J 0018/85 (Schlackenaustrag) 04-11-1986
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1. Die als "Zehn-Tage-Regel" bekannte Vorschrift des Artikels 8(3) GebO-EPÜ, wonach eine Zahlungsfrist als eingehalten gilt, wenn der Einzahler nachweist, dass er die Zahlung 10 Tage vor Ablauf der Frist veranlasst hat, gilt nicht im Hinblick auf die Stichtage, von denen ab auf die beim EPA eingehenden Zahlungen eine Gebührenerhöhung oder eine Änderung des Währungsgegenwerts in Kraft tritt.
2. Wird in den massgebenden Beschlüssen des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation als Stichtag der Zahlungseingang und nicht der Eintritt der Fälligkeit gewählt, oder wird bei der Wahl des Zahlungstages von einer Anwendung der "Zehn-Tage-Regel" abgesehen, so ist dies nach Artikel 164(2) EPÜ nicht zu beanstanden.
Stichtag-Gebührenerhöhung
Gebührenerhöhung/Stichtag
Zahlung 10 Tage vor Frist
Vereinbarkeit mit dem EPÜ
Sachverhalt und Anträge
I. Durch Beschluß des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 8. Juni 1984, veröffentlicht im Amtsblatt EPA 1984, Heft 7 (Juli), S. 297, wurden die in Artikel 2 GebO-EPÜ aufgeführten Gebühren erhöht. Artikel 2, Satz 1, dieses Beschlusses hat folgenden Wortlaut: "Die neuen Gebührensätze sind für Zahlungen ab 3. Januar 1985 verbindlich". Gebühren, die nach diesem Zeitpunkt noch zum alten Gebührensatz gezahlt wurden, gelten als wirksam entrichtet, wenn der Fehlbetrag entsprechend Artikel 3 des Beschlusses nachgezahlt wurde.
II. Der Vertreter der Beschwerdeführerin reichte am 13. Dezember 1984 eine europäische Patentanmeldung ein. Damit wurden nach dem noch geltenden niedrigeren Tarif die Gebühren für Anmeldung, Recherche, Benennungen und Ansprüche in Höhe von 5.030,- DM fällig. Die Überweisung dieses Betrags an das EPA veranlaßte er am 21. Dezember 1984 bei einem Bankinstitut in einem Vertragsstaat. Die Überweisung wurde dem Postscheckkonto des EPA jedoch erst an dem obengenannten Stichtag, nämlich am 3. Januar 1985, gutgeschrieben. Nach dem von diesem Tag an geltenden höheren Tarif waren für dieselben Gebühren 5.410,- DM zu zahlen. Mit Schreiben vom 25. Februar 1985 verlangte die Eingangsstelle des EPA die Nachzahlung des Differenzbetrages von 380,- DM. Zur Vermeidung eines Rechtsverlusts entrichtete der Vertreter diesen Betrag ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und beantragte zugleich dessen Rückzahlung. Dabei berief er sich auf die sog. "Zehn-Tage-Regel" des Artikels 8 (3) GebO. Danach gilt eine Zahlungsfrist als eingehalten, wenn der Einzahler dem Amt nachweist, daß er die Zahlung spätestens zehn Tage vor Ablauf der Frist in einem Vertragsstaat veranlaßt hat.
III. Der Antrag wurde durch Entscheidung der Eingangsstelle des EPA vom 15. Mai 1985 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt: Artikel 8 (3) GebO finde im vorliegenden Fall keine Anwendung. Zweck dieser Vorschrift sei es, Rechtsverluste zu vermeiden. Dies werde hier durch Artikel 3 des genannten Beschlusses des Verwaltungsrats gewährleistet, und zwar in der Weise, daß die Zahlung nach dem alten Gebührentarif als die wirksame Zahlung gelte, sofern die Nachzahlung des Differenzbetrags auf Anforderung rechtzeitig erfolge. Eine Anwendung von Artikel 8 (3) GebO komme auch deswegen nicht in Betracht, weil der genannte Beschluß des Verwaltungsrats keine Frist setze, die mit dem 2. Januar 1985 ende. Der Beschluß mache vielmehr die neuen Gebührensätze für ab 3. Januar 1985 eingehende Zahlungen verbindlich. Falls dieser Tag innerhalb einer Zahlungsfrist liegt, werde der Lauf der Zahlungsfrist nicht berührt. Vom Stichtag ab gelte lediglich der neue Tarif, was ggf. eine Nachzahlung notwendig mache.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin am 22. Juni 1985 Beschwerde ein und zahlte die Beschwerdegebühr am 28. Juni 1985. Die Beschwerdebegründung folgte am 19. September 1985.
