T 1037/01 (Faktor VIII/IMMUNO) 12-08-2004
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Verfahren zur Herstellung von Faktor VIII
Zulassung verspätet vorgebrachter Entgegenhaltungen - (nein)
Klarheit, Neuheit, erfinderische Tätigkeit - (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 567 448 in geändertem Umfang gemäß Artikel 102 (3) EPÜ aufrechterhalten wurde.
II. Gegen das Patent war wegen fehlender Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und fehlender erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) des Gegenstandes von Anspruch 8 gemäß Artikel 100 a) EPÜ Einspruch erhoben worden.
III. Die Ansprüche 1 und 8 des erteilten Patents lauteten:
"1. Verfahren zur Herstellung einer hochgereinigten, virussicheren Faktor VIII-Präparation, gekennzeichnet durch die Kombination der Maßnahmen
a) einer chromatographischen Reinigung einer Faktor VIII- hältigen Fraktion,
b) einer Tensidbehandlung des Faktors VIII in wässeriger Lösung, welche frei von organischen Lösungsmitteln ist, bei einem Tensid/Protein-Verhältnis von 1:1 bis 1000:1 und
c) einer Hitzebehandlung der Faktor VIII-Präparation in festem Zustand.
8. Blutgerinnungsfaktor VIII-Präparation, hergestellt nach einem der Ansprüche 1 bis 7, mit einer spezifischen Aktivität von mindestens 25 E/mg Protein."
IV. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, daß Anspruch 8 in Hinblick auf die Entgegenhaltungen
(3) EP-A-0 383 645, und
(8) The Lancet, Bd. 339, 28. März 1992, Seite 819
nicht erfinderisch sei, daß jedoch der ihr vorliegende zweite Hilfsantrag den Erfordernissen des EPÜ entspreche.
Anspruch 8 des zweiten Hilfsantrages lautet:
"Blutgerinnungsfaktor VIII/vWF-Komplex-Präparation, hergestellt nach einem der Ansprüche 1 bis 7, mit einer spezifischen Aktivität von mindestens 25 E/mg Protein."
V. Die Beschwerdeführerin reichte mit der Beschwerdebegründung acht neue Entgegenhaltungen ein ((12) bis (19)).
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte mit ihrer Erwiderung zwei Versuchsberichte ein.
VI. Die Kammer teilte ihre vorläufige Meinung in einem Bescheid am 29. Januar 2004 mit.
VII. Die Beschwerdeführerin reichte per FAX am 12. Juli 2004 sechs weitere Entgegenhaltungen ein ((20) bis (25)) und erhob erstmals Einwände gegen den Gegenstand von Anspruch 8, gemäß den Artikeln 83 und 84 EPÜ.
VIII. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 12. August 2004 statt.
Der Kammer lagen folgende Anträge vor:
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im Umfang des Anspruchs 8.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Entgegenhaltungen (20) bis (25) als verspätet anzusehen und nicht in das Verfahren aufzunehmen. Sie beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in der von der Einspruchsabteilung gebilligten Fassung aufrechtzuerhalten.
IX. Neben den in Abschnitt (IV) erwähnten Entgegenhaltungen (3) und (8) werden in dieser Entscheidung folgende Entgegenhaltungen erwähnt:
(1) EP-A-0 508 194
(13) Thromb. Research, Bd. 56, 1989, Seiten 169-178
(16) US-A-4 670 543
(19) EP-A-0 159 311
(20) Thromb. Haemost., Bd. 92, 2004, Seiten 67-74
(21) Haemophilia, Bd. 4 (Supp. 3), 1998, Seiten 25-32
(22) Bekanntmachung des Paul-Ehrlich-Institutes Nr. 266, November 2003, Seiten 1-3
(23) EP-A-0 416 983
(24) DE-T-69 002 427
(25) Bull. Parenter. Drug Assoc., Bd. 20, 1966, Titel der Veröffentlichung auf den Seiten 74-84
X. Die Argumente der Beschwerdeführerin können folgendermaßen zusammengefaßt werden:
Bezüglich des in Anspruch 8 aufgenommenen Ausdrucks "Blutgerinnungsfaktor VIII/vWF-Komplex" sei es nicht klar, ob es sich dabei um den natürlichen Komplex handle, bei dem die beiden Komponenten bezogen auf Plasmaäquivalentaktivitäten im Verhältnis 1:1 vorliegen, oder ob die Komponenten in einem davon abweichenden Verhältnis enthalten seien. Damit sei nicht zu erkennen, was Gegenstand der Erfindung sei. Diese sei daher nicht so ausreichend offenbart, daß ein Fachmann sie gemäß den Anforderungen von Artikel 83 EPÜ ausführen könne.
