T 0666/09 (Kombination von Markern/ROCHE) 01-03-2012
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Diagnose von Myokardinfarkt und akutem Koronarsyndrom durch Kombination von Markern
F. Hoffmann-La Roche AG
Roche Diagnostics GmbH
Zulässigkeit der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Vergleichsstudie (ja)
Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit (nein)
Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrages (nein)
Aktenzeichen: T 0666/09 - 3.3.08
ENTSCHEIDUNG
der Technischen Beschwerdekammer 3.3.08
vom 1. März 2012
Beschwerdeführerinnen:
(Patentinhaberinnen)
F. Hoffmann-La Roche AG
Grenzacherstrasse 124
CH-4070 Basel (CH)
Roche Diagnostics GmbH
Sandhofer Strasse 116
D-68305 Mannheim (DE)
Vertreter:
Weiss, Wolfgang
Weickmann & Weickmann
Patentanwälte
Postfach 86 08 20
D-81635 München (DE)
Angefochtene Entscheidung:
Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 12. Dezember 2008 zur Post gegeben wurde und mit der das europäische Patent Nr. 1363128 aufgrund des Artikels 101 (3) (b) EPÜ widerrufen worden ist.
Zusammensetzung der Kammer:
Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberinnen (Beschwerdeführerinnen) legten Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 12. Dezember 2008 ein, mit der das europäische Patent 1 363 128 widerrufen wurde. Das Patent war für die europäische Anmeldung 03 010 818.7 mit der Bezeichnung "Diagnose von Myokardinfarkt und akutem Koronarsyndrom durch Kombination von Markern" erteilt worden.
II. Gegen die Erteilung des Patents hatte die Einsprechende wegen mangelnder Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ), mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ) und mangelnder Offenbarung (Artikel 100 b) und 83 EPÜ) Einspruch eingelegt.
III. Die Grundlage der angefochtenen Entscheidung über den Widerruf des Streitpatents waren die Ansprüche wie erteilt. In ihrer Entscheidung war die Einspruchabteilung zur Auffassung gelangt, dass der beanspruchte Gegenstand gemäß erteiltem Anspruch 1 nicht erfinderisch sei.
IV. Mit ihrer Beschwerdebegründung vom 9. April 2009, beantragten die Beschwerdeführerinnen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Mit der Beschwerdebegründung wurde zudem ein Versuchsbericht D18 vorgelegt (siehe Punkt XII, unten).
V. Mit Schreiben vom 17. September 2009 nahm die Einsprechende zur Beschwerdebegründung Stellung und hielt alle vor der Einspruchsabteilung erhobenen Einwände aufrecht. Sie beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und, hilfsweise, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
VI. Mit Schreiben vom 27. August 2010 nahm die Einsprechende ihren Einspruch zurück und ist somit keine Verfahrensbeteiligte in diesem Beschwerdeverfahren.
VII. Am 1. August 2011 wurden die Beschwerdeführerinnen zu einer mündlichen Verhandlung geladen. In einer dieser Ladung beigefügten Mitteilung nach Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Sachlage.
VIII. Mit ihrer Erwiderung vom 16. Januar 2012 reichten die Beschwerdeführerinnen einen ersten Hilfsantrag ein.
IX. Die mündliche Verhandlung fand am 1. März 2012 statt. Während der Verhandlung ersetzte der Vertreter der Beschwerdeführerinnen den bisherigen ersten Hilfsantrag durch einen neuen ersten Hilfsantrag.
