J 0023/85 (Telekopieanmeldung) 24-03-1986
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeverfahren J 20/84 betreffend die europäische Patentanmeldung 84 710 004.7 und J 23/85 betreffend die europäische Patentanmeldung 84 710 027.8 werden mit schriftlicher Zustimmung der Beschwerdeführer nach Artikel 9 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (Amtsbl. EPA 1983, 173) miteinander verbunden.
II. Beide europäische Patentanmeldungen sind durch Telekopie beim Deutschen Patentamt (DPA) eingegangen und zwar am 30. Januar 1984 und am 20. August 1984 - jeweils kurz vor Ablauf des Prioritätsjahres. Die Telekopien wurden vom DPA an das Europäische Patentamt (EPA) weitergeleitet. Außerdem schickten die Anmelder die Originale, von denen die Telekopien gefertigt wurden, dem EPA mit Begleitschreiben zu. Diese Eingänge erreichten das EPA erst nach dem Ablauf des Prioritätsjahres.
III. In Entscheidungen vom 24. Juli 1984 und vom 27. September 1985 erkannte die Eingangsstelle des EPA den Tag des Eingangs der europäischen Patentanmeldungen mittels Telekopie beim DPA nicht als Anmeldetag i.S.v. Artikel 80 EPÜ an. Sie stellte vielmehr fest, daß den Anmeldungen nur der Tag als Anmeldetag zukomme, an dem die Anmeldung dem EPA durch Weiterleitung seitens des DPA bzw. durch Zusendung seitens des Anmelders zugegangen sind. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, daß die Regeln 24 (1) und 36 (5) EPÜ eine Einreichung der europäischen Patentanmeldung durch Telekopie ausschlössen.
IV. Gegen diese Entscheidungen legten die Beschwerdeführer am 10. September 1984 bzw. am 29. Oktober 1985 unter Zahlung der Gebühren Beschwerde ein und begründeten diese zugleich. Die Begründungen stellen zunächst darauf ab, daß der Begriff "Post" in Regel 24 (1) EPÜ auch den Telekopie-Dienst der Post einschließe. Bei Regel 36 (5) EPÜ handele es sich um eine Ausnahmeregelung zu den vorangehenden Absätzen 2 bis 4, aus der keine Schlüsse im Hinblick auf Patentanmeldungen gezogen werden könnten. Die von der Eingangsstelle vorgebrachten Sachgründe, vor allem die mindere Qualität der durch Telekopie übermittelten Unterlagen, seien unzutreffend. Telekopie-Unterlagen erfüllten die Schriftform und seien einwandfrei, so daß ihnen ein Anmeldetag nach Artikel 80 EPÜ nicht versagt werden könne.
V. Die Beschwerdeführer beantragen, die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und festzustellen, daß der jeweiligen europäischen Patentanmeldung ihr Eingangstag mittels Telekopie beim DPA als Anmeldetag i.S.v. Artikel 80 EPÜ zukomme. Ferner beantragen sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden entsprechen den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ. Sie sind daher zulässig.
2. Beim Deutschen Patentamt (DPA) ist die Einreichung von Schreiben, mit denen eine Frist gewahrt werden soll, wie auch die Einreichung von Patentanmeldungen durch Telegramm, Fernschreiben (Telex) oder Telekopie erlaubt (Näheres bei Schulte, Patentgesetz, 3. Aufl. vor 35, Rdn. 85 mit Nachweisen; zur Telekopie siehe BGH in Bl. f. PMZ 1981, 416, hier: 417). Voraussetzung für die Benutzung der Telekopie ist jedoch, daß das DPA der Öffentlichkeit einen entsprechenden Dienst auch zur Einreichung von Patentanmeldungen zur Verfügung stellt. Nach einer Erprobung seit August 1980 ist beim DPA die Telekopie auf Dauer der Öffentlichkeit zur Einreichung von Schriftstücken und Patentanmeldungen zur Verfügung gestellt (Mitteilung 7/85 des Präsidenten des DPA vom 26. April 1985, Bl. f. PMZ 1985, 173). Somit kann beim DPA jedenfalls für nationale deutsche Patentanmeldungen ein Anmeldetag durch Einreichung mittels Telekopie begründet werden.
