T 1075/20 10-10-2022
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VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM UMGANG MIT ARTIKELN
(1) Gerhard Schubert GmbH
(2) KHS GmbH
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Einsprechenden 01 und die Einsprechende 02 legten form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher festgestellt wurde, dass unter Berücksichtung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent Nr. 3 012 198 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.
II. Die Einsprüche der Einsprechenden 01 und der Einsprechenden 02 richteten sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stützen sich auf die Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ, wobei die Einsprechende 01 zusätzlich den Einspruchsgrund der mangelnden Offenbarung nach Artikel 100 b) EPÜ geltend machte.
III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 25. April 2022 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach die Beschwerden voraussichtlich erfolglos sein dürften.
IV. Die Einsprechenden 01 reagierte auf diese Mitteilung inhaltlich mit Schriftsatz vom 7. September 2022 und die Einsprechende 02 mit Schriftsatz vom 19. September 2022.
V. Am 10. Oktober 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. In der mündlichen Verhandlung nahm die Einsprechende 02 ihre Beschwerde zurück. Zu den weiteren Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
VI. Die Einsprechenden 01 beantragte zuletzt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 3 012 198.
VII. Die Patentinhaberin beantragte zuletzt
die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend erachteten, geänderten Fassung (Hilfsantrag 2 gemäß der angefochtenen Entscheidung, nunmehr Hauptantrag),
oder hilfsweise,
bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß
dem erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten Hilfsantrag 2a oder
einem der Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2019 vorgelegten Hilfsanträge 3 bis 5.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Vorrichtung (01) zum Umgang mit Artikeln (02), welcher Umgang vorsieht, mehrere Artikel (02) gleichzeitig aus einem Zulauf (03) zu entnehmen und in mindestens eine auf einer Bereitstellungsfläche (04) bereitstehende Umverpackung (04) umzusetzen, umfassend:
- einen Zulauf (03) aus in einer Transportrichtung (FR) transportierten Artikeln (02),
- mindestens eine in Richtung einer Horizontalachse (06) gesehen neben dem Zulauf (03) angeordnete Bereitstellungsfläche (04), auf welcher mit vom Zulauf (03) entnommenen Artikeln (02) zu befüllende Umverpackungen (05) bereit stehen und/oder bereit gestellt werden und von der die Umverpackungen (05), nachdem die Artikel (02) in diese eingesetzt worden sind, abtransportiert werden, und
- eine Greifeinrichtung (07) zum gleichzeitigen Erfassen von mehreren Artikeln (02) aus dem Zulauf (03),
wobei:
- die Greifeinrichtung (07) je Artikel einen von oben her kommend auf einen Artikel (02) in dem Zulauf (03) absenkbaren Greiferkopf (70) aufweist,
- die Greifeinrichtung (07) mindestens einen Manipulator (71) mit einem zumindest entlang der Horizontalachse (06) horizontal und entlang einer Vertikalachse (08) vertikal beweglichen Manipulatorkopf (72) aufweist, an dem die Greiferköpfe (70) angeordnet sind,
- die Greiferköpfe (70) in zumindest einer ersten horizontalen Richtung parallel zur Transportrichtung (FR) des Zulaufs (03) individuell und/oder gruppenweise relativ zueinander am Manipulatorkopf (72) translatorisch beweglich angetrieben angeordnet sind, und
- die Greiferköpfe (70) zusätzlich in einer zweiten horizontalen Richtung orthogonal zur Transportrichtung (FR) des Zulaufs (03) relativ zueinander am Manipulatorkopf (72) beweglich angetrieben angeordnet sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Vorrichtung Erfassungsmittel (17) zur Erfassung der Ist-Positionen der Artikel (02) ausgehend von einer vordersten Entnahmeposition am Ende (31) des Zulaufs (03) entgegen der Transportrichtung (FR) des Zulaufs (03) gesehen umfasst, und
die Vorrichtung dazu ausgebildet ist, die Entnahmepositionen der Greiferköpfe (70) an die Ist-Positionen der Artikel (02) im Zulauf (03) anzupassen."
IX. In dieser Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:
E2: US 5 060 455 A;
E3: WO 2009/024246 A1;
D12: DE 10 2012 006 037 A1.