X. Anspruch 1 des Hauptantrags (d.h. wie erteilt) lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Diagnose von Myokardinfarkt oder/und zur Risikostratifizierung des akuten Koronarsyndroms,
dadurch gekennzeichnet,
dass eine Bestimmung von mindestens drei Markern an einer oder mehreren Blut- oder Serumproben aus einem zu untersuchenden Patienten durchgeführt wird, wobei jeweils mindestens ein ischämicher Marker, mindestens ein inflammatorischer Marker und NT-ProBNP als neurohormonaler Marker bestimmt wird."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 sind auf besondere Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 gerichtet. Anspruch 11 ist auf einen Reagenzienkit zur Diagnose von Myokardinfarkt oder/und zur Risikostrafizierung des akuten Koronarsyndroms gerichtet, wobei der Kit Nachweisreagenzien zur Bestimmung der in Anspruch 1 genannten Markern enthält. Die Ansprüche 12 bis 16 sind auf die Verwendung des Reagenzienkits nach Anspruch 11 gerichtet. Das Verfahren, bzw. die Verwendung, gemäß Ansprüchen 10 und 15 wird jeweils als Schnelltest bezeichnet.
XI. Der Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages lautet wie Anspruch 1 des Hauptantrages, fügt aber am Schluss den folgenden Wortlaut hinzu:
"... und wobei die Bestimmungen als Schnelltest in der Notaufnahme durchgeführt werden."
XII. In dieser Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:
D1: M.S. Sabatine et al., Circulation, 16. April 2002, Band 105, Seiten 1760 bis 1763;
D2: WO 02/083913 (Veröffentlichungsdatum: 24. Oktober 2002);
D3: WO 02/089657 (Veröffentlichungsdatum: 14. November 2002);
D4: T. Omland et al., The American Journal of Cardiology, 15. Februar 2002, Band 89, Seiten 463 bis 465;
D8: A.M. Richards et al., Circulation, 19. Mai 1998, Band 97, Seiten 1921 bis 1929;
D18: Vergleichsstudie zur Evaluierung der natriuretischen Peptide BNP und NT-proBNP hinsichtlich ihrer Eignung zur Prognosestellung und Risikostratifizierung des ACS, Kerckhoff-Klinikum Bad Nauheim.
XIII. Die von den Beschwerdeführerinnen vorgetragenen Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zulässigkeit der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Vergleichsstudie D18
In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 29. Januar 2008 teilte die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Meinung mit, wonach die erteilten Ansprüche die Erfordernisse des EPÜ, insbesondere jene der Artikel 54(3), 56 und 83 EPÜ, erfüllten. Demzufolge wurde den Parteien mitgeteilt, dass die Einspruchsabteilung beabsichtigte, den Einspruch zurückzuweisen und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Dennoch kam die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung am 17. September 2008 zu dem überraschenden Ergebnis, dass der erteilte Anspruch 1 die Anforderung des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllte. Gemäß der Einspruchsabteilung machte das Streitpatent nicht glaubhaft, dass die Verwendung des neurohormonalen NT-proBNP Markers eine kurzfristige Prognose ermöglichte.
Die Vergleichsstudie D18 zeigte, dass der mit der Verwendung des NT-proBNP Markers angestrebte technische Effekt tatsächlich erzielt würde. Die Bestimmung dieses Markers ist für eine frühzeitige, kurzfristige Prognosestellung des akuten Myokardinfarkts oder akuten Koronarsyndroms (ACS) von großer Bedeutung. Die Vergleichsstudie D18 könnte als direkte Antwort auf die unerwartete Entscheidung der Einspruchsabteilung angesehen werden und sollte das grundlegende Prinzip der Erfindung deutlich machen.
Hauptantrag
Artikel 100(b) EPÜ; Artikel 56 EPÜ
Das Verfahren der Entgegenhaltung D1 (der nächstliegende Stand der Technik) betrifft die Risikostratifizierung des ACS auf Basis der Bestimmung von drei Markern: Troponin I, C-reaktivem Protein (CRP) und Brain-natriuretisches Peptid (BNP). Das erfindungsgemäße Verfahren unterscheidet sich davon dadurch, dass der NT-proBNP Marker bestimmt wird. Das Streitpatent beschreibt die Vorteile der Verwendung des NT-proBNP Markers, insbesondere die kurzfristige Prognosestellung des ACS. Die Verwendung von NT-proBNP in Kombination mit den beiden anderen Markern ermöglicht einem Fachmann, bereits frühzeitig nach Eintritt eines Koronarereignisses, eine Risikostratifizierung vorzunehmen. Ausgehend von der Entgegenhaltung D1 war es die Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein verbessertes Verfahren zur Diagnose von Myokardinfarkt und Risikostratifizierung des ACS bereitzustellen, womit eine frühzeitige Prognoseerstellung ermöglicht wird. Das erfindungsgemäße Verfahren mit NT-proBNP stellt nicht lediglich eine bloße Alternative dar, sondern tatsächlich eine Verbesserung im Vergleich zum Verfahren mit BNP gemäß der Entgegenhaltung D1.
