T 0264/17 22-09-2020
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SYNTHETISCHES SCHMIERMITTEL ZUR VERWENDUNG ALS SYNOVIALFLÜSSIGKEITSERSATZ
Neuheit - zweite (bzw. weitere) medizinische Verwendung
Neuheit - Stoff oder Stoffgemisch im Sinne von Artikel 54(4) bzw. 54(5) EPÜ
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Europäische Patentanmeldung 12 784 927.9 unter Artikel 97(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Gegenstand der Patentanmeldung sind flüssige synthetische Schmiermittel zur Verwendung als Ersatz der Synovialflüssigkeit in erkrankten Gelenken des menschlichen und tierischen Körpers.
Die beanspruchten Schmiermittel sind als solche bekannt. Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, der Anmelder könne sich nicht auf die Neuheitsbestimmung unter Artikel 54(5) EPÜ für medizinische Verwendungen berufen, da es sich bei den beanspruchten Schmiermitteln nicht um "Stoffe oder Stoffgemische" im Sinne dieses Artikels handle. Des weiteren sei der ihr vorliegende Anspruchssatz unklar (Artikel 84 EPÜ) und die beanspruchte Erfindung teilweise für den Fachmann nicht ausführbar (Artikel 83 EPÜ). Einem Antrag des Anmelders auf Entscheidung nach Aktenlage folgend wies sie daher die Anmeldung zurück.
III. Im Prüfungsverfahren wurde unter anderem auf die folgenden Dokumente verwiesen:
D1 |"Perfluorpolyether, Fomblin® Y, M und Z Öle + Fomblin® Fette"; Solvay Solexis Ausgabe 01/04|
D3|GB 2 268 507 |
D5|WO 00/48636 |
D8 |Medical Devices: Guidance Document; MEDDEV 2.1/3 rev.3; URL http://www.meddev.info/_documents/2_1_3_rev_3-12_2009_en.pdf|
IV. In seiner Beschwerdeschrift brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, bei den beanspruchten Schmiermitteln handle es sich durchaus um Stoffe oder Stoffgemische im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ. Neuheit sei demnach anzuerkennen, da die in den Ansprüchen definierte Verwendung im Stand der Technik nicht offenbart sei. Auch die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ seien erfüllt.
V. In einem Bescheid der Kammer unter Artikel 100(2) EPÜ wurde der Beschwerdeführer informiert, dass die Kammer die Beschwerde in der Hauptsache, d. h. bezüglich der Frage der Neuheit, für begründet erachte. Des weiteren wurde ihm mitgeteilt, dass die Kammer den Zurückweisungsgrund unter Artikel 83 EPÜ für nicht gerechtfertigt hielt, wohingegen der Zurückweisungsgrund unter Artikel 84 EPÜ berechtigt sei und durch entsprechende Änderungen ausgeräumt werden müsste. Sollte dies getan werden, so beabsichtige die Kammer die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur Prüfung erfinderischer Tätigkeit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
VI. Daraufhin reichte der Beschwerdeführer einen neuen Anspruchssatz als Hauptantrag ein, um dem Klarheitseinwand zu begegnen.
Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags lautet:
Flüssiges synthetisches Schmiermittel, welches aus zumindest einem Perfluorpolyether (PFPE) besteht, zur Verwendung als Synovialflüssigkeitsersatz für ein erkranktes natürliches Gelenk eines menschlichen oder tierischen Körpers,
wobei ein Perfluorpolyether mit inerten Endgruppen R, R' verwendet wird, wobei die Endgruppen R, R' jeweils aus der Gruppe "Trifluormethylgruppe (-CF3), Pentafluorethylgruppe (-C2F5), Trifluormethoxygruppe (-OCF3), Pentafluorethoxygruppe (-OC2F5)" ausgewählt sind,
wobei ein Perfluorpolyether mit verzweigter oder sternförmiger Struktur
R-(-O-CFR''-CF2-)n(O-CF2)m-R'
verwendet wird, wobei n > 1 und m > 1 ist und wobei R'' eine Fluoralkylgruppe mit der Formel CaF2a+1 mit 1 <= a <= 10 ist
und/oder
wobei ein Perfluorpolyether mit linearer Struktur
R-(-O-CF2-CF2-)p(O-CF2)q-R'
verwendet wird, wobei p > 1 und q > 1 ist.