X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Verfahrensrechtliche Fragen
1.1 Aufgrund der Rücknahme der Beschwerde durch die Einsprechende 02 verbleibt die Einsprechende 01 die einzige Beschwerdeführerin in dieser Sache. Die Einsprechende 02 hat nicht mehr die Stellung einer Beschwerdeführerin, ist jedoch gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ weitere Verfahrensbeteiligte.
1.2 Daraus folgt, dass diejenigen Einwände und das Vorbringen, die vom Einsprechenden 02 im Rahmen seiner Beschwerde vorgebracht wurden, auf die sich die Einsprechende 01 als Beschwerdeführerin aber nicht berufen hat, in dieser Entscheidung nicht weiter erörtert werden, als es die Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 zum Ausdruck gebracht hat. Die gilt insbesondere für den Einwand mangelnder Neuheit nach Artikel 54 EPÜ gegenüber der Lehre des Dokuments E2.
1.3 Da die Einsprechende 02 ihre Beschwerde vor Verkündung der Entscheidung zurückgenommen hat, ist die von der Einsprechenden 02 entrichtete Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (4) a) EPÜ zu 25% zurückzuerstatten.
2. Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
2.1 Die Einsprechende 01 bemängelte die Feststellung der Einspruchsabteilung zur Offenbarung der Erfindung in Punkt 4.1.2 der Entscheidungsgründe, dass Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht, bzw. die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt sind.
2.2 Trotz eines entsprechenden Hinweises der Kammer in Punkt 8.3 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 legte die Einsprechende 01 im gesamten Beschwerdeverfahren keine Tatsachen vor, die darlegten, weshalb es der Fachperson nicht ermöglicht wäre, die erfindungsgemäße Vorrichtung derart auszugestalten, dass ein in Transportrichtung nicht beweglicher Manipulatorkopf sich in Transportrichtung bewegende Artikel ergreifen könnte. Vielmehr beschränkte sie ihr Vorbringen stets auf ein Bestreiten der Feststellung in der angefochtenen Entscheidung.
2.3 Der von der Einsprechenden 01 dabei geltend gemachte Umstand, dass die Patentschrift keinen spezifischen Angaben zu einer Ausführung der im Ergebnis hypothetischen Möglichkeit eines nicht in Transportrichtung beweglichen Manipulatorkopfes enthalten würde, ist für sich genommen nicht geeignet, die Unrichtigkeit der Feststellung der Einspruchsabteilung überzeugend darzulegen.
2.4 Auch der weitergehende Vortrag der Einsprechenden 01, dass es faktisch unmöglich sei, mit einem in Transportrichtung nicht beweglichen Manipulatorkopf sich bewegende Artikel, nämlich unter dem Manipulatorkopf in Transportrichtung durchlaufende Flaschen, zu ergreifen, was nach Auffassung der Einsprechenden 01 von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag mit umfasst sei, bleibt letztlich eine reine Behauptung, die durch keine Tatsachen belegt und daher für die Kammer nicht nachvollziehbar ist.
2.5 Ein erfolgreicher Einwand unzureichender Offenbarung setzt jedoch ernsthafte und durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel voraus. Die Beweislast für die Feststellung einer unzureichenden Offenbarung im inter-partes Verfahren liegt regelmäßig beim Einsprechenden, der nachweisen muss, dass nach Abwägung der Wahrscheinlichkeit ein fachkundiger Leser des Patents anhand seines allgemeinen Fachwissens nicht in der Lage wäre, die Erfindung auszuführen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, Kapitel II.C.9.).
2.6 Diese der Einsprechenden 01 obliegende Beweislast gilt im gegebenen Fall um so mehr, als dass sich die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung in begründeter Weise mit der im Einspruchsverfahren erörterten Frage auseinandersetzte, wie sich bewegende Artikel ergriffen werden. Es oblag daher der Einsprechende 01, die Feststellungen der Einspruchsabteilung nicht nur zu bestreiten, sondern die Kammer durch das Vorlegen nachvollziehbarer und überprüfbarer Tatsachen oder Beweismittel von der Unrichtigkeit eben dieser Feststellung zu überzeugen.
2.7 Durch das Fehlen solcher Tatsachen oder Beweismittel kann die Einsprechende 01 die Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zu Artikel 83 EPÜ nicht hinreichend darlegen.
3. Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
3.1 Weiter wendete sich die Einsprechenden 01 gegen die Feststellungen in Punkt 6.2 der Entscheidungsgründe zur Zulässigkeit der Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Artikel 123 (2) EPÜ).
3.2 Unabhängig von der Frage, ob das von der Einsprechenden 01 erstmals in der Beschwerdebegründung vorgebrachte und nicht der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Argument, dass die Anspruchsformulierung durch das Weglassen der in Absatz [0109] der Patentschrift enthaltenen Formulierung "am Manipulatorkopf 71" Bewegungsmöglichkeiten der Greiferköpfe umfasst, die in Absatz [0109] nicht offenbart seien, vor dem Hintergrund des Artikels 12 (4) VOBK 2020 in das Verfahren zuzulassen wäre, ist es jedenfalls nicht überzeugend.
3.3 Wie die Patentinhaberin in ihrer Beschwerdeerwiderung auf Seite 3, Absatz 5, bis Seite 4, Absatz 1, zurecht vortrug, ist das betroffen Merkmal 1.10, nämlich dass
"die Vorrichtung dazu ausgebildet ist, die Entnahmepositionen der Greiferköpfe (70) an die Ist-Positionen der Artikel (02) im Zulauf (03) anzupassen"
im Kontext des gesamten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zu lesen, wobei dieser weiter im Oberbegriff das Merkmal 1.6 umfasst, nämlich dass
"die Greifeinrichtung (07) mindestens einen Manipulator (71) mit einem zumindest entlang der Horizontalachse (06) horizontal und entlang einer Vertikalachse (08) vertikal beweglichen Manipulatorkopf (72) aufweist, an dem die Greiferköpfe (70) angeordnet sind".
Aus dem Merkmal 1.6 geht eindeutig hervor, dass die Greiferköpfe an dem Manipulatorkopf angeordnet sind, wie es auch in Absatz [0109] offenbart wird.
3.4 Soweit die Einsprechende 01 in ihrem Schriftsatz vom 7. September 2022 nunmehr auf Seite 3, letzter Absatz, bis Seite 4, Absatz 2, und auch in der mündlichen Verhandlung ergänzend vortrug, dass dem Merkmal 1.6 nicht zu entnehmen sei, dass die Greiferköpfe 70 relativ zum Manipulatorkopf 72 bewegt werden können, was Absatz [0109] der Patentschrift jedoch erfordere, verwies die Patentinhaberin, zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung, zurecht auf das Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, wonach
"die Greiferköpfe (70) in zumindest einer ersten horizontalen Richtung parallel zur Transportrichtung (FR) des Zulaufs (03) individuell und/oder gruppenweise relativ zueinander am Manipulatorkopf (72) translatorisch beweglich angetrieben angeordnet sind".
3.5 Dieses Merkmal 1.7 ist ebenfalls im Kontext der Merkmalskombination des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zu verstehen. Aus ihm ergeben sich eindeutig Bewegungsmöglichkeiten der Greiferköpfe zueinander, ob individuell oder in Gruppen, und folglich auch gegenüber dem Manipulatorkopf.
3.6 Der Vortrag der Einsprechenden 01 kann daher nicht überzeugen; es ist vielmehr keine Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erkennbar.
4. Deutlichkeit der Ansprüche (Artikel 84 EPÜ)
4.1 Die Einsprechende 01 wendete sich ferner gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt 6.4 der Entscheidungsgründe, dass der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügt. Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass die Fachperson ohne Hinzunahme der Beschreibung dem Wortlaut des Anspruchs 1 klar entnimmt, dass sein Gegenstand eine Vorrichtung beansprucht, welche die Anpassung der Greiferköpfe selbst vornehmen muss und implizit eine Steuervorrichtung besitzt. Eine manuelle Anpassung ist entsprechend durch den Anspruchswortlaut ausgeschlossen.
4.2 Die Einsprechende 01 begründete diesen Einwand damit, dass dem Merkmal 1.10 keine Aussage über die Art der Anpassung zu entnehmen sei, insbesondere auch keine implizite Offenbarung einer Steuerung, denn die Formulierung des Merkmals 1.10 besage nicht, wodurch eine Verlagerung in eine passende Position bewirkt werde, und insbesondere nicht, dass diese Verlagerung von der Vorrichtung selbst bewirkt werde (vgl. Seite 4 der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 01).