Obwohl es möglich sei, den Gegenstand von Anspruch 8 durch stoffliche Merkmale zu kennzeichnen, sei dieser als "product-by-process" formuliert, wodurch er im Widerspruch zu den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ nicht deutlich und knapp gefaßt sei.
Der Gegenstand von Anspruch 8 sei durch mehrere in Tabelle (3) der Entgegenhaltung (13) aufgelistete Präparate neuheitsschädlich vorweggenommen. Darüber hinaus sei aus Entgegenhaltung (22) ersichtlich, daß ein von der Patentinhaberin selbst seit fast zehn Jahren verkauftes Produkt die Neuheit des Präparates gemäß Anspruch 8 neuheitsschädlich vorwegnehme.
Der Fachmann würde auf Grund seines Wissens die Virussicherheit des in Entgegenhaltung (3) offenbarten Produktes durch eine in Entgegenhaltung (8) nahegelegte und in Entgegenhaltung (19) offenbarte Wärmebehandlung verbessern und so in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 8 gelangen. Dasselbe Resultat würde der Fachmann erhalten, wenn er dem in Entgegenhaltung (16) beschriebenen FVIII:vWF-Komplex gemäß Entgegenhaltung (1) ein nicht-ionisches Detergens zufügen würde. Schließlich würde der Fachmann, ohne erfinderisch tätig zu werden, zum beanspruchten Gegenstand gelangen, wenn er aus dem in Entgegenhaltung (23) offenbarten Produkt sämtliche Lösungsmittelrückstände entfernen würde, es hitzebehandeln würde und ihm auf Grund der Anregung in Entgegenhaltung (25) ein nicht-ionisches Detergenz zufügen würde.
Auf Grund der Neuformulierung von Anspruch 8 im Einspruchsverfahren sei eine neue Definition des Standes der Technik notwendig geworden. Dies rechtfertige die Einreichung der, für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischen Tätigkeit relevanten, Entgegenhaltungen (20) bis (25) am 12. Juli 2004.
XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können folgendermaßen zusammengefaßt werden:
Das Verhältnis, in dem die beiden Komponenten FVIII und vWF im Komplex gemäß Anspruch 8 vorliegen, sei durch die Angabe der spezifischen Aktivität von mindestens 25 E/mg Protein klar definiert, sodaß der Fachmann kein Problem habe, zu erkennen, was Gegenstand der Erfindung sei. Auf Grund von Merkmalen, die durch das Verfahren zu seiner Herstellung bedingt sind, sei das Präparat gemäß Anspruch 8 von keinem der in Entgegenhaltung (13) genannten Produkte neuheitsschädlich vorweggenommen.
Weder Entgegenhaltung (3), die ein Verfahren zur Herstellung eines FVIII-Konzentrats offenbare, das frei von vWF sei, noch Entgegenhaltung (16), die ein affinitätschromatographisch gereinigtes, nicht hitzebehandeltes Produkt ohne Tensidgehalt mit einer FVIII Aktivität von 20 E/mg offenbare, erlauben es dem Fachmann, durch Kombination mit einem anderen bekannten Stand der Technik in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 8 zu gelangen.
Die auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhende Präparation gemäß Anspruch 8 sei auf Grund ihrer Zusammensetzung sowohl für die Behandlung von Hämophilie A als auch der von Willebrand'schen Erkrankung geeignet.
Die Entgegenhaltungen (20) bis (25) seien von der Beschwerdeführerin am 13. Juli 2004, beinahe zweieinhalb Jahre nach der Beschwerdebegründung eingereicht worden, und daher nicht in das Verfahren aufzunehmen.
Entscheidungsgründe
Umfang des Einspruchs und der Beschwerde
1. Die Befugnis einer Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer, gemäß den Artikeln 101 und 102 EPÜ zu prüfen und zu entscheiden, ob ein europäisches Patent aufrechterhalten werden soll, hängt von dem Umfang des Angriffs ab, in dem gemäß Artikel 99 in Verbindung mit Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift gegen das Patent Einspruch eingelegt wird (siehe G 9/91, ABl. EPA 1993, 408).