Diese Aufgabe wird durch den Gegenstand der erteilten Ansprüche gelöst. Im Gegensatz zu dem aus der Entgegenhaltung D1 bekannten Verfahren hat das erfindungsgemäße Verfahren eine breitere Anwendbarkeit. Dieses Verfahren ermögliche es dem Fachmann, eine zeitliche uneingeschränkte (zeitunabhängige) Diagnose (sowohl eine frühzeitige, kurzfristige Diagnose, z.B. bei Patienten in der Notaufnahme, als auch zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt) von Myokardinfarkt und Risikostratifizierung des ACS auszuführen.
Es gab für einen Fachmann keine Veranlassung, irgendwelche Veränderung am Multimarkeransatz der Entgegenhaltung D1 vorzunehmen, da er im Stand der Technik keine Anregung dazu gefunden hätte. Auch wenn ein Fachmann ausgehend von der Entgegenhaltung D1 nach einer Möglichkeit gesucht hätte, eine verbesserte Kurzzeitprognose zu ermöglichen, so wären zahlreiche Vorgehensweisen denkbar gewesen. Beispielsweise hätte jeder der drei Marker (Troponin, CRP und BNP) durch einen anderen Marker ersetzt werden können oder es hätten zusätzliche Marker in das Prognoseverfahren aufgenommen werden können. Wenn ein Fachmann aber dennoch einen alternativen Marker für BNP gesucht hätte, so wären viele neurohormonale Marker (z.B. ANP, NT-proANP) eher in Frage gekommen als NT-proBNP. Erst das Streitpatent hat gefunden, dass NT-proBNP für die Erstellung einer Kurzzeitprognose von überraschendem Vorteil ist. Dies wurde bereits in der Anmeldung des Streitpatents beschrieben und in der Vergleichsstudie D18 bestätigt.
Am Prioritätstag der Erfindung bestanden verschiedene Bedenken hinsichtlich einer Verwendung von NT-proBNP als diagnostischen oder prognostischen Marker zur Diagnose von akuten Myokardinfarkt. Im Stand der Technik war es bekannt, dass er, im Gegensatz zum hormonell aktiven BNP, biochemisch inaktiv war und keinen Umwandlungsprozessen unterlag. Das Urteil der Fachwelt bezüglich der Verwendung von NT-proBNP als diagnostischen Marker war eher negativ.
Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung eingereichten ersten Hilfsantrages
Es war für die Patentinhaberinnen sehr schwierig eine Formulierung der Ansprüche zu finden, die den mit der Verwendung des NT-proBNP Markers erzielten Effekt vollständig widerspiegelte. Dieser Effekt musste über die gesamte Breite des beanspruchten Gegenstands auftreten. Die Ansprüche mussten eine klare Basis in der Prioritätsanmeldung haben und von der ursprünglichen Beschreibung ordnungsgemäß gestützt sein. Aus diesen Gründen, sei die Einreichung des ersten Hilfsantrages in diesem späten Stadium des Verfahrens zuzulassen.