VII. Der Beschwerdeführer beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und die Sache zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
Sofern diesem Antrag stattgegeben werde, wurde keine mündliche Verhandlung beantragt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ist statthaft, da die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung dem Antrag des Beschwerdeführers folgt und für diesen Fall keine mündliche Verhandlung beantragt wurde. Auch die Kammer hält eine solche Verhandlung nicht für sachdienlich (Artikel 116(1) EPÜ).
3. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
Anspruch 1 des Hauptantrags basiert auf Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung. Dabei wurden die Strukturen der Perfluorpolyether aus dem ursprünglichen Anspruch 4 sowie aus der Beschreibung Seiten 5, Zeilen 22-26 bzw. Seite 6 Zeilen 9-14 konkretisiert. Die Verwendung wurde auf die Behandlung erkrankter natürlicher Gelenke beschränkt, siehe Seite 4 Zeile 16 der ursprünglichen Beschreibung. Die abhängigen Ansprüche wurden entsprechend angepasst oder gestrichen.
Die Ansprüche des vorliegenden Hauptantrags sind daher nur im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung geändert worden. Dies war im Prüfungsverfahren auch nicht beanstandet worden.
4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4.1 Der vorliegende unabhängige Anspruch ist als verwendungsbeschränkter Produktanspruch gemäß Artikel 54(5) EPÜ abgefasst. Dass die Produkte an sich bekannt und kommerziell erhältlich sind, ist bereits in der Beschreibung der Anmeldung erwähnt (siehe Seite 2 dort) und unbestritten. Wie von der Prüfungsabteilung ausgeführt (Bescheid vom 19. Juni 2015, Punkt I.2), sind die Produkte beispielsweise in den Dokumenten D1, D3 und D5 beschrieben.
Gemäß Artikel 54(5) EPÜ sind "Stoffe oder Stoffgemische", die zum Stand der Technik gehören, nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, sofern sie "zur spezifischen Anwendung in einem in Artikel 53(c) EPÜ genannten Verfahren" beansprucht werden, vorausgesetzt, dass diese Anwendung nicht bereits bekannt ist.
Die beanspruchte Verwendung, "zur Verwendung als Synovialflüssigkeitsersatz für ein erkranktes natürliches Gelenk eines menschlichen oder tierischen Körpers", ist als therapeutisches bzw. chirurgisches Verfahren ein Verfahren, das in Artikel 53(c) EPÜ genannt wird. Dies ist unbestritten. Ebenso ist unbestritten, dass aus dem Stand der Technik, insbesondere aus den angeführten Dokumenten D1, D3 und D5 eine solche Verwendung nicht bereits bekannt ist.
Die hier zu entscheidende Frage ist, ob die perfluorierte Polyether enthaltenden Schmiermittel in Anspruch 1 als "Stoff oder Stoffgemisch" im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ gelten oder nicht. Die Ausnahmebestimmung in Artikel 54(5) EPÜ gilt nämlich nicht allgemein für beliebige Erzeugnisse, sondern nur für Stoffe oder Stoffgemische. Wie aus dem Wortlaut von Artikel 53(c) EPÜ hervorgeht, sind "Erzeugnisse" und "Stoffe und Stoffgemische" nicht äquivalent, sondern letztere bilden einen Ausschnitt aus ersteren. Vorrichtungen oder Apparaturen zur Verwendung in einem in Artikel 53(c) genannten Verfahren können daher beispielsweise die Ausnahmebestimmung des Artikels 54(5) EPÜ nicht in Anspruch nehmen. Dies folgt aus dem Wortlaut der Artikel 54(4)(5) und 53(c) EPÜ und entspricht auch ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe T 1069/11 einen Stent betreffend, Punkt 3.3.2 der Begründung; T 2369/10 ein Nervenstimulationssystem betreffend, Punkt 7 der Begründung, oder T 1099/09 einen Inkontinenzstreifen betreffend, Punkt 3.3 und 3.4 der Begründung).
