T 1450/19 29-07-2021
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PHOSPHORHALTIGE FORMSTOFFMISCHUNG ZUR HERSTELLUNG VON GIESSFORMEN FÜR DIE METALLVERARBEITUNG
Steinhäuser, Thomas
Ehemalige Einsprechende:
Hüttenes-Albertus
Chemische-Werke GmbH
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Grundlage des Verfahrens - Niederschrift über mündliche Verhandlung vor Organ erster Instanz
Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP-B1-2 097 192 (im Folgenden: das Patent) betrifft eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung und ein Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung unter Verwendung der Formstoffmischung, sowie eine mit dem Verfahren erhaltene Gießform und deren Verwendung für den Metallguss.
Zwei Einsprüche wurden eingereicht, die sich gegen das Patent im gesamten Umfang richteten und sich auf die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ, mangelnder Offenbarung gemäß Artikel 100 b) EPÜ und unzulässiger Erweiterung gemäß Artikel 100 c) EPÜ stützten.
II. Die Einspruchsabteilung war zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 des damaligen Hauptantrags und der damaligen Hilfsanträge 1 bis 9 nicht erfinderisch sei. Das Streitpatent wurde widerrufen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
IV. Die Einsprechende 1 hat mit dem Schreiben vom 5. Dezember 2019 ihren Einspruch zurückgenommen, so dass sie keine Verfahrensbeteiligte mehr gemäß Artikel 107 EPÜ ist.
Der Einsprechende 2 hat schriftlich kein Vorbringen eingereicht.
V. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung vom 11. Dezember 2020 gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 29. Juli 2021 statt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
VII. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in eingeschränkter Fassung auf der Basis des Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag 2 mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.
Der Einsprechende 2 (im Folgenden: der Beschwerdegegner) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Ansprüche
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag entspricht Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 8 (in den Gründen der angefochtenen Entscheidung, Punkte II.8.1.8 und II.8.1.9 sowie II.8.2.2 und II.8.2.3 irrtümlich als Hilfsantrag 7 bezeichnet), der mit dem Schreiben vom 29. November 2018 im Einspruchsverfahren eingereicht wurde und der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag und lautet wie folgt:
"Verwendung einer Gießform für den Leichtmetallguss erhalten nach einem Verfahren umfassend die Schritte:
- Herstellen einer Formstoffmischung;
- Formen der Formstoffmischung;
- Aushärten der geformten Formstoffmischung, indem
die geformte Formstoffmischung erwärmt wird, wobei eine ausgehärtete Gießform erhalten wird, wobei die Formstoffmischung mindestens umfasst:
- einen feuerfesten Formgrundstoff;
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
- ein Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids, welches synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
wobei der Formstoffmischung ein Anteil einer phosphorhaltigen Verbindung zugesetzt ist, und der Anteil der phosphorhaltigen Verbindung, bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff, zwischen 0,05 und 0,5 Gew.-% gewählt ist, und die phosphorhaltige Verbindung ein Natrium-Metaphosphat oder ein Natrium-Polyphosphat ist."
IX. In der vorliegenden Entscheidung werden die folgenden Dokumente aus dem Einspruchsverfahren genannt:
D15: DE 10 2004 042 535 A1;
D30: EP 0 796 681 A2; und
Anlage 4: Erklärung von Herrn Lukas Mirko Reinold vom
16. Mai 2017, 5 Seiten.
X. Das für diese Entscheidung relevante schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Erfinderische Tätigkeit
Die Begründung der Einspruchsabteilung in Bezug auf mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von D15 basiere auf dem Versuch E1 der Anlage 4. Dieser Versuch falle jedoch nicht unter die Ansprüche des Hauptantrags. Deshalb seien die darauf basierte Argumentation und die entsprechende Schlussfolgerung der angefochtenen Entscheidung nicht korrekt.
D30 stelle auf den Eisenguss ab. Das Dokument könne somit nicht den nächstliegenden Stand der Technik für Anspruch 1 des Hauptantrags darstellen, da Anspruch 1 auf die Verwendung einer Gießform für den Leichtmetallguss gerichtet sei.
Angepasste Beschreibung
Absatz 19 entspreche der subjektiven Aufgabe des Patents und stehe somit nicht im Widerspruch zum Anspruchssatz des Hauptantrags.
XI. Das für diese Entscheidung relevante mündliche Vorbringen des Beschwerdegegners lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Erfinderische Tätigkeit
Die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung liege gemäß Artikel 12 (1) a) VOBK 2020 dem Beschwerdeverfahren zugrunde. Die dort angegebenen Argumente seien somit nicht als verspätet zu betrachten und Artikel 13 (2) VOBK 2020 sei diesbezüglich nicht anzuwenden.
Es sei der Offenbarung der D30 zu entnehmen, dass die daraus bekannte Gießform für deren Verwendung für den Leichtmetallguss geeignet sei. Daher könne D30 den nächstliegenden Stand der Technik für Anspruch 1 des Hauptantrags darstellen.
Angepasste Beschreibung
Die in Absatz 19 angegebene Aufgabe sei es, eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für den Leichtmetallguss zur Verfügung zu stellen. Dies stehe in Widerspruch zu Anspruch 1 des Hauptantrags, weil dessen Gegenstand keine Formstoffmischung betreffe, sondern die Verwendung einer Gießform. Absatz 19 sei somit nicht korrekt an den Anspruchssatz des Hauptantrags angepasst.
Entscheidungsgründe
1. Erfinderische Tätigkeit
Laut der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.8.1.8, beruht die Verwendung einer Gießform für den Leichtmetallguss gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags auf keiner erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D15 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre der D30. Dagegen könne D30 keinen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik für die beanspruchte Verwendung darstellen, siehe Punkt II.8.2.3 der Entscheidung.
1.1 Ausgehend von D15
1.1.1 Wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, fällt der Versuch E1 der Anlage 4 nicht unter die Ansprüche des Hauptantrags. Die phosphorartige Verbindung des Versuchs E1 ist kein Natrium-Metaphosphat oder Natrium-Polyphosphat wie beansprucht, sondern Kalium- Polyphosphat, siehe Tabelle 1 der Anlage 4, Punkt d). Deshalb ist die auf diesem Versuch aufbauende Begründung der Einspruchsabteilung, die Formulierung der zu lösenden Aufgabe ausgehend von D15 als die Bereitstellung eines alternativen Bindemittels für Formstoffmischungen mit Wasserglasbinder zu formulieren, nicht schlüssig (siehe diesbezüglich die angefochtene Entscheidung, Punkt II.8.1.1, insbesondere Seite 15).
Schon aus diesem Grund sind die Argumentation und die entsprechende Schlussfolgerung der angefochtenen Entscheidung, Punkte II.8.1.1 und II.8.1.8, zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von D15 nicht überzeugend.
Dies entspricht auch der vorläufigen Auffassung der Kammer, wie sie den Beteiligten mit dem Ladungsbescheid mitgeteilt wurde, siehe dort Punkt 10.2.
Der Beschwerdegegner hat weder schriftlich noch mündlich während der mündlichen Verhandlung Gegenargumente eingereicht bzw. vorgetragen.
Die Kammer bestätigt nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage ihre vorläufige Auffassung.
Es wurden somit keine überzeugenden Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D15 erhoben.
1.2 D30 - Eignung als nächstliegender Stand der Technik
1.2.1 Der Beschwerdegegner hat zwar schriftlich keine Argumente gegen die in der angefochtenen Entscheidung angegebene Begründung eingereicht, nach welcher D30 keinen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik für den Verwendungsanspruch 1 gemäß Hauptantrag darstellen könne, siehe Punkt II.8.2.3 der Entscheidung.
Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat er aber auf seinen Vortrag, wie er sich aus Seite 6, letzter Absatz der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ergibt, verwiesen.
Die dort protokollierten vom Beschwerdegegner vorgetragenen Argumente sind, obwohl nicht eigens im Beschwerdeverfahren schriftlich, sondern erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, nicht als verspätet und damit auch nicht als erst nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 zuzulassen anzusehen. Vielmehr sind sie bereits ohne weiteres Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, weil die Niederschrift über mündliche Verhandlungen vor dem Organ, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, gemäß Artikel 12 (1) a) VOBK 2020 und damit von Gesetzes wegen dem Beschwerdeverfahren zugrunde liegt. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht in Zweifel gezogen.
1.2.2 Der Beschwerdegegner verweist gemäß der dortigen Argumentation in der Niederschrift auf Tabelle 10 und Seite 19 der D30 und die dort offenbarte Temperatur von 500°C, die für die Ermittlung der Enthärtung ("softening") des Binders verwendet wurde. Diese Temperatur sei ein Hinweis darauf, dass die Form für das Gießen von Leichtmetallen wie z.B. Aluminium vorgesehen sei. Daraus ergebe sich, dass die Formstoffmischung der D30 sowohl für Eisen- als auch für Leichtmetallguss wie z.B. Aluminiumguss geeignet sei, siehe diesbezüglich auch die Offenbarung der D30 auf Seite 5, Zeilen 33-38, in der Aluminiumguss explizit offenbart sei. Deshalb könne D30 den nächstliegenden Stand der Technik für die beanspruchte Verwendung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags darstellen.
1.2.3 Dieser Meinung schließt sich die Kammer aus den folgenden Gründen, die während der mündlichen Verhandlung diskutiert wurden, nicht an.
Tabelle 10 und Seite 19 der D30 offenbaren weder explizit noch implizit, dass die Versuche hinsichtlich der Enthärtung des Binders, Gießformen für den Leichtmetallguss betreffen. Wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, spielt die dort offenbarte Temperatur von 500°C durchaus eine Rolle bei der Verwendung einer Gießform für den Eisenguss. Bei einem Abstand von einigen Millimetern von der Oberfläche der Gießform, die in Kontakt mit dem flüssigen Eisenguss kommt, muss die Gießform gerade einer Temperatur in diesem Bereich widerstehen können. Das Argument des Beschwerdegegners, dass die Offenbarung von Tabelle 10 und Seite 19 der D30 ein Hinweis für den Fachmann darstelle, dass die Formstoffmischung der D30 für die Verwendung der Gießform für den Leichtmetallguss geeignet sei, stellt somit eine bloße Behauptung dar.
Dies gilt auch für die Offenbarung auf Seite 5, Zeilen 33-38 der D30, selbst wenn "Aluminium" dort explizit erwähnt ist. Die Kammer ist nicht überzeugt, dass diese Offenbarung die spezifisch offenbarten Gießformen der D30 betrifft. Sie ist in der Tat sehr allgemein und umfasst eine lange Liste von allen möglichen zu gießenden Metallen, wie Gusseisen, Messing, Bronze, Aluminium und anderen Legierungen und Metallen in Bezug auf Sandformen im Allgemeinen ("A preferred mold, core, or mandrel for shaping products for foundry applications, for casting products of, for instance, cast iron, brass, bronze, aluminum and other alloys and metals is produced from any of the sands identified above. Sand molds, cores, and mandrels are well known to those of ordinary skill in the art."). Ein Bezug zu den Formstoffmischungen, welche den beanspruchten Gehalt an Na-Metaphosphat oder Na-Polyphosphat aufweisen, fehlt völlig.
Dagegen stellt die Offenbarung auf den Seiten 15-16 der D30 spezifisch auf Eisenguss ab. Dort wird der Zerfall ("shakeout") der in D30 offenbarten Gießform nach Einwirkung der Gießtemperaturen bewertet. Diese Eigenschaft betrifft die auf Seite 3, Zeilen 39-41, angegebene Aufgabe, den Zerfall der Gießform zu optimieren. Die Versuche auf Seiten 15-16 werden bei einer Temperatur von 925°C durchgeführt und zeigen, dass bei dieser Temperatur der Zerfall der Gießform mit dem in D30 offenbarten Binder verbessert wird. Eine derart hohe Temperatur vermittelt dem Fachmann unmittelbar und eindeutig die Lehre, dass Leichtmetalle wie z.B. Aluminium-Legierungen hier nicht gemeint sein können. D30, Seite 16, letzter Satz, offenbart außerdem explizit die Eignung der Gießform für den Eisenguss ("ferrous castings"). Es ist somit D30 nicht zu entnehmen, dass die offenbarte Gießform, insbesondere die aus einer Formstoffmischung mit dem beanspruchten Phosphatgehalt, für die Verwendung für den Leichtmetallguss geeignet ist.
Aus den oben angegebenen Gründen vermag die Kammer in der Begründung und der entsprechenden Schlussfolgerung der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.8.2, keinen Fehler zu sehen, wonach D30 auf Eisenguss abstellt und somit nicht den nächstliegenden Stand der Technik für Anspruch 1 des Hauptantrags darstellen kann.
1.3 Die erhobenen Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den Hauptantrag überzeugen daher nicht.
2. Angepasste Beschreibung
2.1 Der Beschwerdegegner bestreitet, dass Absatz 19 der Beschreibung korrekt an den Anspruchssatz gemäß Hauptantrag angepasst sei. Die dort angegebene Aufgabe könne nicht darin gesehen werden, eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für den Leichtmetallguss zur Verfügung zu stellen, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 gerade keine Formstoffmischung betreffe, sondern vielmehr die Verwendung einer Gießform.
2.2 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Absatz 19 hat nicht die Aufgabe, den Wortlaut des Anspruchs 1 des Hauptantrags oder die objektive zu lösende Aufgabe wiederzugeben, sondern betrifft lediglich die ursprünglich der Erfindung zu Grunde liegende Aufgabe. Der beanspruchte Gegenstand wird im anschließenden Absatz 20 klar dargestellt. Die Kammer vermag somit keinen Widerspruch zum Anspruchssatz gemäß Hauptantrag zu sehen.
Daher ist der Anspruchssatz diesbezüglich durch die Beschreibung gestützt, wie es Artikel 84 EPÜ verlangt.
3. Weitere in der angefochtenen Entscheidung enthaltende Punkte
Die in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Argumentationen und entsprechenden positiven Schlussfolgerungen in Bezug auf die Erfüllung der Erfordernisse der Artikel 54, 83, 84, 123(2) und 123(3) EPÜ und Regel 80 EPÜ wurden im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen. Sie stellen somit keine Streitpunkte des Beschwerdeverfahrens dar. Da die Kammer keinen Grund zu sehen vermag, sie anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beurteilen, erübrigt es sich, sie in der vorliegenden Entscheidung zu erörtern.
4. Die Beschwerde hat mithin im Umfang des Tenors Erfolg.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 8 gemäß Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag 2 mit der Beschwerdebegründung,
- Beschreibung, Absätze 1 bis 101, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer um 14:19 mit Zeitvermerk "14:14",
- Zeichnungen: Figuren wie erteilt.