T 0021/81 (Elektromagnetischer Schalter) 10-09-1982
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1. Wenn sich für den Fachmann ein Sachverhalt, der unter einen Patentanspruch fällt, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, weil aus einer Verbindung der Lehren bekannter Druckschriften eine vorteilhafte Wirkung zu erwarten ist, liegt bei dem betreffenden Anspruch auch dann keine erfinderische Tätigkeit vor, wenn eine (möglicherweise unvorhergesehene) zusätzliche Wirkung erzielt wird.
2. Es ist davon auszugehen, daß es zur normalen Tätigkeit eines Fachmanns gehört, aus den Materialien, die ihm als für einen bestimmten Zweck geeignet bekannt sind, das geeignetste auszuwählen; dies gilt auch für den Fall, daß er in einer bekannten Druckschrift lediglich eine nicht begründete Präferenz für ein bestimmtes Material vorfindet.
I. Die am 19. Juli 1978 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 78300163.9 (Veröffentlichungsnummer 0001872), für die eine US-Priorität vom 19. Oktober 1977 in Anspruch genommen wurde, wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 4. März 1981 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen die Patentansprüche 1 bis 10 in der Fassung vom 10. September 1980 zugrunde, wobei die Ansprüche 1 und 5 unabhängige Ansprüche und die Ansprüche 2 bis 4 und 6 bis 10 vom Anspruch 1 bzw. 5 abhängig waren.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand der Ansprüche gegenüber den Druckschriften FR-A-1 408 864, GB-A-1 272 916 und DE-B-1 158 174 nicht erfinderisch sei.
III. Die Anmelderin legte am 28. April 1981 gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 25. Juni 1981 eingereicht. Gleichzeitig wurde eine geänderte Fassung der Ansprüche 1 bis 10 eingereicht, wobei die Ansprüche 1 bis 8 (mit einigen Änderungen) den Ansprüchen 1 bis 8 in der Fassung vom 10. September 1981 entsprachen und die Ansprüche 9 und 10 zwei Alternativen zu Anspruch 1 darstellten.
IV. In einem Bescheid vom 13. November 1981 erhob der Berichterstatter der Beschwerdekammer verschiedene Einwände gegen die Anmeldung wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit und unzureichender Offenbarung und beanstandete die Formulierung der Ansprüche. Zusammen mit der Erwiderung auf diesen Bescheid reichte die Anmelderin am 9. Januar 1982 einen neuen Satz von Ansprüchen ein, bestehend aus den Ansprüchen 1 bis 8, die (mit einigen Änderungen) den früheren Ansprüchen 1 bis 8 entsprachen, einem alternativen Anspruch 1, einem alternativen Anspruch 5 und einem alternativen Verfahrensanspruch. Diese Ansprüche lauten wie folgt (hier wird nur Anspruch 1 wiedergegeben):
"1. Eine elektromagnetische Vorrichtung mit einem Gehäuse, einem im Gehäuse angeordneten feststehenden Kern, der aus Blechen aus ferromagnetischem Material besteht, wobei der Kern ein Joch und ein Paar im wesentlichen lotrecht zum Joch stehende Schenkel sowie eine zentrale Polfläche und eine Polfläche an jedem Schenkelende aufweist, einem frei beweglichen Anker aus ferromagnetischem Material, der eine zentrale Polfläche und zwei Endpolflächen aufweist und in dem Gehäuse so angeordnet ist, daß jede Polfläche auf dem Kern einer entsprechenden Polfläche auf dem Anker gegenüberliegt, wobei der Anker in dem Gehäuse zur Durchführung einer geradlinigen Bewegung lose geführt wird, einem Bereich verminderter magnetischer Permeabilität, der zwischen den zentralen Polflächen des Kerns und des Ankers einen Luftspalt zur Trennung dieser Flächen aufweist, einer dem Kern zugeordneten Erregerspule, mit der eine magnetische Kraft erzeugt wird, die den Anker aus der offenen in eine geschlossene Stellung bewegt, in der ein dreischenkliger Magnetkreis gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, daß Mittel vorgesehen sind, die ein hörbares Signal erzeugen, wenn die Vorrichtung ausgetauscht werden muß, was dadurch erreicht wird, daß auf mindestens eine der zentralen Polflächen, nicht aber auf die Endpolflächen ein harter Überzug aus nichtmagnetischem Material aufgebracht wird, der viel verschleißfester ist als das ferromagnetische Material der Endpolflächen des Ankers und des Kerns.