Der von der Beschwerdeführerin am 3. März 1999 eingelegte Einspruch bezog sich ausschließlich auf Anspruch 8. Demzufolge befaßt sich die vorliegende Entscheidung, ebenso wie die der Beschwerde zugrunde liegende Entscheidung der Einspruchsabteilung, nur mit dem Gegenstand dieses Anspruchs.
Zulassung der Entgegenhaltungen (20) bis (25)
2. Die Entgegenhaltungen (20) bis (25) wurden zwar von der Beschwerdeführerin nicht, wie von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, am 13. Juli 2004, sondern per FAX am 12. Juli 2004 eingereicht.
Dennoch liegt dieses Datum liegt mehr als zweieinhalb Jahre nach der Einreichung der Beschwerdebegründung gemäß Artikel 108, Satz 3, EPÜ am 19. November 2001 und einen Monat vor der von der Beschwerdekammer anberaumten mündlichen Verhandlung.
Anspruch 8 in der dem Verfahren zugrundeliegenden, geänderten Fassung (siehe Abschnitt (IV) oben) war von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 15. November 2000, mehr als dreieinhalb Jahre vor Einreichung der Entgegenhaltungen (20) bis (25), eingereicht worden. Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument, wonach diese geänderte Fassung des Anspruchs 8 eine Neudefinition des Standes der Technik erfordert habe, wodurch die Einreichung weiterer Entgegenhaltungen gerechtfertigt sei, überzeugt die Kammer angesichts der Länge dieser Zeitspanne nicht.
3. Gemäß Artikel 114 (2) EPÜ braucht die Kammer Tatsachen und Beweismittel, die von Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen. Das wichtigste, wenngleich nicht einzige, Kriterium bei der Entscheidung über die Zulässigkeit verspätet eingereichter Unterlagen und Beweismittel ist deren Relevanz, d. h. ihre Beweiskraft gegenüber anderen, bereits eingeführten Unterlagen. Wird das in Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumte Ermessen durch die Prüfung der Relevanz konkretisiert, so hängt die Behandlung einer Entgegenhaltung, die schon früher in das Verfahren hätte eingeführt werden können, also verspätet vorgelegt wird, davon ab, ob sie für den Ausgang des Falles entscheidend ist. Die Kammer kann verspätet eingereichte Beweismittel, Unterlagen oder sonstiges Material wegen mangelnder Relevanz zurückweisen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, VI.F.2 bis VI.F.III).
4. Die nachveröffentlichten Entgegenhaltungen (20) und (21) weisen darauf hin, daß ein unter den Schutzbereich von Anspruch 8 fallendes Produkt die beiden Komponenten FVIII und vWF nicht im Verhältnis 1:1 bezogen auf Plasmaäquivalentaktivitäten enthält, sondern daß die vWF Aktivität des Produktes deutlich darunter liegt (Entgegenhaltung (20), Seite 71, rechte Spalte, Zeilen 12 und 13; Entgegenhaltung (21), Figur 4).
Anspruch 8 bezieht sich jedoch auf eine FVIII/vWF- Komplex-Präparation mit einer spezifischen FVIII- Aktivität von mindestens 25 E/mg Protein. Durch diese Definition ist der Anspruch auf Komplexe gerichtet, in denen die beiden Komponenten, bezogen auf Plasmaäquivalentaktivitäten, im Verhältnis 1:1 bis 1:4 vorliegen (siehe Punkt (11) unten).
Die Offenbarung in den Entgegenhaltungen (20) und (21) ist daher für den Ausgang des Falles nicht relevant.
5. Entgegenhaltung (23) offenbart einen durch chromatographische Reinigung erhaltenen FVIII/vWF-Komplex, mit einer spezifischen Aktivität von 10 bis 30 Einheiten FVIII/mg Protein (Seite 5, Spalten 7 bis 8), der die beiden Komponenten im Verhältnis 1:1, bezogen auf Plasmaäquivalentaktivitäten, beinhaltet (Seite 4, Spalte 6). Auf Grund des zur Virussicherheit durchgeführten "Lösungsmittel-Detergens- Verfahrens" enthält der Komplex einen Restgehalt eines organischen Lösungsmittels (Anspruch 22 und Seite 4, Spalte 5). Er ist, da kein Wärmebehandlungsschritt durchgeführt wurde, nicht frei von nicht-membranumhüllten Viren.
Die Offenbarung in Entgegenhaltung (23) ist somit für den Ausgang des vorliegenden Falles nicht entscheidend.
