T 3014/18 17-03-2022
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Verbesserte arzneimittelbeschichtete Medizinprodukte und deren Herstellung
Änderungen - Hauptantrag und erster Hilfsantrag
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Ausreichende Offenbarung - zweiter Hilfsantrag
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Klarheit im Einspruchsbeschwerdeverfahren - zweiter Hilfsantrag - (ja)
Neuheitsangriff im Beschwerdeverfahren zugelassen- (ja)
Neuheit - erfolgreich
Neuheit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent EP 2 682 138 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Das Patent ging aus einer Teilanmeldung zum Patent EP 2 170 421 hervor, das Gegenstand des Beschwerdeverfahrens T 1725/18 war. Es betrifft einen Ballonkatheter umfassend einen Ballon, der auf der Oberfläche mit einem offen aufliegenden Wirkstoff und Harnstoff beschichtet ist.
III. Das Patent war im Einspruchsverfahren unter Artikel 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ angegriffen worden.
In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, der erteilte Anspruch 7 sei in unerlaubter Weise geändert worden und verstieße daher gegen Artikel 123(2) bzw. 76(1) EPÜ. Die Ansprüche des ersten Hilfsantrags erfüllten dagegen die Erfordernisse des EPÜ. Insbesondere beruhten die Ansprüche auf der ursprünglichen Offenbarung (Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ), die Änderung in Anspruch 7 sei klar (Artikel 84 EPÜ), die beanspruchte Erfindung sei in ausführbarer Weise beschrieben (Artikel 83 EPÜ) und ausgehend von D1-D3 als nächstem Stand der Technik nicht nahegelegt. Neuheit gegenüber D1 wurde als verspäteter Einspruchsgrund wegen mangelnder prima-facie-Relevanz nicht ins Verfahren zugelassen.
IV. Im Verfahren wurden unter anderem folgende Dokumente angeführt:
D1:|US 2006/0020243 A1 |
D2:|US 2004/0073284 A1 |
D3:|WO 2008/086794 A1 |
D4:|US 6,858,644 B2 |
D5: |M. R. Jafari et al., Int. J. Pharm. 48, 207-215 (1988) |
D6:|WO 89/03232 |
D12: |J. A. Anderson et al., Acta Biomaterialia 29(2016), 333-351|
V. Der unabhängige Anspruch 1 sowohl des Streitpatents als auch der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Form hat folgenden Wortlaut:
"Ballonkatheter, umfassend einen Katheterballon mit einer Ballonmembran, wobei die Ballonmembran mit mindestens einem offen auf deren Oberfläche aufliegenden Wirkstoff und Harnstoff beschichtet ist."
Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 der Beschwerdegegnerin ist demgegenüber unverändert.
Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 der Beschwerdegegnerin hat folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber dem erteilten Patent sind durch Unterstreichung hervorgehoben):
"Ballonkatheter, umfassend einen Katheterballon mit einer Ballonmembran, wobei die Ballonmembran mit mindestens einem offen auf deren Oberfläche aufliegenden Wirkstoff und Harnstoff in einer Weise beschichtet ist, dass der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird.
Der Wortlaut der Ansprüche der weiteren Hilfsanträge ist für die Entscheidung unerheblich.
VI. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdeführerin in Bezug auf die entscheidungsrelevanten Fragen im wesentlichen folgendes vor:
Anspruch 1 des Hauptantrags sei gegenüber der ursprünglichen Offenbarung durch Streichen des Merkmals "dass der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird" aus dem ursprünglichen Anspruch 1 unerlaubt geändert worden.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei durch die Wiederaufnahme dieses Merkmals unklar geworden (Artikel 84 EPÜ).
Es sei im Patent keine für den Fachmann ausführbare Lehre offenbart, wie eine sofortige Wirkstofffreisetzung bei Expansion des Katheterballons zu erreichen wäre. Der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beanspruchten Ballonkatheter sei daher nicht ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ).
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei nicht neu gegenüber D1. D1 war im Einspruchsverfahren als nächster Stand der Technik diskutiert worden; der Neuheitseinwand könne daher gemäß G7/95 im Beschwerdeverfahren im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit ohne Zustimmung der Patentinhaberin erhoben werden.
