T 1128/18 25-02-2021
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Visualisierungseinrichtung
Deere & Company
CNH Industrial Belgium nv
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Lösung
Beschwerdeerwiderung - unvollständiger Sachvortrag
Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Einsprechenden 1 und 2 richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer die vorläufige Ansicht geäußert, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag neu sei, aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
III. Am 25. Februar 2021 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung aller Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents im vollen Umfang.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung wie durch die Einspruchsabteilung aufrechterhalten. Hilfsweise beantragt sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge II bis VI, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 19. Dezember 2018.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Landwirtschaftliche Arbeitsmaschine mit einer Vorrichtung zur Visualisierung von Steuerungsabläufen der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine, wobei eine Vielzahl von Steuerungsabläufen (16.1-16.5) eine Steuersequenz (15) bilden und die Steuersequenz (15) frei programmierbar ist, und wobei die der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine zugeordnete Visualisierungseinrichtung zumindest eine von der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine zurückzulegende Fahrstrecke visualisiert,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Steuerungsabläufe (16) in graphischen Abbildungen (25) hinterlegt sind und die graphischen Abbildungen (25) entlang der zurückzulegenden Fahrstrecke (7) in der Reihenfolge ihrer Abarbeitung in der Visualisierungseinrichtung (21) angezeigt werden."
Anspruch 1 des Hilfsantrags II unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch,
"dass der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine (5) ein in der Visualisierungseinrichtung (21) zumindest teilweise visualisierter Routenplan (8) und zumindest ein Spurführungssystem (31) in der Weise zugeordnet sind, dass die landwirtschaftliche Arbeitsmaschine (5) selbsttätig den vordefinierten und in dem Routenplan (8) abgespeicherten Fahrtrouten (7) folgt, vorzugsweise, dass [sic]
dass der Routenplan auch die im Vorgewende zurückzulegende Fahrstrecke umfasst und das Spurführungssystem die landwirtschaftliche Arbeitsmaschine selbsttätig entlang dieser Fahrstrecke führt und die landwirtschaftliche Arbeitsmaschine selbsttätig die vorprogrammierte, die gewählten Steuerungsabläufe umfassende Steuersequenz abarbeitet."
Anspruch 1 des Hilfsantrags III unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch,
"dass die Position der visualisierten landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine 5, insbesondere mittels eines GPS-Systems, ermittelt und die zurückzulegende Fahrstrecke 7 aus einem vorprogrammierten Routenplan 8 entnommen wird."
Anspruch 1 des Hilfsantrags IV unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch,
"dass die zurückzulegende Fahrstrecke (7) von dem Wendeweg (26) einer landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine (5) im Vorgewende (13) eines zu bearbeitenden Territoriums (6) gebildet wird, wobei der Wendeweg (26) vorzugsweise einen aus dem zu bearbeitenden Territorium (6) herausführenden Fahrtroutenabschnitt (8a), einen Vorgewendeabschnitt (8b) und einen in das zu bearbeitende Territorium (6) hineinführenden Fahrtroutenabschnitt (8c) umfasst."
Anspruch 1 des Hilfsantrags V unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch,
"dass die landwirtschaftliche Arbeitsmaschine (5) ein Zugfahrzeug (2) mit zumindest einem adaptierten Arbeitsgerät (3, 4) oder eine landwirtschaftliche Erntemaschine mit Erntevorsatz umfasst und die die Steuersequenz (15) bildenden Steuerungsabläufe (16) das Verbringen des Arbeitsgerätes (3, 4) oder Erntevorsatzes in eine Nichtarbeitsposition (19) beim Ausfahren aus dem zu bearbeitenden Territorium (6) und das Verbringen des Arbeitsgerätes (3, 4) oder Erntevorsatzes in eine Arbeitsposition (20) beim Einfahren in das zu bearbeitende Territorium (6) bewirken."