Entgegenhaltung (24) ist eine Übersetzung der Entgegenhaltung (23) in die deutsche Sprache.
6. Bei Entgegenhaltung (25) handelt es sich um einen Ausdruck einer Internet-Seite, auf der der Titel einer wissenschaftlichen Veröffentlichung aus dem Jahre 1966 angegeben ist. Dieser Titel lautet: "Stabilizing properties of Tween 80 in dilute protein solutions".
Die Entgegenhaltung enthält keinen Hinweis auf Blutgerinnungsfaktoren, oder auf einen FVIII/vWF-Komplex und ist daher für den vorliegenden Fall nicht relevant.
7. Bei der Entgegenhaltung (22) handelt es sich um eine nachveröffentlichte Bekanntmachung des Paul-Ehrlich Institutes, des Deutschen Bundesamtes für Sera und Impfstoffe, aus der ersichtlich ist, daß ein Produkt mit der Bezeichnung "IMMUNATE STIM plus" erstmals am 18. Oktober 1983 zugelassen wurde. Aus der Tatsache, daß die Beschwerdegegnerin das erfindungsgemäß hergestellte Präparat im Schreiben vom 7. August 2002 als "IMMUNATE STIM plus" bezeichnet, schließt die Beschwerdeführerin, daß dieses bereits mehr als zehn Jahre verkauft wurde, bevor es zum Patent angemeldet wurde. Der Gegenstand von Anspruch 8 wäre daher durch eine offenkundige Vorbenutzung durch die Beschwerdegegnerin selbst neuheitsschädlich vorweggenommen.
Auch bei der Zulassung einer verspätet geltend gemachten, offenkundigen Vorbenutzung durch die Einsprechenden legen die Beschwerdekammern strenge Maßstäbe an. Wird eine angebliche Vorbenutzung erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht und zwar nicht in der Beschwerdebegründung, sondern erst später, im vorliegenden Fall einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, so kommt eine Zulassung im Verfahren nur in Frage, wenn der neue Sachverhalt prima facie hochrelevant ist (siehe z. B. Entscheidung T 503/94, vom 11. Oktober 1995, nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
Aus der Entgegenhaltung (22) ist weder die Zusammensetzung, noch das Herstellungsverfahren des dort angeführten "IMMUNATE STIM plus" zu entnehmen. Es ist deshalb nicht ersichtlich, ob es sich dabei um ein Produkt gemäß Anspruch 8 handelt, oder ob zu einem früheren Zeitpunkt ein anderes Produkt unter gleicher Bezeichnung in den Handel gebracht wurde. Da die vorgelegten Beweismittel unvollständig sind, lehnt die Kammer schon aus diesem Grund die Zulassung ab.
8. Die Kammer entscheidet daher, daß die verspätet vorgebrachten Entgegenhaltungen (20) bis (25) gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt werden.
Artikel 84 EPÜ
9. Artikel 84 EPÜ stellt selbst keinen Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ dar. Er muß jedoch im Einspruchsverfahren (Einspruchs/Beschwerdeverfahren) berücksichtigt werden, sobald die Patentinhaberin Änderungen vornimmt.
10. Anspruch 8 des erteilten Patents bezog sich auf eine "Blutgerinnungsfaktor VIII-Präparation". Im Einspruchsverfahren wurde dies in eine "Blutgerinnungsfaktor VIII/vWF-Komplex-Präparation" abgeändert. Laut Beschwerdeführerin ist dieser Ausdruck nicht klar, insbesondere wisse der Fachmann nicht, ob es sich dabei um den natürlichen Komplex handle, bei dem die beiden Komponenten, bezogen auf Plasmaäquivalentaktivitäten im Verhältnis 1:1 vorliegen, oder um Komplexe, in denen die beiden Komponenten in einem davon abweichenden Verhältnis enthalten sind.
11. Die Kammer stimmt dem nicht zu. Außer durch sein Herstellungsverfahren ist der Komplex in Anspruch 8 durch eine spezifische Aktivität von mindestens 25 Einheiten (E)/mg Protein charakterisiert. Diese Angabe bezeichnet die Aktivität von Blutgerinnungsfaktor VIII (siehe Seite 4, Spalte 5, Zeilen 4 bis 7 des erteilten Patents).
1. Einheit eines Blutgerinnungsfaktors entspricht der durchschnittlichen Menge die in einem Milliliter Plasma eines gesunden Erwachsenen enthalten ist. Dies sind für FVIII 0,2 µg und für vWF 10 µg. Diese Informationen gehören zum Allgemeinwissen des Fachmannes auf dem Gebiet der Blutgerinnung und sind zwischen den Parteien unstrittig.
