T 0448/98 (Füllstoffe und Pigmente/PLÜSS-STAUFER) 12-03-2002
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Carbonat-haltige mineralische Füllstoffe und Pigmente
Verspätetes Vorbringen - Zulässigkeit abhängig von Relevanz
Ausreichende Offenbarung und gewerbliche Anwendbarkeit (ja)
Neuheit (ja) - zur Festlegung von Fehlergrenzen reicht die Angabe der Standardabweichung aus
Erfinderische Tätigkeit (ja) - Vergleichsbeispiele im Patent als geeigneter Ausgangspunkt; keine Anregung im Stand der Technik zur Lösung der Aufgabe
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zur Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 0 531 685 in geänderter Form.
II. Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren die 16. Patentansprüche in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag sowie 16 geänderte Ansprüche gemäß Hilfsantrag, mit je einem gesonderten Anspruchssatz für den Vertragsstaat ES sowie je zwei unabhängigen Ansprüchen 1 und 16 pro Anspruchssatz. Gemäß Hauptantrag haben diese für alle benannten Vertragsstaaten, ausgenommen ES, folgenden Wortlaut:
"1. Carbonat-haltige mineralische Füllstoffe, Pigmente oder ähnliche Materialien, dadurch gekennzeichnet, daß sie
a) eine rhomboedrische oder im wesentlichen runde Partikelform,
b) einen Steilheitsfaktor von 1,1 bis 1,4,
c) ein Verhältnis
Formel
d) eine spezifische Oberfläche von 6 bis 15 m2/g,
e) einen oberen Schnitt von unter 7 um und
f) einen mittleren statistischen Teilchendurchmesser von 0,4 - 1,5 um aufweisen.
16. Verwendung der carbonat-haltigen mineralischen Füllstoffe, Pigmente oder ähnlichen Materialien gemäß einem oder mehreren der vorhergehenden Ansprüche in der Papierindustrie sowohl als Papierfüllstoff als auch als Beschichtungspigment."
Die Ansprüche 1 bis 15 für den Vertragsstaat ES sind entsprechend als Verfahrensansprüche formuliert. Ebenso ist der Wortlaut des Verwendungsanspruches 16 angepaßt.
Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag unterscheiden sich hiervon lediglich durch eine obere Begrenzung des Wertes für R auf 14 (anstelle von 19).
III. Der Einspruch gegen die Patenterteilung der Beschwerdeführerin (Einsprechende) war auf Gründe gemäß Artikel 83 EPÜ (Artikel 100 b) EPÜ) sowie Artikel 54, 56 und 57 EPÜ (Artikel 100 a) EPÜ) gestützt. Dabei wurden unter anderem folgende Dokumente herangezogen:
Exhibit 2:
Kopie eines Briefes der Firma Micromeritics Inc. zum Sedigraph 5100, datiert vom 26. August 1996;
Exhibit 5:
Van den Akker, "Optical Aspects of Coating Pigments", in Physical Chemistry of Pigments in Paper Coating, Tappi Press 1977, Seiten 346 to 349;
Exhibit 6:
Borch J. et al., "Light Reflectance of Spherical Pigments in Paper Coatings", Tappi, Vol. 61(2), 1978, Seiten 45 bis 48;
Exhibit 7:
"Pigments for Paper", ed. R. W. Hagemeyer, Tappi Press 1984, Seiten 86 bis 87;
Exhibit 9:
Schriftliche Erklärung von R. Brown;
Exhibit 10:
Kopie eines Briefes der Firma HOSOKAWA Alpine Ag, datiert vom 17. Dezember 1997;
Exhibit 11:
Schriftliche Erklärung von N. J. Elton;
Exhibit 13:
R. C. Zeller, "Optical properties of calcium carbonate in paper coatings", TAPPI conference Proceedings 1980, Vol. 51, No. 5.
IV. In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, daß der nach dem Hilfsantrag beanspruchte Gegenstand nicht nur ausführbar und gewerblich anwendbar im Sinne der Artikel 83 und 57 EPÜ sei, sondern auch neu und erfinderisch (Artikel 54 und 56 EPÜ). Die Neuheit beruhe auf dem gegenüber der Druckschrift "Exhibit 13" beschränkten R-Faktor von nunmehr 8-14. Die erfinderische Tätigkeit resultiere aus der Tatsache, daß der zitierte Stand der Technik weder einen Hinweis enthalte auf die gemäß Streitpatent zu lösende technische Aufgabe, nämlich ein in der Papierindustrie als Füllstoff und als Streichpigment verwendbares einziges Produkt herzustellen, noch anrege, die in Exhibit 13 beschriebenen Materialien erfindungsgemäß abzuwandeln.
