T 1605/16 (Kosmetisches Mittel/HENKEL) 20-04-2021
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KOSMETISCHES MITTEL ENTHALTEND PURIN UND/ODER EIN PURINDERIVAT UND TAURIN
Dr. Kurt Wolff GmbH & Co. KG
Beiersdorf AG
Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - unerwartete Verbesserung
Grundlage des Verfahrens - angefochtene Entscheidung
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 2 054020 (nachfolgend: das Patent) wurde mit acht Ansprüchen erteilt. Diese betrafen ein kosmetisches Mittel enthaltend in einem kosmetisch akzeptablen Träger, jeweils bezogen auf das gesamte Mittel a) 0,0001 bis 0,25 Gew.-% Coffein und b) 0,01 bis 1 Gew.-% 2-Aminoethansulfonsäure (nachfolgend: Taurin).
II. Gegen die Erteilung des Patents wurde von zwei Einsprechenden Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit unter Artikel 100 a) EPÜ sowie unzureichende Offenbarung unter Artikel 100 b) EPÜ angeführt.
Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurden unter anderem die folgenden Beweismittel genannt:
D1: EP1685826
D2: WO02074265
D3: DE102004039550
D4: WO2006103037
D5: WO2006018198
D5a: Email van Frau Sabine Vaasen
D7: DE102005003949
D9: DE10035735
D10: WO03009825
D14: DE102004014612
D16: US4793992 A
D17: JP11292753
D18: DE10113446 A1
III. Die Beschwerden der Einsprechenden 1 (nachfolgend Beschwerdeführerin 1) und der Einsprechenden 2 (nachfolgend Beschwerdeführerin 2) richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche zurückzuweisen.
In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu folgendem Ergebnis:
a) Der beanspruchte Gegenstand des erteilten Patents war nicht durch das Erfordernis einer synergistischen Wirkung gekennzeichnet und war als solcher klar und umfassend im Patent offenbart.
b) Die anspruchsgemäß definierte Kombination stellte eine neue Auswahl gegenüber den Dokumenten D1, D3-D5 und D10 dar.
c) Nächstliegender Stand der Technik war Dokument D1. Dieses Dokument beschrieb ein coffeinhaltiges Mittel zur Anwendung auf der Kopfhaut, das als Penetrationshilfe Tenside enthielt. Im Vergleich zu Dokument D1 definierten die Ansprüche des erteilten Patents wesentlich engere Konzentrationsbereiche und bezogen sich spezifisch auf Taurin als Bestandteil des Mittels. Aus den Tabellen 4 und 5 des Patents und der während der mündlichen Verhandlung am 6. November 2015 vorgelegten Testreihe konnte gefolgert werden, dass die patentgemäße Kombination von Coffein und Taurin eine zwar nicht über den gesamten Konzentrationsbereich bewiesenermaßen synergistische, aber dennoch gesteigerte HGF-Freisetzung im Vergleich zu den jeweiligen Einzelsubstanzen aufwies. Als Lösung der Aufgabe der Bereitstellung weiterer Methoden zur Haarwuchsförderung ging der patentgemäße Anspruchsgegenstand für den Fachmann nicht auf naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, einschließlich der Dokumente D2, D5 und D7, hervor.
IV. Die Beschwerdeführerin 1 führte mit ihrer Beschwerdebegründung vom 15. September 2016 die folgenden neuen Beweismittel ein:
D21: EP09888858A1
D22: "Factors Affecting the levels of tea polyphenols and caffeine in tea leaves"
Sie beanstandete die Neuheit des Anspruchsgegenstands des erteilten Patents zusätzlich im Hinblick auf Dokument D21.
Die Beschwerdeführerin 2 reichte mit ihrer Beschwerdebegründung vom 19. September 2016 das folgende neue Beweismittel ein:
D23: Nuzzo 2014 "Umstrittene Statistik"
V. Die Beschwerdegegnerin reichte mit der Beschwerdeerwiderung einen neuen Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 ein. In Anspruch 1 des Hauptantrags wurde das Merkmal aufgenommen, dass es sich bei dem Mittel um ein Shampoo, ein Haarnachspülmittel, ein Haarwasser, eine Haarkur, eine Haarcreme, eine Haarlotion, ein Haarspray oder eine Haartinktur handelt.