25. Einheiten FVIII entsprechen demnach einer Menge von 5. µg. Ein mg (1000 µg) eines FVIII:vWF-Komplexes, das 25 Einheiten FVIII enthält beinhaltet somit 5 µg FVIII und 995 µg vWF, was 99,5 Einheiten vWF entspricht. Das Verhältnis von 25 Einheiten FVIII und 99,5 (aufgerundet 100) Einheiten vWF entspricht einem Verhältnis von 1:4. Die Präparation gemäß Anspruch 8 enthält daher einen FVIII:vWF-Komplex, der die beiden Komponenten bezogen auf Plasmaäquivalentaktivitäten in einem Verhältnis aufweist, das zwischen 1:1, entsprechend dem physiologischen im Blut zirkulierenden Komplex, und 1:4 liegt.
12. Da das Präparat bereits im erteilten Anspruch 8 in der Form eines "product-by-process" Anspruchs beansprucht wurde, wird dem Einwand der Beschwerdeführerin, wonach der Gegenstand von Anspruch 8 nicht deutlich und knapp im Sinne von Artikel 84 EPÜ gefaßt sei, da er statt durch das Verfahren zu seiner Herstellung auch durch stoffliche Merkmale gekennzeichnet werden könne, nicht stattgegeben.
13. Die Kammer gelangt zu der Entscheidung, daß Anspruch 8 den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ entspricht.
Artikel 83 EPÜ
14. Artikel 83 EPÜ wurde in der Einspruchsschrift der Einsprechenden/Beschwerdeführerin nicht als Einspruchsgrund angegeben. Der Umfang der Prüfung durch die Beschwerdekammern wird von der Einspruchsschrift der Einsprechenden bestimmt. In der Entscheidung G 10/91 (ABl. 1993, 420) legte die Große Beschwerdekammer fest, daß nur die Einspruchsgründe im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden können, die bereits im Einspruchsverfahren geltend gemacht wurden. Neue Einspruchsgründe können nur mit Zustimmung des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden. Eine derartige Zustimmung liegt im vorliegenden Fall nicht vor.
Der von der Einsprechenden erstmals im Schreiben vom 12. Juli 2004 angeführte Einspruchsgrund nach Artikeln 83 und 100 b) EPÜ wird daher nicht berücksichtigt.
Artikel 54 EPÜ
15. Die Präparation gemäß Anspruch 8 weist folgende Merkmale auf:
- sie enthält einen FVIII/vWF-Komplex mit einer FVIII-Aktivität von mindestens 25 E/mg Protein
- aufgrund ihres Herstellungsverfahrens - ist sie frei von organischen Lösungsmitteln,
- beinhaltet sie ein Tensid,
- enthält sie keine aktiven Viren, weder membranumhüllte noch nicht-membranumhüllte.
16. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, daß die in Tabelle 3 auf Seite 176 von Entgegenhaltung (13) angeführten Produkte "Koate HS", "Emoclot OCTA VI", "Hemofil M" und "Monoclate", die alle eine FVIII Aktivität von mehr als 25 E/mg aufweisen, dem Gegenstand von Anspruch 8 neuheitsschädlich entgegenstehen.
17. Auf den Seiten 170 bis 171 der Entgegenhaltung (13) unter der Überschrift "Materials and Methods" werden die Produkte aus Tabelle 3 charakterisiert. Die vier oben erwähnten Produkte finden sich auf Seite 171, Zeilen 6 bis 14.
Aus dieser Passage geht hervor, daß "Emoclot OCTA VI" und "Hemofil M" auf Grund einer Behandlung mit TNBP (tri- (n-butyl)phosphat) nicht frei von organischen Lösungsmitteln sind und daß "Koate HS" und "Monoclate" kein Tensid beinhalten.
Diese Produkte weisen daher nicht alle Merkmale des Präparates gemäß Anspruch 8 auf.
18. Da auch in den anderen vorliegenden Entgegenhaltungen des Standes der Technik keine derartige Präparation offenbart wird, ist der Gegenstand von Anspruch 8 neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.