Anspruch 1 des Hilfsantrags VI unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch,
"dass die freie Programmierbarkeit der Steuersequenz (15) von einem Bediener (14) durch Betätigung der den jeweiligen Steuerungsablauf (16) auslösenden Bedientasten (28) und/oder durch Editierung an der Visualisierungseinrichtung (21) bewirkt wird und dass die Visualisierungseinrichtung (21) einen Touchscreen-Monitor (24) umfasst, der ein Menüfeld (29) aufweist, in dem die die möglichen Steuerungsabläufe (16) repräsentierenden Ikons (27) abgelegt sind, wobei die Programmierung der Steuersequenz (15) durch Ziehen (30) des jeweiligen Ikons (27) in die visualisierte zurückzulegende Fahrstrecke (7) erfolgt."
VI. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D11: DE 197 06 614 A1
D13: EP 1 873 602 A1
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1 und 2) lässt sich zu den entscheidungserheblichen Fragen wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des aufrechterhaltenen Anspruchs 1 beruhe ausgehend von D13 in Kombination mit D11 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich zu den entscheidungserheblichen Fragen wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des aufrechterhaltenen Anspruchs 1 erfülle die Erfordernisse des EPÜ hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit im Lichte des angezogenen Stands der Technik.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Das Patent betrifft Visualisierungseinrichtungen in landwirtschaftlichen Arbeitsmaschinen wie Traktoren, die eine Abfolge von Steuerungsabläufen in graphischen Symbolen darstellen, z.B. Anheben und Auskuppeln, Einkuppeln und Absenken von Arbeitswerkzeugen bei einem Wendemanöver.
Erfindungsgemäß sollen die graphischen Symbole entlang einer zurückzulegenden Fahrstrecke in der Reihenfolge ihrer Abarbeitung angezeigt werden, um so einen Bezug zwischen den abzuarbeitenden Steuerungsabläufen und der momentanen Position der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine für ihren Fahrer herzustellen (Aufgabe laut Absatz [0004] der Patentschrift).
3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
3.1 Die Visualisierungseinrichtung der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine nach D13 stellt in graphischen Abbildungen hinterlegte Steuerungsabläufe ("steps") einer frei programmierbaren Steuersequenz in der Reihenfolge ihrer Abarbeitung 22l dar, siehe Spalte 3, Zeilen 20 - 24, Fig. 2.
3.2 Gemäß D13 programmiert der Fahrer die Steuersequenz, indem er Steuerungsabläufe durchführt, die aufgezeichnet werden (Absatz [0013], Fig. 3). Die Beschwerdegegnerin bestreitet, dass eine solchermaßen erhältliche Steuersequenz "frei" programmierbar im Sinne des Anspruchs 1 ist.
Wie in Absatz [0014] des Streitpatents für eine "freie" Programmierung beschrieben, erfolgt die Programmierung in D13 ebenso "durch Betätigung der den jeweiligen Steuerungsablauf auslösenden Bedientasten", z.B. für "raising the hitch" oder "rotating the shears", siehe Absatz [0013]. Zudem entscheidet der Fahrer für jeden einzelnen Steuerungsablauf "frei", ob er als sog. impliziter Schritt aufgezeichnet werden soll, der später automatisch ausgeführt wird, oder aber als sog. expliziter Schritt, dessen spätere Ausführung von einer expliziten Freigabe des Fahrers abhängt, Absätze [0013], [0015] und [0016].
Deshalb erachtet die Kammer das etwas vage Anspruchsmerkmal der "freien" Programmierbarkeit in der Visualisierungseinrichtung der D13 als gegeben.
3.3 Eine zurückzulegende Fahrstrecke wird durch die Reihe von graphischen Abbildungen 221 in D13, Fig. 2, die Steuerungsabläufe repräsentieren, nicht im eigentlichen Sinne "dargestellt". In jedem Fall werden die graphischen Abbildungen der Steuerungsabläufe nicht entlang einer dargestellten Fahrstrecke angezeigt.