Des Weiteren stützte die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeerwiderung auf zusätzliche experimentelle Datensätze (siehe Tabellen 1-7 der Beschwerdeerwiderung) und reichte außerdem das folgende Dokument ein:
D24: DE102012218116
VI. Mit ihrer Eingabe vom 26. Juli 2017 bemängelte die Beschwerdeführerin 1 in Bezug auf den neu eingereichten Hauptantrag eine sowohl gemäß Artikel 123(2) als auch gemäß Artikel 123(3) EPÜ unzulässige Erweiterung.
VII. In ihrer vorläufigen Stellungnahme gemäß Artikel 15(1) VOBK äußerte die Beschwerdekammer Bedenken unter Artikel 123(2) und 84 sowie Regel 80 EPÜ hinsichtlich der abhängigen Ansprüche 4 und 7.
VIII. In ihren Eingaben vom 16. Februar 2021 und 16. März 2021 kündigten die Beschwerdeführerinnen an, nicht an der am 16. April 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
IX. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte mit ihrer Eingabe vom 16. März 2021 einen neuen Hauptantrag sowie neue Hilfsanträge 1 und 3 ein.
Anspruch 1 dieses Hauptantrags lautet:
"Kosmetisches Mittel, enthaltend in einem kosmetisch akzeptablen Träger, jeweils bezogen auf das gesamte Mittel
a) 0,001 bis 0,25 Gew.-% Coffein und
b) 0.01 bis 1 Gew.-% 2-Aminoethansulfonsäure
wobei es sich um ein Shampoo, ein Haarnachspülmittel, ein Haargel, ein Haarwasser, eine Haarkur, eine Haarcreme, eine Haarlotion, ein Haarspray oder eine Haartinktur handelt."
X. Mit der Kurzmitteilung vom 26. März 2021 teilte die Kammer mit, dass ihrer vorläufigen Ansicht nach der neue Hauptantrag zugelassen werden kann und der entsprechend diesem Antrag geänderte Anspruchssatz den Erfordernissen des EPÜ genügt.
XI. Die am 16. April 2021 anberaumte mündliche Verhandlung wurde abgesagt.
XII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Der ursprüngliche Anspruch 14 bezog sich auf sogenannte rinse-off Formulierungen, wie beispielsweise Shampoos. Dieser Gegenstand sei nicht ordnungsgemäß offenbart und sei im Prüfungsverfahren nicht weiterverfolgt worden. Die Aufnahme der auf diese Produkte bezogenen Merkmale in Anspruch 1 des Hauptantrags füge einen nicht-offenbarten technischen Beitrag hinzu und beinhalte eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches des Patents.
b) Die patentgemäß behauptete synergistische Wirkung des Coffeins und des Taurins könne wegen der erheblichen Standardabweichungen nicht aus den im Patent berichteten Versuchsergebnissen abgeleitet werden. Außerdem sei die behauptete synergistische Wirkung im Hinblick auf die während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Versuchsergebnisse nicht nachvollziehbar.
c) Dokument D5 beschreibe bereits kosmetische Reinigungszubereitungen, die u.a. 2,00 Gew.-% eines Destillats aus Grüntee der Firma Cosmetochem und 0,50 bzw. 0,30 Gew.-% Taurin enthielten. Der dem patentgemäßen Anspruchsgegenstand entsprechende Coffeingehalt dieser Zubereitungen gehe aus Dokument D5a hervor.
Dokument D10 beschreibe bereits entsprechende topisch anzuwendende Zubereitungen, die 0,001-10 Gew.-% Coffein und bevorzugt 0,1-5,0 Gew.-% Taurin enthielten.
Dokument D14 offenbare entsprechende kosmetische und dermatologische Zubereitungen, die bevorzugt 0,1-1,0 Gew.-% Taurin und 0,1-3 Gew.-% eines weiteren Wirkstoffs, wie beispielsweise Coffein, enthielten.
