J 0001/05 (Wirkung einer Entscheidung nach R. 69(2) EPÜ) 30-09-2005
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Aufschiebende Wirkung - Beschwerde gegen Feststellungsentscheidung
Rechtsnatur einer Entscheidung nach Regel 69(2) EPÜ
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Formalstelle der Prüfungsabteilung vom 20. August 2004, mit der der Antrag der Anmelderin (Beschwerdeführerin) vom 28. Juli 2003 auf Benennung sämtlicher Vertragsstaaten in der europäischen Teilanmeldung 03. 000 028.5 zurückgewiesen wurde.
II. Die Anmelderin hat gegen diese Entscheidung am 2. November 2004 Beschwerde eingelegt, die Beschwerdegebühr am gleichen Tag bezahlt und am 14. Dezember 2004 ihre Beschwerde begründet.
III. Die Beschwerdeführerin hatte am 19. April 1999 eine Patentanmeldung unter vorsorglicher Benennung sämtlicher Vertragsstaaten eingereicht. Diese Anmeldung wurde in einem späteren Verfahrensstadium infolge einer aus ihr abgeleiteten Teilungsanmeldung zur Stammanmeldung des vorliegenden Sachverhalts.
Nach Veröffentlichung der Stammanmeldung am 25. Oktober 2000 teilte das EPA der Beschwerdeführerin mit, dass sie noch bis zum 25. April 2001 die Benennungsgebühren wirksam entrichten könne. Dies tat sie am 19. März 2001 unter ausdrücklicher Beschränkung auf Italien.
Nach fruchtlosem Ablauf einer gesetzten Nachfrist zur Zahlung der übrigen Benennungsgebühren nach Regel 85a EPÜ erging am 26. Oktober 2001 eine Mitteilung des EPA nach Regel 69 (1) EPÜ über die Rücknahmewirkung der Nichtzahlung und - wie zuvor beantragt - am 30. Oktober 2002 eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ des Inhalts, dass alle Vertragsstaaten, ausgenommen Italien, als zurückgenommen gelten.
Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin am 17. Dezember 2002 Beschwerde, reichte sodann am 3. Januar 2003 eine Teilanmeldung unter Benennung sämtlicher Vertragsstaaten sowie unter Einzahlung des siebenfachen Betrags einer Benennungsgebühr ein und nahm anschließend am 6. Februar 2003 ihre Beschwerde wieder zurück.
Nach der Veröffentlichung der Teilanmeldung mit Angabe lediglich Italiens als Bestimmungsland und der Rückzahlung von 6 Benennungsgebühren durch das EPA beantragte die Beschwerdeführerin Berichtigung der A-Schrift und des Patentregisters dahingehend, dass alle Vertragsstaaten benannt seien.
Diesen Antrag hat die Formalprüfungsstelle mit der nunmehr angegriffenen Entscheidung vom 20. August 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung ist dort ausgeführt, für die Stammanmeldung sei ausdrücklich nur Italien benannt und auch nur insoweit eine Gebühr innerhalb von 6 Monaten nach dem Hinweis auf den Recherchebericht im Europäischen Patenblatt gemäß Artikel 79 (2) EPÜ bezahlt worden. Deshalb gelte gemäß Artikel 91 (4) EPÜ für die Stammanmeldung die vorläufige Benennung weiterer Staaten als zurückgenommen. Die Teilanmeldung wiederum könne nach Artikel 76 (2) EPÜ in ihrer territorialen Wirkung nicht über die der Stammanmeldung hinausgehen.
IV. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, in deren Begründung sie unter Berufung auf einschlägige Literaturmeinungen geltend macht, im Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung habe für die Stammanmeldung noch die Benennung sämtlicher Vertragstaaten gegolten, so dass die Teilanmeldung auch noch mit Wirkung für alle Vertragsstaaten habe eingereicht werden können. Dies folge aus dem Suspensiveffekt der Beschwerde, der verhindert habe, dass die in dem seinerzeit angegriffenen Beschluss nach Regel 69 (2) EPÜ festgestellten Rechtsfolgen eingetreten seien. Die Missachtung der aufschiebenden Wirkung begründe auch einen wesentlichen Verfahrensfehler, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
V. Demgegenüber hat die Kammer in ihrer vorläufigen Einschätzung des Falles zu bedenken gegeben, dass der Suspensiveffekt nicht die im Beschluss nach Regel 69 (2) EPÜ festgestellten Rechtsfolgen betreffe, sondern lediglich die Rechtskraftwirkung der dort getroffenen Feststellung.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt,
1. die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass sämtliche Vertragsstaaten in der Teilanmeldung Nr. 03 000 028.5 benannt sind;
2. die Grosse Beschwerdekammer mit folgender Frage zu befassen:
"Gibt es Fälle, in denen die Suspensivwirkung der Beschwerde nach Artikel 106 (1) Satz 2 EPÜ nicht eintritt, da die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung nur einen bereits eingetretenen Rechtsverlust feststellt?" und
3. die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Nach der Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer G 4/98 (ABl. EPA 2001, 131) dürfen nur solche Staaten in einer Teilanmeldung benannt werden, die bereits in deren Stammanmeldung benannt sind, oder, falls die Benennungsgebühr in der Stammanmeldung nicht bezahlt worden ist, für die die Grundfrist zur Zahlung der Benennungsgebühr noch nicht abgelaufen ist.