4.2 Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, die vorliegend beanspruchten perfluorierten Polyether könnten nicht als "Stoffe oder Stoffgemische" im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ angesehen werden, da sie nicht auf pharmakologischem, immunologischem und/oder metabolischem Wege, sondern ausschließlich durch physikalische Mechanismen wirkten. Es sei ja keine Wechselwirkung mit anderen Körperzellen erwünscht, sondern im Gegenteil eine möglichst große Inertheit. Sie verwies dabei auf T 2003/08, und insbesondere auf Punkte 17-19 der Begründung. Dort werde ausgeführt, dass sich aus G 5/83 ergibt, "Stoffe oder Stoffgemische" bezöge sich auf den aktiven Inhaltsstoff für die medizinische Verwendung. Ebenfalls wurde auf D8 verwiesen, ein erklärendes Dokument zur Auslegung der EU-Richtlinie betreffend Medizinprodukte.
4.3 Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, die beanspruchten Schmiermittel erzielten ihre Wirkung sehr wohl auf chemischem Wege, da deren omniphobe Eigenschaften, die zu den gewünschten geringen Wechselwirkungen mit dem Körpergewebe führen, auf die chemische Struktur der Verbindungen zurückzuführen seien. In diesem Sinne seien die beanspruchten Schmiermittel als Aktivstoffe der Verwendung zu betrachten. Des weiteren sei seiner Ansicht nach ein "Aktivstoff" vom EPÜ nicht verlangt. Artikel 53(c) EPÜ nenne ja nicht nur therapeutische, sondern auch chirurgische und diagnostische Verfahren, in denen die Bezeichnung "Aktivstoff" keine sinnvolle Bedeutung habe.
4.4 Die Frage, ob ein nicht im klassischen Sinn als Medikament wirkendes Material als Stoff oder Stoffgemisch im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ gesehen werden kann oder nicht, ist in letzter Zeit mehrfach Gegenstand von Beschwerdeverfahren gewesen.
In der Entscheidung T 1758/15 (betreffend ein injizierbares Füllmaterial) wurden unter Berücksichtigung vorangegangener Entscheidungen grundlegende Überlegungen zur Interpretation des Begriffs Stoff oder Stoffgemisch angestellt (siehe Punkt 5.2 der Entscheidungsgründe).
Insbesondere verwies die Kammer dort auf die auch im vorliegenden Verfahren von der Prüfungsabteilung zitierte Entscheidung T 2003/08, die ausgehend von der für weitere medizinische Verwendungen grundlegenden Entscheidung G 5/83 analysiert, welche Bedeutung den Begriffen "Stoff oder Stoffgemisch" im Sinne von Artikel 54(4)(5) EPÜ zukommen soll.
In T 2003/08 ging es um einen Liganden für Immunoglobulin, der auf einem Träger immobilisiert war und zum extrakorporalen Entfernen von Immunoglobulin aus dem Blut verwendet wurde. Die Kammer stellte zunächst fest, gemäß G 5/83 sei es erforderlich, dass der betreffende "Stoff" oder das "Stoffgemisch" verantwortlich für die Wirkung sein müsse. Sie kam dann zu dem Schluss, dass bezüglich der Frage, ob ein Material unter den Begriff "Stoff oder Stoffgemisch" des Artikels 54(5) EPÜ fällt, geprüft werden müsse, a) mit welchen Mitteln ein therapeutischer Effekt erzielt wird und b) ob das, was den Effekt erzielt, als chemische Zusammensetzung gelten könne (Punkt 18 der Entscheidungsgründe). Im Fall der T 2003/08 wurde entschieden, das entscheidende Agens sei der Ligand, dieser sei eine chemische Verbindung und verantwortlich für die Entfernung des Immunoglobulins aus dem Blut. Der trägerimmobilisierte Ligand wurde daher als "Stoff oder Stoffgemisch" angesehen.
Die oben genannten Kriterien a) und b) wurden in T 1758/15 übernommen. In diesem Fall kam die Kammer zu dem Schluss, dass der Effekt des beanspruchten injizierbaren Füllmaterials mechanischer Art sei und im wesentlichen durch die von ihm gebildete 3D-Struktur verursacht werde. Die chemische Zusammensetzung des Materials sei dabei sekundär (Punkt 5.2.8 der Entscheidung).
Ein ähnlicher Sachverhalt lag der Entscheidung T 2136/15 zugrunde. Dort ging es um ein injizierbares selbstgelierendes Alginat, das nach Ansicht der Kammer seine Wirkung einer speziellen, durch Art und Ort der vorzunehmenden Injektionen entstehenden 3D-Makrostruktur verdankte. Das Alginat wirkte daher im wesentlichen als raumfüllendes Material einer bestimmten makroskopischen Struktur und nicht als "Stoff oder Stoffgemisch" im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ.
