T 0543/92 (Unberücksichtigte Anspruchsänderung/) 13-06-1994
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Verfahren zur Präadhärisierung von Polyester-Fäden
01) Akzo Faser AG
02) Hoechst AG
Nichtberücksichtigung geänderter Ansprüche, Rückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr, Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Amendments - ignored by Department of first instance
Reimbursement of fees for reestablishment
Reimbursement of appeal fee
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin, Rhône-Poulenc VISCOSUISSE SA, ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 139 667, betreffend ein Verfahren zur Präadhärisierung von Polyester-Fäden. Gegen das erteilte Patent legten die Enka AG, nunmehr infolge Namensänderung Akzo Faser AG (E1) und die Hoechst AG (E2) Einspruch ein und beantragten, das Patent mangels erfinderischer Tätigkeit in vollem Umfang zu widerrufen. Die Patentinhaberin widersprach dem Vorbringen der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 5. März 1990 und beantragte, die Einsprüche zurückzuweisen. Die Einsprechenden hielten mit Stellungnahmen vom 21. und 23. Mai 1990 ihre Einwände aufrecht. Die Patentinhaberin erwiderte hierauf nochmals mit Schriftsatz vom 13. Juli 1990.
II. Mit Bescheid gemäß Artikel 101 (2) und Regel 58 (1) bis (4) EPÜ vom 28. September 1990 benannte die Einspruchsabteilung den aus ihrer Sicht nächstliegenden Stand der Technik und teilte der Patentinhaberin mit, daß die von ihr beschriebenen Merkmale des Zeitpunkts der Praadhärisierung und der Länge der behandelten Fasern im strittigen Anspruch 1 nicht enthalten seien und daß diese, wenn die Patentinhaberin sie als wesentlich ansehe, in geeigneter Weise in den unabhängigen Anspruch 1 des Streitpatents aufgenommen werden sollten; die Einfügung des Wortes "unmittelbar" würde den von der E1 geltend gemachten Einwand nicht ausräumen. Der Bescheid führt abschließend aus, daß derzeit eine erfinderische Tätigkeit für den Gegenstand des Streitpatents nicht erkennbar sei. Der Patentinhaberin wurde eine Frist von vier Monaten zur Stellungnahme eingeräumt.
III. Die Patentinhaberin nahm fristgemäß mit Schriftsatz vom 21. Januar 1991 Stellung und beantragte die Aufrechterhaltung des Patents mit geänderten Ansprüchen sowie hilfsweise mündliche Verhandlung. Der Schriftsatz mit Hauptantrag und drei Hilfsanträgen sowie weiteren Anlagen ging am 24. Januar 1991 beim Europäischen Patentamt ein, wurde aber nicht zu den Vorgängen des Einspruchsverfahrens genommen, sondern in der Prüfungsakte abgeheftet (Bl. 138 bis 173).
IV. Mit Entscheidung vom 23. April 1992 widerrief die Einspruchsabteilung das Streitpatent gemäß Artikel 102 (1) EPÜ mangels erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des unabhängigen Anspruchs 1. Sie ging dabei unzutreffend davon aus, daß auf ihren Bescheid vom 28. September 1990 trotz Fristsetzung keine Stellungnahme der Patentinhaberin eingegangen sei und legte deshalb ihrer Prüfung die Ansprüche in der Fassung des erteilten Patents zugrunde (Ziffer 8 des festgestellten Sachverhalts sowie Anlage der Entscheidung).
V. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 23. April 1992 hat die Patentinhaberin am 1. Juni 1992 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, daß die vermißte Stellungnahme fristgerecht erfolgt sei; sie sei am 21. Januar 1991 per Einschreiben beim Postamt in Emmenbrücke (CH) aufgegeben worden.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
1. die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 23. April 1992 aufzuheben und das Verfahren zur Fortsetzung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen;
2. hilfweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand;
3. Wiedereinsetzungsgebühr und Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.
VI. Die Beschwerdegegnerinnen haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig; sie entspricht den Anforderungen der Artikel 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Einspruchsabteilung ist in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin habe den Bescheid vom 28. September 1990 trotz Fristsetzung unbeantwortet gelassen. Ausweislich des Inhalts der Prüfungsakte hat die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren fristgemäß mit Schriftsatz vom 21. Januar 1991 Stellung genommen und die Aufrechterhaltung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen beantragt. Der Schriftsatz wurde zu den Erteilungsakten genommen und blieb vermutlich deshalb bei der Entscheidung über den Einspruch unberücksichtigt.
Infolgedessen ist die Einspruchsabteilung bei der Prüfung nach Artikel 102 (1) EPÜ, ob Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen, von einer Fassung des Patents ausgegangen, die nicht der von der Patentinhaberin gebilligten Fassung entsprach (Verstoß gegen Artikel 113 (2) EPÜ).
Die angefochtene Entscheidung muß auch deswegen aufgehoben werden, weil der Hilfsantrag der Patentinhaberin, vor einer Entscheidung im Einspruchsverfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen, unberücksichtigt geblieben ist (Verstoß gegen Artikel 116 (1) EPÜ). Auch wenn eine mündliche Verhandlung nur hilfsweise beantragt wird, darf eine den Antragsteller beschwerende Entscheidung im Einspruchsverfahren nur nach mündlicher Verhandlung ergehen (vgl. Entscheidung vom 11. August 1988 im Beschwerdeverfahren T 0093/88, Ziffer 2 der Gründe, unter Hinweis auf T 0019/87, ABl. EPA 1988, 268).
Einer restlosen Aufklärung, aus welchen Gründen der Schriftsatz des Beschwerdeführers unberücksichtigt geblieben ist, bedarf es nicht. Fest steht, daß die fragliche Stellungnahme rechtzeitig beim Europäischen Patentamt eingegangen ist; für die weitere ordnungsgemäße Behandlung lag die Verantwortlichkeit bei den zuständigen Stellen des Amtes.
3. Die Kammer verweist die Angelegenheit entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück, da eine patentrechtliche Prüfung, ob das Streitpatent in der auf Anregung der Einspruchsabteilung geänderten Fassung aufrechterhalten werden kann, noch gar nicht stattgefunden hat. Es erscheint sachgerecht, der Einspruchsabteilung trotz der inzwischen eingetretenen Verfahrensverzögerung Gelegenheit zu geben, die patentrechtliche Überprüfung des Streitpatents unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Änderungen und gegebenenfalls die beantragte mündliche Verhandlung nachzuholen. Angesichts der Umstände des Falles ist eine beschleunigte Behandlung der Sache wünschenswert.
4. Die Wiedereinsetzungsgebühr ist zu erstatten, da eine Fristversäumnis seitens der Beschwerdeführerin nicht vorliegt und im übrigen eine Wiedereinsetzung in die im Einspruchsverfahren gesetzte Frist mangels eines bei Fristversäumnis automatisch eintretenden Rechtsverlustes nicht in Betracht kommt (Singer, Europäisches Patentübereinkommen, 1989, Artikel 122, Anmerkung 8). Da der hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter diesen Umständen gegenstandlos ist, entbehrt die Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr durch die Beschwerdeführerin der Rechtsgrundlage.
5. Die Beschwerdegebühr ist gemäß Regel 67 EPÜ ebenfalls zurückzuzahlen, da der Beschwerde stattgegeben wird und eine Rückzahlung wegen der festgestellten wesentlichen Verfahrensmängel der Billigkeit entspricht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr und der Beschwerdegebühr wird angeordnet.