Artikel 56 EPÜ
19. Anspruch 8 bezieht sich auf eine Präparation, die einen FVIII:vWF-Komplex beinhaltet. Das Vorhandensein beider Komponenten in einem Verhältnis von 1:1 bis 1:4 (siehe Punkt (11) oben) bedeutet, daß die Präparation sowohl zur Behandlung der Hämophilie A als auch der von Willebrand'schen Erkrankung eingesetzt werden kann, was sie von FVIII-Konzentraten unterscheidet.
20. Bezüglich der Feststellung einer erfinderischen Tätigkeit, in Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, haben die Beschwerdekammern bestimmte Kriterien aufgestellt, anhand derer der nächstliegende Stand der Technik bestimmt werden kann. In der Regel ist dies eine Entgegenhaltung, die einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit dem gleichen Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung, und die wichtigsten Merkmale mit ihr gemeinsam hat.
21. Die Kammer betrachtet Entgegenhaltung (16) als den nächstliegenden Stand der Technik. Darin wird ein FVIII:vWF- Komplex mit einer FVIII Aktivität von 20 E/mg beschrieben, der mittels eines affinitäts-chromatographischen Verfahrens hergestellt wird (Anspruch 1 und Spalte 4, Zeilen 15 bis 16). Die Entgegenhaltung erwähnt keine Maßnahmen zur Steigerung der Virussicherheit. Der hergestellte Komplex enthält kein Tensid.
22. Ausgehend von Entgegenhaltung (16) war es Aufgabe des Streitpatents, eine virussichere, alternative Form des FVIII:vWF-Komplexes mit einer höheren FVIII-Aktivität bereitzustellen.
Die erfindungsgemäße Aufgabe wurde durch die Präparation gemäß Anspruch 8 gelöst.
23. Entgegenhaltung (3), die vom der Beschwerdeführerin als nächster Stand der Technik angesehen wird, offenbart ein lyophilisiertes FVIII-Konzentrat mit einer Aktivität von 250 E/mg, welches frei von vWF ist. Der FVIII:vWF-Komplex wird mittels CaCl2 dissoziiert und FVIII durch ein chromatographisches Verfahren von allen Verunreinigungen, zu denen auch vWF gezählt wird, gereinigt (siehe Anspruch 1; Seite 4, Zeilen 38 bis 40 und Seite 5, Zeilen 50-51). Zur Virusinaktivierung wird ein "Lösungsmittel-Detergens-Vefahren" durchgeführt. Der Großteil der dabei verwendeten Produkte wird durch Diafiltration abgetrennt wird (Seite 5, Zeilen 10 bis 24).
24. Auch die Entgegenhaltung (1) betrifft eine FVIII-Konzentrat ("Very High Purity-FVIII") mit einem sehr geringen vWF-Gehalt und einer FVIII-Aktivität größer als 2000 E/mg. Dazu wird der FVIII:vWF-Komplex mittels einer CaCl2 Lösung dissoziiert und der vWF affinitäts-chromatographisch abgetrennt. Zur Stabilisierung des erhaltenen FVIII-Konzentrats wird eine Aminosäure, bevorzugt in Kombination mit einem Tensid, zugesetzt. (Seiten 2 bis 3; Beispiel 1).
25. Aus Entgegenhaltung (8) ist bekannt, daß die nicht- membranumhüllten Hepatitis A-Viren nicht durch das "Lösungsmittel-Detergens-Verfahren" inaktiviert werden. Die Tatsache, daß mehrere Hämophilie-Patienten, die ein derartig hergestelltes Präparat verwendeten, an Hepatitis A erkrankten, daß aber andererseits kein Infektions-Fall nach Anwendung zusätzlich pasteurisierter oder dampferhitzter FVIII- Konzentrate bekannt ist, wird zum Anlaß einer Studie über die Ursachen der Erkrankungen genommen.
26. Ein Verfahren zur Inaktivierung nicht-membranumhüllter Viren ist aus der Entgegenhaltung (19) bekannt (siehe Anspruch 1). Diese Entgegenhaltung wird in Spalte 2, Zeilen 30 bis 36 des Streitpatents als Stand der Technik anerkannt. Sie enthält keinen Hinweis auf FVIII:vWF-Komplexe und auf die Tensidbehandlung von Gerinnungsfaktoren.
27. Die Kammer gelangt zur Auffassung, daß der Fachmann weder aus diesen, noch aus anderen vorliegenden Entgegenhaltungen einen Hinweis erhält, der ihn veranlassen würde, in naheliegender Weise den nächsten Stand der Technik zu verändern und so zum Gegenstand von Anspruch 8 zu gelangen.
Anspruch 8 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit und erfüllt die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.