3. Dies gilt aber auch für beim DPA als Anmeldeamt eingereichte internationale Anmeldungen nach dem PCT. Einem Beschluß der Versammlung des PCT-Verbandes auf ihrer 12. Sitzung vom 24. - 28. September 1984 zufolge (vgl. PCT-Gazette 1984, 3093) kann für internationale Anmeldungen ein Anmeldetag nach Artikel 11 (1) PCT grundsätzlich auch mittels Telekopie gewonnen werden. Die Versammlung stellte allerdings klar, daß dadurch kein PCT-Anmeldeamt verpflichtet ist, den Anmeldern die Telekopie als Mittel zur Einreichung von Patentanmeldungen zur Verfügung zu stellen. Damit ist jedenfalls ausgedrückt, daß Artikel 11 (1) PCT - also eine Artikel 80 EPÜ entsprechende Rechtsnorm - die Begründung eines Anmeldetags nicht grundsätzlich hindert, falls die Anmeldung durch Telekopie eingereicht wird. Die PCT-Versammlung hat die Regel 92.4 PCT - eine der Regel 36 (5) EPÜ entsprechende Vorschrift -überhaupt nicht erwähnt. Sie zieht daher auch keine Schlußfolgerung aus dieser Regel dahin, daß ein Anmeldetag durch Telekopie nicht begründet werden könne. Somit ist festzuhalten, daß beim DPA als Anmeldeamt auch für internationale Anmeldungen nach dem PCT ein Anmeldetag mittels Einreichung durch Telekopie begründet werden kann. Dies gilt auch für sog. EURO-PCT-Anmeldungen, also für internationale Anmeldungen, mittels deren der Anmelder entsprechend Artikel 153 EPÜ die Erteilung eines europäischen Patents durch das EPA als Bestimmungsamt begehrt.
4. Das Europäische Patentübereinkommen ermöglicht es durch Artikel 75 (1) b), daß europäische Patentanmeldungen bei dem nationalen Patentamt eines Vertragsstaats eingereicht werden, wenn das Recht des Vertragsstaat dies gestattet. Artikel 75 (1) b) Satz 2 EPÜ lautet: "Eine in dieser Weise eingereichte Anmeldung hat dieselbe Wirkung, wie wenn sie an demselben Tag beim Europäischen Patentamt eingereicht worden wäre". Dies bedeutet, daß der Tag des Eingangs, bei dem nationalen Amt der Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung i.S.v. Artikel 80 EPÜ ist, sofern die dort genannten (hier nicht streitigen) Voraussetzungen erfüllt sind. Es bedarf keiner näheren Ausführungen darüber, daß dem Anmeldetag überhaupt und insbesondere dann eine entscheidende patentrechtliche Bedeutung zukommt, falls es von ihm abhängt, ob die Prioritätsfrist gewahrt ist.
5. Es erscheint rechtlich durchaus möglich, daß durch Vorschriften des Übereinkommens oder auch seiner Ausführungs ordnung die genannte, rechtlich grundlegende Wirkung der Begründung eines Anmeldetags dann ausgeschlossen wird, wenn die Anmeldung durch Telekopie eingereicht wird. Was das Übereinkommen selbst anbelangt, so könnte sich ein Ausschluß der Telekopie wohl nur aus Artikel 80 ableiten lassen. Ferner könnte er sich aus Regel 24 (1) oder Regel 36 (5) der Ausführungsordnung ergeben. Eine Rechtsnorm, die die genannte Wirkung ausschließt, müßte aber von ihrem Wortlaut wie von dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers her eindeutig sein. Diese Forderung ist grundsätzlich an eine Ausschließungsnorm zu stellen. Im Hinblick auf Artikel 164 (2) gilt dies ganz besonders, wenn durch eine Norm der Ausführungsordnung der Eintritt einer im Übereinkommen vorgesehenen Rechtswirkung ausgeschlossen werden soll.
6. Die Telekopie als solche ist im Übereinkommen und in seiner Ausführungsordnung nicht erwähnt. Regel 36 (5) trifft Regelungen für Telegrafie und Fernschreiben (Telex). Die Beschwerdekammer hält es aber für erlaubt, alle Aussagen, die über diese Arten der Telekommunikation gemacht werden, in Analogie auch auf die Telekopie zu beziehen. Dies erscheint auch nach einem vergleichenden Blick auf Regel 92.4 PCT gerechtfertigt, wo dem "Telegraf" und "Fernschreiber" gleichgestellt werden "ähnliche Einrichtungen zur Nachrichtenübermittlung, die ein gedrucktes oder geschriebenes Schriftstück erzeugen". In der vorliegenden Entscheidung wird daher - dem Fall entsprechend - nur von "Telekopie" gesprochen. Gemeint sind dann alle Mittel der Telekommunikation, die eben - wie die genannte Regel des PCT sagt -"ein gedrucktes oder geschriebenes Schriftstück erzeugen".