V. Zur Begründung der Beschwerde wird vorgebracht, daß durch den in Artikel 2 des Beschlusses des Verwaltungsrats genannten Zeitpunkt "3. Januar 1985" eine "Frist" i. S. v. Artikel 8 (3) GebO gesetzt werde. Die Zahlung müsse nämlich vor diesem Tag erfolgen, wenn die bisherige Gebührenhöhe ausreichen solle. Diese Regelung entspreche der Nachfrist nach Regel 85a EPÜ. Auch hier sei die Anwendung von Artikel 8 (3) GebO in bezug auf die Grundfrist nicht deswegen ausgeschlossen, weil Regel 85a EPÜ die nachträgliche Zahlung mit Zuschlag ermögliche. Schließlich sei auch durch die Regelung nach Artikel 8 (3) GebO das Vertrauen geschaffen, daß der Einzahler bei Einhaltung dieser sog. "Zehn-Tage-Regel" vom Risiko nicht rechtzeitiger Zahlungsübermittlung freigestellt sei. Die Nichtanwendung dieser Regel auf die Einhaltung des Stichtags stelle eine für den Einzahler unverständliche und auch unnötige rechtliche Differenzierung dar. Der Verzicht auf eine Differenzierung habe für das EPA nur unwesentliche Gebührenausfälle zur Folge.
VI. Der Vertreter des Beschwerdeführers beantragt die Rückzahlung des unter Vorbehalt gezahlten Differenzbetrags von 380,- DM sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
VII. Zu dem letztgenannten Antrag führt er folgendes aus: Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr sei berechtigt, obwohl kein Verfahrensfehler, sondern nur eine fehlerhafte Auslegung der Gebührenordnung vorliege. Nichtsdestoweniger erscheine es unbillig, daß ein Anmelder für die Rückzahlung eines zuviel gezahlten Betrags (hier: 380,- DM) eine Beschwerdegebühr (hier: 680,- DM) zu entrichten habe, die weit höher liege als der zu Unrecht erhobene Betrag. Sinn der Beschwerdegebühr könne es nicht sein, die Überprüfung gebührenrechtlicher Fragen durch die Beschwerdekammer zu verhindern.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Der genannte Beschluß des Verwaltungsrats vom 8. Juni 1984 über die Neufestsetzung der Gebühren erklärt in seinem Artikel 2, Satz 1, die neuen Gebührensätze für Zahlungen ab 3. Januar 1985 für verbindlich. Er stellt also nicht auf den Tag der Fälligkeit (hier: 13. Dezember 1984) ab, d. h. auf den Tag, an dem die Gebühr erstmals wirksam gezahlt werden konnte. Da dieser Fälligkeitstag vor dem genannten Stichtag liegt, erhöhte sich somit die Gebührenschuld vor dem Ablauf der Zahlungsfrist nach Artikel 78 (2) und 79 (2) EPÜ (hier: 13. Januar 1985), sofern die Gebühren nicht vor dem Stichtag entrichtet wurden. Lediglich für Jahresgebühren ist der Fälligkeitstag maßgebend, was jedoch durch die bestehende Regel 37 (1) Satz 3 EPÜ bedingt ist. Die Anknüpfung an einen bestimmten Zahlungstag und nicht an den Fälligkeitstag ergibt sich eindeutig aus dem Text von Artikel 2 des genannten Beschlusses. Eine entsprechende Regelung ist nach Artikel 6 (4) GebO auch bei Änderungen der Währungsgegenwerte vorgesehen.
3. Der Beschluß des Verwaltungsrats (Artikel 2) und die Artikel 8 (3) und 6 (4) Satz 4 der Gebührenordnung können nur dahin ausgelegt werden, daß Artikel 8 (3) GebO auf die Einhaltung des Stichtags nicht anzuwenden ist. Dies folgt einmal aus dem Wortlaut von Artikel 2, Satz 1, des genannten Beschlusses und dem Wortlaut von Artikel 8 (3) GebO. Der Stichtag der Verbindlichkeit der neuen Gebührensätze "für Zahlungen ab 3. Januar 1985" nach Artikel 2, Satz 1 des genannten Beschlusses kann nicht als "Frist" i.S.v. Artikel 8 (3) GebO angesehen werden. Der vom Beschwerdeführer angestellte Vergleich mit Regel 85a EPÜ ist unberechtigt, da diese Regel von der Nichteinhaltung einer Frist ausgeht, woraus sich ergibt, daß Artikel 8 (3) GebO auf die Einhaltung dieser Frist, d.h. der sog. Grundfrist anwendbar ist. Dieses Ergebnis wird auch durch einen vergleichenden Blick auf Artikel 6 (4), Satz 4, GebO, der den Stichtag der Verbindlichkeit neuer Währungsgegenwerte betrifft, bestätigt. Hätte der Verwaltungsrat beabsichtigt, die "Zehn-Tage-Regel" auf die Stichtage anzuwenden, so hätte dies in der Nachzahlungsregelung nach Artikel 3 des Beschlusses des Verwaltungsrates geschehen können. Von der Nachzahlung hätte der Anmelder freigestellt werden können, der den "Zehn-Tage-Nachweis" führt. Die Tatsache, daß der Verwaltungsrat dies nicht getan hat, ist keine Regelungslücke. Schon aus diesem Grund verbietet es sich, einen Einzahler durch analoge Anwendung von Artikel 8 (3) GebO von der Nachzahlung freizustellen.
4. Diese Auslegung des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 8. Juni 1984 führt somit einmal zu dem Ergebnis, daß der Zahlungstag und nicht der Eintritt der Fälligkeit dafür maßgebend ist, welcher Tarif anzuwenden ist, und ferner zu dem Ergebnis, daß im Rahmen des genannten Beschlusses der neue Gebührentarif für eine Zahlung auch dann gilt, wenn die Zahlung bereits 10 Tage vor dem maßgebenden Stichtag veranlaßt worden ist. Diese Regelungen sind nach Artikel 164 (2) EPÜ nicht zu beanstanden, denn sie verstoßen weder gegen das Europäische Patentübereinkommen noch gegen allgemeine Rechtsprinzipien.
4.1. Die Wahl des Zahlungstages als Stichtag statt der früherliegenden Fälligkeit wäre rechtlich bedenklich, wenn hierin eine verbotene rückwirkende Erhöhung einer bereits eingetretenen Gebührenschuld gesehen werden könnte. Von einer Rückwirkung kann aber bei den meisten Gebühren, wie bei den hier in Frage stehenden, nicht gesprochen werden. Der Beschluß des Verwaltungsrats vom 8. Juni 1984 und seine Bekanntmachung im Amtsblatt des EPA 1984, Heft 7/Juli, liegen nämlich weit vor der Fälligkeit der gezahlten Gebühren (hier: 13. Dezember 1984). Diese Gebühren wurden daher bereits lange vor ihrer Fälligkeit dem neuen Tarif unterworfen für den Fall, daß sie erst ab 3. Januar 1985 beim EPA eingehen. Es wäre aber auch nicht zu beanstanden, wenn die Fälligkeit und damit die Gebührenschuld bereits eingetreten ist, bevor der Beschluß des Verwaltungsrats ergeht. Diese Situation kann sich hinsichtlich der Prüfungsgebühr ergeben. Da der Prüfungsantrag üblicherweise bereits bei Einreichung der Patentanmeldung gestellt wird, kann die Spanne zwischen dem Eintritt der Fälligkeit der Prüfungsgebühr und dem Ablauf der Zahlungsfrist nach Artikel 94 (2) i.V.m. 93 (1) EPÜ 2 Jahre und mehr betragen. Da die frühe Stellung des Prüfungsantrags mit der Möglichkeit, den Antrag erst durch erheblich spätere Zahlung i.S.v. Artikel 94 (2) EPÜ wirksam zu machen, eine reine Vorsorgemaßnahme ist, muß sich der Anmelder auch auf eine Gebührenerhöhung einstellen, die erst beschlossen und bekanntgemacht wird, nachdem er bereits den vorsorglichen Antrag gestellt hat. Auch in diesem Sonderfall kann daher nicht von einer verbotenen Rückwirkung gesprochen werden. Im übrigen zeigt ein Blick auf Rechtsvorschriften, mit denen in den Vertragsstaaten Gebührenerhöhungen herbeigeführt werden, daß es neben der Anknüpfung an die Fälligkeit durchaus auch die Anknüpfung an den Zahlungstag gibt (so insbesondere in Österreich; vgl. Artikel III der Patent- und Markengebührennovelle 1984).
4.2. Wenn der Verwaltungsrat darauf verzichtet hat, in Artikel 3 seines Beschlusses diejenigen Einzahler von der Nachzahlung zu befreien, die einen Nachweis entsprechend Artikel 8 (3) GebO führen können, so ist dies ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Infolge der verschieden artigen Tatbestände und Sanktionen liegt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht vor. Es mag sein, daß ein Verzicht auf Differenzierung eine Verärgerung solcher Einzahler vermeiden würde, die glauben, durch Einhaltung der ihnen bekannten "Zehn-Tage-Regel" noch in den Genuß des niedrigeren Gebührentarifs zu kommen, insbesondere wenn sich im Bereich eines Jahreswechsels der Post- und Überweisungsverkehr verzögert. Auch mögen die Einnahmen, die dem EPA entgehen würden, unerheblich sein. Dies alles schafft aber noch keine Situation, die es im Hinblick auf das Gleichheitsprinzip gebieten würde, die Einzahler bei Nachweis der Einhaltung der "Zehn-Tage-Regel" von der Nachzahlung zu befreien.
5. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr erscheint der Beschwerdekammer im Hinblick auf die nach Regel 67 EPÜ not wendigen Voraussetzungen nicht möglich, obwohl der Beschwerdeführer der Auffassung ist, daß die Rückzahlung der Billigkeit entspricht. Der Beschwerde wird aber nicht stattgegeben und es liegt auch kein Verfahrensfehler vor. Selbst in Falle der Entscheidung J 08/84 (ABl. EPA 1985), wo der Beschwerdeführer die Rückzahlung von 300,- DM Anspruchsgebühren erwirkte, also der Beschwerde stattgegeben wurde, konnte die Rückzahlung der Beschwerdegebühren nicht angeordnet werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.