4.3 Sie machte dazu geltend, dass durch das Merkmal 1.10 eine Unklarheit im Zusammenspiel mit dem Merkmal 1.9:
"[wobei] die Vorrichtung Erfassungsmittel (17) zur Erfassung der Ist-Positionen der Artikel (02) ausgehend von einer vordersten Entnahmeposition am Ende (31) des Zulaufs (03) entgegen der Transportrichtung (FR) des Zulaufs (03) gesehen umfasst",
entstehe (vgl. Beschwerdebegründung der Einsprechenden 01, Seite 5, Absätze 1 bis 4). Es bleibe insbesondere weil offen, ob die gemäß Merkmal 1.9. erfasste Ist-Position der in Merkmal 1.10 genannten Ist-Position der Artikel entspreche, an die die Entnahmeposition der Greifer anzupassen sei.
4.4 Die Einsprechende 02 ergänzte diesen Einwand in der mündlichen Verhandlung weiter mit dem Argument, dass sich aus den Merkmalen 1.9 und 1.10 nicht eindeutig und deutlich ergebe, ob Begriff der "Entnahmeposition" in Merkmal 1.9 dem Begriff der "Entnahmepositionen" in Merkmal 1.10 entspreche, und dass für den Fall, dass beide Begriffe einander entsprechen, die Fachperson vor einem nicht auflösbaren Widerspruch hinsichtlich der Anordnung der in Merkmal 1.9 vorgesehenen Erfassungsmittel stünde.
4.5 Diese Argumente sind, unabhängig von der Frage, ob sie im einzelnen vor dem Hintergrund der Artikel 12 (6) und 13 (2) VOBK 2020 ins Verfahren zuzulassen wären, jedenfalls nicht überzeugend. Die Bedeutung einzelner Merkmale des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wird nämlich von der Fachperson, die durch Synthese - also eher aufbauend als zerlegend - zu einem Verständnis des Anspruchs zu gelangen versucht, im Kontext sämtlicher Anspruchsmerkmale verstanden, so dass sich bereits deshalb unmittelbar ein funktioneller und struktureller Zusammenhang zwischen den Merkmalen 1.9 und 1.10 ergibt und die Fachperson nicht Merkmal 1.9 und Merkmal 1.10 unabhängig voneinander zu verstehen sucht.
4.6 Vor diesem Hintergrund erkennt die Fachperson unmittelbar, dass die in Merkmal 1.9 erfasste Ist-Position die Grundlage der in Merkmal 1.10 vorgesehenen Anpassung der Entnahmepositionen der Greiferköpfe darstellt. Ebenso ist deutlich, dass die "vordere Entnahmeposition" in Merkmal 1.9 zweifelsfrei als Referenz für die Erfassung der Ist-Position dient und nicht als eine der "Entnahmepositionen" der Greiferköpfe (70) in Merkmal 1.10 verstanden werden kann, denn letztere sind von den erfassten Ist-Positionen abhängig. Dieses Verständnis wird auch daran deutlich, dass der Anspruchswortlaut zwischen "Entnahmepositionen" im Allgemeinen und der "vorderen Entnahmeposition" im Speziellen unterscheidet und diese Unterscheidung durch die Verwendung des Attributs "vordere" vor dem Element "Entnahmeposition" klar hervorhebt.
4.7 Im Ergebnis ist somit keine Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ erkennbar.
5. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Lehre des Dokuments E3 (Artikel 56 EPÜ)
5.1 Die Einsprechende 01 wendete sich schließlich gegen die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Lehre des Dokuments E3 mit dem Fachwissen oder der Lehre des Dokuments D12 beruht.
5.2 Wie bereits in Punkt 11.2 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 durch die Kammer klargestellt, ergibt es zweifelsfrei, dass obwohl Punkt 6.6.4.2 der Entscheidungsgründe den Titel "E3 + E12" trägt, nicht ein Dokument E12 sondern das Dokument D12 gemeint ist, ebenso wie aus dem Inhalt der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 01 eindeutig hervorgeht, dass obwohl die Einsprechende 01 in ihrer Beschwerdebegründung im Rahmen ihre Erörterung der erfinderischen Tätigkeit, insbesondere auf Seite 7, wiederholt auf ein Dokument E12 Bezug nimmt, der Bezug faktisch auf das Dokument D12 erfolgt.
5.3 Den Feststellungen in den Punkten 6.6.1 und 6.6.2 der angefochtenen Entscheidung, dass die Lehre des Dokuments E3 als nächstliegender Stand der Technik angesehen wird und nicht die Merkmale 1.9 und 1.10 offenbart, begegnete die Einsprechende 01 insoweit, als dass sie die Auffassung vertrat, dass sich das Merkmal 1.10 bereits implizit aus dem Merkmal 1.7 und dem Merkmal 1.8, nämlich dass
"die Greiferköpfe (70) zusätzlich in einer zweiten horizontalen Richtung orthogonal zur Transportrichtung (FR) des Zulaufs (03) relativ zueinander am Manipulatorkopf (72) beweglich angetrieben angeordnet sind"
ergäbe und somit das Merkmal 1.10 keinen weiteren technischen Beitrag gegenüber den bereits vorhandenen Merkmalen konkretisiert (vgl. Beschwerdebegründung der Einsprechenden 01, Seite 5, Absatz 6, bis Seite 6, Absatz 1).
5.4 Die Einsprechende 01 betonte im Verlauf der mündlichen Verhandlung erneut, dass zwischen den Merkmale 1.9 und 1.10 keine funktionale oder strukturelle Verbindung bestehe, so dass gemäß Merkmal 1.9 lediglich eine Ist-Position der Artikel ermittelt werde, dass aber im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag jede Angabe fehle, was mit dieser Information geschehe.
5.5 Dieses Argument ist entsprechend der in Punkt 4.5 dieser Entscheidung dargelegten Überzeugung der Kammer jedoch nicht überzeugend, so dass im Gegensatz zu der Darstellung der Einsprechenden 01 das Merkmal 1.10 den Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht nur lediglich dadurch einschränkt, dass die Vorrichtung dazu geeignet wäre, die Position der Greiferköpfe am Manipulatorkopf an die Ist-Position der Artikel im Zulauf anzupassen. Vielmehr präzisiert das Merkmal, dass die Vorrichtung tatsächlich dazu ausgebildet ist, die Entnahmeposition der Greiferköpfe an die Ist-Position der Artikel im Zulauf anzupassen, was im übrigen über eine bloße Eignung hinausgeht, da dazu strukturell Vorkehrungen in Form geeigneter Mittel getroffen sein müssen.
5.6 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich von der Lehre des Dokuments E3 daher durch die Merkmale 1.9 und 1.10.
5.7 Ausgehend von den Unterscheidungsmerkmalen 1.9 und 1.10 formulierte die Einspruchsabteilung richtigerweise, wie in der mündlichen Verhandlung auch von der Einsprechenden 01 eingestanden, die objektiv zu lösende Aufgabe, das Ergreifen der Artikel zu verbessern (vgl. Punkt 6.6.3 der Entscheidungsgründe).
5.8 Die Einspruchsabteilung stellte zudem in zutreffender Weise fest, dass die Fachperson angesichts der Lehre des Dokuments E3 keine Veranlassung hatte, Erfassungsmittel im Zulauf einzusetzen, um das Ergreifen der Artikel zu verbessern.
5.9 Wie die Patentinhaberin zurecht vorträgt, geht die Lehre des Dokuments E3 bezüglich der Zuführung von Artikeln stets von einer festen Grundformation der zugeführten Artikel aus (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 8, Absatz 6). Die in Dokument E3 offenbarte individuelle Ansteuerung dient hingegen dazu, bereits ergriffene Artikel in eine bestimmte, entsprechend der Ablage benötigte Formation zu bringen (vgl. Punkt 6.6.4.1 der Entscheidungsgründe). Die Fachperson hatte im Ergebnis aus der Lehre des Dokuments E3 keine Veranlassung, die der Erfindung zugrundeliegende objektive technische Aufgabe zu lösen.
5.10 Auch aus dem Fachwissen ergibt sich für die Fachperson keine Veranlassung zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe.