4.5 Im vorliegenden Fall ist die Kammer der Überzeugung, dass die beanspruchten Schmiermittel einen "Stoff" bzw. ein "Stoffgemisch" im Sinne des Artikels 54(5) EPÜ darstellen, und zwar aus folgenden Gründen:
4.5.1 Die beanspruchten perfluorierten Polyether sind Flüssigkeiten, die weder vor noch nach dem Einbringen in den Körper von sich aus eine definierte Form einnehmen. Die therapeutische Wirkung entsteht nicht durch eine vorhandene oder sich im Körper bildende dreidimensionale Form, sondern durch die Substanz an sich. Es kann daher vorliegend nicht von einer Vorrichtung oder einer Apparatur gesprochen werden. Bereits dies unterscheidet den vorliegenden Fall von anderen (wie zum Beispiel den oben zitierten T 1758/15 und T 2136/15), in denen die therapeutische Wirkung auf einer im Körper entstehenden makroskopischen Form der eingebrachten Substanzen beruht.
4.5.2 Darüber hinaus erfüllen die beanspruchten Schmierstoffe auch die Kriterien, die in der von der Prüfungsabteilung angeführten Entscheidung T 2003/08 entwickelt wurden, unabhängig davon, ob man sie als "Aktivstoffe" im klassischen Sinn bezeichnen möchte oder nicht.
Diese Kriterien sind a) mit welchen Mitteln ein therapeutischer Effekt erzielt wird und b) ob das, was den Effekt erzielt, als chemische Zusammensetzung gelten kann.
Die therapeutische Wirkung der beanspruchten perfluorierten Polyether besteht darin, einen Ersatz für die Synovialflüssigkeit in erkrankten Gelenken zu darzustellen, um einem Gelenkverschleiß entgegenzuwirken. Dazu ist es in der Tat nötig, dass die Verbindungen chemisch inert, nicht toxisch und biologisch absolut inaktiv sind, wie auf Seite 4 der Anmeldung ausgeführt. Allerdings bedeutet das nicht, dass deren Wirkung nicht auf den stofflichen Eigenschaften der Flüssigkeiten beruht. Wie in der Beschreibung erklärt, basiert die schmierende Wirkung der perfluorierten Polyether auf ihren omniphoben Eigenschaften, d. h. darauf, dass sie gegenüber sowohl hydrophoben als auch hydrophilen Flüssigkeiten abstoßend wirken, sich selbständig zusammenziehen und dadurch permanent ein neuer Gleitfilm ausgebildet wird (Seiten 4 und 5 der Beschreibung). Diese Stoffeigenschaften werden durch die chemische Struktur der Polyether verursacht. Es wird in der Beschreibung darauf hingewiesen, dass andere Substanzen, etwa Teflon-Emulsionen, für einen solchen Zweck nicht geeignet sind (Seite 2 oben). Die physiologische Wirkung der Polyether wird also über ihre Art der Wechselwirkung (oder nicht-Wechselwirkung) mit biologischem Gewebe erzielt. Ob man diese Wechselwirkung als physikalisch bezeichnet, wie in der angefochtenen Entscheidung, ist alleine eine Frage der Nomenklatur; auch die Ligand-Immunoglubulin-Wechselwirkung in T 2008/03 ist letzten Endes physikalischer Natur. Gemäß dem definierten Kriterium a) wird die Wirkung jedenfalls durch die stofflichen Eigenschaften der beanspruchten Schmiermittel erzielt.
Der therapeutische Effekt wird auch unzweifelhaft von einer chemischen Zusammensetzung verursacht, nämlich von den in Anspruch definierten perfluorierten Polyethern. Ob diese im klassischen Sinn als "Aktivstoffe" bezeichnet werden oder nicht, ist dabei nebensächlich. Kriterium (b) ist somit ebenfalls erfüllt.
