habe, warum der Antrag erst im Beschwerdeverfahren gestellt wurde bzw. warum er die erhobenen Einwände ausräumen würde. Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Begründungen ausreichend sind, zumindest wenn auch der Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 24. Mai 2023 berücksichtigt wird.
3.2.12 Was das Ausräumen der Einwände angeht, hat die Beschwerdeführerin schon auf Seite 11 der Beschwerdebegründung dargelegt, dass das neu aufgenommene Merkmal "Polyalkylenglycol" weder D9 noch den anderen genannten Dokumenten zu entnehmen ist, so dass der Antrag nicht naheliegend sei, selbst wenn die Aufgabe als bloße Alternative gesehen werde. Diese Begründung wird auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 24. Mai 2022 präzisiert. Diese zusätzlichen Ausführungen stellen eine Änderung des Beschwerdevorbringens unter Artikel 13(1) VOBK 2020 dar, aber die Kammer sieht keinen Grund, diese Änderung nicht zum Verfahren zuzulassen, weil sie zu keiner Verzögerung des Verfahrens führt und darüber hinaus eine direkte Reaktion auf die entsprechenden Einwände darstellt, die in der Beschwerdeerwiderung vorgebracht wurden.
3.2.13 Weiter geht zum Einreichen des Antrags erst im Beschwerdeverfahren schon aus der Beschwerdebegründung hervor, dass aufgrund der ermessensfehlerhaften Nichtzulassung der Hilfsanträge 5-12 das Einreichen weiterer Anträge nicht möglich war bzw. nicht sinnvoll erschien.
3.2.14 Unter diesen Umständen hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, Hilfsantrag 2 gemäß Artikel 12(4) und (6) VOBK 2020 in das Verfahren zuzulassen.
3.3 Der Anspruch beruht auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 3 sowie Seite 3, fünfter Absatz, Seite 5, letzter Absatz und Seite 24, dritter Absatz der Beschreibung. Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ sind weder ersichtlich noch vorgebracht worden.
3.4 Auslegung
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass sich das in der neu aufgenommenen Merkmalsgruppe genannte mittlere Molekulargewicht auch auf die am Anfang genannten Polyalkylenglykole beziehe und somit einschränkend sei. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen, denn die Merkmalsgruppe ist in dieser Hinsicht zumindest nicht eindeutig. Eine Auslegung, nach der alle Merkmale, die nach dem Ausdruck "bevorzugt" genannt werden, fakultativ sind, ist nämlich ebenfalls nicht unplausibel. Da ein unklarer Anspruch im Zweifel breit ausgelegt werden muss, wird das mittlere Molekulargewicht von zwischen 160 und 6000 als nicht einschränkend angesehen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die durch Merkmal b) bewirkte Beschränkung auch das neu aufgenommenen Merkmal betrifft.
3.5 Erfinderische Tätigkeit
3.5.1 Die zum ersten Hilfsantrag gemachten Ausführungen unter Punkt 2.4-2.7.5 gelten entsprechend auch für diesen Antrag. Die Aufgabe besteht somit in der Bereitstellung einer Alternative zu den Reinigungsmitteln der Beispiele 5 und 7 der D9.
3.5.2 Die Lösung dieser Aufgabe ist ein Reinigungsmittel, das weniger als 5 % organische Verbindungen mit einer Molmasse von 175 g/mol und dabei mindestens ein Polyalkylenglykol enthält.
3.5.3 Die Beschwerdegegnerin hat verschiedene Argumentationslinien vorgebracht, aber keine davon kann überzeugen:
3.5.4 So hat sie zunächst auf Spalte 6, Zeile 60 der D9 verwiesen, in der gelehrt wird, dass unter anderem C2-C3 Polyalkylenglykole als Lösemittel eingesetzt werden können. Das Molekulargewicht dieser Verbindungen wird jedoch nicht offenbart, so dass der Austausch der 55 bzw. 59,5 Gew.-% DPG in Beispiel 5 oder 7 der D9 durch Polyalkylenglykole nicht notwendigerweise zu einem Reinigungsmittel führt, das weniger als 5 Gew.% organischer Verbindungen mit einem Molgewicht von weniger als 175 g/mol enthält.
In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdegegnerin vorgebracht, die Passage auf Seite 6 offenbare eine Substanzklasse ohne Angaben zum Molekulargewicht zu machen, so dass die Auswahl eines bestimmten Gewichts, in diesem Fall von größer als 175 g/mol, willkürlich sei, wenn dadurch kein Effekt erzielt werde.
Die Kammer ist jedoch der Meinung, dass Spalte 6 nicht isoliert betrachtet werden kann. Vielmehr offenbart D9 in Spalte 16, Zeilen 5-9, eine Reihe konkreter Beispiele nützlicher Polyalkylenglykole, an denen sich der Fachmann primär orientieren würde. Alle diese Verbindungen weisen jedoch Molekulargewichte von weniger als 175 g/mol auf, so dass es vor diesem Hintergrund nicht naheliegend erscheint, ein Polyalkylenglykol mit einer höheren Molmasse auszuwählen.
3.5.5 Die Beschwerdegegnerin hat weiter auf die Offenbarung von Lösemittelmischungen in Spalte 16, Zeile 9 der D9 hingewiesen. Verwende der Fachmann gemäß dieser Lehre eine Mischung aus einem der o.g. Lösemittel mit einem Molgewicht von über 175 g/mol und einem Polyalkylenglykol, gelange er zum beanspruchten Gegenstand entweder, wenn ein Polyalkylenglykol mit einem Molgewicht von mehr als 175 g/mol eingesetzt werde, oder im Falle eines niedrigeren Molekulargewichts, wenn weniger als 5 Gew.-% von dem Polyalkylenglykol eingesetzt würden.
3.5.6 Aus den unter Punkt 3.5.4 genannten Gründen würde der Fachmann ein Polyalkylenglykol mit einem hohen Molgewicht jedoch nicht auswählen, insbesondere nicht in einer in D9 so nicht offenbarten spezifischen Mischung mit Diethylenglykolmonoethyletheracetat oder Diethylenglykolmonobutyletheracetat. Ebenso wenig ist der Fachmann veranlasst, die spezifischen Mischungen dieser beiden Verbindungen mit den in Spalte 16 genannten Polyalkylenglykolen einzusetzen, zumindest nicht in dem spezifischen Mischungsverhältnis mit einem sehr hohen Anteil der beiden genannten Verbindungen und einem entsprechend geringen Anteil von weniger als 5 Gew.% von Polyalkylenglykol.
3.5.7 Weiter hat die Beschwerdegegnerin auf die Verbindung SLF-18 in D9 verwiesen, die gemäß D7 ein "end-capped" Polyalkylenglykol darstelle. Ein Glykol ist nach der üblichen chemischen Terminologie jedoch ein Diol, so dass es sich bei SLF-18 durch das "end-capping" um einen Glykolether handelt, aber nicht um ein Glykol als solches, siehe hierzu auch D9, Spalte 6, Zeile 60-61.
3.5.8 Aus den vorgenannten Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 nicht naheliegend (Artikel 56 EPÜ).
4. Wie zum ersten Hilfsantrag ausgeführt, ist dieser nicht erfinderisch, selbst wenn D10 berücksichtigt würde. Weiter ist der zweite Hilfsantrag auch ohne die Berücksichtigung von D10 erfinderisch. Unter diesen Umständen ist eine Entscheidung über die Zulassung von D10 nicht erforderlich.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage des Hilfsantrags 2, eingereicht mit der Beschwerdebegründung (eingegangen am 26. August 2021) und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.