Im vorliegenden Fall ist in der Stammanmeldung die Frist zur Zahlung der Benennungsgebühren am 25. April 2001 abgelaufen. Innerhalb dieser Frist hat die Anmelderin unstreitig nur Italien benannt und auch nur für diesen Vertragsstaat die erforderliche Benennungsgebühr bezahlt. Rechtlich folgt daraus, dass, wie die Grosse Beschwerdekammer entschieden hat, zu diesem Zeitpunkt die vorsorgliche Benennung aller anderen Vertragsstaaten als zurückgenommen gilt und das Recht, weitere Staaten benennen zu können, erlischt (G 4/98 ABl. EPA 2001, 131).
3. Nach dieser Entscheidung kann deshalb auch die Teilanmeldung nur für Italien territoriale Geltung beanspruchen. Denn die Teilanmeldung mit Benennung aller Vertragsstaaten des EPÜ ist erst am 3. Januar 2003, d. h. nach Ablauf der Grundfrist für die Zahlung der Benennungsgebühren in der Stammanmeldung, eingereicht worden.
4. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, die Einreichung der Beschwerde in der Stammanmeldung gegen die feststellende Entscheidung des EPA nach Regel 69 (2) EPÜ vom 30. Oktober 2002 entfalte eine aufschiebende Wirkung im Hinblick auf den Rechtsverlust in der Sache, so dass sie während der Rechtshängigkeit weiterhin das Recht gehabt habe, in der Teilanmeldung weitere Vertragsstaaten zu benennen, vermag die Kammer nicht zu teilen.
Denn entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführerin hat eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ reinen Feststellungscharakter in Bezug auf einen ex lege eingetretenen Rechtsverlust. Jedoch entfaltet sie keine konstitutive Wirkung im Hinblick auf den festgestellten Rechtsverlust selbst. Sofern die Beschwerdeführerin meint, sich für das Gegenteil auf den Kommentar von Joos in Singer/Stauder, EPÜ, 2. Aufl. 2000, Art. 106 Rdnr. 11 ff. insbesondere 13 berufen zu können, unterliegt sie einem falschen Verständnis dieser Fundstelle. Dort wird im Sinne der Auffassung der Kammer unmissverständlich ausgeführt: "Durch einen Antrag nach Regel 69 (2) EPÜ wird jedoch die Frist, deren Versäumung zu dem Rechtsverlust geführt hat, nicht erneut in Gang gesetzt, sondern es wird nur überprüft, ob der Rechtsverlust tatsächlich eingetreten ist" (aaO Rdnr. 14). Nichts anderes bringt die weitere Fundstelle in Benkard, Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 106 Rdnr. 25 zum Ausdruck.
a) Diese Ausführungen berücksichtigen zutreffend die unterschiedliche Charakteristik der vom EPA im Rahmen des Patenterteilungsverfahrens zu treffenden Entscheidungen, die entweder rechtsgestaltender oder feststellender Natur sein können. Während Gestaltungsentscheidungen konstitutiv eine neue Rechtslage herbeiführen, die bisher nicht vorhanden war und ohne die Entscheidung nicht vorhanden sein würde, kommt Feststellungsentscheidungen des EPA lediglich eine deklaratorische Wirkung zu, indem sie eine bereits außerhalb des Verfahrens eingetretene Rechtsfolge bestätigen oder als nicht eingetreten verneinen. Sie sprechen folglich aus, was ist, und beheben so etwaige Zweifel hinsichtlich einer unabhängig von ihrer Rechtskraft bestehenden Rechtslage. Ihre Rechtskraft bewirkt infolgedessen lediglich, dass die in der Entscheidung enthaltene Feststellung nicht mehr geändert werden kann und für die Parteien bindend ist, falls es in einem späteren Verfahren um dieselbe Rechtsfolge geht. Anders verhält es sich bei Gestaltungsentscheidungen, bei denen die strittige Rechtsänderung erst mit der Rechtskraft vollzogen ist.