Dokument D21 beschreibe bereits kosmetische Zubereitungen, die 1 oder 1,5 g Taurin und 0,05 g Coffein auf 50 ml Wasser enthielten und damit dem patentgemäßen Anspruchsgegenstand entsprächen.
Der Anspruchsgegenstand sei somit im Hinblick auf die Dokumente D5, D10, D14 und D21 nicht neu.
d) Die Dokumente D1, D7 und D9 beschrieben bereits coffeinhaltige Mittel gegen Haarausfall. Aufgrund der Lehre aus den Dokumenten D2, D16, D17 oder D18, die Taurin als haarwuchsfördernden Bestandteil von Haarpflegemittel beschrieben, habe es für den Fachmann nahegelegen, zur Bereitstellung weiterer Mittel mit gegebenenfalls gesteigerter Wirkung Coffein und Taurin in einer Zubereitung zu kombinieren. Alternativ könnten auch die Dokumente D5, D14 und D21 herangezogen werden, weil diese die Verwendung von Coffein und Taurin in kosmetischen Zubereitungen beschrieben.
Die in den Tabellen 4 und 5 des Patents berichteten Versuchsergebnisse zeigten unter Berücksichtigung der erheblichen Standard Abweichungen keine synergistische Steigerung der Wirksamkeit für die Kombination von Coffein (0,025%) mit Taurin (0,5%). Die während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegten Versuchsergebnisse zeigten, dass die HGF-freisetzende Aktivität der getesteten Zusammensetzungen im Wesentlichen auf die Wirksamkeit des Coffeins zurück ging und dass im Fall von 0,025% Coffein der zusätzliche Einsatz von 0,01% Taurin sogar mit einer Verringerung dieser Wirksamkeit einherging. Eine kritische Beurteilung der berichteten Versuchsergebnisse sei auch im Hinblick auf Dokument D23 angezeigt. Die im Patent angeführte synergistische Wirkung sei somit nicht belegt und könne deswegen nicht für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht gezogen werden.
Dem Anspruchsgegenstand fehle somit die erforderliche erfinderische Tätigkeit.
Die Beschwerdeführerin 2 machte zusätzlich geltend, dass die Zulassung des von der Beschwerdegegnerin erst am 6. November 2015 während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Datensatzes einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ darstelle, weil ihr keine Möglichkeit gelassen wurde, die Daten in angemessener Zeit zu überprüfen.
XIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Der Hauptantrag sei nicht unter Artikel 123(2) und 123(3) EPÜ zu beanstanden, weil dieser auf Mittel eingeschränkt wurde, die in der ursprünglich eingereichten Anmeldung spezifisch beschrieben und auch in der Patentschrift ausdrücklich erwähnt wurden.
b) Die Herstellung der beanspruchten Mittel sei in den Absätzen [0235]-[0237] hinreichend offenbart . Die synergistische Wirkung sei kein technisches Merkmal der Ansprüche und deren Wiederholbarkeit sei für die Beurteilung des Erfordernisses der ausreichenden Offenbarung deswegen nicht relevant.
c) Dem Dokument D5 sei nicht zu entnehmen, dass die beschriebenen Reinigungszubereitungen den anspruchsgemäß definierten Coffeingehalt aufwiesen.
Gegenüber den Dokumenten D10 und D14 stelle die anspruchsgemäß definierte Kombination eine mehrfache Auswahl dar.
Dokument D21 beschreibe nicht die anspruchsgemäß definierten Haarpflegemittel.
d) Die Dokumente D1, D7 und D9 kämen als nächstliegender Stand der Technik in Betracht, weil diese Dokumente sich im Gegensatz zu den Dokumenten D5, D14 und D21 mit Mitteln gegen Haarausfall befassten.
Der Unterschied des Anspruchgegenstands zu diesem Stand der Technik betreffe den zusätzlichen Einsatz von 0,01-1 Gew.% Taurin. Die definierte Kombination sei mit einem synergistischen Effekt verbunden. Dieser Effekt gehe aus den experimentellen Ergebnissen im Patent hervor. Der Effekt sei durch die Ergebnisse von weiteren Untersuchungen und die statistische Bewertung mittels FAST- und Statistica-Software, die mit den Eingaben vom 6. November 2014 und 2. September 2015 und mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden, bestätigt worden.
