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J 0008/80 (Berichtigung von Unrichtigkeiten) 18-07-1980
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1. Regel 88 EPÜ schliesst die Berichtigung von Unrichtigkeiten, die die Benennung von Staaten betreffen, nicht aus, auch wenn diese Unrichtigkeiten nicht offensichtlich sind.
2.In Faellen, in denen die geltendgemachte Unrichtigkeit nicht selbstverstaendlich ist, und in Faellen, in denen nicht sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt war als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wurde, sind an die vom Antragsteller zu erbringenden Beweise hohe Anforderungen zu stellen.
Berichtigung/Benennung von Staaten
Benennung von Staaten/Berichtigung
I. Die Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft nach dem Recht der britischen Kronkolonie von Hongkong; dort hat sie auch ihren Hauptgeschäftssitz.
II. Am 3. Oktober 1979 hat ein zugelassener Vertreter mit Wohn- und Geschäftssitz in England nach Anweisungen einer australischen Patentanwaltsfirma für die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung eingereicht. Es wurde die Priorität einer am 6. Oktober 1978 in Australien eingereichten nationalen Anmeldung geltend gemacht.
III. In der Anmeldung waren vier Mitgliedstaaten des Europäischen Patentübereinkommens benannt worden, und die Benennungsgebühr für vier Staaten war am 19. Oktober 1979 entrichtet worden. Die Beschwerdeführerin hatte jedoch die australische Patentanwaltsfirma angewiesen, fünf Mitgliedstaaten zu benennen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland.
IV. Auf die Mitteilung hin, daß nur vier Mitgliedstaaten (ohne die Bundesrepublik Deutschland) benannt worden waren, hatte die Beschwerdeführerin unverzüglich die Unterlassung beanstandet. Am 25. Oktober 1979 wurde die Benennungsgebühr für den fünften Staat bezahlt, und am 28. November 1979 beantragte der zugelassene englische Vertreter nach Regel 88 EPÜ die Berichtigung der Unrichtigkeit im Erteilungsantrag durch die Hinzufügung des Namens der Bundesrepublik Deutschland. Dem Antrag auf Berichtigung der Unrichtigkeit war ein schriftliches Beweismittel beigefügt, nämlich eine Erklärung der Sekretärin des Senior-Partners der australischen Patentanwaltsfirma entsprechend dem Australian Statutory Declarations Act 1959.
V. Aus der Erklärung, der auch entsprechende Unterlagen beigefügt sind, ergibt sich, daß mit Telex klare Anweisungen gegeben waren, unter anderen den fehlenden Mitgliedstaat zu benennen, und daß die australische Patentanwaltsfirma in einem Schreiben geantwortet hatte, daß sie Anmeldungsformulare für mehrere aufgeführte Länder und für "Europa" vorbereitet hätte, wobei unter der letzten Bezeichnung die fünf Mitgliedstaaten im einzelnen angegeben waren. Kopien des Telex und des Schreibens sind vorgelegt worden. Es wurde erklärt, daß in dem Auftragsschreiben nur vier Mitgliedstaaten benannt waren und daß die Unterlassung auf eine Verwechslung der Angelegenheiten verschiedener Mandanten in dem Büro der australischen Patentanwaltsfirma zurückzuführen sei.
VI. Die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts teilte dem zugelassenen Vertreter der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. Dezember 1979 mit, daß Regel 88 EPÜ keine Anwendung finde, da in dem Erteilungsantrag die Absicht, einen anderen Staat als die darin aufgeführten Staaten zu benennen, nicht erwähnt sei. Die Eingangsstelle erließ dann am 28. Dezember 1979 eine "revidierte Entscheidung", in der der Antrag vom 28. November 1979 auf Berichtigung der Benennung von Mitgliedstaaten ohne zusätzliche Begründung zurückgewiesen wurde.
VlI. Am 23. Januar 1980 reichte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde gegen die Entscheidung vom 28. Dezember 1979 ein und begründete sie am 23. April 1980. Die Beschwerdegebühr wurde vorschriftsmäßig entrichtet.
VIII. In ihrer schriftlichen Begründung macht die Beschwerdeführerin geltend, daß Regel 88 EPÜ nicht die Berichtigung der Benennung von Staaten ausschließe und daß der zweite Satz der Regel 88 EPÜ die Offensichtlichkeit der Berichtigung nur dann verlange, wenn es sich um Berichtigungen der Beschreibung, der Patentansprüche oder der Zeichnungen handele; es sei eindeutig nicht vorgeschrieben, daß Berichtigungen oder Unrichtigkeiten in anderen Unterlagen offensichtlich sein müßten.
IX. Zur Unterstützung ihrer Ausführungen hat die Beschwerdeführerin Kopien von Dokumenten vorgelegt, die sich auf die Ausarbeitung des Europäischen Patentübereinkommens beziehen und die zeigen sollen, daß nicht beabsichtigt war, die Hinzufügung einer Benennung in einem Erteilungsantrag von der allgemeinen Regel auszuschließen, die die Berichtigung von Unrichtigkeiten in Unterlagen zuläßt.