XIV. Die Beschwerdeführerinnen (Patentinhaberinnen) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrecherhaltung des Patentes wie erteilt, oder hilfsweise auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten ersten Hilfsantrages.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Vergleichsstudie D18
1. Mit der Beschwerdebegründung vom 9. April 2009 reichten die Beschwerdeführerinnen erstmals die Vergleichsstudie D18 ein. Im Hinblick auf das gesamte Verfahren innerhalb des EPA, ist die Einreichung von Versuchsdaten zur Stützung eines technischen Effekts im Beschwerdeverfahren gewöhnlich als spät vorgebracht zu betrachten, selbst wenn sie, wie im vorliegenden Fall, in einem früheren Stadium der Beschwerde stattfindet.
2. Obwohl Artikel 12(2) VOBK vorsieht, dass die Beschwerdebegründung ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen soll, hat die Kammer gemäß Artikel 12(4) VOBK die Befugnis Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
3. Im vorliegenden Fall, stimmt die Kammer den Beschwerdeführerinnen zu, dass die Einreichung der Vergleichsstudie D18 eine direkte Antwort auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung ist (siehe Punkt XIII, supra). Aus der Akte geht hervor, dass die Einspruchsabteilung in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung ihre vorläufige Meinung mitgeteilt hatte, wonach die erteilten Ansprüche erfinderisch seien. Grundlage für diese vorläufige Meinung war die von den Patentinhaberinnen geltend gemachte Ermöglichung einer "kurzfristigen Prognosestellung" des ACS durch die Verwendung des NT-proBNP Markers. Nach Meinung der Einspruchsabteilung war diese Aussage im Patentschrift belegt (siehe Seite 3, Absatz 13 der Mitteilung der Einspruchsabteilung vom 29. Januar 2008). In der angefochtenen Entscheidung jedoch stellte die Einspruchsabteilung fest, dass "das Streitpatent nicht glaubhaft macht, dass die Verwendung von NT-BNP spezifisch eine kurzfristige Prognose ermöglicht" (siehe Seite 7, letzter Satz des Absatzes 33 der angefochtenen Entscheidung).
4. Die Vergleichsstudie D18 stellt eine gezielte und direkte Antwort auf diese in der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung dar. Durch sie wird versucht, die von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung festgestellten Mängel zu entkräften. Die Vergleichsstudie wurde von den Beschwerdeführerinnen ohne jegliche Verzögerung zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht. Weder der sachliche Inhalt dieser Vergleichsstudie noch die durch ihres Vorbringen verursachte Situation erhöhen die Komplexität des Beschwerdeverfahrens.
5. Im Hinblick auf die obengenannten Gründen lässt die Kammer die Einführung der Vergleichsstudie D18 in das Verfahren zu.
Hauptantrag
Artikel 83 und 54(3) EPÜ
6. Mit ihrem Schreiben vom 27. August 2010 nahm die Einsprechende ihren Einspruch zurück (siehe Punkt VI, supra). Gemäß ständiger Rechtssprechung der Beschwerdekammern hat die Rücknahme des Einspruchs keinen Einfluss auf das Beschwerdeverfahren, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Einsprechende die Beschwerdegegnerin ist. Die Kammer muss daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung inhaltlich prüfen und kann das Streitpatent gemäß dem Antrag der Beschwerdeführerinnen nur dann aufrechterhalten wenn dieser die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Bei dieser Prüfung können Tatsachen und Beweismittel herangezogen werden, die die Einsprechende vor der Rücknahme des Einspruchs eingereicht hat. Jedoch wird die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht von Amts wegen geprüft, sondern als Ergebnis der Beschwerde, d.h. auf der Grundlage des Antrags der Beschwerdeführerinnen, die strittige Entscheidung aufzuheben (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 6. Auflage 2010, VII.C.2.1.2, Seite 820; sowie VII.E.6.4, Seite 953).
7. In der angefochtenen Entscheidung wurde die Ausführbarkeit des Gegenstandes der erteilten Ansprüche anerkannt (siehe Seite 4 und 5, Absätze 22 bis 26 der angefochtenen Entscheidung). Die Einspruchsabteilung stellte auch fest, dass die Offenbarungen der Entgegenhaltungen D2 und D3 die Neuheit der erteilten Ansprüche nicht in Frage stellen könnten (siehe Seite 5 und 6, Absätze 27 bis 29 der angefochtenen Entscheidung).
