T 0702/93 10-02-1994
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Trümmerfestes Brennstabbündel
Einheitlichkeit unabhängiger Ansprüche gleicher Kategorie
Unity - claims of same categories
Reimbursement of appeal fee (no)
Enlarged Board - referral (no)
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung 88 118 679.5 wurde durch eine Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 12 zugrunde. Hiervon sind die Ansprüche 1 und 9 unabhängige Ansprüche.
II. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt. Die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Ansprüche 1 bis 12 wurden unverändert aufrecht erhalten. Für den Fall, daß seinem Antrag nicht stattgegeben werden könne, beantragte der Beschwerdeführer die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
III. Auf eine Mitteilung der Beschwerdekammer, daß die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 nicht - entsprechend dem Artikel 82 EPÜ - eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichten, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 1994 hilfsweise sein Patentbegehren auf die Ansprüche 1 bis 8 beschränkt.
IV. Ferner beantragte der Beschwerdeführer nicht nur,
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu erteilen bzw. hilfsweise die Sache mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 bis 8 sowie der ebenfalls überreichten Beschreibung Seite 1 an die Prüfungsabteilung zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens zurückzuverweisen
sondern der Beschwerdeführer beantragte auch,
- wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen
und
- für den Fall, daß die Kammer dem Hauptantrag nicht folgen könne, folgende Frage der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 EPÜ vorzulegen:
"In einer europäischen Patentanmeldung ist ein erster unabhängiger Patentanspruch mit einer ersten Anspruchsgruppe unmittelbar oder mittelbar auf diesen ersten Patentanspruch rückbezogener Unteransprüche auf eine erste Erfindung und ein zweiter unabhängiger Patentanspruch mit einer zweiten Anspruchsgruppe unmittelbar oder mittelbar auf diesen zweiten Patentanspruch rückbezogener Ansprüche auf eine zweite Erfindung gerichtet.
Liegt Einheitlichkeit im Sinne von Artikel 82 EPÜ vor, wenn die allgemeine erfinderische Idee, die beide Erfindungen verwirklichen, durch gleiche oder entsprechende Merkmale entweder im ersten unabhängigen Patentanspruch und in einem Unteranspruch der zweiten Anspruchsgruppe oder jeweils in einem Unteranspruch der ersten und der zweiten Anspruchsgruppe zum Ausdruck kommt?"
V. Der Beschwerdeführer hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Im Artikel 82 EPÜ werde gefordert, daß eine europäische Patentanmeldung nur eine einzige Erfindung enthalten darf oder eine Gruppe von Erfindungen, die untereinander in der Weise verbunden sind, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Diese einzige allgemeine erfinderische Idee sei im vorliegenden Fall die Art und Weise, wie in einem Kernreaktorbrennelement ein Haltekontakt eines Abstandhaltergitters zu den Brennstäben erzielt wird, der umso stärker wird, je länger das Kernreaktorbrennelement der Kernstrahlung in einem Kernreaktor ausgesetzt ist; vgl. Seite 3, Absatz 2 der Beschwerdebegründung.
Weiterhin führte der Beschwerdeführer aus, daß Artikel 82 EPÜ keineswegs verlange, daß die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Der Artikel 82 EPÜ nehme hinsichtlich einer einzigen Erfindung bzw. einer einzigen erfinderischen Idee Bezug auf die Patentanmeldung, nicht jedoch auf die unabhängigen Ansprüche. Daher müsse es genügen, wenn eine solche allgemeine erfinderische Ideen-Verbindung für Gegenstände von Anspruchskombinationen gegeben sei. Im vorliegenden Falle werde durch die Gegenstände der Anspruchskombination 1 + 2 + 3 + 7 bzw. 8 einerseits und die Anspruchskombination 9 + 10 + 11 bzw. 12 andererseits diese gemeinsame erfinderische Idee verwirklicht. Für die Gegenstände dieser beiden Anspruchskombinationen sei infolge gleicher oder entsprechender, besonderer technischer Merkmale, die einen Beitrag zum Stand der Technik bestimmen, ein technischer Zusammenhang gegeben. Somit würde die vorliegende Anmeldung sogar der engeren und daher strengeren, neuen Fassung der Regel 30 genügen, denn die alte (und auf die vorliegende Anmeldung anzuwendende) Fassung der Regel 30 sei hinsichtlich der Kriterien für die Einheitlichkeit wesentlich großzügiger, wie sich aus der Formulierung "insbesondere", "in particular" und "notamment" in allen drei Sprachen ergebe.