3.4 Ausgehend von diesen Unterschiedsmerkmalen und unter Rückgriff auf Absatz [0006] der Patentschrift definiert die Beschwerdegegnerin die zu lösende Aufgabe als Bereitstellung einer Visualisierungseinrichtung, die insbesondere einen unerfahrenen, nicht in die Steuerungsprozesse der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine "integrierten" Bediener besser über die ablaufenden Steuerungsprozesse informiert.
Da die ursprünglich in Absatz [0004] der Patentschrift angeführte Aufgabe bereits Lösungsanteile zu enthalten scheint (siehe oben Punkt 2), schließt sich die Kammer dieser Neudefinition an.
3.5 Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend argumentiert, ist in Fig. 3 der D13 keine auf einer Visualisierungseinrichtung wiedergegebene Darstellung von Steuerungsabläufen zu sehen, sondern sozusagen das "Modell" oder die Vorlage einer Reihe von Arbeitsschritten (steps involved in working a field), die abstrakt in Fig. 2 visualisiert werden. Um einen unerfahrenen Bediener besser über die ablaufenden Steuerungsprozesse zu informieren, liegt es nach Ansicht der Kammer auf der Hand, dieses Modell oder diese Vorlage der Fig. 3 besser, also realitätsnäher und aussagekräftiger für ihn zu visualisieren, indem mehr Inhalt des Modells bzw. mehr Information aus der Vorlage dargestellt werden. Da implizite und explizite Steuerungsabläufe bereits in Fig. 2 wiedergegeben werden, ist der einzig verbleibende Mehrwert an Informationsgehalt des Modells der Fig. 3, dass diese Steuerungsabläufe in Bezug zu einer zurückgelegten und später erneut zurückzulegenden Fahrstrecke stehen. Entlang der "wirklichen" Fahrstrecke werden sie an bestimmten Positionen automatisch ausgeführt (implicit steps) oder dem Bediener als Aufforderung zur Ausführung angezeigt (explicit steps).
3.6 In der Visualisierungseinrichtung der D11 findet der Fachmann eine geeignete Lösung zur Visualisierung dieses Mehrwerts an Informationsgehalt.
Zum einen wird in D11 entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin eine zurückzulegende Fahrstrecke angezeigt. Dies erfolgt z.B. in Gestalt der Darstellung
- der jeweils befahrenen Bahn eines Bearbeitungsplans mit mehreren in bestimmter Reihenfolge abzufahrenden Bearbeitungsbahnen (Spalte 2, Zeilen, 53 - 58),
- der neuen zu befahrenden Bearbeitungsbahn nach einem Wendemanöver (Spalte 3, Zeilen 45 - 55),
- des Straßenverlaufs oder Fahrwegs (Spalte 4, Zeilen 34 - 44),
- eines empfohlenen Fahrwegs (Anspruch 3).
Anders als die Beschwerdegegnerin kann die Kammer keinen Unterschied zwischen der Wiedergabe eines empfohlenen Fahrwegs und der einer zurückzulegenden Fahrstrecke erkennen. In beiden Fällen steht es einem Fahrer der landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine frei, der angezeigten Fahrstrecke zu folgen oder nicht.
Zum anderen werden in D11 entlang dieses Fahrwegs bereits betriebs- und fahrtechnische Angaben platziert (Spalte 6,. Zeilen 8 - 10) Zu diesen gehören von Hand einzustellende Betriebsdaten wie die Hubwerksposition (Spalte 2, Zeilen 28 - 33, 59 - 64), die also den expliziten Schritten der D13 entsprechen. Demnach würde der Fachmann zur Lösung der Aufgabe entweder lediglich die impliziten Schritte / Steuerungsabläufe der D13 oder ganze Steuersequenzen 221 der D13, Fig. 2 in der Darstellung der D11 in gleicher Weise wie die dort bereits vorhandenen expliziten Schritte derart ergänzen, dass sie ebenfalls entlang des Fahrwegs angezeigt werden. Auf diese Weise würde er unmittelbar zur beanspruchten Visualisierungseinrichtung gelangen.