V. Mit der Beschwerdebegründung und in Zusammenhang mit ihren Einwänden unter Artikel 56 EPÜ legte die Beschwerdeführerin die als "Enclosures" 1, 1a und 2a benannten Firmenprospekte sowie als "Enclosures" 2b, 3 und 4 Korngrößenverteilungskurven für Produkte gemäß Streitpatent und nach dem Stand der Technik vor. Außerdem kündigte sie Vergleichsversuche an, die - zusammen mit drei weiteren Korngrößenverteilungskurven sowie zwei Testberichten ("Enclosures" 5 bis 9) - mit ihrem Schreiben vom 29. Dezember 1999 nachgereicht wurden.
VI. Am 12. März 2002 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, zu der die Beschwerdeführerin, wie mit Schreiben vom 28. Februar 2002 angekündigt, nicht erschienen ist.
VII. Die Beschwerdeführerin hat - schriftlich - im wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
- Der beanspruchte Gegenstand sei - wie aus den Druckschriften Exhibit 9 bis 11 hervorgehe - für den Fachmann weder ausführbar, noch hinsichtlich des R-Faktors hinreichend genau bestimmbar. Er sei auch nicht gewerblich anwendbar. In diesem Zusammenhang stützte sich die Beschwerdeführerin während des Einspruchsverfahrens auch auf Exhibit 2.
- Aufgrund der für den R-Faktor anzusetzenden breiten Fehlergrenzen sei selbst der Gegenstand in der geänderten Fassung nicht neu gegenüber Exhibit 13.
- Dieser Gegenstand sei auch nicht erfinderisch; denn weder aus den Beispielen im Streitpatent noch aus den Vergleichsversuchen der Beschwerdeführerin sei erkennbar, daß der im Vergleich zu Exhibit 13 erhöhte Anteil an Fein-Teilchen die dem Streitpatent zugrundeliegende technische Aufgabe löse. Wie aus den Enclosures 1 und 1a hervorgehe, sei diese Aufgabe keineswegs neu. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren sei die Korngrößenverteilung bereits aus den Exhibits 5 bis 7 bekannt.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat der Beschwerdeführerin in allen Punkten widersprochen und beantragt, die neuen Beweismittel zum Verfahren nicht zuzulassen. Insbesondere wurde vorgetragen,
- daß Ausführbarkeit und gewerbliche Anwendbarkeit des beanspruchten Gegenstandes sowohl durch Exhibit 13 als auch durch die Vergleichsversuche der Beschwerdeführerin belegt würden;
- daß Exhibit 13 keinerlei Stütze für die von der Beschwerdegegnerin behauptete Fehlerbreite des R-Faktors biete; und
- daß im Vergleich zu bekannten Materialien die technische Aufgabe mit dem beanspruchten Gegenstand in neuer und erfinderischer Weise gelöst werde.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragt im schriftlichen Verfahren die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit verspäteten Vorbringens
1.1. Enclosures 1 bis 4
1.1.1. Die "Enclosures" 1, 1a und 2a stellen als typische Firmenprospekte Beweismittel dar, in denen Produkte charakterisiert und für bestimmte Anwendungsbereiche empfohlen werden. Normalerweise ist davon auszugehen, daß derartige Prospekte dazu bestimmt sind, kurz nach ihrer Drucklegung bei der interessierten Kundschaft zur Verteilung zu kommen. Die Beschwerdegegnerin bestreitet aber deren Vorveröffentlichung mit dem Argument, daß keinerlei Umstände für eine Bekanntmachung belegt worden seien.