(...)
V. In der mündlichen Verhandlung am 6. Juli 1982 beschränkte die Anmelderin ihre Ansprüche auf die Verwendung von Wolframkarbid, nachdem die Beschwerdekammer beanstandet hatte, daß in dem Ausdruck "harter Überzug aus nichtmagnetischem Material, das viel verschließfester ist als" die Wörter "hart" und "viel" nicht präzise genug seien, so daß die Ansprüche nach Artikel 84 EPÜ nicht zulässig seien. Die Anmelderin beantragte die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der eingeschränkten Ansprüche.
VI. In der Beschwerdeschrift, in der Erwiderung auf den Bescheid des Berichterstatters und in der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin im wesentlichen folgende Argumente angeführt: Der Fachmann würde die Lehre eines Dokuments, das sich auf eine elektromagnetische Vorrichtung für eine Drehbewegung (also FR-A-1 408 864) bezieht, nicht auf eine elektromagnetische Vorrichtung für eine geradlinige Bewegung wie im vorliegenden Fall anwenden, weil die beiden Vorrichtungen schon an sich unterschiedlich konstruiert seien und damit auch unterschiedliche Probleme aufwürfen. Darüber hinaus handle es sich bei der Vorrichtung gemäß der Druckschrift FR-A-1 408 864 um ein Hochleistungsschütz, das eher infolge von Kontaktverschleiß als infolge magnetischen Klebens ausfallen dürfte. Auch wenn der Fachmann die Anwendung der Lehre der FR-Druckschrift in Betracht gezogen hätte, hätte er den in dieser Schrift bevorzugten Kunststoff und nicht ein hartes Material wie Wolframkarbid verwendet und damit nicht das deutlich hörbare Brummen erzielt, das bei der Verwendung von Wolframkarbid zwangsläufig entsteht. In allen angeführten Schriften über die Verwendung von Wolframkarbid werde dieses auf die Polflächen aufgebracht, die während des Betriebs zusammenwirken, um die Lebensdauer der Vorrichtung zu verlängern; somit erfülle Wolframkarbid hier einen völlig anderen Zweck als im anmeldungsgemäßen Fall, wo es erstens das magnetische Kleben verhindern und zweitens bei Ablauf der Lebensdauer der Vorrichtung ein hörbares Signal (Brummen) erzeugen solle.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Vorrichtungen der im Oberbegriff des Anspruchs 1 beschriebenen Art, bei denen entweder ein im wesentlichen U-förmiger Kern und ein T-förmiger Anker oder ein im wesentlichen E-förmiger Kern und ein ebensolcher Anker zusammenwirken und die zur Trennung von Kern und Anker einen Luftspalt aufweisen, sind allgemein bekannt. Es ist ferner üblich, bei solchen Vorrichtungen, bei denen der Anker eine lineare Bewegung ausführt, den Anker lose zu führen, damit er nicht im Führungskanal steckenbleibt und damit Reibungsverluste und Verschleiß verringert werden (vgl. US 3 185 902 und GB 1 272 916). Schließlich ist bereits vorgeschlagen worden, den Luftspalt durch Beschichtung mindestens eines Teils der Polflächen mit nichtmagnetischem, verschleißfestem Material, z.B. Wolframkarbid, herzustellen (vgl. US 3 573 690, DT 1 158 174).
3. Entsprechend der Anmeldung in der eingereichten Fassung soll die Erfindung das Problem lösen, daß die Beschichtung aller Polflächen zeitraubend und kostspielig ist und der erhöhte magnetische Widerstand aufgrund des nichtmagnetischen Materials die Arbeitsweise der Vorrichtung ungünstig beeinflußt. Der Fachmann ist sich dieses Problems durchaus bewußt.