Ferner vertrat der Beschwerdeführer noch die Auffassung, daß für die Auslegung des Artikels 82 EPÜ einzig und allein die sich auf die "Einheitlichkeit der Erfindung" beziehende Regel 30 EPÜ in Betracht zu ziehen sei, wohingegen Regel 29 EPÜ für die Einheitlichkeit irrelevant sei, da sie sich ausschließlich mit der Formulierung der Ansprüche auseinandersetze.
Schließlich meinte der Beschwerdeführer noch, daß Prüfungsabteilung und Beschwerdekammer die Begriffe der Patentfähigkeit und der Einheitlichkeit nicht miteinander vermischen sollten, da die Einheitlichkeit mit der Patentfähigkeit nichts zu tun habe und ausschließlich eine Frage der Gebühren sei. Selbst bei dem bezüglich der Beurteilung der Einheitlichkeit als besonders streng geltenden Patentamt der Vereinigten Staaten von Amerika sei bei vorliegender Anmeldung das Problem der Einheitlichkeit nicht aufgeworfen worden, wie sich aus der zu den Akten gegebenen US-Patentschrift ergebe.
Entscheidungsgründe
1. Dem Hauptantrag des Beschwerdeführers muß der Erfolg versagt bleiben, da er das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nicht erfüllt. Gemäß Artikel 82 EPÜ darf die Patentanmeldung nur eine einzige Erfindung enthalten oder eine Gruppe von Erfindungen, die untereinander in der Weise verbunden sind, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen.
1.1. Die Gegenstände der beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 9 gemäß Hauptantrag, die einerseits ein Brennelement und andererseits ein Abstandshaltegitter für den Kern eines Kernreaktors betreffen, sind nicht in der Weise miteinander verbunden, daß sie eine einzige algemeine erfinderische Idee verwirklichen würden.
Die technischen Merkmale des sich auf das Brennelement beziehenden Anspruchs 1 zielen auf das Auffangen und Zurückhalten von Schrott in einem Brennelement ab. Technische Merkmale, die den Haltekontakt eines Brennstabes um so mehr verbessern würden, je länger das Brennelement in Gebrauch ist, sind im Anspruch 1 nicht enthalten.
Andererseits zielt das Abstandshaltegitter des Anspruchs 9 darauf ab, die Haltekraft für Brennstäbe um so mehr zu erhöhen, je länger das Abstandshaltegitter in Gebrauch ist, ohne jedoch erfinderische technische Merkmale aufzuweisen, die Schrott auffangen und zurückhalten würden.
Es sind auch keine anderweitigen technischen Merkmale den beiden unabhängigen Ansprüchen 1 und 9 zu entnehmen, die durch eine gegenseitige Wechselwirkung miteinander die beiden Ansprüche so verknüpfen würden, daß sie durch eine einzige erfinderische Idee miteinander verbunden wären.
Als einziges verbindendes Element der beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 9 ist nur erkennbar, daß sowohl das Brennelement des Anspruchs 1 ein Abstandshaltegitter mit Zellen bildenden, sich kreuzenden (Material-)Streifen aufweist als auch das unabhängig beanspruchte Abstandshaltegitter sich kreuzende (Material-)Streifen aufweist. Dieses gemeinsame Merkmal der beiden unabhängigen Ansprüche verwirklicht jedoch noch nicht eine erfinderische Idee. In jeder der drei Druckschriften D1 bis D3 ist nämlich jeweils ein Abstandshaltegitter mit sich kreuzenden (Material-)Streifen beschrieben, so daß dieses gemeinsame Merkmal nicht mehr neu und schon gar nicht erfinderisch ist.
1.2. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß die Gegenstände der beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 9 nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee miteinander verbunden sind. Er ist jedoch der Auffassung, ausgehend vom Wortlaut des Artikels 82 EPÜ, daß das Erfordernis der Einheitlichkeit lediglich für eine Anmeldung als Ganzes, nicht jedoch für die Gegenstände ihrer unabhängigen Ansprüche erfüllt sein muß.
1.3. Die Kammer kann sich dieser Interpretation des Übereinkommens durch den Beschwerdeführer nicht anschließen. Insbesondere die Regel 29, Absatz 2 EPÜ sagt eindeutig - und zwar in allen drei Sprachen - ,
"vorbehaltlich Artikel 82 ("subject to Article 82", "sous réserve des dispositions de l'article 82") können in einer europäischen Patentanmeldung zwei oder mehr unabhängige Ansprüche der gleichen Kategorie enthalten sein".
