T 0641/06 (Trägerkörper/RÜCKLEBEN) 19-11-2009
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Trägerkörper zur geregelten Abgabe flüchtiger Substanzen
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 20. April 2006 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Patentinhabers) richtet sich gegen die am 13. Februar 2006 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 889 741 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und unzureichender Offenbarung angegriffen worden. Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass der Gegenstand des Streitpatentes ausreichend offenbart sei, so dass der Fachmann ihn ausführen könne. Weiterhin stellte sie fest, dass der Gegenstand des Streitpatentes in seiner erteilten Fassung nicht neu sei. Der Gegenstand des damaligen Hilfsantrages sei jedoch neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
III. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 19. November 2009 hat der Beschwerdeführer einen neuen Antrag eingereicht und die Aufrechterhaltung des Streitpatentes nur noch in diesem Umfang begehrt. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des in der Verhandlung eingereichten Antrages lautet wie folgt:
"1. Trägerkörper für Dosiereinrichtungen zur geregelten Abgabe flüchtiger Duftstoffe, die dosierbar auf den Trägerkörper aufbringbar sind, wobei der Trägerkörper flächig ausgebildet ist, mindestens eine der Oberflächen des Trägerkörpers mehrere Vertiefungen (2) zur Aufnahme und Speicherung der flüchtigen Duftstoffe aufweist, das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen des Trägerkörpers mindestens 1·10**(2) m**(-1)beträgt, und der Trägerkörper aus einem Material besteht, das gegen die flüchtigen Duftstoffe und/oder deren Lösungsmittel chemisch inert ist dadurch gekennzeichnet, dass der Trägerkörper die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen, wobei die Vertiefungen mit den flüchtigen Duftstoffen angefüllt sind, wobei die Vertiefungen (2) zumindest teilweise als Durchbrechungen ausgebildet sind, derart, dass der Trägerkörper die Form einer Gaze, eines Gewebes, eines Gitters, eines Netzes oder eines Siebes aufweist oder die Vertiefungen (2) in Form von Rillen beliebiger Breite ausgebildet sind."
IV. Der Beschwerdeführer hat während der Verhandlung vor der Kammer vorgetragen, dass die in Anspruch 1 seines einzigen Antrages vorgenommenen Änderungen zulässig seien. Die hinzugefügten Merkmale, "dass der Trägerkörper die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen", sowie "wobei die Vertiefungen mit den flüchtigen Duftstoffen angefüllt sind" seien auf Seite 7, Zeilen 6 bis 8, sowie auf Seite 10, Absatz 2 der ursprünglichen Anmeldung offenbart. Zwar seien diese Merkmale aus unterschiedlichen Teilen der ursprünglichen Anmeldung entnommen, der Fachmann würde sie jedoch als in Kombination offenbart erkennen, da an beiden Stellen der Beschreibung jeweils die Begriffe "Vertiefungen" bzw. "Durchbrechungen" beschrieben seien. Auch würde der Fachmann den Hinweis auf Seite 10, Absatz 2 als weitere Präzisierung des auf Seite 7, Zeile 8 beschriebenen Merkmals erkennen, wonach "der Träger die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen". Die Aufrechterhaltung des Patentes in seiner erteilten Fassung, sowie auf der Basis eines seiner mit der Beschwerdebegründung vom 22. Juni 2006 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 verfolgte er ausdrücklich nicht mehr weiter.
V. Der Beschwerdegegner rügte das verspätete Vorbringen des Beschwerdeführers und brachte vor, dass die Merkmale "dass der Trägerkörper die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen", sowie "wobei die Vertiefungen mit den flüchtigen Duftstoffen angefüllt sind" ursprünglich nicht in Kombination offenbart seien. So sei auf Seite 7, Zeilen 6 bis 8 eine Eigenschaft des Trägerkörpers beim Applizieren des Duftstoffes beschrieben, wohingegen Seite 10, Absatz 2 lediglich den Zustand der Vertiefungen vor der Verdampfung der Duftstoffe wiedergebe. Auch stünden beide Merkmale jeweils in einem spezifischen Kontext in Zusammenhang mit weiteren technischen Merkmalen, so dass ein Herausgreifen eines einzelnen Merkmals aus der jeweils spezifischen Kombination eine unzulässige Verallgemeinerung darstelle.
VI. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes auf der Grundlage seines während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten einzigen Antrags.
Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Zulässigkeit des Antrags
2. Der Beschwerdeführer hat in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens, nämlich während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, einen abgeänderten Anspruch 1 eingereicht, in welchen unter anderem mehrere Merkmale aus der Beschreibung aufgenommen wurden. Ein Anspruch mit derartigen Änderungen wurde bis zu diesem Zeitpunkt nie im Einspruchs(beschwerde)verfahren vorgelegt. Der Beschwerdegegner rügte diesen Antrag als verspätet und beantragte, dass dieser Antrag nicht in das Verfahren vor der Kammer zugelassen werde.