Die Aufgabe gegenüber dem Stand der Technik sei somit die Bereitstellung von kosmetischen Mitteln in Form von Haarbehandlungsmitteln die zu einer synergistischen Verringerung des Haarausfalls und zu einer Erhöhung des Haarwachstums führten.
Als Lösung dieser Aufgabe gehe der Anspruchsgegenstand nicht auf naheliegende Weise aus dem Stand der Technik hervor. Zwar sei der Einsatz von Taurin zur Verringerung des Haarausfalls und zur Erhöhung des Haarwachstums aus den Dokumenten D2 und D18 bekannt, jedoch ergäbe sich aus diesen Dokumenten kein Hinweis auf die synergistische Steigerung der Wirkung durch die anspruchsgemäß definierte Kombination von Taurin und Coffein.
XIV. Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Zusätzlich beantragte die Beschwerdeführerin 2, die erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung von der Patentinhaberin nachgereichte Vervollständigung eines vorher eingereichten unvollständigen Datensatzes im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patent gemäß dem Hauptantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 16. März 2021 oder hilfsweise gemäß den Hilfsanträgen 1-3.
Entscheidungsgründe
Rechtliches Gehör
1. Die Einspruchsabteilung hat ihre Entscheidung unter anderem auf die während der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2015 eingereichten Versuchsergebnisse gestützt. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin 2 verstoße dies gegen Artikel 113 EPÜ, da ihr keine Möglichkeit gelassen worden sei die Daten in angemessener Zeit zu überprüfen.
In der mündlichen Verhandlung wurden die von der Patentinhaberin neu vorgelegten Messdaten diskutiert und ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde kein Antrag auf Überprüfung dieser Messdaten seitens der Beschwerdeführerin 2 gestellt, so dass die Kammer keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu erkennen vermag. Da darüber hinaus diese Messdaten Gegenstand der Entscheidung der Einspruchsabteilung sind, sind sie Bestandteil des Beschwerdeverfahrens (Artikel 12 (1) a) VOBK).
Gewährbarkeit des Hauptantrags
3. Einwände unter Artikel 123(2) und 123(3) EPÜ.
Die Änderungen des Patents gemäß dem vorliegenden Hauptantrag betreffen die zusätzliche Definition in Anspruch 1, dass es sich um ein Shampoo, ein Haarnachspülmittel, ein Haargel, ein Haarwasser, eine Haarkur, eine Haarcreme, eine Haarlotion, ein Haarspray oder eine Haartinktur handelt, sowie die Streichung des erteilten Anspruchs 7.
Der geänderte Anspruch 1 geht auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 2, 6 und 7 in Zusammenhang mit der ursprünglich als bevorzugt beschriebenen Ausführungsform der erfindungsgemäßen Mittel (siehe Seite 47, Zeilen 14-16 der ursprünglich eingereichten Anmeldung) zurück.
Gegenüber dem erteilten Anspruch 1 stellt diese Änderung des Anspruchsgegenstands eine Einschränkung dar.
In diesem Zusammenhang ist es nach Ansicht der Kammer unerheblich, dass der abhängige Anspruch 14 der ursprünglich eingereichten Anmeldung, der ebenfalls auf entsprechende Haarpflegeprodukte gerichtet war, nicht im Anspruchssatz des erteilten Patent aufgenommen wurde, weil der erteilte unabhängige Anspruch eindeutig diese Mittel umfasste und das erteilte Patent in Absatz [0199] auch ausdrücklich auf diese Mittel als bevorzugte Ausführungsform hinwies.
Die Streichung des erteilten Anspruchs 7 gibt keinen Anlass zu weiterer Beanstandung.
Damit genügt der Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 123(2) und 123(3) EPÜ.
4. Offenbarung der Erfindung
Die Ansprüche des Hauptantrages beziehen sich auf bestimmte kosmetische Mittel, die Coffein und Taurin in definierten Konzentrationsbereichen enthalten. Dieser Gegenstand ist nicht durch das Erfordernis einer synergistischen Wirkung gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um bekannte Klassen von Haarpflegeprodukten und bekannte Bestandteile solcher Produkte. Die Kammer kann deswegen keinen Grund erkennen, weswegen der Fachmann anhand des Patents nicht in der Lage wäre, ohne unzumutbaren Aufwand die beanspruchten Produkte herzustellen. Der Hauptantrag erfüllt somit das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ.