Im vorliegenden Fall kommt es jedoch hierauf nicht an; denn die in Frage stehenden Dokumente sind aus folgenden Gründen nicht ins Verfahren einzubeziehen: Enclosure 1a wäre zwar hinsichtlich der Verwendbarkeit des Produktes relevant, ist aber nicht datiert, so daß für eine mögliche Verteilung kein Zeitpunkt feststellbar ist und daher völlig offen bleibt, ob der darin beschriebene Sachverhalt Stand der Technik ist. Enclosures 1 und 2a hingegen sind datiert und könnten theoretisch der Öffentlichkeit auch rechtzeitig vor dem Prioritätstag des Streitpatents zugänglich gemacht worden sein. Sie sind aber vom Anwendungsbereich her nicht relevanter als der bereits im Verfahren befindliche Stand der Technik. Sie betreffen nämlich lediglich bestimmte, sich vom Gegenstand des Streitpatents in der Korngrößenverteilung unterscheidende Calciumcarbonate, wobei Enclosure 2a kein Verwendungszweck zu entnehmen ist und Enclosure 1 nur die Verwendung als Beschichtungspigment nennt. Das gleiche muß für Enclosure 2b gelten, weil dieses einen Vergleich des Streitgegenstandes mit dem Produkt von Enclosure 2a beinhaltet (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, erster Absatz).
1.1.2. In Enclosure 3 wird in graphischer Darstellung die kumulative Korngrößenverteilung eines Produktes gemäß Exhibit 13 mit der eines Produktes gemäß Streitpatent verglichen (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 9, zweiter und dritter Absatz) und in Enclosure 4 wird der Streitgegenstand nochmals dargestellt, wobei gleichzeitig die kumulative Darstellung und die korrespondierende echte Verteilungskurve gezeigt sind. Diese beiden Enclosures beinhalten nach Ansicht der Kammer keinen neuen Sachverhalt im Sinne neuer Beweismittel, sondern eine weitere argumentative Würdigung bereits eingeführter Tatsachen. Im übrigen sind diese Dokumente eher geeignet den Streitgegenstand im Lichte des Stands der Technik gemäß Exhibit 13 zu verdeutlichen. Die Kammer sieht daher keinen Grund diese Dokumente nicht zuzulassen, sondern wird sich ihrer bedienen, wo dies zum besseren Verständnis des Falles beitragen kann.
1.2. Vergleichsbeispiele und Enclosures 5 bis 9
Die Enclosures 5 bis 9 sind Bestandteil der von der Beschwerdeführerin nachgereichten Vergleichsversuche und somit keine eigenständigen Beweismittel. Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer der Einführung dieser Vergleichsversuche in das Verfahren zugestimmt und diese als relevant im Zusammenhang mit den Einwänden nach Artikel 83 und 57 EPÜ erachtet. Dem stimmt die Kammer aus nachstehenden Gründen zu.
2. Offenbarung und gewerbliche Anwendbarkeit (Artikel 83 und 57 EPÜ)
2.1.1. Der Vortrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich mangelnder Ausführbarkeit des Streitgegenstandes besteht im wesentlichen aus folgenden Argumenten:
- mit Referenz auf Exhibit 9, daß ein Fachmann das beanspruchte Produkt wegen unzureichender Angaben im Patent nicht herstellen könne ohne selbst erfinderisch tätig zu werden (vgl. auch Schriftsatz vom 20. Januar 1998, Seite 2, vorletzter Absatz bis Seite 3, erster vollständiger Absatz).
- mit Referenz auf Exhibit 10, daß handelsübliche Sichter nicht die erforderliche Trennschärfe aufweisen, um ein solches Produkt hinreichend klassieren zu können (ibid., Seite 3, zweiter vollständiger Absatz bis Seite 4, erster vollständiger Absatz), und
- mit Referenz auf Exhibit 11, daß es unmöglich sei, den R-Faktor genau zu bestimmen (ibid., Seite 4, letzter Absatz bis Seite 5, erster Absatz).
2.1.2. Die Kammer akzeptiert zwar diese Exhibits als fachmännisches Wissen, ist aber aus folgenden Gründen nicht von den vorgebrachten Argumenten überzeugt:
Exhibit 9 zeigt nämlich, daß der Fachmann schon aus dem Verlauf der kumulativen Verteilungskurve gemäß Streitpatent (vgl. Figur 1) erkennt, daß es sich um eine bimodale Korngrößenverteilung mit zwei Maxima in der echten Verteilungskurve handeln muß, so wie dies in Enclosure 4 dargestellt ist, und daß eine solche Verteilung nicht durch einfaches Naßvermahlen erhältlich ist, sondern daß man als Grundvoraussetzung ein bimodales Ausgangsprodukt einsetzen muß. Nichts anderes hat die - ebenfalls fachkompetente - Beschwerdeführerin in ihren Vergleichsversuchen getan, mit denen sie das Streitpatent im Hinblick auf erfinderische Tätigkeit gegenüber Exhibit 13 angreift. Hierbei hat sie zweifelsfrei gezeigt, wie der Streitgegenstand durch Einleiten von CO2 in Kalkmilch, d. h. durch Präzipitation (wie dies auch im Streitpatent vorgeschlagen ist: Seite 6, Zeile 14), prinzipiell hergestellt werden kann, wobei zwei bei unterschiedlicher Fällungstemperatur gewonnene Produkte, gegebenenfalls nach Vermahlen zur geeigneten Korngröße, im erforderlichen Verhältnis gemischt werden (Schriftsatz vom 29. Dezember 1999, Seiten 3 bis 5, "Preparation of Materials").
