J 0014/90 (Dänemark - stillschweigend) 21-03-1991
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1. Die Verschiebung eines Anmeldetages auf einen späteren Tag kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß dieser spätere Tag die Erteilung eines europäischen Patents für einen neuen Vertragsstaat erlauben würde.
2. Eine Einladung an den Präsidenten des EPA nach Artikel 12a der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, sich in einem Beschwerdeverfahren zu "Fragen von allgemeinem Interesse" zu äußern, ergeht an diesen unmittelbar. Einer besonderen Definierung und Formulierung solcher Fragen bedarf es nicht (vgl. Nr. 1 der Gründe).
Sachverhalt und Anträge
I. Der Anmelder reichte am 21. Dezember 1989 die europäische Patentanmeldung 89 250 127.1 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 28. Januar 1989 ein. Im Feld 26 des Formblatts des Antrags auf Patenterteilung (Formblatt wie in ABl. EPA 1986, 306 veröffentlicht) hatte er mit Ausnahme Griechenlands alle Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens durch Ankreuzen benannt, für die das Europäische Patentübereinkommen am 21. Dezember 1989 in Kraft war, und die dafür notwendigen elf Benennungsgebühren bezahlt. Das Feld 27 des Formulars war, wie üblich, unverändert und enthielt dementsprechend noch eine vorsorgliche Benennung Griechenlands.
II. Im Amtsblatt des EPA 1989, Heft 12, Seite 479, wurde bekannt gemacht, daß Dänemark am 30. Oktober 1989 die Ratifizierungsurkunde zum Europäischen Patentübereinkommen hinterlegt hat und daß nach Artikel 169 (2) EPÜ Dänemark in europäischen Patentanmeldungen benannt werden kann, die ab 1. Januar 1990 eingereicht werden. Am 12. Januar 1990 reichte der Anmelder einen Scheck über eine zwölfte Benennungsgebühr ein und beantragte, diese für Dänemark gelten zu lassen. Dänemark gehöre bereits mit der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde am 30. Oktober 1989 dem Europäischen Patentübereinkommen an und werde dementsprechend von diesem Tag an durch die Vorsorgebenennung nach Feld 27 des Erteilungsantrags erfaßt.
III. Durch Entscheidung der Eingangsstelle des EPA vom 3. April 1990 wurde dieser Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß das Europäische Patentübereinkommen nach Artikel 169 (2) EPÜ erst mit Wirkung vom 1. Januar 1990 für Dänemark in Kraft getreten sei. Ein völkerrechtlicher Vertrag könne Bestimmungen enthalten, die einen späteren Zeitpunkt für das Inkrafttreten als die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde vorsehen.
IV. Gegen diese Entscheidung legte der Anmelder eine zulässige Beschwerde ein, die er zunächst noch mit einer von der Erstinstanz abweichenden Auffassung über das Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens für Dänemark begründete.
V. Die Beschwerdekammer hat in der hier vorliegenden Beschwerde J 14/90 - Flachglas wie in den Beschwerden J 18/90 - Canon (ABl. EPA 1992, 511) und J 30/90 - Shea (ABl. EPA 1992, 516), in denen es ebenfalls um die Benennung Dänemarks in zeitlichem Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens für Dänemark geht, dem Präsidenten des Europäischen Patentamts nach Artikel 12a der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 1989, 361) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er hat zu diesen Fällen schriftlich und, im vorliegenden Fall, außerdem in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 1991 Stellung genommen.
VI. In der mündlichen Verhandlung beantragte der Anmelder die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. In Abweichung von seinem Begehren vor der Erstinstanz beantragte er, der europäischen Patentanmeldung den 1. Januar 1990 als Anmeldetag zuzuerkennen.
VII. Diesen neuen Antrag begründete der Anmelder damit, daß das EPA am Anmeldetag (21. Dezember 1989) aus dem Gesamtzusammenhang aller bekannten Umstände heraus habe erkennen können, daß er an einer Benennung Dänemarks interessiert sei:
(1) Er habe (abgesehen von Griechenland) alle Staaten benannt.
(2) Das Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens für Dänemark sei rechtlich gesichert und im Amtsblatt des EPA bekanntgemacht gewesen.
(3) Dementsprechend habe festgestanden, daß Dänemark noch vor Ablauf der in Anspruch genommenen Priorität (28. Januar 1990) benannt werden könne.
(4) Daß er dies auch wirklich wollte, habe er unter Zahlung der Benennungsgebühr am 12. Januar 1990 ausdrücklich kundgetan.
(5) Die Nachreichung der zur europäischen Patentanmeldung erkennbar voll-identischen Prioritätsunterlage am 18. Januar 1990 habe schließlich klar gezeigt, daß die europäische Patentanmeldung gegenüber der Prioritätsunterlage keinerlei Erweiterung erhalten habe und er deswegen kein Interesse daran haben konnte, einen Anmeldetag noch vor Ablauf des Prioritätsjahres zu begründen. Infolge dieser Gesamtumstände sei am Anmeldetag das Interesse des Anmelders erkennbar gewesen, auch Dänemark zu benennen.