4.5.3 Es mag dahingestellt bleiben, ob, wie vom Anmelder vorgetragen, das EPÜ das Vorhandensein eines "aktiven Inhaltsstoffs" im klassischen Sinn tatsächlich nicht verlangt. In G 5/83 wird bezüglich der sogenannten Schweizer Anspruchsform für zweite medizinische Verwendungen unter dem EPÜ 1973 die Nomenklatur "active ingredient" verwendet (siehe etwa Entscheidungsgründe Punkt 11, 20 oder 23). Dies ist alleine schon deshalb verständlich, weil sich die Schweizer Anspruchsform auf ein "Medikament" bezieht, das üblicherweise aktive Inhaltsstoffe neben verschiedenen Hilfsstoffen enthält. In T 2003/08 wurde diese in G 5/83 verwendete Wortwahl dahingehend interpretiert, dass die medizinische (in diesem Fall therapeutische) Wirkung von dem beanspruchten Stoff ausgehen muss (siehe T 2003/08, Punkt 17 der Entscheidungsgründe). Diese Interpretation wurde in T1758/15 bezogen auf Artikel 54(5) EPÜ 2000 bestätigt (siehe Punkt 5.2 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall geht von dem beanspruchten Stoff eindeutig eine therapeutische Wirkung aus. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob dies in jedem Fall erforderlich ist, um Stoffen oder Stoffgemischen zur Verwendung in therapeutischen, chirurgischen oder diagnostischen Verfahren gemäß Artikel 54(5) Neuheit zuzuerkennen, braucht daher hier nicht entschieden zu werden.
4.5.4 Die Kammer hält den in der angefochtenen Entscheidung gemachten Verweis auf D8 nicht für zielführend. Die Klassifikation von medizinischen Produkten zum Zweck von Regulierungs- und Zulassungsverfahren in der EU und die Klassifikation von Materialien als "Stoff oder Stoffgemische" im Sinne des EPÜ basieren nicht auf den gleichen rechtlichen Grundlagen und müssen daher im Detail nicht übereinstimmen.
4.6 Es handelt sich bei den beanspruchten perfluorierten Polyethern also um "Stoffgemische" im Sinne von Artikel 54(4)(5) EPÜ zur spezifischen Anwendung in einem in Artikel 53(c) genannten Verfahren. Da keines der angeführten Dokumente eine Verwendung anspruchsgemäßer Verbindungen als Synovialflüssigkeitsersatz offenbart, ist gemäß Artikel 54(5) EPÜ Neuheit gegeben.
5. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
5.1 Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, durch die Definition von R als Trifluormethoxy und Pentafluorethoxy würden sich die Formeln im Anspruch auf Peroxopolyether beziehen. Solche Verbindungen seien weder stabil noch für die beanspruchte Verwendung geeignet. Die Erfindung sei daher in diesem Bereicht nicht ausführbar.
5.2 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, der Wortlaut des Anspruchs definiere Perfluorpolyether, so dass Peroxoverbindungen nicht von Anspruch umfasst würden.
5.3 Die Kammer schließt sich der Ansicht des Beschwerdeführers an. Die von der Prüfungsabteilung monierten Peroxoverbindungen ergeben sich nur bei bestimmten Kombinationen der definierten Formel mit den angegebenen Resten. Der Anspruch richtet sich aber auf die Verwendung von Perfluorpolyethern; Peroxoverbindungen fallen also nicht darunter. Ein Fachmann ist daher in der Lage, die beanspruchte Erfindung auszuführen.
6. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Ein Klarheitseinwand in der angefochtenen Entscheidung richtete sich gegen die Abwesenheit von Definitionen für die Parameter n, m, p und q der im Anspruch verwendeten Strukturformeln. Entsprechende Definitionen wurden in den nun vorliegenden Anspruchssatz eingefügt. Der Einwand wurde daher ausgeräumt.
Der andere Klarheitseinwand betraf die Stabilität von Peroxopolyethern und ist aus den in Punkt 5.3 oben angeführten Gründen auch unter Artikel 84 EPÜ nicht zutreffend.
7. Zurückverweisung (Artikel 111 EPÜ)
Erfinderische Tätigkeit unter Artikel 56 EPÜ wurde in den der Entscheidung zugrundeliegenden Prüfungsbescheiden nur kursorisch im Zuge der Neuheitsprüfung erwähnt (siehe Bescheid vom 19. Juni 2015, Punkt I.3), aber nicht als eigene Patentierungsvoraussetzung geprüft. Nach Ansicht der Kammer ist dies ein besonderer Grund gemäß Artikel 11 VOBK 2020, der eine Zurückverweisung rechtfertigen kann.
Der Beschwerdeführer hat Zurückverweisung beantragt. Die Kammer folgt daher diesem Antrag und verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurück.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen