T 1606/07 (Virtuelle Adresse eines Endgerätes/SIEMENS) 09-09-2008
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Verfahren und Anordnung zum Ermitteln der virtuellen Adresse eines Endgerätes
Klarheit der Ansprüche 7 und 8 (Hauptantrag) - ja (nach Änderung),
Wesentlicher Verfahrensfehler wegen nicht gewährtem Antrag auf ein mündliches Interview - nein (kein wirksamer Antrag auf mündliche Verhandlung)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - nein
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 29. März 2007 auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 02706623.2 mangels Klarheit der Produktansprüche 8 und 9 gemäß Artikel 84 EPÜ 1973 und mangels Neuheit des Produktanspruchs 8 gemäß Artikel 54 EPÜ 1973.
II. Mit der Beschwerdebegründung wurde die Aufhebung der Zurückweisungsentscheidung und Erteilung eines Patents auf Grundlage der folgenden Ansprüche beantragt:
- Ansprüche 1 - 6, mit Schreiben vom 7. Juli 2004;
- Ansprüche 7 - 9, eingegangen mit der Beschwerdebegründung am 23. Juli 2007.
Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt. Außerdem wurde die Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufgrund des Vorliegens eines wesentlichen Verfahrensfehlers und eine beschleunigte Bearbeitung der Beschwerde beantragt.
III. Die Kammer hat in einem Bescheid vom 14. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung geladen und ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde dargelegt.
IV. Mit Schreiben vom 14. August 2008 reichte die Beschwerdeführerin einen Schriftsatz ein, in dem neben einer Stellungnahme zur vorläufigen Meinung der Kammer weitere Ansprüche gemäß einem geänderten Hauptantrag sowie gemäß Hilfsanträgen 1 bis 7 vorgelegt wurden.
V. Am 9. September 2008 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf diese Anträge zurückgenommen wurden. Stattdessen wurden geänderte Ansprüche 7 und 8 gemäß neuem Hauptantrag und erstem Hilfsantrag vorgelegt.
Ansprüche 7 und 8 gemäß dem Hauptantrag lauten: "7. Produkt, umfassend Mittel zur vollständigen Durchführung eines Verfahrens nach einem der Verfahrensansprüche."
"8. Produkt nach Anspruch 7, umfassend zumindest ein Computerprogramm."
Der Anspruchssatz des Hilfsantrags unterscheidet sich davon lediglich dadurch, dass beide Ansprüche anstelle auf ein Produkt auf ein System gerichtet sind.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf Basis der Ansprüche 1 bis 6 eingereicht vor der Prüfungsabteilung mit Schreiben vom 7. Juli 2004 und der Ansprüche 7 und 8 gemäß Hauptantrag oder Hilfsantrag 1 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 9. September 2008. Weiterhin beantragte die Beschwerdeführerin die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
Entscheidungsgründe
1. Hintergrund der Erfindung
Die Anmeldung betrifft ein Verfahren sowie eine Anordnung zum Ermitteln der virtuellen Adresse eines Endgerätes. Zur Vermeidung einer aufwendigen manuellen Konfiguration von Telekommunikationsendgeräten, welche an einem IP-Netzwerk angemeldet werden sollen, schlägt die Anmeldung eine automatisierte Prozedur vor, wie sie von sogenannten BOOTP-Servern oder DHCP-Servern vorgenommen werden. Zum automatischen Vergeben einer IP-Adresse benötigen solche Server eine Hardware-Adresse einer Netzeinrichtung, die von der Netzschnittstelle in einer IP-Adressenanfragemeldung zum entsprechenden Server übermittelt werden muss. Die Ansprüche 1 bis 6 des vorliegenden Patentbegehrens richten sich auf ein Verfahren, in dem eine Netzabschlusseinheit mit Hilfe einer Broadcast-Funktion eine IP-Adressanforderungsmeldung mit einer konkreten Hardwareadresse als eindeutige Kennung sendet. Eine Protokollrelaisfunktion versieht diese Adressanforderungsmeldung mit ihrer eigenen bekannten Internetprotokolladresse und leitet die ergänzte Adressanforderungsmeldung an ein Netzmanagementsystem weiter. Dort wird für die übermittelte Hardwareadresse eine virtuelle Internetprotokolladresse vergeben und an das Netzmanagementsystem zurückgesendet, welche diese virtuelle Internetadresse mit Hilfe einer Broadcast-Übertragung an die ursprünglich anfragende Netzabschlusseinheit übermittelt. Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 7 führt lediglich nicht näher spezifizierte Mittel an, welche durch Rückbeziehung auf die Verfahrensansprüche definiert sind.
2. Klarheit der Vorrichtungsansprüche 7 und 8
2.1 Formulierung und Rückbezug der Ansprüche 7 und 8
Die Beschwerdeführerin verweist auf die Entscheidung T 0410/96 (nicht veröffentlicht) und rechtfertigt damit die Formulierung des Vorrichtungsanspruchs 7 als Kurzfassung mittels "means + function" mit Rückbeziehung auf die Merkmale der Verfahrensansprüche, ohne solche explizit aufzuführen. Im Grundsatz erachtet die Kammer eine solche Anspruchsformulierung für zulässig, soweit auch Mittel zur Durchführung jedes Schrittes des Verfahrensanspruchs vorgesehen sind, auf die ein solcher Vorrichtungsanspruch Bezug nimmt (vgl. Punkt 5 der Entscheidungsgründe aus T 0410/96). Dies ist beim geltenden Anspruch 7 nunmehr klar erkennbar, denn es ist nunmehr gewährleistet, dass das vollständige Verfahren und damit "alle Schritte" durchgeführt werden. Der abhängige Anspruch 8 gewährleistet dies aufgrund des Rückbezugs auf Anspruch 7 ebenfalls. Damit können die Ansprüche 7 und 8 auch bei Vorliegen von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit der Verfahrensansprüche durch diese gestützt werden.
2.2 Gattungsbegriff der Ansprüche 7 und 8
Die Ansprüche 7 und 8 sind auf ein Produkt gerichtet. Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass der Ausdruck "System" im Gesetzestext des EPÜ nicht vorkomme, dafür aber im Rahmen der Vorrichtungskategorie der Begriff "Erzeugnis", und hat in diesem Zusammenhang auf Artikel 64(2) EPÜ 1973 verwiesen. Die Beschwerdeführerin hat weiter argumentiert, dass sie lediglich zur Vermeidung einer als künstlich empfundenen Einführung dieses Begriffs "Erzeugnis" die Kategorie "Produkt" gewählt habe. Ob ein Produkt nun eine Anordnung, eine Vorrichtung oder ein System sei, ließe sich zwanglos aus dem Begriff "Produkt" herleiten.
Die Kammer ist der Auffassung, dass der Wortsinn des Begriffs "Produkt" nicht zwingend eine Ansammlung von Komponenten, die interagieren, im Hinblick auf ein System ausschließt.
2.3 Die geltenden Vorrichtungsansprüche 7 und 8 erfüllen daher das Erfordernis der Klarheit (Artikel 84 EPÜ 1973).
3. Verfahrensfehler
Die Beschwerdeführerin hat einen wesentlichen Verfahrensfehler geltend gemacht, da im erstinstanzlichen Verfahren von der Prüfungsabteilung ihrem Antrag auf ein "mündliches Interview" nicht nachgekommen worden sei. Dies sei als ein Antrag auf mündliche Verhandlung zu verstehen gewesen. Außerdem liege ein Begründungsmangel vor, da lediglich angeführt worden sei, dass ein solches Interview für nicht zweckdienlich erachtet wurde, ohne nähere Gründe hierfür anzuführen.
Gemäß Artikel 116(1) EPÜ 1973 hat der Anmelder ein Recht auf eine mündliche Verhandlung. Dies setzt jedoch einen eindeutigen und klaren Antrag des Anmelders voraus (vgl. z.B. die Entscheidungen der Beschwerdekammern T 0019/87 - EPA Abl. 1988, 268; T 0528/96 und T 0917/93, jeweils nicht veröffentlicht). Bei einem Antrag auf ein Interview handelt es sich nicht um einen wirksamen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 EPÜ 1973, sondern lediglich um einen Antrag auf persönliche Rücksprache. Letztere eröffnet der Prüfungsabteilung ein Ermessen bei der Beurteilung, ob sie diese für zweckdienlich erachtet oder nicht. Im vorliegenden Fall hat die Prüfungsabteilung eine solche persönliche Rücksprache nicht als zweckdienlich angesehen. Die Anmelderin argumentiert unter anderem damit, dass allein aus der Verwendung des Wortes "Antrag" zwangsläufig der Antrag nach Artikel 116 EPÜ 1973 gemeint sein musste. Dem kann die Kammer nicht beipflichten. Wenn die Beschwerdeführerin im Hinblick auf diese Wortwahl so sorgfältig vorging, wie argumentiert, so kann wohl davon ausgegangen werden, dass der Begriff "Interview" mit der gleichen Sorgfalt gewählt wurde. Da eindeutig ein mündliches Interview und nicht eine mündliche Verhandlung beantragt wurde, bestand für die Prüfungsabteilung auch keine Veranlassung zu einer Rückfrage zwecks Klärung der Antragslage. Aus dem Unterbleiben dieser Tatsache lässt sich kein Verfahrensfehler ableiten. Weiterhin kann die Kammer auch keinen Begründungsmangel erkennen, da die Prüfungsabteilung bereits ihre Einwände zum Ausdruck gebracht, Wege zur Beseitigung der Klarheitsmängel aufgezeigt und der Anmelderin Gelegenheit zu deren Beseitigung gegeben hatte, so dass sich als Begründung vor diesem Hintergrund implizit aus dem Verfahren ergibt, weshalb ein Interview nicht als zweckdienlich angesehen wurde. Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass der Fall von der Prüfungsabteilung bewusst vor die "Beschwerdekammer getrieben wurde", da die Prüfungsab tei lung ihr Ermessen nicht verfahrensfehlerhaft ausgeübt hat.
Es liegt somit kein wesentlicher Verfahrensmangel vor, welcher eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt (Regel 67 EPÜ 1973).
4. Zurückverweisung
Der Akte ist zu entnehmen, dass die Prüfungsabteilung der Ansicht war, die Verfahrensansprüche 1 bis 6 erfüllen das Erfordernis der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Jedoch lässt sich der Akte keinerlei Begründung für diese Beurteilung entnehmen. Der Kammer fehlt damit die Grundlage, diese Auffassung der Prüfungsabteilung zu überprüfen. Die Kammer hat daher bereits mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sie beabsichtigt die Anmeldung zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen, sollten die mit der Ladung erhobenen Einwände im Zuge des Beschwerdeverfahrens überwunden werden. Aus diesem Grund wurde dem Antrag auf eine beschleunigte Bearbeitung der Beschwerde stattgegeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung auf der Basis der Ansprüche 1 bis 6 eingereicht vor der Prüfungsabteilung mit Schreiben vom 7. Juli 2004 und der Ansprüche 7 und 8 gemäß Hauptantrag eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 9. September 2008 an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.