Schließlich sei der beanspruchte Ballonkatheter dem Fachmann ausgehend von jedem der Dokumente D1-D3 bereits durch diese Dokumente alleine, zumindest aber in Kombination mit der Lehre von D4-D6 nahegelegt gewesen.
VII. In ihrer Beschwerdeerwiderung und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) in Bezug auf die entscheidungsrelevanten Fragen im wesentlichen folgendes vor:
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei korrekt.
Die Ansprüche der aufrechterhaltenen Fassung seien nicht unerlaubt geändert worden. Insbesondere sei die Möglichkeit der Streichung des Merkmals "dass der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird" in Anspruch 1 aus der ursprünglichen Offenbarung unmittelbar und eindeutig abzuleiten.
Das Wiedereinführen dieses Merkmals in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags führe nicht zu einem Mangel an Klarheit unter Artikel 84 EPÜ.
Die in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags beanspruchte Erfindung sei für den Fachmann ausreichend offenbart.
Der Neuheitseinwand gegenüber D1 sei von der Einspruchsabteilung zu Recht nicht mehr zugelassen worden; er sollte daher auch ins Beschwerdeverfahren nicht zugelassen werden. Überdies sei er sachlich nicht zutreffend.
Ausgehend von keinem der Dokumente D1-D3 hätte der Fachmann eine Veranlassung gehabt, der Beschichtung des Katheterballons Harnstoff zuzusetzen und wäre daher nicht auf naheliegende Weise zu den anspruchsgemäßen Ballonkatheter gelangt.
VIII. In einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ von 16. Oktober 2020 informierte die Kammer die Parteien über ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage. Die Kammer kam vorläufig zu der Einschätzung, die angefochtene Entscheidung wäre aufzuheben; das Patent könnte aber auf Basis des zweiten Hilfsantrags der Beschwerdegegnerin aufrechterhalten werden.
IX. Mit Ladung vom 8. März 2021 wurden die Parteien für den 24. Februar 2022 zu einer mündlichen Verhandlung geladen; der Termin der Verhandlung wurde im weiteren Verlauf auf den 17. März 2022 verlegt.
X. Am 17. März 2022 fand die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt.
Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents Nr. 2 682 138 in vollem Umfang.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, als Hauptantrag, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderten Umfang auf Basis der Hilfsanträge 1-9, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 17 Juli 2019. Sie beantragte zudem die Nichtzulassung von Dokument D12.
XI. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung
2. Änderungen (Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ)
2.1 Das vorliegende Patent beruht auf einer Teilanmeldung. Zwar wurde die Teilanmeldung ohne Ansprüche eingereicht, allerdings ist die gesamte Offenbarung der Stammanmeldung in der Teilanmeldung enthalten, da die ursprünglichen Ansprüche der Stammanmeldung in die Teilanmeldung am Ende der Beschreibung eingefügt wurden. Die Offenbarung der Stamm- und Teilanmeldungen wie ursprünglich eingereicht sind identisch. In Bezug auf Artikel 123(2) bzw. 76(1) EPÜ wird daher auf WO 2009/018816 als ursprüngliche Offenbarung verwiesen.
2.2 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 der ursprünglichen Offenbarung dadurch, dass Harnstoff in die Beschichtung aufgenommen wurde und dass das Merkmal "dass der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird" gestrichen wurde.
2.2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass das Streichen dieses Merkmals die ursprüngliche Offenbarung erweitert und daher ein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ vorliegt.
2.2.2 Die Beschwerdegegnerin argumentiert dagegen, dieses Merkmal könne gestrichen werden, weil es durch die im Anspruch definierten strukturellen Merkmale inhärent verwirklicht sei. Insbesondere die Bedingung, dass der Wirkstoff offen an der Oberfläche aufliegt, d.h. nicht fest mit der Ballonmembran verbunden ist (Seite 9 Zeilen 23-29), impliziere eine sofortige Freisetzung des Wirkstoffs. Des weiteren führe auch die Gegenwart von Harnstoff dazu, dass eine sofortige Freisetzung erfolge (Seite 24, Zeilen 36/37). Die Einspruchsabteilung ist dieser Auffassung in der angefochtenen Entscheidung gefolgt.