2.1.3. Eine Klassierung des so hergestellten Produktes ist nicht erwähnt und offensichtlich nicht erforderlich. Insofern ist der Hinweis auf Exhibit 10 daher nicht relevant. Im übrigen bezieht sich dieses nur auf marktgängige Apparaturen für die im Streitpatent erwähnte mögliche Windsichtung trocken vermahlener Produkte (Seite 6, Zeilen 11 bis 13), nennt aber immerhin einen Sichtertyp (Kanalradsichter) mit einer Trenngrenze von unter 1 um. Andere Möglichkeiten der Klassierung, sofern nötig, wie beispielsweise durch Zentrifugieren (im Streitpatent ebenfalls erwähnt; Seite 7, Zeilen 32 bis 33), werden nicht in Betracht gezogen.
2.1.4. Auch die Bestimmung des R-Faktors für die Produkte der Vergleichsversuche unter Benutzung eines Sedigraphen stellte für die fachkundige Beschwerdeführerin offensichtlich keine Schwierigkeit dar. Wenn daher, wie die Beschwerdeführerin behauptet, die dem R-Faktor zugrundeliegenden Meßwerte mit einer hohen Streubreite erhalten werden, so ist dies nicht ein Problem mangelnder Ausführbarkeit, sondern allenfalls eine Frage der Interpretation dieser Meßwerte sowie der daraus resultierenden R-Faktoren. Nichts anderes ist dem Exhibit 11 zu entnehmen, das eine Fehlerberechnung auf Basis verschiedener Meßwerte zum Inhalt hat.
2.1.5. Die Kammer kommt daher zum Schluß, daß - wie die Beschwerdeführerin selbst gezeigt hat - der Streitgegenstand für den Fachmann ohne weiteres ausführbar ist.
2.2.1. Im Hinblick auf Artikel 57 EPÜ vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, eine Erfindung müsse im industriellen Maßstab realisierbar sein, um das Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit zu erfüllen (vgl. Beschwerdeschriftsatz, Seite 2, letzter Absatz und Seite 3). Dies sei beim Streitgegenstand nicht der Fall, da dieser nur im Labormaßstab hergestellt werden könne und eine Übertragung auf eine industrielle Produktionsebene nicht möglich sei.
2.2.2. Die Vorschrift nach Artikel 57 EPÜ lautet:
"Eine Erfindung gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann."
2.2.3. Mit Ausnahme von Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und von Diagnostizierverfahren, die nicht als gewerblich anwendbar gelten (Artikel 52 (4) EPÜ) und vorausgesetzt, daß der beanspruchte Gegenstand gemäß Artikel 83 EPÜ herstellbar ist sowie eine technische Brauchbarkeit erkennbar ist (siehe auch Singer/Stauder: Europäisches Patentübereinkommen, 2. Auflage, Seiten 192 bis 193), schreibt das Europäische Patentübereinkommen keinerlei Beschränkung für den Begriff "Gewerbe" vor. Insbesondere bindet es den Begriff der gewerblichen Anwendbarkeit nicht an irgendwelche Produktionsmengen oder an die Durchführung einer Erfindung im industriellen oder großtechnischen Maßstab.
2.2.4. Im vorliegenden Fall erfüllt der Streitgegenstand nicht nur die Bedingungen von Artikel 83 EPÜ (siehe 2.1), sondern er ist zweifellos auch auf mindestens einem gewerblichen Gebiet anwendbar, nämlich auf dem technischen Gebiet der Papierherstellung und -verarbeitung (vgl. z. B. Anspruch 16). Dies hat die Beschwerdeführerin mit ihren Vergleichsversuchen bestätigt, indem sie die Tauglichkeit von Produkten gemäß Streitpatent als Papierfüllstoff und als Pigment für die Papierbeschichtung im Vergleich zu einem Referenzmaterial beschreibt und testet.
2.3. Mithin erfüllt der Gegenstand des Streitpatents sowohl die Bedingungen von Artikel 83 EPÜ als auch die von Artikel 57 EPÜ.
3. Neuheit
3.1. Der einzige Neuheitseinwand wurde in Bezug auf Exhibit 13 erhoben. Hierzu hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, daß dieses Dokument mit Probe Nr. 138 eine Variante umfasse, die den Streitgegenstand neuheitsschädlich vorwegnehme.
3.2. Wie schon im Einspruchsverfahren festgestellt und von den Parteien nicht bestritten wurde, sind der Korngrößenverteilungskurve (Figur 1) dieser Probe mit einem Steilheitsfaktor von 1.38 als Maß für die Verteilungsbreite (Streitpatent, Seite 9, Zeile 54 bis Seite 10, Zeile 2), einem oberen Schnitt von 2 um als Maß für die gröbsten Partikel im Produkt (Streitpatent, Seite 6, Zeilen 57 bis 58) und einem mittleren statistischen Teilchendurchmesser von 0.4 um Werte innerhalb der jeweils beanspruchten Bereiche zu entnehmen. Unstreitig ist auch, daß die in Exhibit 13 verwendeten calcitischen präzipitierten Calciumcarbonate (Seite 104, linke Spalte, Zeilen 1 bis 4) eine rhomboedrische Teichenform aufweisen sowie, daß für Probe Nr. 138 in Exhibit 13, wegen der Ähnlichkeit ihrer Verteilungskurve mit der des Streitgegenstandes, eine spezifische Oberfläche im beanspruchten Bereich angenommen werden muß.
3.3. Somit bleibt zu untersuchen, ob das bekannte Produkt auch die Bedingung eines R-Faktors zwischen 8 und 14 erfüllt.
3.4. Die Parteien stimmen darin überein, daß der Verteilungskurve für Probe Nr. 138 in Figur 1 von Exhibit 13 ein R-Faktor von etwa 17.5 zu entnehmen ist, also deutlich außerhalb des beanspruchten Bereichs.
3.5. Unter Bezugnahme auf Exhibit 11 macht die Beschwerdeführerin aber geltend, daß bei Berücksichtigung der anzusetzenden Fehlergrenzen dieser Wert mit einem großen Unsicherheitsfaktor behaftet sei. Für den wahren Wert des R-Faktors der Probe Nr. 138 sei in Wirklichkeit der Bereich von 12.7 bis 26.9 maßgeblich, der mit dem beanspruchten Bereich überlappe.
3.6. Wie bereits aus der von der Beschwerdegegnerin zitierten unveröffentlichten Kammerentscheidung T 267/91 (siehe Gründe Nr. 5.2.2) im Zusammenhang mit der konkreten Frage der Berücksichtigung von Fehlergrenzen beim R-Faktor zur Beurteilung der Neuheit hervorgeht, kommt es zur Beantwortung dieser Frage darauf an, ob die Fehlergrenzen aus der betreffenden Entgegenhaltung bekannt sind oder aber als fachmännisches Wissen gelten.
3.6.1. Exhibit 13 enthält keinerlei Hinweis auf die Meßunsicherheiten und Fehlergrenzen bei der Bestimmung der in Figur 1 dargestellten Korngrößenverteilungen. Somit bleibt zu beantworten, ob einem Fachmann diese Fehlergrenzen bekannt sind.
3.6.2. Exhibit 11 kann als repräsentativ für fachmännisches Wissen angesehen werden. Die darin enthaltene Fehlerberechnung beruht auf zwei Experimenten, in denen jeweils eine wäßrige Calciumcarbonat-Suspension mit zwei bzw. mit zwölf unterschiedlichen Sedigraphen 5100 gemessen wurde (siehe Exhibit 11, Punkte 6 und 12). Für die erhaltenen Meßwerte werden für den Anteil an Teilchen unter 1 um und unter 0.25 um Mittelwerte mit Standardabweichungen von 70.36 ± 0.93 Gew.-% bzw. 20.14 ± 2.93 Gew.-% angegeben. Unter der Annahme, daß keine erhebliche Abweichung für Teilchen unter 0.2 um auftritt, wurde unter Verdoppelung der jeweiligen Werte der Standardabweichung für die ursprünglich beanspruchten Grenzwerte für R von 8 und 19 eine 95 % Vertrauensgrenze von 5.7 bis 10.3 und 13.5 bis 24.5 bzw. 6.7. bis 9.3 und 15.9 bis 22.1 errechnet (Exhibit 11, Punkt 13). Exhibit 11 gibt keine konkreten Meßbedingungen an, sondern sagt nur, die Messungen seien unter "identischen" Bedingungen erfolgt. Andererseits ist aus Exhibit 2 bekannt, daß es gerade auf die Meßbedingungen ankommt, um vergleichbare Meßwerte zu erhalten. Beispielsweise führen bereits Probenalterung und kleine Temperaturunterschiede zu Meßabweichungen (Exhibit 2, Seite 1). Die Kammer hält daher die Ergebnisse in Exhibit 11 schon aus diesem Grund nicht für aussagekräftig.