8. Unter den gegebenen Umständen und nach Berücksichtigung aller Argumente, sieht die Kammer in diesen Punkten keinen Grund von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abzuweichen.
Artikel 56 EPÜ
9. Die Entgegenhaltung D1, deren Inhalt den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, offenbart ein Verfahren zur Risikostratifizierung des ACS, das auf die gleichzeitige Bestimmungen von drei unabhängigen, komplementären Markern, nämlich (ischämischen) Troponin I (TnI), (inflammatorischen) C-reaktiven Protein (CRP) und (neurohormonalen) Brain-natriuretischen Peptid (BNP), beruht. Gemäß der Entgegenhaltung D1 wird durch diesen Multimarkeransatz eine Risikostratifizierung von kurz- und langfristigen Koronarereignissen ermöglicht.
10. Ausgehend von der Entgegenhaltung D1 sind die Beschwerdeführerinnen der Auffassung, dass die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Risikostratifizierung des ACS und/oder Diagnose von Myokardinfarkt gesehen werden kann (siehe Punkt XIII, supra).
11. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent das Verfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 vor, welches sich vom in der Entgegenhaltung D1 beschriebenen Verfahren dadurch unterscheidet, dass der BNP Marker durch den NT-proBNP Marker ersetzt wird. Mit ihrer Beschwerdebegründung haben die Beschwerdeführerinnen die Vergleichsstudie D18 eingereicht, um den vorteilhaften Effekt des NT-proBNP Markers zu beweisen. Gemäß der Beschwerdeführerinnen ist damit den Einwand wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit vollständig ausgeräumt (siehe Absätze 1 bis 5 supra).
12. In Anbetracht der Ergebnisse der Vergleichsstudie D18 ist die Kammer davon überzeugt, dass der vorteilhafte Effekt des NT-proBNP Markers für eine kurzzeitige Diagnosestellung eindeutig bewiesen ist. Im Vergleich zum BNP Marker wird durch die Bestimmung des NT-proBNP Markers - gleichzeitig mit den zwei anderen Markern, TnI und CRP, eine vorteilhafte frühzeitige, kurzfristige Prognosestellung des ACS ermöglicht. Aus der Vergleichsstudie D18 ist ersichtlich, dass "... am frühen Zeitpunkt nach Symptombeginn die NT-proBNP-Konzentration im Blut wesentlich stärker angestiegen ist als die BNP-Konzentration, so dass der Marker NT-proBNP zur Prognosestellung besser geeignet ist. Mit dem Marker BNP ist nach dieser Betrachtung eine Prognose der 6-Monatsmortalität in ähnlicher Weise erst etwa 24 Stunden später ... möglich" und "(w)egen des langsameren Konzentrationsanstiegs von BNP ist die Prädiktion der beiden Marker erst nach ca. 24 Stunden ... vergleichbar" (Hervorhebung durch die Kammer) (siehe z.B. Seiten 9 und 7 jeweils zweiter Absatz der Entgegenhaltung D18).
13. Die Kammer sieht keinen Anlass die in der Vergleichsstudie D18 erhaltenen Ergebnisse zu bestreiten. Es ist jedoch eine anerkannte Tatsache, dass die erteilten Patentansprüche keinerlei zeitliche Einschränkungen bezüglich des Diagnosezeitpunkts enthalten. Die Ansprüche sind daher keinesfalls auf eine frühzeitige, kurzfristige Prognosestellung des ACS beschränkt. Vielmehr umfassen sie in ihren ganzen Breite alle möglichen zeitlichen Prognosestellungen, einschließlich einer nach ca. 24 Stunden. Bei solchen späteren Prognosestellungen ist nach den in der Entgegenhaltung D18 beschriebenen Ergebnissen kein vorteilhafter Effekt des NT-proBNP Markers festzustellen. Demzufolge tritt der nachgewiesene technische Effekt nicht über den gesamten von den erteilten Patentansprüchen umfassten Umfang auf.
14. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, muss in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die technischen Vorteile des beanspruchten Gegenstandes gegenüber dem Stand der Technik nicht über den gesamten Schutzbereich hinweg erzielt werden, die der Erfindung zugrundeliegende technische Aufgabe weniger anspruchsvoll oder ehrgeizig formuliert werden. Bei der Definition der technischen Aufgabe kann ein Effekt oder ein Vorteil nicht berücksichtigt werden, wenn er nicht im gesamten beanspruchten Bereich erzielt wird, auf den sich der beanspruchte Gegenstand erstreckt (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", supra, I.D.4.4, Seite 197).
15. Ausgehend von der Entegegenhaltung D1 kann diese weniger anspruchsvolle technische Aufgabe im vorliegenden Fall darin gesehen werden, ein alternatives Verfahren zur Diagnose von Myokardinfarkt und/oder Risikostratifizierung des ACS bereitzustellen. Diese Aufgabe wird durch das Verfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 in seinem gesamten Umfang gelöst.
16. Die Beschwerdeführerinnen führten an, dass es für den Fachmann keine Veranlassung gab irgendwelche Veränderung am Multimarkeransatz der Entgegenhaltung D1 vorzunehmen (siehe Punkt XIII, supra). Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern gehört es aber zu den üblichen Aufgaben eines Fachmanns, dass er sich ständig bemüht Nachteile zu beseitigen und Verbesserungen bekannter Verfahren und Vorrichtungen zu erzielen (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", supra, I.D.8.10, Seite 236). Die Kammer ist der Auffassung, dass die Suche nach Alternativen zu dem aus der Entegegenhaltung D1 bekannten Multimarkeransatz eine solche, für einen Fachmann, übliche Aufgabe ist.
17. Im Hinblick auf den zitierten Stand der Technik teilt die Kammer die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass das Ersetzen von BNP durch NT-ProBNP im Multimarkeransatz der Entgegenhaltung D1 für einen Fachmann naheliegend war. Die im Einspruchsverfahren zitierten Entgegenhaltungen, insbesondere D4 und D8, zeigen Vergleichsstudien zwischen NT-proBNP und anderen (BNP, ANP, NT-proANP) Markern für die Prognose des Myokardinfarkts und die Risikostratifizierung des ACS, wobei unter gewissen Umständen ein vorteilhafter Effekt, oder zumindest eine vergleichbare Wirkung, des NT-proBNP Markers beweisen werden (siehe Seite 465, linke Spalte, Zeilen 17 bis 23 und 39 bis 45, linke und rechte Spalte, überbrückender Absatz der Entgegenhaltung D4; Seite 1926, rechte Spalte, Zeilen 1 bis 11, Seite 1927, rechte Spalte, Zeilen 4 bis 10, Seite 1928, linke Spalte, Zeilen 19 bis 23 und rechte Spalte, Zeilen 50 bis 53 der Entegegenhaltung D8).
18. Obwohl diese Ergebnisse, aufgrund anderer im vorliegenden Stand der Technik präsentierten Studien, in Zweifel gezogen werden könnten, zeigen auch gerade diese kritischen Aussagen im Stand der Technik, dass das Ersetzen von BNP durch NT-proBNP für einen Fachmann in Betracht gezogen wurde und nicht als unrealistisch angesehen wurde. Die in diesem Stand der Technik geäußerte Bedenken bezüglich einer möglichen Verwendung des NT-proBNP Markers sind nur im Kontext des gesamten Zusammenhangs und unter Berücksichtigung der Wirkungen, Vorteile und Nachteile anderer möglicher Markern zu verstehen. Die Kammer teilt daher die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass die im Stand der Technik fallweise geäußerten Bedenken nicht als ein generell akzeptiertes Vorurteil angesehen werden können. Es ist nicht ersichtlich, dass die Lehre dieses Standes der Technik einen Fachmann davon abgehalten hätte NT-ProBNP als eine mögliche, geeignete Alternative zu BNP anzusehen (siehe Seite 6 und 7, Absatz 32 der angefochtenen Entscheidung).