3.7 Die Beschwerdegegnerin wendet ein, dies sei wegen des unterschiedlichen Charakters der Systeme von D13 und D11 nicht ohne weiteres möglich und deshalb nicht naheliegend.
Die Kammer sieht jedoch keine Inkompatibilität zwischen D13 und D11, die einen Fachmann davon abbringen würde, beide Lehren miteinander zu kombinieren.
Wie oben dargelegt, sind explizite Schritte wie in D13 nicht mit der Visualisierungseinrichtung der D11 unvereinbar, sondern im Gegenteil bereits dort implementiert.
Auch, dass die betriebstechnischen, also durchaus maschinenbezogenen Informationen gemäß D11 (Spalte 2, Zeilen 59 - 64) in einer Datenbank mit Bezug zu einer Geländekarte abgespeichert sind, stellt kein Hindernis für eine Kombination mit D13 dar. Die zu ergänzenden Steuerungsabläufe oder impliziten Schritte können in die Datenbank der D11 manuell eingepflegt werden, also auch in diesem Sinne "frei" einprogrammiert werden, aus Datensätzen der D13 als gesamte frei programmierte Steuersequenz übernommen oder wie in D13 beim erstmaligen Abfahren einer Fahrstrecke in der Datenbank der D11 aufgezeichnet werden. Dies wird durch Anspruch 8 der D11 sogar ausdrücklich angeregt.
Wie weiter z.B. aus Anspruch 9 der D11 hervorgeht, sind Zeit und Ort über die bei der Darstellung eines Kartenausschnitts berücksichtigte aktuelle Geschwindigkeit der Arbeitsmaschine gekoppelt, so dass es unerheblich ist, dass in D11 die betriebsspezifischen Daten ortsbezogen hinterlegt sind und in D13 zeitbezogen.
Da sich D11 bereits mit dem Vorgewende befasst und dabei bestrebt ist, für den Fahrer "eine Verbesserung der Orientierung" zu erreichen (Spalte 3, Zeilen 45 - 55), bietet sie sich für den Fachmann geradezu als Lösung für eine verbesserte Visualisierung der Steuerungsabläufe an, die während des Abfahrens des in Fig. 3 der D13 dargestellten Vorgewendes ablaufen.
3.8 Die Beschwerdegegnerin wendet ferner ein, dass D11 keine routenbezogene Programmierung offenbare, und die betriebstechnischen Informationen nicht an ihren exakten Positionen neben der Fahrstrecke angezeigt würden. Im übrigen fehle es der Visualisierungseinrichtung der D11 an der freien Programmierbarkeit und an graphischen Abbildungen für die betriebstechnischen Daten, die als Buchstabenkombination und Zahlen schwieriger für einen Bediener zu erfassen seien.
Im Gegensatz zur Beschwerdegegnerin kann die Kammer die erstgenannten weiteren Einschränkungen jedoch weder dem Wortlaut des unabhängigen Anspruchs entnehmen, noch den in diesem Zusammenhang zitierten Absätzen [0003], [0006], [0009], [0021] der Patentschrift, noch der Darstellung in Fig. 3 der Patentschrift. Diese scheint, wie beansprucht, eher symbolisch eine Reihenfolge von Steuerungsabläufen zu zeigen, die vor bzw. nach einer Feldgrenze 12 durchgeführt werden, als deren exakte Entfernung zu dieser Feldgrenze.
Da die Kammer die freie Programmierbarkeit bereits als in D13 offenbart ansieht, kommt es nicht mehr darauf an, dass D11 diesbezüglich keine genaueren Angaben zur Art und Weise der Programmierung ihrer Datenbank macht. Wie bereits oben unter Punkt 3.7 anhand von Beispielen erörtert, kann der Fachmann die freie Programmierbarkeit ohne weiteres bei der Visualisierungseinrichtung der D11 beibehalten.