5. Neuheit
5.1 Dokument D5 beschreibt kosmetische Reinigungszubereitungen, die u.a. 2,00 Gew.-% eines Produkts aus Grüntee von Cosmetochem (Herbasol Destillat grüner Tee COS 247/106 E Camellia sinensis Extrakt) und 0,50 bzw. 0,30 Gew.-% Taurin enthalten (siehe Seiten 50 und 51, 2. Beispielserie, Beispiele 5 und 6). Dokument D5a betrifft eine E-mail, in der seitens des Herstellers des Grünteeproduktes (Lipoid Kosmetik, vormalig Cosmetochem) erklärt wird, dass für bestimmte Kunden Destillate und Extrakte mit Coffein hergestellt wurden und dass diese Destillate, wie das in Dokument D5 erwähnte Produkt, ca. 0,1% Coffein und die Extrakte ca. 0,3% Coffein enthielten.
Nach Ansicht der Kammer geht damit aus dem Dokument D5a nicht hervor, dass der angegebenen Coffeingehalt des gemäß Dokument D5 verwendeten grünen Tee Destillats der Öffentlichkeit zugänglich war. Auch die Information aus den Dokumenten D10 und D22, dass Grünteeblätter etwa 2,5-3 Gew.-% Coffein enthalten (siehe D10 Seite 9, 2. Absatz und D22 Tabelle 2), lässt keine eindeutigen Rückschlüsse in Bezug auf den Coffeingehalt des gemäß Dokument D5 eingesetzten grünen Tee Destillats zu. Die anspruchsgemäß definierten Produkte konnten deswegen dem Dokument D5 nicht eindeutig und unmittelbar entnommen werden.
5.2 Dokument D10 beschreibt topisch anzuwendende Zubereitungen, die eine Verbindung der Gruppe a), die u.a. Coffein umfasst, und eine Verbindung der Gruppe d), die u.a. Taurin umfasst, enthalten (siehe D10: Seite 6, Zeilen 6-24, Seite 11, Zeilen 6-12). Die Kammer kann jedoch nicht erkennen, dass aus Dokument D10 die Kombination von Coffein und Taurin eindeutig und unmittelbar hervorgeht, geschweige denn dass dem Dokument D10 die Kombination dieser Inhaltsstoffe in den anspruchsgemäß definierten Konzentrationsbereichen zu entnehmen ist.
5.3 Dokument D14 beschreibt kosmetische Zubereitungen, die bevorzugt 0,3 Gew.-% Taurin enthalten (siehe Ansprüche 1 und 4 und Absatz [0043]). Diese Zubereitungen werden als gute Vehikel für kosmetische und dermatologische Wirkstoffe beschrieben (siehe Absatz [0222]), wobei Coffein in einer Liste von Wirkstoffen erwähnt wird (siehe Absätze [00223]und [00227]) und die Menge dieser Wirkstoffe insbesondere 0,1-3 Gew.-% beträgt (siehe Absatz [0254]). Die anspruchsgemäße Kombination von Taurin mit den definierten Mengen Coffein geht damit nicht eindeutig und unmittelbar aus dem Dokument D14 hervor.
5.4 Dokument D21 beschreibt Mikroemulsionen für die Bereitstellung von u.a. wässrigen kosmetischen Zubereitungen (siehe Absatz [0044]). Die Zubereitungen gemäß den Herstellungsbeispielen 2-5 enthalten 1 oder 1,5 g Taurin auf 50 ml Wasser, was einem Gehalt von 2 oder 3 Gew.-% Taurin entspricht. Die Ansprüche des vorliegenden Hauptantrags definieren dahingegen eine Obergrenze für den Tauringehalt von 1 Gew.-% und umfassen somit nicht die Zubereitungen aus dem Dokument D21.