3.6.3. Exhibit 11 sind auch keine Gründe dafür zu entnehmen, weshalb im vorliegenden Fall die Genauigkeit der Meßwerte mit einer 95 % Wahrscheinlichkeit anzugeben sein soll. Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeits- und Fehlerrechnung bedingen aber, daß mit zunehmender Wahrscheinlichkeit dafür, ob der "wahre Wert" einer Meßgröße innerhalb eines bestimmten Wertebereiches liegt, die Fehlergrenzen um diesen Wert erheblich verbreitert werden können. Die Kammer stimmt zwar zu, daß jedes Meßergebnis fehlerbehaftet ist. In der Regel genügt für solche Meßungenauigkeiten jedoch die Angabe der einfachen mittleren Standardabweichung (siehe z. B. in der unveröffentlichten Kammerentscheidung T 93/83, Gründe Nr. 4.5). Die Kammer teilt daher die Meinung der Beschwerdegegnerin, daß für Vergleichszwecke die Anwendung der mittleren Standardabweichung, angemessen und ausreichend ist. Geht man von dieser aus, dann ergibt sich für Probe Nr. 138 aus Exhibit 13 mit einem gemessenen Anteil von 5.6 % an Partikeln unter 0.2 um und 97 % an Partikeln unter 1 um auch bei der von der Beschwerdeführerin angesetzten und in Exhibit 2 für Sedigraph-Messungen erwähnten Standardabweichung (dort Reproduzierbarkeit genannt; siehe Seite 2) von ± 1 Gew.-% und nach dem von der Beschwerdeführerin benutzten Rechenschema (Beschwerdeschriftsatz, Seite 4, letzter Absatz bis Seite 5, erster Absatz) ein Quotient R von 96 %/6.6 % bis 98 %/4.6 % bzw. ein R-Faktor von 14.5. bis 21.3 und damit keine Überlappung mit dem beanspruchten Bereich.
3.7. Die Kammer schließt daraus, daß - bei gebührender Berücksichtigung der Meßunsicherheiten - der Streitgegenstand durch Exhibit 13 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen ist.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. Technisches Gebiet
4.1.1. Das Streitpatent betrifft carbonathaltige mineralische Materialien zur Verwendung in der Papierindustrie, einerseits als Füllstoff für die Papiermasse und andererseits als Beschichtungspigment (Streitpatent, Seite 2, Zeilen 3 bis 8).
4.1.2. Solche Materialien müssen, laut Streitpatent, unterschiedlichen Anforderungen genügen, um in der Papierherstellung als Füllstoff und auch als Beschichtungspigment geeignet zu sein. So sind zwar hinsichtlich Weißgrad und Opazität präzipitierte Calciumcarbonate gut geeignet als Füllstoffe und Pigmente, nicht aber hinsichtlich des erreichbaren Füllgrades und der für Beschichtungszusammensetzungen erforderlichen Eigenschaften, die sich im Glanz des beschichteten Papiers bemerkbar machen (Streitpatent, Seite 2, Zeile 52 bis Seite 3, Zeile 10 und Seite 3, Zeile 46 bis Seite 4, Zeile 8).
4.1.3. Calciumcarbonate zur Verwendung als Füllstoff oder als Beschichtungspigment sind aus dem Stand der Technik bekannt, nicht aber solche, die gleichzeitig den Anforderungen genügen, um für beide Anwendungen geeignet zu sein (vgl. Streitpatent, Seite 4, Zeilen 19 bis 44).
4.1.4. Aufgabe gemäß Streitpatent ist es daher, carbonathaltige mineralische Materialien bereitzustellen, die sowohl als Papierfüllstoff als auch als Beschichtungspigment vorteilhaft eingesetzt werden können (Seite 4, Zeilen 45 bis 49).
4.2. Nächstliegender Stand der Technik
4.2.1. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von demjenigen Stand der Technik auszugehen, der für den Fachmann den besten Ausgangspunkt bietet, um zum Gegenstand des angefochtenen Patents zu kommen. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 3. Auflage, 1998, Kapitel I.D.3.1) sollte sich dieser Stand der Technik aber auch mit der im angefochtenen Patent angegebenen Problematik beschäftigen, da sonst aus der Rückschau in Kenntnis des Streitpatents gewonnene Elemente in die Formulierung der objektiven Aufgabe einfließen könnten.
4.2.2. Im Falle des Streitpatents befaßt sich keines der von der Beschwerdeführerin zitierten Dokumente mit der Aufgabe der Verwendbarkeit eines carbonathaltigen Materials sowohl als Papierfüllstoff als auch als Beschichtungspigment. Andererseits bestätigt die Beschwerdegegnerin, daß diese Aufgabenstellung an sich keine Besonderheit sei, d. h. es handle sich nicht um einen der eher seltenen Fälle, in denen bereits die Aufgabenstellung einen erfinderischen Beitrag leiste. Vielmehr sei der Wunsch nach einem für beide Anwendungszwecke tauglichen carbonathaltigen Material in der Fachwelt zwar verbreitet, bisher aber nicht realisierbar gewesen.
4.2.3. Exhibit 13, das die Beschwerdeführerin als den nächstliegenden Stand der Technik betrachtet, behandelt ausschließlich Papierbeschichtungen, so daß dieses Dokument keinen geeigneten Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Materials mit der angestrebten zweifachen Verwendbarkeit darstellt. Da auch sonst kein besser geeigneter Stand der Technik zur Verfügung steht, geht die Kammer in Übereinstimmung mit der Beschwerdegegnerin von dem im Streitpatent zu Vergleichszwecken gewählten Stand der Technik aus (vgl. insbesondere die Tabellen II und III), um die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen.
4.3. Lösung der Aufgabe
4.3.1. In den Tabellen II, III und IIIa des Streitpatents sind die Vorteile des Streitgegenstandes im Vergleich zu Produkten des Stands der Technik gezeigt. Aus Tabelle II geht hervor, daß das Produkt gemäß Streitpatent generell eine erheblich höhere Opazität aufweist. Die Tabellen III und IIIa zeigen, daß zudem sowohl eine verbesserte Eignung als Füllstoff, wegen des höheren erreichbaren Füllgrades, als auch ein verbesserter Papierglanz bei Verwendung als Streichpigment erzielt wird (siehe auch Seite 10, Zeilen 22 bis 29).
4.3.2. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich eingewandt, daß der eigentliche Unterschied zu den im Streitpatent herangezogenen Referenzbeispielen im R-Faktor liege, daß aber dessen Beitrag zu den erzielten Ergebnissen nicht kalkulierbar sei, weil gleichzeitig auch andere Parameter gegenüber dem Stand der Technik variiert worden seien (Beschwerdebegründung, Seite 10, erster vollständiger Absatz bis Seite 11, Zeile 3; Einspruchsschriftsatz, Seite 12, vorletzter Absatz und Seite 15, Zeilen 1 bis 11).
4.3.3. Dieser Vortrag überzeugt aber deshalb nicht, weil der Streitgegenstand durch die Kombination von sechs Merkmalen definiert wird, von denen vier, nämlich der Steilheitsfaktor, der R-Faktor, der obere Schnitt und der mittlere statistische Teilchendurchmesser, eine bestimmte Korngrößenverteilung festlegen, die von den einzelnen Vergleichsbeispielen in unterschiedlicher Weise abweichen. Die Beispiele im Streitpatent zeigen daher, daß es eben auf die Kombination dieser konkreten Merkmale ankommt um die für einen Füllstoff und für ein Pigment erforderlichen Eigenschaften zu erzielen.
4.3.4. Nach Auffassung der Kammer demonstrieren die Beispiele im Streitpatent daher in glaubhafter Weise, daß die genannte technische Aufgabe (siehe 4.1.4) durch die Merkmale des Streitgegenstandes gelöst wird.