Was die beanspruchten graphischen Abbildungen betrifft, so werden diese bereits in Fig. 2 der D13 als Steuersequenz 221 gezeigt; aber auch die D11 regt bereits eine solche Darstellung an, indem sie zur Kennzeichnung von verschiedenen Informationsgehalten im Bild die Verwendung von "Piktogrammen" vorschlägt (Spalte 3, Zeilen 9 -13, Spalte 4, Zeilen 3 - 9).
3.9 Da der Fachmann somit zur Lösung der objektiven Aufgabe in naheliegender Weise die Lehren der D13 und der D11 kombinieren und so unmittelbar den Gegenstand des Anspruchs 1 erhalten würde, beruht dieser nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
4. Zulassung der Hilfsanträge
4.1 Die Beschwerdegegnerin hat mit ihrer Beschwerdeerwiderung sechs Hilfsanträge eingereicht, die noch nicht im Einspruchverfahren vorgelegt worden waren, und von denen sie Hilfsantrag I während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurückgezogen hat.
4.2 Unter Punkt IV ihrer Beschwerdeerwiderung wird zu den Hilfsanträgen lediglich ausgeführt, sie sollten "verschiedene Aspekte der Erfindung klarstellen", gefolgt von einer knappen Angabe einer Offenbarungsgrundlage für jeden Hilfsantrag.
Aus welchen Gründen und auf welche Weise die jeweils dem unabhängigen Anspruch hinzugefügten Merkmale die von den Beschwerdeführerinnen erhobenen Einspruchsgründe unter Artikel 100a) EPÜ ausräumen sollen, ist dort nicht dargelegt. Insbesondere auf den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ist die Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung nicht dadurch eingegangen, dass sie die technischen Wirkungen der hinzugefügten Merkmale, die mit ihrer Hilfe gelösten Aufgaben und ihre fehlende Offenbarung im zitierten Stand der Technik aufgezeigt hätte. Dies, obwohl D11 und D13 offensichtlich zumindest einige entsprechende Merkmale offenbaren, worauf die Beschwerdeführerinnen hinweisen, und die Hilfsanträge bis auf IV und V in der Tat alle um völlig "verschiedene Aspekte" ergänzt wurden.
Die Kammer betrachtet den in der Beschwerdeerwiderung zu den Hilfsanträgen enthaltenen Sachvortrag der Beschwerdegegnerin deshalb nicht als vollständig im Sinne von Artikel 12(2) VOBK 2007.
4.3 Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin wird dieser Mangel nicht dadurch geheilt oder ausgeglichen, dass sich die Beschwerdeführerinnen im schriftlichen Verfahren ebenso wenig zu den Hilfsanträgen geäußert haben, so dass sie die Hilfsanträge nicht habe verteidigen können und im Gegenteil habe annehmen dürfen, diese seien gewährbar.
Nach Ansicht der Kammer bringt der Artikel 12(2) VOBK 2007 bzw der fast gleichlautenden Artikel 12(3) VOBK 2020 zum Ausdruck, dass im Beschwerdeverfahren grundsätzlich jede Partei die von ihr gestellten Anträge frühzeitig und vollständig zu begründen hat, sei es mit Beschwerdebegründung oder mit Erwiderung, um ein faires Verfahren sicherzustellen und gegebenenfalls den anderen Parteien und der Kammer eine zielgerichtete Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung zu ermöglichen (siehe auch RSBK 2019, V.A.4.12.5).
4.4 Weil die Hilfsanträge II bis VI somit die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 nicht erfüllen, hat sie die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zugelassen.
5. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden 1 und 2) erfolgreich gegen die in der Einspruchsentscheidung hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit getroffenen Feststellungen. Da unter Berücksichtigung der von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im Einspruchsverfahren gemäß Hauptantrag vorgenommenen Änderungen das Streitpatent und die Erfindung, die zum Gegenstand hat, dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit unter Artikel 56 EPÜ nicht genügen, ist es zu widerrufen, Artikel 101(3)b) i.V.m. Artikel 111 EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.