5.5 Die Kammer ist deswegen der Überzeugung, dass die von den Beschwerdeführerinnen als neuheitsschädlich angeführten Dokumente D5, D10, D14 und D21 die Neuheit des Anspruchsgegenstandes des Hauptantrags nicht vorwegnehmen. Der Hauptantrag erfüllt somit das Erfordernis des Artikels 54 EPÜ.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 Gemäß der Beschreibung des Patents betrifft die Aufgabe der beanspruchten Erfindung die Bereitstellung von kosmetischen Mitteln, die besonders wirksam vorzeitigen Haarausfall vermindern oder das Haarwachstum fördern (siehe Absätze [0008] bis [0011]).
Die Dokumente D1 und D7, die zu einer Patentanmeldungsfamilie gehören, und Dokument D9 richten sich ebenfalls auf die Bereitstellung von coffeinhaltigen Mitteln gegen Haarausfall (siehe D1 Absätze [0010] bis [0020], D7 Absätze [0010]bis [0020] und D9 Seite 2, Zeilen 1-3) und bieten sich als nächstliegender Stand der Technik an. Dahingegen befassen sich die Dokumente D5, D14 und D21 nicht mit Mitteln gegen Haarausfall und kommen deswegen nicht als nächstliegender Stand der Technik im Frage.
Die Dokumente D1/D7 beschreiben die Kombination von Coffein (0,1-10%, beispielsweise 0,3%) mit anionischen und amphoteren Tensiden (0,5-10%) als Penetrationshilfe, die in einem Shampoo enthalten und mit weiteren Wirkstoffen ergänzt sein kann (siehe D1 Absätze [0011], [0013] und [0030], D7 Absätze [0013], [0016] und [0035]). Dokument D9 beschreibt die Kombination von Coffein (0,01-10 Gew.-%) mit C10-C18 Fettsäure (0,01-10 Gew.-%), die in einem Haartonikum gegebenenfalls mit zusätzlichen Wirkstoffen enthalten sein kann (siehe Seite 2, Zeilen 58-64 , Seite 3, Zeilen 26-32 und 47-52 und Seite 4 Zeilen 1-17). Die Dokumente D1/D7 und D9 beschreiben jedoch nicht die Kombination mit Taurin.
6.2 Das Patent beschreibt, dass die beiden Komponenten Coffein und Taurin in synergistischer Weise zusammenwirken und verweist diesbezüglich auf Ergebnisse von Untersuchungen an dermalen Papillenzellen (siehe Absatz [0011]). Die Beispiele B und C des Patents (siehe Absätze [0241]-[0251]) berichten in diesem Zusammenhang, dass die Kombination enthaltend 0,5% Taurin und 0,025% Coffein auf synergistische Weise die Ausschüttung des Wachstumsfaktors HGF (Hepatozytenwachstumsfaktor, Hepatocyte Growth Factor), die verringerte Aktivität des Gens für IGFBP3 (Insulin-like Growth Factor Binding Protein 3) und die Erhöhung der Aktivität des HGF-Gens bewirkt und tendenziell das Gen für KGF (Keralinozytenwachstumsfaktor, Keratinocyle Growth Factor) aktiviert. Dem Patent zufolge lassen diese Ergebnisse bezüglich wichtiger Botenstoffe des Haarzyklus auf eine potentierte, synergistische Wirkung der Kombination von Coffein und Taurin hinsichtlich Haarwuchs und Verminderung des vorzeitigen Haarausfalls schließen (siehe Absätze [0252]-[0252]). Laut der angefochtenen Entscheidung wiesen die im Patent berichteten Versuchsergebnisse zwar auf eine markante Steigerung der HGF-Freisetzung bei Anwendung des eingesetzten Gemisches hin (siehe Entscheidungsgründe Seite 7, letzter Absatz), aber es fehlte der Nachweis einer synergistischen Wirkung, insbesondere über beide in Anspruch 1 definierte Konzentrationsbereiche hinweg (siehe Entscheidungsgründe Seite 8, Absatz 2).