VIII. Der Präsident des EPA trug schriftlich und mündlich Auffassungen vor, die im Ergebnis derjenigen der Beschwerdekammer entsprechen (Differenzierungen ergeben sich aus der Entscheidung J 18/90 - Canon vom 22. März 1991, ABl. EPA 1992, 511). Der Vertreter des Anmelders hatte in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, abschließend zu den Äußerungen des Präsidenten des EPA Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
1. Die Juristische Beschwerdekammer hat im vorliegenden Fall erstmals dem Präsidenten des EPA nach Artikel 12a der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (nachfolgend: VerfOBK) Gelegenheit gegeben, sich zu Fragen allgemeinen Interesses zu äußern, die sich im Rahmen dieses Verfahrens stellen. Im Hinblick auf die erstmalige Anwendung der genannten Verfahrensvorschrift durch die Juristische Beschwerdekammer dürften die nachfolgenden Darlegungen angebracht sein.
1.1 Artikel 12a VerfOBK wurde durch Beschluß des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 7. Juli 1989 (ABl. EPA 1989, 361) geschaffen und hat folgenden Wortlaut: "Die Kammer kann den Präsidenten des Europäischen Patentamts von Amts wegen oder auf dessen schriftlichen, begründeten Antrag auffordern, sich zu Fragen von allgemeinem Interesse, die sich im Rahmen eines vor der Kammer anhängigen Verfahrens stellen, schriftlich oder mündlich zu äußern. Die Beteiligten sind berechtigt, zu diesen Äußerungen Stellung zu nehmen."
In den vorbereitenden Unterlagen des Verwaltungsrats wird dazu gesagt, der neuen Regelung liege die Erwägung zugrunde, daß wegweisende Entscheidungen zu Fragen von allgemeinem Interesse auf eine breitere Grundlage gestellt werden, wenn der Präsident des EPA Gelegenheit erhalte, auf Punkte aufmerksam zu machen, die er für bedeutsam halte. In vielen Vertragsstaaten sei das nationale Patentamt entweder Beteiligter am Beschwerdeverfahren oder werde von der Rechtsmittelinstanz angehört.
1.2 Anläßlich der erstmaligen Anwendung der genannten Vorschrift hat die Juristische Beschwerdekammer über die Modalitäten eines solchen Verfahrens beraten. Sie kam dabei zu der folgenden (andere Kammern in keiner Weise bindenden) Auffassung: Artikel 12a VerfOBK ergänzt die Artikel 114 (1) und 117 (1) b) EPÜ. Die Anhörung des Präsidenten des EPA im schriftlichen und/oder mündlichen Verfahren geht davon aus, daß "Fragen allgemeinen Interesses" vorliegen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die einladende Beschwerdekammer solche Fragen näher definieren und formulieren müßte. Die Kammer braucht vor einem Beschluß, den Präsidenten des EPA anzuhören, den Beschwerdeführer und andere Beteiligte nicht anzuhören. Die Einladung ergeht von der Beschwerdekammer unmittelbar an den Präsidenten des EPA, denn sie gehört dem Bereich der Rechtsprechung der Kammer an. Derjenige Bedienstete, der vom Präsidenten des EPA mit der Stellungnahme beauftragt wird, braucht in der Regel keine besondere Legitimation vorzuweisen. Der Präsident des EPA ist kein "Beteiligter" i. S. v. Artikel 107 EPÜ und hat dementsprechend kein Antragsrecht, was Anregungen nicht ausschließt. Die Beteiligten am Verfahren sind - wie in Artikel 12a, Satz 2 VerfOBK ausdrücklich gesagt - berechtigt, zu den Äußerungen des Präsidenten Stellung zu nehmen, also auch dann, wenn dies zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ nicht erforderlich wäre. Für eine etwaige Kostenverteilung bietet das Übereinkommen selbst keine Rechtsgrundlage. Möglicherweise könnte sie über Artikel 125 EPÜ aus nationalem Vefahrensrecht gewonnen werden; die Kriterien der Ursächlichkeit und der Billigkeit dürften dabei mit entscheidend sein.
2. Der Beschwerdeführer beantragt, daß der europäischen Patentanmeldung der 1. Januar 1990 als Anmeldetag zuerkannt wird.
2.1 Die Beschwerdekammer kann der Auffassung des Anmelders nicht folgen, daß diesem Antrag entsprochen werden könne, weil am Anmeldetag bereits aus dem Gesamtzusammenhang aller bekannten Umstände erkennbar gewesen sei, daß er Dänemark zu benennen wünsche. Im Dezember 1989 gelangten 4243 europäische Patentanmeldungen an das EPA. Nach allgemeinen Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, daß etwa bei der Hälfte dieser Anmeldungen noch Prioritätsfristen zur Verfügung standen, die erst nach dem 1. Januar 1990 abliefen. Da bekannt war, daß das Europäische Patentübereinkommen für Dänemark am 1. Januar 1990 in Kraft trat, kann weiter davon ausgegangen werden, daß Anmelder mit ausreichenden Prioritätsfristen, die Dänemark benennen wollten, die Einreichung ihrer europäischen Patentanmeldungen entsprechend aufgeschoben haben. Da es normal ist, daß einzelne Vertragsstaaten nicht benannt werden, erlaubt der Gesamtzusammenhang aller bekannten Umstände am 21. Dezember 1989 nicht die Annahme, daß der Anmelder nicht diesen Tag, sondern erst den 1. Januar 1990 als Anmeldetag haben wollte (vgl. zur Abgrenzung die Entscheidung J 18/90).
2.2 Erst am 12. Januar 1990 wird mit der Zahlung der Benennungsgebühr für Dänemark erkennbar, daß der Anmelder mit einer Verschiebung des Anmeldetags auf den 1. Januar 1990 einverstanden ist bzw. diese begehrt. Verschiebungen des Anmeldetags auf ein späteres Datum sind, wie in der unveröffentlichten Entscheidung J 5/89 vom 9. Juli 1989 (Gründe Nr. 5 bis 7) dargelegt, nicht ausgeschlossen. Regelungen, die eine solche Verschiebung ermöglichen, sind enthalten in Artikel 91 (6) EPÜ im Hinblick auf nachgereichte Zeichnungen, in Regel 20.2 PCT mit Rücksicht auf verschiedene Anmeldeunterlagen, entsprechend auch in Artikel 8 des Entwurfs eines "Patent Law Treaty" (Dok. WIPO, PLT/DC/3 vom 21. Dezember 1990). Auch die "Datumsverschiebung" nach Artikel 58 des schweizerischen Patentgesetzes kann in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Derartige Verschiebungen des Anmeldetages bedürfen aber einer Rechtsnorm oder einer Billigung durch die Rechtsprechung im Einzelfall wie in der genannten Entscheidung J 5/89. In dieser Entscheidung war die Verschiebung des Anmeldetags vom 25. August 1986, an dem die Anmeldung rechtswirksam in schwedischer Sprache eingereicht worden war, auf den 6. November 1987, an dem dieselbe Anmeldung in englischer Übersetzung eingereicht worden ist, die einzige Möglichkeit, den völligen Rechtsverlust zu vermeiden, der angesichts der besonderen Umstände des Falles ungerechtfertigt gewesen wäre.
2.3 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer daher keine Rechtsgrundlage, die es ihr ermöglichen würde, einen späteren Anmeldetag zuzuerkennen. Da die Benennung eines Staats ein Bestandteil des Antrags auf Patenterteilung ist und insoweit zu den Unterlagen einer Patentanmeldung gehört, wäre eine Verschiebung des Anmeldetages auf den Tag einer nachgebrachten Benennung zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen. Es fehlt aber eine Rechtsnorm von der Art der obengenannten, die dies erlauben würde. Es liegt auch keine Sondersituation vor wie im Falle der Entscheidung J 5/89. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Hier sprechen die Interessen Dritter und Ordnungsgesichtspunkte gegen eine Verschiebung.
Das Europäische Patentübereinkommen kann in seinem territorialen Anwendungsbereich eine Erweiterung erfahren. Dabei sind auch die Interessen von Wettbewerbern betroffen. Vor einem entsprechenden Stichtag werden immer eine Anzahl von Patentanmeldungen eingereicht, deren Anmeldetag ohne Rechtsverlust und mit Rechtsgewinn für den Anmelder zum Stichtag hin verschoben werden könnte. Wäre dies erlaubt, so würden über Monate hinweg viele Anträge auf Datumsverschiebung gestellt und somit nachträglich die Reichweite des möglichen territorialen Schutzbereichs erweitert. Dies widerspricht sowohl Ordnungsgesichtspunkten, der Rechtssicherheit und Interessen Dritter.
2.4 Eine letzte denkbare Möglichkeit, dem Begehren des Anmelders zu entsprechen, wäre es, die Anmeldung zusammen mit der ausdrücklichen Benennung Dänemarks durch das am 12. Januar 1990 eingegangene Schreiben als eine neue europäische Patentanmeldung mit Benennung Dänemarks zu werten. Eine Wiederholung der Anmeldung zwischen dem 1. Januar 1990 und dem Ablauf der Prioritätsfrist am 28. Januar 1990 wäre möglich gewesen und nur eine Gebührenfrage. Entsprechendes ist aber weder geschehen noch beantragt, noch lassen sich heute die Anmeldung vom 21. Dezember 1989 zusammen mit dem am 12. Januar 1990 eingegangenen Schreiben als eine neue Anmeldung werten. Das genannte Schreiben stellt zwar eine rechtliche Erklärung dar und ist somit auslegungsfähig. Der Rahmen möglicher Auslegung wäre aber überschritten, wenn man dieses Schreiben zusammen mit der bereits vorliegenden Anmeldung als eine erneute Patentanmeldung gelten lassen wollte. Eine derartige Auslegung ist vor allem deswegen nicht möglich, weil der wirkliche Wille des Anmelders erkennbar hierauf nicht gerichtet war. Daher kann dahingestellt bleiben, ob nicht auch andere Gründe einer Wertung dieses Schreibens als einer erneuten Patentanmeldung entgegenstehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.