4. Aus der FR 1 408 864 ist eine elektromagnetische Vorrichtung mit einem Drehanker bekannt, in der nur eine der zentralen Polflächen, zwischen denen ein Luftspalt besteht, mit einem nichtmagnetischen, verschleißfesten Material beschichtet ist, "um zu verhindern, daß der Luftspalt verschwindet und der Anker kleben bleibt, wenn die Flächen der beiden andere Pole abgenutzt sind" (S. 2, linke Spalte, Zeile 49 bis 52). Es ist bekannt, daß an irgendeiner Stelle im Magnetkreis ein Luftspalt vorhanden sein muß, um ein Kleben des Ankers aufgrund des Restmagnetismus zu verhindern. Wenn dies auch in der französischen Druckschrift nicht ausdrücklich angegeben ist, so ist es doch für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich, daß die dort vorgeschlagene Lösung zur Erhaltung eines Luftspalts bei hoher Beanspruchung einfacher ist als die Beschichtung aller Polflächen, die in den anderen angeführten Druckschriften offenbar enthalten ist. Obwohl diese Lösung in Verbindung mit einem Relais mit Drehanker beschrieben wird, liegt es auf der Hand, daß sie zum selben Zweck auch auf eine elektromagnetische Vorrichtung mit einem linear beweglichen Anker angewandt werden kann.
Der Umstand, daß bei der Vorrichtung gemäß der FR-Druckschrift größere Abstände allenfalls erst dann gegeben sein dürften, wenn die Vorrichtung bereits längere Zeit in Gebrauch war, und daß der Grad der Abnützung an den verschiedenen Polflächen bei einem Drehanker möglicherweise anders ist als bei einem sich linear bewegenden Anker, dürfte hier nicht bedeutsam sein und würde den Fachmann sicherlich nicht davon abhalten, die bekannte Maßnahme zum selben Zweck auf eine Vorrichtung mit linearer Bewegung anzuwenden. Nach Auffassung der Kammer kann von einem Konstrukteur, der ein technisches Problem im Zusammenhang mit einer Vorrichtung mit linear beweglichem Anker lösen muß, erwartet werden, daß er auch den Stand der Technik auf dem benachbarten Gebiet der Vorrichtungen mit Drehanker heranzieht, wenn dasselbe Problem bei beiden Vorrichtungstypen auftritt, was hier eindeutig der Fall ist, Aus demselben Grunde ist es unerheblich, ob die Vorrichtung gemäß der FR-Druckschrift möglicherweise als Hochleistungsschütz gelten kann. (Übrigens enthält die Anmeldung keine Beschränkung, die derartige Vorrichtungen vom Schutzbegehren ausnehmen würde.)
5. In bezug auf das nichtmagnetische Material gibt die FR-Druckschrift an, es solle "ein nichtmagnetisches Material, vorzugsweise Kunststoff" sein, "das sehr druck- und reibungsbeständig ist, wie z.B. Teflon". Für diese Präferenz wird jedoch kein Grund angegeben (Seite 2, linke Spalte, Zeile 38 bis 41). Was die Materialwahl anbelangt, so gehört es nach allgemeiner Auffassung der Kammer zur normalen Tätigkeit eines Fachmanns, aus den Materialien, die ihm als für einen bestimmten Zweck geeignet bekannt sind, das geeignetste auszuwählen; dies gilt auch für den Fall, daß er in einer bekannten Druckschrift lediglich eine nicht begründete Präferenz für ein bestimmtes Material vorfindet.
Bekanntermaßen gehört Wolframkarbid zu der kleinen Gruppe von Materialien, die im Stand der Technik vorgeschlagen werden, weil sie verschleißfester sind als das Material, das üblicherweise für Kern und Anker elektromagnetischer Vorrichtungen der hier gegebenen Art verwendet wird (vgl. die im Recherchenbericht angeführten Dokumente).