X. Bei dem ersten vorgelegten Dokument handelt es sich um einen Vorschlag der Delegation des Vereinigten Königreichs für die 9. Sitzung der Arbeitsgruppe 1 im Oktober 1971 (Arbeitsdokument Nr. 7, 19. Oktober 1971), und zwar um den Vorschlag einer Bestimmung in der Ausführungsordnung zum Übereinkommen, der die Berichtigung von Schreibfehlern oder offensichtlichen Unrichtigkeiten in einem Erteilungsantrag für ein europäisches Patent vorsah, aber ausdrücklich die Hinzufügung weiterer Benennungen von Staaten ausschloß.
XI. Das zweite vorgelegte Dokument (Arbeitsdokument BR/GT I/131/71, 22. Oktober 1971) zeigt, daß dieser Vorschlag nicht angenommen wurde. Es wurde der Entwurf einer Regel "zu Artikel 145, Nr. 4 a" angenommen, wonach offensichtliche Fehler oder Unrichtigkeiten in allen Unterlagen korrigiert werden können, wenn klar sei, daß die vorgeschlagene Berichtigung der ursprünglichen Absicht entspreche. Besondere Ausnahmen - zum Beispiel die spätere Benennung eines Staats - wurden in die neue Bestimmung nicht aufgenommen; dies war auch im Bericht über die 9. Sitzung der Arbeitsgruppe I (BR/135/71, Seite 31, 17. November 1971) festgehalten worden.
XII. Weitere Untersuchungen haben ergeben, daß auf der Regierungskonferenz in Luxemburg (24. Januar bis 4. Februar 1972) verschiedene private Organisationen eine Regel vorgeschlagen haben, die es möglich machen sollte, den Tag und den Staat einer früheren Anmeldung, deren Priorität beansprucht war, jederzeit innerhalb von 16 Monaten nach dem Prioritätszeitpunkt anzugeben. Dieser Vorschlag wurde von den nationalen Delegationen nicht angenommen, aber Arbeitsgruppe I wurde angewiesen, die entsprechende Regel so umzuformulieren, daß eine unrichtige Erklärung in einer Anmeldung berichtigt werden kann (siehe BR/168/72 Seite 36, 15. März 1972).
XIII. Der Bericht über die Sitzung der Arbeitsgruppe I (BR/177/72, Seite 24, 13. April 1972) zeigt eindeutig, daß die Arbeitsgruppe dementsprechend mit Absicht das Erfordernis, daß nur offensichtliche Berichtigungen vorgenommen werden könnten, auf die Berichtigung von Unrichtigkeiten in der Beschreibung, den Ansprüchen und den Zeichnungen beschränkte. Auf diese Weise kam der heutige Wortlaut der Regel 88 EPÜ zustande. Gleichzeitig wurde auch das Verfahren über die Mitteilung von Mängeln hinsichtlich des Tags und Staats der Erstanmeldung an den Anmelder und die Aufforderung an ihn, diese Mängel zu beheben, festgelegt (siehe Regel 41 Absätze 2 und 3 EPÜ).
XIV. Die Washingtoner Diplomatische Konferenz 1970 hatte eine andere Lösung gewählt. Regel 91 der Ausführungsordnung zum Zusammenarbeitsvertrag sieht zum Teil folgendes vor:
"Offensichtliche Schreibfehler 91.1 Berichtigung
a) Vorbehaltlich der Absätze b bis g können in der internationalen Anmeldung und in anderen vom Anmelder eingereichten Schriftstücken enthaltene offensichtliche Schreibfehler berichtigt werden.
b) Fehler, die darauf zurückzuführen sind, daß etwas anderes als das, was offensichtlich beabsichtigt war, in der internationalen Anmeldung oder anderen Unterlagen zum Ausdruck gebracht worden ist, gelten als offensichtliche Schreibfehler. Die Berichtigung selbst muß in einer Weise offensichtlich sein, daß jedermann sofort erkennen kann, daß nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird.
c) Fehlen ganze Bestandteile oder Seiten der internationalen Anmeldung, so ist eine Berichtigung auch dann nicht zulässig, wenn das Fehlen eindeutig auf eine Unachtsamkeit etwa bei der Vervielfältigung oder beim Einordnen von Blättern zurückzuführen ist.
d) Die Berichtigung kann auf Antrag des Anmelders erfolgen. Die Behörde, die einen offensichtlichen Schreibfehler festgestellt hat, kann den Anmelder auffordern, einen Antrag auf Berichtigung zu stellen, wie in den Absätzen e bis g vorgesehen.''
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Dies ist die erste Beschwerde, bei deren Entscheidung sich die Juristische Beschwerdekammer mit der Auslegung der Regel 88 EPÜ zu befassen hat; es erscheint daher zweckmäßig, daß die Kammer die anzuwendende Rechtsnorm und das bei Anträgen nach Regel 88 EPÜ durchzuführende Verfahren näher erläutert.
