T 0057/82 (Copolykarbonate) 29-04-1982
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Sachverhalt und Anträge
I. Die am 9. September 1980 eingegangene und am 1. April 1981 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 80 105 385.1 mit der Veröffentlichungsnummer 0025937, für welche die Priorität der deutschen Voranmeldung vom 22. September 1979 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 28. Januar 1982 auf der Grundlage der ursprünglichen 6 Patentansprüche zurückgewiesen.
II. Die Zurückweisung wird mit mangelnder Einheitlichkeit der Erfindung begründet. Nach Auffassung der Patentabteilung enthielten zwar die auf Copolykarbonate (Anspruch 1), deren Herstellung (Ansprüche 2 und 3) sowie auf Gemische mit solchen Copolykarbonaten (Ansprüche 5 und 6) gerichteten Patentansprüche eine einzige erfinderische Idee, jedoch basiere der Bis-halogenkohlensäureester betreffende Anspruch 4 auf einer zweiten erfinderischen Idee. Wenngleich alternativ in den Bis-halogenkohlensäureestern nach Anspruch 4 und deren Verwendung in den Polykondensationsverfahren nach den Ansprüchen 2 und 3 eine einzige erfinderische Idee gesehen werden könne, so seien doch die Gegenstände der Ansprüche 1, 5 und 6 durch eine zweite erfinderische Idee miteinander verbunden, so daß für die Anmeldung insgesamt der Einwand der Nichteinheitlichkeit nach Artikel 82 EPÜ zu erheben sei. Das Argument der Anmelderin, daß ohne die Offenbarung der Bis-halogenkohlensäureester die Ausführbarkeit der Erfindung nicht gegeben sei, betreffe die Offenbarung der Erfindung, nicht jedoch die Frage der Einheitlichkeit.
III. Am 1. März 1982 hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 24. Februar 1982 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig im wesentlichen wie folgt begründet: Weder die Praktikabilität des Recherche- und Prüfungsverfahrens, noch der Gesetzestext und die einschlägigen Richtlinien sprächen gegen die Einheitlichkeit einer Erfindung, die neue Produkte mit wertvollen anwendungstechnischen Eigenschaften sowie Verfahren zu deren Herstellung einerseits und neue Vorprodukte, die bei deren Herstellung Anwendung fänden, andererseits enthielten. Es sei anerkannte Rechtsmeinung, daß ein chemisches Verfahren durch Ausgangsstoffe, Verfahrensweise und Endstoffe gekennzeichnet sei. Damit gehörten die Ausgangsstoffe notwendigerweise zur Erfindung, unabhängig, ob diese neu oder bekannt seien. Seien die Ausgangsstoffe neu, so könne auf diese zusätzlich ein Anspruch gerichtet werden, weil diese durch die Weiterverarbeitung zu den Endprodukten im Sinne von Artikel 82 EPÜ zu einer einzigen Erfindung verbunden seien.
Die Beschwerdeführerin hat am 29. April 1982 neue Patentansprüche überreicht. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das nachgesuchte Patent zu erteilen. Die geltenden Patentansprüche lauten:
"1. Hochmolekulare, thermoplastische, heterocyclisch-aromatische Copolycarbonate, die
a) 95-50 Mol, bezogen auf Gesamtmenge an Carbonatstruktureinheiten im Polycarbonatmolekül, Carbonatstruktureinheiten der Formel IV
(FORMEL)
worin -O-A-O- die Reste der eingesetzten Diphenole sind, und
b) 5-50 Mol, bezogen auf Gesamtmenge an Carbonatstruktureinheiten im Polycarbonatmolekül, Carbonatstruktureinheiten aus Hexahydro-furo-(3,2-b)-furan-3.6-diolen gemäß Formel I
(FORMEL)
enthalten.
2. Verfahren zur Herstellung der Copolycarbonate des Anspruchs 1, dadurch gekennzeichnet, daß man 5 bis 50 Mol-, bezogen auf Gesamtmolmenge aus Diphenolen und Bishalogenkohlensäureestern der Diole II,
(FORMEL)
Diole der Formel II in Form ihrer Bishalogenkohlensäureester mit 50-95 Mol-, bezogen auf Gesamtmolmenge aus Diphenolen und Bishalogenkohlensäureestern der Diole II, an Diphenolen, gegebenenfalls in Gegenwart von Kettenabbrechern und gegebenenfalls unter Mitverwendung von Phosgen oder COBr2 bei Temperaturen zwischen etwa 0°C und 80°C nach dem Phasengrenzflächenverfahren umsetzt.
3. Verfahren zur Herstellung der Copolycarbonate des Anspruchs 1, dadurch gekennzeichnet, daß man 5 bis 50 Mol-, bezogen auf Gesamtmolmenge aus Diphenolen und Bishalogenkohlensäureestern der Diole II,
(FORMEL)
Diole der Formel II in Form ihrer Bishalogenkohlensäureester mit 50-95 Mol-, bezogen auf Gesamtmolmenge aus Diphenolen und Bishalogenkohlensäureestern der Diole II, an Diphenolen, gegebenenfalls in Gegenwart von Kettenabbrechern und gegebenenfalls unter Mitverwendung von Phosgen oder COBr2 bei Tamperaturen zwischen etwa -10° und +120° in homogener Lösung unter Zusatz von mindestens äquivalenten Mengen an tertiären organischen Basen umsetzt.
4. Bishalogenkohlensäureester von Hexahydro-furo-(3.2-b)-furan-3.6-diolen der Formel V,
(FORMEL)
worin R Cl oder Br ist.
5. Abmischungen aus Copolycarbonaten des Anspruchs 1 mit anderen Thermoplasten.
6. Abmischungen aus Copolycarbonaten des Anspruchs 1 mit anderen Polycarbonaten."
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die geltende Anspruchsfassung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden, weil sie in den ursprünglichen Unterlagen ihre ausreichende Stütze findet (vgl. Ansprüche 1 bis 6 in Verbindung mit Seite 1 Absatz 1, Seite 3 Absatz 2, Seite 5 Absatz 2, Seite 8 Absatz 3 und Seite 12 Zeile 23 bis Seite 13 Zeile 1).
3. Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Entscheidung die Zusammengehörigkeit der Zwischenprodukte und deren Verwendung in Polykondensationsverfahren anerkannt (Ansprüche 2 bis 4); sie hat daher offensichtlich Regel 30 a, die der Auslegung von Artikel 82 EPÜ dient, so aufgefaßt, daß unter "Verwendung eines Erzeugnisses" auch dessen Weiterverarbeitung auf chemischem Wege zu verstehen ist. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden. Sie hat alternativ auch die Endprodukte einschließlich deren Abmischungen und die zu diesen Endprodukten führenden chemischen Herstellungsverfahren zutreffend als einheitlich beurteilt (Ansprüche 1 bis 3, 5 und 6). Sie hat jedoch diese beiden Gruppen von Gegenständen als separate Erfindungen angesehen. Dieser Beurteilung kann sich die Kammer nicht anschließen.
4. Artikel 82 EPÜ, auf den sich die Prüfungsabteilung bei ihrer Zurückweisung beruft, bestimmt, daß eine europäische Patentanmeldung nur eine einzige Erfindung oder eine Gruppe von Erfindungen enthalten darf, die untereinander in der Weise verbunden sind, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Zwischenprodukte nach Anspruch 4 werden nicht um ihrer selbst willen, sondern im Hinblick auf ihre Eigenschaft bereitgestellt, wertvolle neue Endprodukte nach Anspruch 1 bzw. deren Gemische nach den Ansprüchen 5 und 6 mittels der Verfahrensweise nach den Ansprüchen 2 und 3 zu liefern. Die Tatsache, daß die Zwischenprodukte notwendige Reaktionskomponenten zur Bereitung der Endprodukte darstellen, berührt nicht nur - wie die Prüfungsstelle meint - die Ausführbarkeit der Erfindung, sie schafft vielmehr auch die Grundlage für die Beurteilung der Einheitlichkeit der komplexen Zwischenprodukt - Endprodukt-Erfindung. Nach Überzeugung der Kammer darf die Zweckbestimmung der neuen Zwischenprodukte als Einbaukomponente für Polykarbonate für die Bewertung des Einheitlichkeitskriteriums nicht außer Betracht bleiben. Die Zwischenprodukte und deren chemische Weiterverarbeitung zu den Endprodukten sowie die Endprodukte selbst nebst deren Abmischungen sind keine heterogenen Gegenstände, sondern stehen miteinander in technologischem Zusammenhang und sind durch die Zielsetzung auf die Endprodukte zu einem einzigen Gesamtkonzept zusammengeschlossen. Dies rechtfertigt die gemeinsame Behandlung ihrer Teilkonzepte im Rahmen einer europäischen Patentanmeldung.
5. Der Umstand, daß im vorliegenden Fall die Verbindungen nach Anspruch 4 in der Tat Ausgangsstoffe für die Verfahrensweise nach den Ansprüchen 2 und 3 darstellen, ändert nichts an deren patentrechtlichen Beurteilung als "Zwischenprodukte". Sie sind ihrerseits Erzeugnisse eines in der Patentanmeldung offenbarten Herstellungsverfahrens (vgl. die Beschreibung Seite 13 ab Zeile 9 bis Seite 14 Zeile 7 und die Beispiele 1 und 2). Es kommt dabei nicht darauf an, ob diese Vorstufe eigens beansprucht oder - wie hier - nicht beansprucht ist.
6. Die Möglichkeit, daß in einer europäischen Patentanmeldung Zwischen- und Endprodukte sowie die Herstellung der Endprodukte nebeneinander beansprucht werden können, ist zwar in der zur Auslegung von Artikel 82 EPÜ bestimmten Regel 30 nicht ausdrücklich vorgesehen; jedoch handelt es sich bei den unter a, b und c aufgeführten Fallgestaltungen um keine erschöpfende Aufzählung von Beispielen einheitlicher Erfindungen, wie die Formulierung "insbesondere" (in particular, notamment) zeigt.
7. Nach alledem tragen die Zurückweisungsgründe die angefochtene Entscheidung nicht. Indes ist die Erteilung des nachgesuchten Patents derzeit nicht möglich, weil bisher weder eine vollständige Recherche durchgeführt (vgl. den Recherchenbericht), noch eine Bewertung der Zwischenprodukte auf die Patentierungsvoraussetzungen hin erstinstanzlich vorgenommen wurde.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 28. Januar 1982 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zur weiteren Sachprüfung auf der Grundlage der unter III zitierten Patentansprüche zurückverwiesen.