5.11 Der Einwand der Einsprechenden 02, dass die Einspruchsabteilung in fehlerhafter Weise festgestellt habe, dass ein verbessertes Eingreifen der Artikel durch zahlreiche, auch einfachere Lösungen denkbar ist, als durch die im jetzigen Hauptantrag beanspruchte Lösung, vermag nicht zu überzeugen. Dass, wie von der Einsprechenden 02 vorgetragen, diese vermeintlich pauschale Behauptung der Einspruchsabteilung nicht durch konkrete, überprüfbare Beispiele belegt werde, kann dahingestellt bleiben. Die Einsprechende 02 nannte selber zwei mögliche Alternativen (vgl. Beschwerdebegründung der Einsprechenden 02, Seite 4, letzter Absatz bis Seite 5, Absatz 3). Es ist daher von der Existenz weiterer denkbarer Lösungen auszugehen.
5.11.1 Diese mögen im Ergebnis, wie von der Einsprechenden 02 in ihrem Schriftsatz vom 19. September 2022 erneut vorgetragen, für die Fachperson gegenüber der Erfindung nachteilig erscheinen. Eine Bewertung einer Nachteiligkeit der Alternativen kann jedoch nur gegenüber, d.h. in Kenntnis, der erfindungsgemäßen Lösung und damit als Ergebnis einer rückschauender Betrachtungsweise erfolgen. Solange aber die erfindungsgemäße Lösung eine von mehreren möglichen Alternativen darstellt, obliegt es für eine überzeugende Darlegung einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit dem Einsprechenden, hinreichend deutlich zu machen, weshalb die Fachperson aus dem Stand der Technik veranlasst gewesen wäre, unter den zur Verfügung stehenden Lösungen die erfindungsgemäße Lösung in Betracht zu ziehen. Ein dahingehendes Vorbringen war aber dem Vortrag der beiden Einsprechenden 01 und 02 nicht zu entnehmen.
5.12 Im Ergebnis konnten weder die vorgetragenen Argumente zur Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag basierend auf der Lehre des Dokuments E3 in Kombination mit dem Fachwissen nicht überzeugen.
5.13 Lehre des Dokuments E3 in Kombination mit der Lehre des Dokuments D12
5.13.1 Sowohl die Einsprechende 01 als auch die Einsprechende 02 wendeten sich unter Verweis auf die Offenbarung der Absätze [0018] und [0046] des Dokuments D12 gegen die Feststellung in Punkt 6.6.4.2 der Entscheidungsgründe, dass das Dokument D12 an keiner Stelle lehrt, die Information über die "Ist-Position" der Flasche auch für das Eingreifen der Flaschen zu verwenden.
5.13.2 Entgegen der Auffassungen der Einsprechenden 01 und der Einsprechenden 02 versteht die Fachperson die Lehre der Absätze [0018] und [0046] nicht derart, dass mit der dort erwähnten "Ist-Position" die Ist-Position der Artikel am Zulauf der Vorrichtung gemeint wäre. Auch der von der Einsprechenden 02 herangezogene Absatz [0039] des Dokuments D12 äußert sich nicht zu der in dem Dokument erwähnten "Ist-Position". Das Dokument D12 lässt vielmehr offen, wann und wie eine "Ist-Position" erfasst wird. Es enthält keine Lehre zu Aufnahme der Behälter durch das Transportelement, so dass die Fachperson ausgehend von Dokument E3 zur Lösung der objektiven zu lösenden Aufgabe (siehe Punkt 5.7 dieser Entscheidung) die Lehre des Dokuments D12 nicht heranziehen würde. Die Argumentation der Einsprechenden 01 und 02 kann im Ergebnis nicht überzeugen.
5.14 Der Einsprechenden 01 und der Einsprechenden 02 gelingt es folglich nicht, die Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag darzulegen.
6. Da keiner der Einwände der Einsprechenden 01 zur Unrichtigkeit der Feststellung und der diese tragenden Gründe der Einspruchsabteilung überzeugte, war die Beschwerde der Einsprechenden01 zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde der Einsprechende 01 wird zurückgewiesen.
2. Die von der Einsprechenden 02 gezahlte Beschwerdegebühr wird in Höhe von 25% zurückgezahlt.