4.4. Naheliegen
4.4.1. Die Beschwerdeführerin hat im Einspruchsverfahren die Meinung vertreten, die wesentlichen Voraussetzungen für eine Korngrößenverteilung gemäß Streitpatent seien aus den Exhibits 5 bis 7 bekannt (Einspruchsschriftsatz, Seite 12, vorletzter Absatz bis Seite 15).
4.4.2. Aus diesen Dokumenten sind aber entweder keine konkreten Angaben zu entnehmen oder Angaben außerhalb dessen was im Streitpatent beansprucht wird. In Exhibit 5 wird eine Teilchengröße von etwa 0.27 um für optimal gehalten, wobei "breite" Korngrößenverteilungen sowohl für Beschichtungspigmente als auch für Füllstoffe vermieden werden sollen (Seite 348, letzter Absatz). Exhibit 6 vermittelt die allgemeine Lehre, ein "zu großer" Anteil an Feinteilchen (0.2 um) in Beschichtungspigmenten verschlechtere die Lichtstreuung (insbesondere Seite 47, rechte Spalte bis Seite 48, linke Spalte). Exhibit 7, schließlich, enthält lediglich für Calciumcarbonate nicht kommentierte Korngrößenverteilungskurven, die sich vom Streitgegenstand unterscheiden (Seite 86). Im übrigen berühren diese Angaben die beanspruchte Merkmalskombination nur teilweise.
Die Beschwerdeführerin hat daher keine Dokumente aus dem Stand der Technik vorgelegt, aus denen die beanspruchte Kombination von Merkmalen für ein carbonathaltiges Produkt ableitbar wäre, geschweige denn in Erwartung verbesserter Eigenschaften bei Verwendung sowohl als Füllstoff wie auch als Beschichtungspigment.
4.4.3. Aus ähnlichem Grund überzeugen auch die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Vergleichsbeispiele nicht (siehe auch unter 2.1.2), mit denen demonstriert werden sollte, daß der Streitgegenstand gegenüber dem aus Exhibit 13 bekannten Material keine unerwarteten Vorteile aufweise. Die verglichenen Produkte können zwar als repräsentativ gelten für den Streitgegenstand einerseits und andererseits für den Stand der Technik gemäß Exhibit 13 mit relativ geringem Feinteilchenanteil (Schriftsatz vom 19. Dezember 1999, insbesondere Enclosures 5 bis 7). Aber, abgesehen davon, daß der Fachmann keinen Grund hatte, Produkte gemäß Exhibit 13 zur Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe ins Auge zu fassen (siehe oben unter 4.2.3), wurde in diesen Beispielen nicht gezeigt welche Füllgrade jeweils erreichbar sind. Sie geben daher keinen Hinweis auf die Eignung dieser Produkte als Füllstoff. Daher ist es für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ohne Bedeutung, daß unter den dort gewählten Bedingungen kein Vorteil hinsichtlich der Pigmenteigenschaften erkennbar (Enclosures 8 und 9) ist.
5. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der von der Beschwerdeführerin herangezogene Stand der Technik keinerlei Anregung bietet, mit carbonathaltigen Materialien der beanspruchten Kombination von Merkmalen, insbesondere der damit verbundenen speziellen Korngrößenverteilung, Produkte bereitzustellen, die geeignet sind, in der Papierindustrie sowohl als Füllstoff wie auch als Beschichtungspigment eingesetzt zu werden.
Der Gegenstand nach Anspruch 1 sowie die Verwendung nach Anspruch 16, jeweils für alle benannten Vertragsstaaten einschließlich ES, beruhen damit auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Die auf Anspruch 1 zurückbezogenen Ansprüche 2 bis 15 betreffen besondere Ausführungsformen des Gegenstands nach Anspruch 1 und werden von diesem getragen.
6. Vorliegende Entscheidung gegen den Antrag der Beschwerdeführerin wurde in deren vorangekündigter Abwesenheit während der mündlichen Verhandlung erlassen. Die Entscheidung ist aber ausschließlich auf Tatsachen und Beweismittel gestützt, die im schriftlichen Verfahren vorgebracht wurden und zu denen sich die Beschwerdeführerin auch schriftlich äußerte. Daher ist das rechtliche Gehör (Artikel 113 (1) EPÜ) dieser Partei gewahrt (siehe auch G 4/92, ABl. EPA 1994, 149; sowie T 341/92, ABl. EPA, 1995, 373).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.