Ferner ist bekannt, daß dieses Material nicht nur in den Fällen Verwendung findet, in denen die Polflächen beständig einer Schlagwirkung ausgesetzt sind, sondern daß es auch ganz allgemein in magnetischen Vorrichtungen als Korrosionsschutz oder zur magnetischen Isolierung eingesetzt werden kann (s. DT 1 158 174, Spalte 1, Zeilen 47 bis 51). Schließlich ist bekannt, daß Wolframkarbid gegenüber anderen Materialien, die für denselben Zweck verwendet werden, verschiedene Vorteile aufweist und verhältnismäßig leicht aufgetragen werden kann (s. DT 1 158,174, Spalte 2, Zeile 50 - Spalte 3, Zeile 6 sowie Beschreibung der Anmeldung, Seite 9, Zeilen 16 bis 20).
Die Kammer vertritt daher die Auffassung, daß die Auswahl dieses besonderen Materials nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
6. Die Anmelderin macht geltend, die Wahl des Materials weise den Vorteil auf, daß bei Ablauf der Lebensdauer der Vorrichtung ohne zusätzliche Vorkehrungen ein deutliches Brummen hörbar werde.
Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß ein Anspruch - auch wenn eine (möglicherweise unvorhergesehene) zusätzliche Wirkung erzielt wird - keine erfinderische Tätigkeit aufweist, wenn es aufgrund des Standes der Technik für den Fachmann naheliegend ist, zu einer anspruchsgemäßen Lösung zu gelangen, weil aus der Kombination der Lehren der bekannten Schriftstücke eine vorteilhafte Wirkung zu erwarten ist.
7. Die Anmelderin bezieht sich insbesondere auf die Textstelle in der FR-Druckschrift, in der es heißt, daß das nichtmagnetische Material "... zum Schließzeitpunkt den sonst vorhandenen schmalen Luftspalt vollständig oder teilweise ausfüllt..." (Seite 2, linke Spalte, Zeile 43 bis 45), und behauptet, daraus ergebe sich, daß eine Ausgestaltung, bei der der Luftspalt bereits zu Beginn der Lebensdauer der Vorrichtung vollständig ausgefüllt sei, nach der FR-Druckschrift als bevorzugte Lösung anzusehen sei.
Die Anmelderin behauptet ferner, daraus ergebe sich wiederum, daß ein hartes Material wie z.B. Wolframkarbid auszuschließen sei, weil die bevorzugte Ausgestaltung ein kompressibles Material verlange, da sich sonst Luftspalte in den beiden äußeren Schenkeln des Magnetkreises bilden würden, die die Vorrichtung nach kurzer Benutzungszeit unbrauchbar machen würden. Da jedoch in der FR-Druckschrift lediglich eine Präferenz für einen Kunststoff erwähnt wird, liegt es auf der Hand, daß auch andere bekannte Materialien, z. B. Metalle, in Betracht gezogen wurden und für den Zweck benutzt werden könnten, obwohl diese Materialien kaum als kompressibel betrachtet werden können. Auch ist die Argumentation der Anmelderin nur dann zutreffend, wenn der Luftspalt tatsächlich von Anfang an vollständig ausgefüllt ist, was nach Ansicht der Kammer in Anbetracht des angegebenen Zwecks der Beschichtung (vgl. Zitat in Nummer 4, Satz 1) nicht eben wahrscheinlich ist.
Wahrscheinlicher ist, daß der Fachmann den Textteil über den vollständig oder nicht vollständig ausgefüllten Luftspalt als Hinweis darauf verstehen würde, daß der Luftspalt nicht bereits zu Beginn vollständig ausgefüllt ist, sondern erst später, wenn sich die äußeren Pole abgenutzt haben.
8. Dementsprechend beruht der Gegenstand der Ansprüche 1 und 5 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit; dasselbe gilt für die von der Anmelderin vorgelegten alternativen Ansprüche. Diese Ansprüche sind daher nicht gewährbar.
9. Die Ansprüche 2 bis 4 und 6 bis 8 sind von Anspruch 1 bzw. 5 abhängig und daher ebenfalls nicht gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 4. März 1981 wird zurückgewiesen.