Der Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 2. September 2015 im Einspruchsverfahren (siehe Seite 5) zufolge zeigt die statistische Auswertung von weiteren Versuchsergebnissen mittels FAST-Software der Firma Accelrys jedeoch, dass die synergistische Steigerung der Freisetzung des Wachstumsfaktors HGF auch von weiteren Kombinationen, in denen der Tauringehalt zwischen 0,01-0,5% und der Coffeingehalt zwischen 0,001-0,025% variierten, ausgeht. Diese Auswertung wird in der Beschwerdeerwiderung anhand der während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Mittelwerte der HGF-Freisetzung erläutert (siehe Seite 11, Tabelle 1) und durch weitere mittels Statistica-Software analysierte Versuchsergebnisse unterstützt (siehe Seiten 12-13, Tabelle 3).
Seitens der Beschwerdeführerinnen wurde die Signifikanz der ermittelten Durchschnittwerte aufgrund der erheblichen Standardabweichungen bestritten und die Nachvollziehbarkeit der Bewertung hinsichtlich einzelner Ergebnisse angezweifelt. Außerdem wurde auf eine allgemeine Kritik auf problematische Interpretationen von p-Werten hingewiesen (siehe Dokument D23). Die Beschwerdeführerinnen sind jedoch nicht auf die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten weiteren Versuchsergebnisse eingegangen und haben sich auch nicht mit den spezifischen von der Beschwerdegegnerin eingesetzten und auf den gesamten Rohdaten basierenden statistischen Analysemethoden auseinandergesetzt, geschweige denn die Schlussfolgerung der Beschwerdegegnerin mit eigenen Versuchsergebnissen entkräftet.
Aufgrund der vorliegenden Datenlage und unter Berücksichtigung des beim EPA üblichen Maßstabs bei der Beweiswürdigung, nämlich des Abwägens der Wahrscheinlichkeit (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, III.G.4.3), ist somit nach Ansicht der Kammer von einer synergistischen Wirkung der Kombination von Coffein und Taurin in den anspruchsgemäß definierten Konzentrationen auf die Freisetzung von für den Haarzyklus wichtigen Botenstoffen auszugehen. Demzufolge sieht die Kammer die der beanspruchten Erfindung zugrunde liegende objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung von Haarpflegemittel, die Haarausfall vermindern oder das Haarwachstum anregen und dabei eine besondere Steigerung der Wirksamkeit aufweisen.
6.3 Der Fachmann, der sich die Aufgabe stellt, weitere Haarpflegemittel, die Haarausfall vermindern oder das Haarwachstum anregen, bereitzustellen, könnte aufgrund der Hinweise auf den Zusatz weiterer Wirkstoffe in den Dokumenten D1/D7 und D9 das Dokument D2 in Betracht ziehen.
Aus diesem Dokument D2 war bereits bekannt, dass durch Anwendung von Haarbehandlungsmitteln, die Betaine (0,05-10 Gew.-%), wie Taurin, und möglicherweise weitere wirksame Substanzen enthalten, das Haarwachstum signifikant verbessert werden kann (siehe Seite 2, Zeilen 1-2, Seite 4, Zeile 34, Seite 5, Zeilen 4-10 und Seite 7, Zeilen 1-3).
Aufgrund der Lehre aus dem Dokument D2 könnte der Fachmann somit vermuten, dass sich die aus den Dokumenten D1/D7 oder D9 bekannten Mittel durch einen entsprechenden Zusatz von Taurin ergänzen ließen. Eine ähnliche Vermutung könnte auch aus den Dokumenten D16-D18 hervorgehen, weil aus diesen Dokumenten die Verwendung von Taurin in Mitteln zur Anregung des Haarwachstums ebenfalls bekannt war.
Die Kammer erkennt jedoch im angeführten Stand der Technik keinen Anlass für die Erwartung einer besonderen, synergistischen Steigerung der Wirksamkeit durch die Kombination von Coffein und Taurin in den definierten Konzentrationsbereichen. Somit konnte der Fachmann nicht auf naheliegende Weise zu der beanspruchten Erfindung als Lösung der objektiven technischen Aufgabe gelangen.
Demzufolge kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Anspruchsgegenstand des Hauptantrags eine erfinderische Tätigkeit beinhaltet und somit auch das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ erfüllt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche 1-7 des Hauptantrags, eingereicht mit Schreiben vom 16. März 2021.