3. Zuerst kann festgestellt werden, daß Regel 88 Satz 1 EPÜ nicht die Berichtigung von Unrichtigkeiten ausschließt, die die Benennung von Staaten betrifft, auch wenn die Berichtigung nicht "offensichtlich" in dem in Regel 88 Satz 2 EPÜ festgelegten Sinn ist. Dies ergibt sich einmal aus dem Wortlaut der Regel 88 EPÜ selbst; daß beabsichtigt war, daß dies das nach dem Übereinkommen anzuwendende Recht sein sollte, folgt eindeutig aus der in den Absätzen X - XIII zusammengefaßten geschichtlichen Entwicklung dieser Rechtsnorm.
4. Eine Unrichtigkeit im Sinn der Regel 88 EPÜ in einer beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlage dürfte dann vorliegen, wenn die Unterlage nicht die wirkliche Absicht dessen wiedergibt, für den sie eingereicht worden ist. Die Unrichtigkeit kann eine unrichtige Erklärung sein, oder sie kann aus einer Unterlassung ergeben. Die Berichtigung kann daher in der Weise erfolgen, daß die unrichtige Erklärung richtig formuliert wird oder daß das, was ausgelassen wurde, hinzugefügt wird.
5. Bevor das Amt jedoch einen Antrag auf Berichtigung einer Unrichtigkeit zuläßt, muß für das Amt feststehen, daß eine Unrichtigkeit vorliegt, worin die Unrichtigkeit besteht und in welcher Weise sie berichtigt werden soll. Dies ist der notwendige Schutz gegen einen Mißbrauch der Bestimmungen der Regel 88 EPÜ.
6. Es obliegt dem Antragsteller, die Beweise für die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Amt umfassend und offen vorzulegen. In Fällen, in denen die geltend gemachte Unrichtigkeit nicht selbstverständlich ist, und in Fällen, in denen es nicht sofort erkennbar ist, daß nichts anderes beabsichtigt war als das, was zur Berichtigung vorgeschlagen wurde, müssen hohe Anforderungen an die Beweislast gestellt werden. Sind die beigebrachten Beweise unvollständig, unklar oder zweideutig, so dürfte der Antrag auf Berichtigung zurückzuweisen sein. Es darf insbesondere kein vernünftiger Zweifel hinsichtlich der wirklichen Absicht der Person bestehen, für die die Unterlage eingereicht worden war. Eine bloße Darlegung seiner Absicht, die nicht von Beweisen über seine Äußerungen und Handlungen gestützt wird, dürfte fast immer ungenügend sein. Es kann nicht zugelassen werden, daß Bestimmungen, die die Berichtigung von tatsächlichen Unrichtigkeiten ermöglichen sollen, dazu verwendet werden, daß jemand eine Meinungsänderung oder eine Weiterentwicklung seiner Gedanken auf diese Weise verwirklichen kann.
7. In einem Fall wie dem hier vorliegenden kann einem Anmelder eines europäischen Patents, der später Staaten benennen will, deren Benennung er ursprünglich nicht beabsichtigt hatte, oder der einen Staat durch einen anderen ersetzen will, nicht erlaubt werden, die Regel 88 EPÜ zu benutzen, um das Erfordernis des Artikels 79 EPÜ zu umgehen, daß der Erteilungsantrag für ein europäisches Patent die Benennung des Staats oder der Staaten enthalten muß, in denen Schutz für die Erfindung gewünscht wird.
8. In dem hier zu entscheidenden Fall zeigen die vorgelegten Beweise, daß die Beschwerdeführerin eindeutige Anweisungen ihren australischen Patentanwälten gegeben hatte und daß es auf deren Irrtum zurückzuführen ist, daß der zugelassene Vertreter in England unrichtige Anweisungen erhalten hat. Aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Kopien des Telex und des Schreibens ergibt sich eindeutig ihre Absicht, fünf Mitgliedstaaten zu benennen und die Bundesrepublik Deutschland mit einzubeziehen. Die für den Irrtum verantwortliche Person hat selbst schriftlich über das Zustandekommen des Irrtums ausgesagt, und zwar in einer Weise, die den Gesetzen des Staats entspricht, in denen die Aussage gemacht worden ist.
9. Die Juristische Beschwerdekammer sieht keinen Grund, diese Beweise nicht anzuerkennen, und hält sie für ausreichend, den Antrag der Beschwerdeführerin nach Artikel 88 EPÜ zu begründen.
10. In diesem Beschwerdeverfahren war es nicht notwendig, Überlegungen anzustellen, ob das Recht, die Berichtigung einer Unterlage nach Artikel 88 EPÜ zu verlangen, gewissen natürlichen Beschränkungen unterliegt, wenn der Antrag auf Berichtigung relativ spät gestellt wird. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin unverzüglich gehandelt.
11. Die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung beruhte somit auf einer unrichtigen Auslegung der Regel 88 EPÜ und muß daher aufgehoben werden.
12. In dem vorliegenden Fall ist kein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ gestellt worden, und die Umstände des Falles rechtfertigen auch nicht eine solche Rückzahlung.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 28. Dezember 1979 wird aufgehoben.
2. Es wird bestimmt, daß der für die europäische Patentanmeldung Nr. 79302097.5 eingereichte Erteilungsantrag in der Weise berichtigt wird, daß die Benennung der Bundesrepublik Deutschland hinzugefügt wird.