19. Daher sieht die Kammer keinen Grund von der Auffassung der Einspruchsabteilung abzuweichen und sie kommt zum Schluss, dass die erteilten Patentansprüche die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllen.
Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung eingereichten ersten Hilfsantrages
20. Gemäß Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung der Beschwerdebegründung zuzulassen und zu berücksichtigen.
21. Aus der Beschwerdebegründung war es zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerinnen ihre Argumentation hinsichtlich des Vorhandenseins einer erfinderischen Tätigkeit ausschließlich auf einen unerwarteten, vorteilhaften Effekt des NT-proBNP Markers ("eine frühzeitige, kurzfristige Prognoseerstellung", "ein verbessertes Kurzzeitprognoseverfahren") stützten. In ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung hat die Einsprechende im Zusammenhang mit Artikel 56 EPÜ ausgeführt, dass die erteilten Patentansprüche nicht auf eine kurzfristige, frühzeitige Prognoseerstellung des ACS eingeschränkt seien (siehe Seite 5, Absatz 5 des Erwiderungsschriftsatzes vom 17. September 2009). In ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK wurde dieses Argument von der Kammer übernommen und als erster, zentraler Punkt bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit vorgebracht (siehe Absatz 15.1 der Mitteilung der Kammer vom 1. August 2011).
22. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer reichten die Beschwerdeführerinnen einen ersten Hilfsantrag ein, der sich vom Gegenstand der erteilten Ansprüche lediglich dadurch unterschied, dass ein Zweck des beanspruchten Verfahrens ("zur Diagnose von Myokardinfarkt") gestrichen wurde. Erst nach der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ihres Hauptantrages in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer haben die Beschwerdeführerinnen ihren früheren ersten Hilfsantrag durch einen neuen ersten Hilfsantrag, der dem bereits lange vorher bekannten Einwand Rechnung trug, ersetzt. Es steht außer Zweifel, dass die Einreichung des neuen ersten Hilfsantrages zu einem sehr späten Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren stattfand.
23. Im Vergleich zum Hauptantrag enthält der neue erste Hilfsantrag ein Merkmal der erteilten Unteransprüchen 10 und 15 ("... die Bestimmungen als Schnelltest ... durchgeführt werden") und ein zusätzliches Merkmal, das aus der Beschreibung entnommen wurde ("... in der Notaufnahme ...") (siehe Punkte X und XI, supra). Dieses Merkmal wird aber im Streitpatent nur als eine weitere Alternative unter einer Vielzahl von möglichen Anwendungen des Schnelltests angegeben (siehe Absatz [0011] des Streitpatents). Diese völlig neue Kombination bringt zum ersten Mal im gesamten Verfahren Sachverhalte in die Patentansprüche ein, die neue zu klärende Fragen - auch im Hinblick auf die daraus resultierende Kombination mit den Unteransprüchen - bezüglich Artikel 123(2) und 84 EPÜ aufwerfen. Darüber hinaus ist es fraglich, ob der neue erste Hilfsantrag den Einwand hinsichtlich Artikel 56 EPÜ prima facie überwindet. Es stellt sich auch die Frage, ob durch das neue Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ein anderer Stand der Technik für eine vollständige Prüfung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden müsste. All diese Fragen konnten im erstinstanzlichen Verfahren auf Grund des Nichtvorliegens eines entsprechenden Antrags nicht erörtert werden. Eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung, die als mögliche Konsequenz dieser Situation denkbar wäre, entspräche zu einem so späten Zeitpunkt nicht der in Artikel 13(1) VOBK angesprochenen Verfahrensökonomie.
24. Aus allen diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass der neue erste Hilfsantrag nicht in das Verfahren zugelassen werden kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.