b) Dementsprechend hat die Entscheidung des EPA nach Regel 69 (2) EPÜ vom 30. Oktober 2002 reinen Feststellungscharakter mit der Besonderheit, dass sie nur einen Rechtsverlust, nicht jedoch das Bestehen eines Rechts feststellt, wie der zweite Satz der Vorschrift klargestellt. In ihrer Wirkung handelt es sich daher um eine negative Feststellungsentscheidung über einen unabhängig von ihr bereits eingetretenen Rechtsverlust. Eine rechtsgestaltende Wirkung im Hinblick auf den festgestellten Rechtsverlust entfaltet sie somit nicht (siehe auch Singer/Stauder Artikel 106 Rdnr. 11 ff. insbesondere 13 Benkard; Artikel 106 Rdnr. 21).
c) Mit der Beschwerde gegen eine solche Feststellung kann nur überprüft werden, ob die Feststellung richtig ist, d. h. ob der Rechtsverlust tatsächlich eingetreten ist oder nicht. Ist der Rechtsverlust tatsächlich nicht eingetreten, hebt die Beschwerdekammer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Feststellung auf und das Verfahren wird unter Berücksichtigung des Rechts weitergeführt. Ist dagegen der Rechtsverlust tatsächlich eingetreten, bestätigt die Beschwerdekammer unanfechtbar die Feststellung mit der Folge, dass die Parteien und das Amt an diese Feststellung gebunden sind.
d) Zu Recht geht die Beschwerdeführerin davon aus, dass eine Beschwerde sowohl gegen gestaltende als auch gegen feststellende Entscheidungen aufschiebende Wirkung hat.
Die Beschwerde kann jedoch nur solche Wirkungen aufschieben, die die angefochtene Entscheidung selbst hat. Der Charakter der Entscheidung wird durch die Anfechtung mit der Beschwerde nicht berührt. Die aufschiebende Wirkung betrifft also lediglich die Bindung an die Feststellung. Die Rechtslage selbst ändert sich durch die Einlegung der Beschwerde nicht.
Deshalb bewirkt die aufschiebende Wirkung nicht, dass das verlorene Recht wiederhergestellt wird. Wäre dies der Fall, würde die Beschwerdeeinlegung die Wirkung einer Wiedereinsetzung haben. Dieser Rechtsbehelf ist jedoch ein eigenständiges Rechtsinstitut, dessen Anwendbarkeit das Gesetz an besondere Voraussetzungen knüpft. Die Anhängigkeit der Beschwerde gegen eine Feststellungsentscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ bewirkt somit, dass die Feststellung vorläufig nicht berücksichtigt werden darf. Dies hat zur Folge, dass das Amt noch keine Konsequenzen aus dem Rechtsverlust ziehen und keine Maßnahme treffen kann, die vom Rechtsverlust abhängig sind und die Rechtsposition des Beschwerdeführers beeinträchtigen könnten.
e) Im Ergebnis ist die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Feststellungsentscheidung vom 30. Oktober 2002 zwar eingetreten, jedoch ohne die von der Beschwerdeführerin für sich in Anspruch genommene Konsequenz der Wiederherstellung ihres Rechts, weitere Staaten in der Teilanmeldung benennen zu können. Die Einlegung der Beschwerde hat lediglich bewirkt, dass das Amt während ihrer Anhängigkeit daran gehindert war, im Hinblick auf die Benennung von weiteren Staaten Maßnahmen zu treffen, die die Beschwerdeführerin hätten schaden können, falls das Recht doch bestanden hätte. Ein Recht der Beschwerdeführerin, neue Staaten in der Teilanmeldung wirksam zu benennen, lässt sich aus der Anhängigkeit ihrer Beschwerde über die Feststellung des kraft Gesetzes eingetretenen Rechtsverlusts in der Stammanmeldung nicht herleiten.
5. Da die Feststellungsentscheidung in der Stammanmeldung durch die Rücknahme der Beschwerde am 6. Februar 2003 rechtskräftig geworden ist, war das Amt am Tage der Verkündung der mit dieser Beschwerde angefochtenen Entscheidung (20. August 2004) berechtigt, den Rechtsverlust zu berücksichtigen. Selbst während der Anhängigkeit wäre das verlorene Recht in der Zwischenzeit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt wieder aufgelebt.
6. Da der Beschwerde der Erfolg versagt ist, kann die Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ nicht ersetzt werden.
7. Der Antrag auf Befassung der Grossen Beschwerdekammer mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Frage wird nicht stattgegeben, da diese lediglich theoretischer Natur ist und keinen unmittelbaren Bezug zum vorliegenden Fall aufweist. Derartige Fragen sind nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern unzulässig (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 4. Auflage 2001, VII.D.13 b)).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.