Aus diesem Wortlaut, der ausdrücklich auf Artikel 82 Bezug nimmt, geht klar hervor, daß für die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche gleicher Kategorie das Erfordernis der Einheitlichkeit zwingend erfüllt sein muß.
In Regel 30 hingegen sieht das Übereinkommen für die Gegenstände unabhängiger Ansprüche unterschiedlicher Kategorie - (Erzeugnis, Verfahren zur seiner Herstellung, Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens oder Verwendung des Erzeugnisses) - ausdrücklich als Ausnahme vom Erfordernis des Artikels 82 vor, daß solche unabhängigen Ansprüche auch als einheitlich zu gelten haben, wenn sie sich auf das gleiche Erzeugnis bzw. Verfahren zu seiner Herstellung, der Verwendung des Erzeugnisses oder eine Vorrichtung zur Durchführung des Herstellungsverfahrens beziehen und die dafür vorgesehenen Mittel besonders angepaßt oder dafür besonders entwickelt wurden. Dies gilt auch dann, wenn die unabhängigen Ansprüche unterschiedlicher Kategorie keine gleichen oder entsprechenden technischen Merkmale aufweisen, die durch eine gegenseitige Wechselwirkung diese Ansprüche miteinander verknüpfen.
Für unabhängige Ansprüche gleicher Kategorie ist eine solche Fiktion der Einheitlichkeit in Regel 30 EPÜ nicht vorgesehen.
1.4. Die Beschwerdekammer ist somit der Auffassung, daß aus jedem einzelnen der unabhängigen Ansprüche gleicher Kategorie die im Artikel 82 EPÜ genannte allgemeine, erfinderische Idee entnehmbar sein muß. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Erfindung hinsichtlich ihres Umfanges in den unabhängigen Ansprüchen zu definieren ist, wie sich aus Artikel 69 (1) und Artikel 84, Satz 1 in Verbindung mit Regel 29 (1) und (3) EPÜ ergibt.
1.5. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 gemäß Hauptantrag erfüllen somit nicht das Erfordernis der Einheitlichkeit gemäß Artikel 82 EPÜ.
Die Beschwerde gemäß Hauptantrag wird somit zurückgewiesen.
2.1. Gemäß seinem Hilfsantrag beschränkt der Beschwerdeführer sein Patentbegehren auf die Ansprüche 1 bis 8, wobei nur der Anspruch 1 ein unabhängiger Anspruch ist.
Das Patentbegehren ist somit auf einen einzigen Gegenstand beschränkt, so daß offensichtlich das Erfordernis des Artikels 82 erfüllt ist.
2.2. Die vom Anspruch 1 direkt oder indirekt abhängigen Ansprüche 2 bis 8 betreffen besondere Ausführungsarten der Erfindung nach Anspruch 1 und erfüllen ebenfalls das Erfordernis der Einheitlichkeit, nachdem sie als abhängige Ansprüche definitionsgemäß (vgl. Regel 29, Absatz 4, erster Halbsatz) auch alle Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 aufweisen.
2.3. Dieser Satz von Ansprüchen gemäß dem Hilfsantrag erfüllt somit das Erfordernis der Einheitlichkeit, das einziger Zurückweisungsgrund der angefochtenen Entscheidung war. Daher ist die Anmeldung auf der Grundlage des Hilfsantrags zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
3. Der Antrag auf Vorlage der vom Beschwerdeführer formulierten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen, da diese Fragestellung in Regel 29 (2) EPÜ eindeutig und zweifelsfrei geregelt ist und eine dieser Regelung widersprechende Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht vorliegt. Somit besteht keine Veranlassung, die Große Beschwerdekammer mit dieser Frage zu befassen.
4. Nachdem der Beschwerde nicht stattgegeben werden konnte und im übrigen die Kammer auch keinen Verstoß der Prüfungsabteilung gegen ein ordnungsgemäßes Prüfungsverfahren feststellen konnte, ist keine Grundlage für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ gegeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde gemäß Hauptantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Sache wird an die erste Instanz auf Grundlage des Hilfsantrags zurückverwiesen mit der Auflage, die Anmeldung weiter zu prüfen.
3. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
4. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.