7. Artikel 80 des Übereinkommens könnte die Begründung eines Anmeldetags deswegen ausschließen, weil er für die Patentanmeldung Schriftform verlangt. Das Schriftform-Erfordernis kann abgeleitet werden aus den Worten "eingereichte Unterlagen" - "documents filed" - "documents produits". Man könnte sagen, daß bei Telekopie das, was eingeht, lediglich in elektrischen Signalen besteht, deren automatische Übertragung auf Papier aber eine hausinterne Sache ist. Beim DPA ist (im Gegensatz zum EPA) diese Übertragung der Öffentlichkeit aber angeboten, weil ihr die Telekopiegeräte des DPA zur Verfügung gestellt werden. Die Abbildung auf Papier wird als die eigentliche Eingabe gewertet, so daß hier - abgesehen von der Frage der Unterschrift - kein Unterschied im Schriftcharakter im Vergleich zu einem Einwurf in den Nachtbriefkasten bestehen kann. Das Risiko für die Übertragung auf Papier durch das Telekopiegerät trägt allerdings noch der Anmelder. Das Schriftform-Erfordernis i.S.v. Artikel 80 EPÜ ist aber erfüllt, wenn die Abbildung auf Papier vor liegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Telekopiegerät der Öffentlichtkeit zu diesem Zweck auch für die Einreichung von Patentanmeldungen zur Verfügung gestellt ist. Aus alle dem ist zu folgern, daß Artikel 80 EPÜ einer Einreichung von europäischen Patentanmeldungen mittels Telekopie nicht im Wege steht.
8. Regel 24 (1) EPÜ besagt, daß "europäische Patentanmeldungen unmittelbar oder durch die Post eingereicht werden können". Mit diesem Wortlaut hat die Regel keinen eindeutig aus schließenden Charakter, da zwei Fragen unklar sind. Dies ist einmal die Frage, ob Eingaben mittels Telekommunikation sowohl durch den Begriff "unmittelbar" wie auch durch den Begriff "Post" ausgeschlossen sind. Außerdem gibt der Wortlaut nicht zu erkennen, ob die aufgeführten Einreichungsarten "unmittelbar" und "durch die Post" abschließend (enumerativ) gemeint sind, wie dies bei Gebrauch des Wortes "nur" der Fall wäre, oder ob es sich um Beispiele möglicher Einreichungsformen handelt. Wie sich aus den vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ nachweisen läßt, hatte der Vorsitzende Arbeitsgruppe "Patente" eine Vorschrift entsprechend Regel 24 (1) überhaupt nicht für notwendig befunden. Die Arbeitsgruppe "Patente" nahm aber den Vorschlag einer Delegation an, "eine Vorschrift einzufügen, nach der eine europäische Patentanmeldung sowohl direkt als auch auf postalischem Wege eingereicht werden kann. Eine solche Klarstellung erscheine angesichts gewisser Gesetzgebungen der Mitgliedsstaaten notwendig" (Dok. 7669/IV/63 vom 6. November 1963, S. 13). Mit "gewissen Gesetzgebungen" waren offenbar ältere nationale Vorschriften gemeint, die nur den protokollierten Akt einer persönlichen "Hinterlegung" bzw. eines "Dépot" zuließen. Die mit der Einführung von Regel 24 (1) EPÜ verbundene Absicht bestand also darin, die Möglichkeit einer Einreichung durch die "Post" i.S.v. Brief-und Paketpost bei allen Ämtern sicher zu stellen. In Regel 24 (1) kann aber kein Verbot für eine dort nicht genannte Art der Einreichung gesehen werden.