2.1 Der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens besteht darin, der beschwerten Partei, hier dem Patentinhaber, die Möglichkeit zu eröffnen, die Entscheidung der ersten Instanz anzufechten. Entsprechend der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK; veröffentlicht im ABl. EPA 2007, 536) liegen dem Beschwerdeverfahren die Beschwerdebegründung, sowie bei mehreren Beteiligten die Erwiderung zugrunde. Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen dabei den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten (VOBK, Art. 12 (1) und (2)). Es besteht kein Anspruch auf die Zulassung von geändertem Vorbringen zu einem späteren Zeitpunkt; diese unterliegt einer Ermessensentscheidung der Kammer (Artikel 13 VOBK). Zur Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens über die Zulassung von frischen Anträgen prüfen die Beschwerdekammern nach ständiger Rechtsprechung die Komplexität des neuen Vorbringens, den Stand des Verfahrens und die Verfahrensökonomie. Sie prüfen dabei unter anderem als ein dafür entscheidendes Kriterium, ob die geänderten Ansprüche dieser frischen Anträge eindeutig gewährbar sind oder ob sie neue Einwände hervorrufen, die bisher nicht vorhanden waren (siehe T 153/85, ABl. EPA 1998, 1, Punkt 2.1 und 2.2 der Entscheidungsgründe und T 92/93, Punkt B der Entscheidungsgründe, nicht veröffentlicht im ABl. EPA).
Im vorliegenden Fall wurden unter anderem die Merkmale "dass der Trägerkörper die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen", sowie das Merkmal "wobei die Vertiefungen mit den flüchtigen Duftstoffen angefüllt sind" aus der Beschreibung in den Anspruch 1 aufgenommen. Das erstgenannte Merkmal findet sich in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 7, Zeilen 6 bis 8, während das letztere der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 10, Absatz 2 entnommen wurde. Jedoch betrifft die Textpassage auf Seite 7 der Beschreibung eine Eigenschaft des Testkörpers beim Aufbringen der flüchtigen Substanzen auf den Trägerkörper, während die Passage auf Seite 10 lediglich den Zustand der Vertiefungen unmittelbar vor der Verdampfung der flüchtigen Substanzen vom Trägerkörper betrifft. Die ursprüngliche Anmeldung enthält keinen Hinweis darauf, dass die Merkmale dieser beiden getrennten Textstellen in Kombination miteinander stehen.
2.2 Das Argument des Beschwerdegegners ging dahin, dass der Fachmann beide Merkmale als in Kombination offenbart erkenne, da an beiden Stellen der Beschreibung jeweils die Begriffe "Vertiefungen" bzw. "Durchbrechungen" beschrieben seien. Auch würde der Fachmann den Hinweis auf Seite 10, Absatz 2 als weitere Präzisierung des auf Seite 7, Zeile 8 beschriebenen Merkmals erkennen, wonach "der Träger die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen".
Indessen betrifft die Textpassage auf Seite 7 die Aufbringung des Duftstoffes auf den Trägerkörper, während die Textpassage auf Seite 10 die Abgabe des Duftstoffes durch Verdampfung beschreibt. In der ursprünglichen Anmeldung fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass die Merkmale dieser beiden Textstellen in Kombination zu lesen sind. Daher kann auch das Argument des Beschwerdeführers, dass das Merkmal auf Seite 10 "wobei die Vertiefungen mit den flüchtigen Duftstoffen angefüllt sind" für den Fachmann eine Verdeutlichung des Merkmals "dass der Trägerkörper die Duftstoffe aufnimmt, ohne sie aufzusaugen" darstelle, nicht durchgreifen, da eine eindeutige logische Verknüpfung beider Textstellen fehlt. Der Hinweis, dass beide Passagen die Begriffe "Vertiefungen" bzw. "Durchbrechungen" beträfen, kann ebenfalls nicht überzeugen, da die Durchbrechungen und Vertiefungen der Seite 10 sich auf jene "nach Maßgabe vorstehend genannter Dimensionierung" und damit auf eine andere, sehr spezielle Ausführungsform beziehen. Im Übrigen stehen die o.g. Merkmale in den zitierten Passagen der ursprünglichen Anmeldung jeweils in speziellem Kontext zusammen mit weiteren technischen Merkmalen, so dass ein Loslösen hieraus eine unzulässige Verallgemeinerung einzelner Merkmale bedeuten würde.
2.3 Da somit berechtigte Zweifel daran bestehen, dass die vorgenommenen Anspruchsänderungen des einzigen Antrages die Erfordernisse des Artikel 123 (2) EPÜ erfüllen, ist dieser verspätete Antrag nicht eindeutig gewährbar, so dass die Kammer ihr Ermessen pflichtgemäß dahingehend ausübt, diesen Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
3. Nachdem der einzige Antrag des Beschwerdeführers vor der Kammer nicht zulässig ist, muss die Beschwerde zurückgewiesen werden, denn es liegt der Kammer keine gemäß Artikel 113 (2) EPÜ vorgelegte oder gebilligte Fassung vor, die als Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patentes in anderer Form durch die Beschwerdekammer dienen könnte.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.