9. Regel 36 (5) EPÜ erlaubt ebenfalls nicht den Schluß, daß der Einreichung einer europäischen Patentanmeldung durch Telekopie bei einem nationalen Patentamt die Wirkung nach Artikel 75 (1) i.V.m. Artikel 80 EPÜ, also die Begründung eines Anmeldetags, zu versagen ist. Der Wortlaut der Regel 36 EPÜ insgesamt, wie der ihres Absatzes 5 kann aber keineswegs eindeutig als Ausschlußnorm in dem genannten Sinne verstanden werden. Die Regel 36 EPÜ insgesamt bezieht sich - wie ihre einzelnen Absätze und die Überschrift erkennen lassen - nur auf "Unterlagen nach Einreichung der europäischen Patentanmeldung". Im Hinblick auf solche Unterlagen regelt Abs. 5, daß sie "abweichend von den Absätzen 2 bis 4" auch telegrafisch oder fernschriftlich eingereicht werden können (so Abs. 5, Satz 1). In diesem Falle (so Abs. 5, Satz 2) bedarf es dann eines Bestätigungsschreibens innerhalb von zwei Wochen. Dem Text der Regel 36 (5) EPÜ kann somit nicht entnommen werden, daß die Einreichung europäischer Patentanmeldung durch Telekopie ausgeschlossen sei. Im Rahmen der Vorarbeiten zum EPÜ mag allerdings ein Wille zum Ausschluß (damals für Telegrafie und Fernschreiben) bestanden haben. Dies läßt eine Vorgängervorschrift zu Regel 36 (5) EPÜ, nämlich die Vorschrift "Zu Art. 66, Nr. 11" im "Zweiten Vorentwurf" von 1971 vermuten. Dort war nämlich die Anwendung der jetzigen Regel 36 (5) auf die Unterlagen der europäischen Patentanmeldung ausdrücklich ausgeschlossen. Aber auch diese frühere Regelung kann lediglich in dem Sinne verstanden werden, daß es im Falle der telegrafischen oder fernschriftlichen Einreichung einer europäischen Patentanmeldung ihrer nachträglichen Bestätigung nicht bedarf.
10. Artikel 80 des Übereinkommens und die genannten Texte der Ausführungsordnung enthalten somit keine Regelungen, die die Schlußfolgerung zuließen, daß durch Einreichung mittels Telekopie ein Anmeldetag nicht begründet werden kann. Auch aus den vorbereitenden Arbeiten zum Übereinkommen läßt sich ein dahingehender unzweifelhafter und einhelliger Wille der Vertragsstaaten nicht ableiten. Lediglich aus der Vorbereitungszeit des "Vorentwurfs eines Abkommens über ein europäisches Patentrecht" von 1962/64 sind Diskussionen aufgezeichnet, denen man einen Ausschlußwillen entnehmen kann (Dok. 7669/IV/63 vom 6. November 1963, S. 13). In den Arbeitsdokumenten der "Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens" ließ sich aber eine Erörterung der Frage nicht feststellen. Die Tatsache, daß in der Arbeitsphase dieser Regierungskonferenz zunächst die oben (Nr. 9) erwähnte Vorschrift "Zu Art. 66, Nr. 11" aus dem Vorentwurf von 1962/64 in den Vorentwurf von 1971 übernommen wurde, stellt allein noch keine eindeutige Willensbekundung dar. Davon kann auch deswegen nicht ausgegangen werden, weil die genannte Vorschrift aufgegeben wurde, d.h. im Zusammenhang mit Regel 36 EPÜ nicht mehr erscheint. Schließlich könnte es auch von Bedeutung sein, daß die Mitgliedstaaten des EPÜ bei dem oben (siehe Nr. 3) erwähnten Beschluß der Versammlung des PCT-Verbandes mit gewirkt haben. Hier wurde aus der der Regel 36 (5) EPÜ ähnlichen Regel 92.4 PCT nicht die Folgerung gezogen, daß die Einreichung einer Anmeldung durch Telekopie keinen Anmeldetag begründet.
11. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß das EPÜ und seine Ausführungsordnung in ihrer geltenden Fassung die Begründung eines Anmeldetags nach Artikel 75 (1) b) Satz 2 i.V.m. Artikel 80 EPÜ nicht ausschließen, wenn die europäische Patentanmeldung durch Telekopie bei einem nationalen Patentamt eingereicht wird. Voraussetzung ist allerdings, daß das betreffende nationales Amt der Öffentlichkeit entsprechende technische Möglichkeiten auch für die Einreichung von Patentanmeldungen zur Verfügung stellt.
12. Für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr fehlt es an dem in Regel 67 EPÜ genannten Erfordernis eines wesentlichen Verfahrensfehlers. Die erste Instanz hat das Übereinkommen und seine Ausführungsordnung anders ausgelegt als es die Beschwerdekammer tut; sie hat aber keinen Verfahrensfehler begangen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerdeverfahren J 20/84 und J 23/85 werden miteinander verbunden.
2. Die Entscheidungen der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 24. Juli 1984 betreffend die europäischen Patentanmeldung Nr. 84 710 004.7 und vom 27. September 1985 betreffend die europäische Patentanmeldung Nr. 84 710 027.8 werden aufgehoben.
3. Es wird festgestellt, daß den genannten europäischen Patentanmeldungen der Tag ihres Eingangsmittels Telekopie beim Deutschen Patentamt als Anmeldetag i.S.v. Artikel 80 EPÜ zukommt.
4. Die Anträge auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr werden zurückgewiesen.