2.2.3 Die Kammer hält das Argument, das Merkmal könne gestrichen werden, weil die sofortige Freisetzung implizit durch den offen aufliegenden Wirkstoff und das Vorhandensein des Harnstoffs in der Beschichtung verwirklicht sei, für nicht überzeugend.
Für die Beurteilung von Änderungen unter Artikel 123(2) EPÜ kommt es wesentlich darauf an, was in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen für den Fachmann unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig offenbart ist ("Goldstandard", siehe G 02/10). Eine explizite Offenbarung, dass ein offen auf der Oberfläche aufliegender Wirkstoff zu einer sofortigen Freisetzung im Sinne der Anmeldung, d. h. zu einer Freisetzung einer wirksamen Dosis innerhalb von maximal einer Minute führt (siehe Beschreibung Seite 9, Zeilen 5-9), findet sich in der Anmeldung nicht. Eine implizite Offenbarung, dass dieses Merkmal zwangsläufig immer zu einer sofortigen Freisetzung im Sinne der Anmeldung führt, scheint nicht belegt und ist dem Fachmann auch nicht unmittelbar einleuchtend. Dieses Merkmal ist durchaus einschränkend und kann nicht einfach mit dem Verweis auf eine implizite Erfüllung desselben durch die anderen Anspruchsmerkmale gestrichen werden.
2.2.4 Eine andere Frage ist, ob ein Ballonkatheter wie in Anspruch 1 definiert (d. h. ohne das Merkmal der sofortigen Freisetzung) an anderer Stelle der ursprünglichen Unterlagen offenbart ist.
Dazu hat die Beschwerdegegnerin vorgetragen, eine solche Offenbarung finde sich auf Seite 25 Zeilen 8ff im ersten Halbsatz. Dort sei als Handlungsanweisung ausgeführt, dass der Ballon mit einem offen aufliegenden Wirkstoff und einem Hilfsstoff in einer Weise beschichtet werden solle, dass eine Expansion eine sofortige Wirkstofffreigabe bewirke. Diese Passage entspreche einer Handlungsanweisung, woraus hervorgehe dass das Ergebnis automatisch erfüllt werde. Im Beispiel 9 sei diese Anweisung verwirklicht.
Dies kann nicht überzeugen. In der angeführten Passage auf Seite 25 der ursprünglichen Stammanmeldung ist ja das gestrichene funktionelle Merkmal ebenfalls enthalten. Die Beurteilung der Änderung bleibt daher unverändert, egal ob man von dieser Passage oder vom ursprünglichen Anspruch 1 ausgeht. Ein Automatismus ist hier nicht offenbart. Die Angabe, dass die Oberfläche "in einer Weise" beschichtet ist, dass eine sofortige Freisetzung erfolgt, lässt im Gegenteil eher den Schluss zu, dass es eben auch Beschichtungsweisen gibt, bei denen eine sofortige Freisetzung nicht erreicht wird.
2.3 Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung enthält unerlaubte Änderungen und verstößt somit gegen Artikel 123(2) EPÜ. Das Patent kann nicht auf dieser Basis aufrechterhalten werden.
Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin
3. Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags ist gegenüber Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung unverändert. Dieser Antrag ist daher ebenso wenig gewährbar.
Hilfsantrag 2 der Beschwerdegegnerin
4. Änderungen (Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ)
In Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags wurde das oben diskutierte Merkmal wieder eingeführt. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung erklärt, keine Einwände unter Artikel 123(2) oder 76(1) EPÜ gegen Anspruch 1 dieses Antrags zu erheben.
Auch die Kammer hat solche Einwände nicht; Anspruch 1 geht aus der bereits erwähnten Passage auf Seite 25, Zeilen 8-14 durch Streichen von alternativen Hilfsstoffen in unmittelbarer und eindeutiger Weise hervor.
Unerlaubte Änderungen in abhängigen Ansprüchen dieses Antrags wurden nicht bemängelt.
5. Klarheit, Artikel 84 EPÜ
5.1 Die Beschwerdeführerin bemängelt das Merkmal "dass der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird" als unklar, das in Anspruch 1 des vorliegenden Hilfsantrags 2 wieder in den Hauptanspruch eingefügt wurde. Dieses Merkmal war im erteilten Patent im Vergleich zur ursprüngliche Offenbarung aus dem Hauptanspruch gestrichen worden, wie oben diskutiert.
Die Einfügung dieses Merkmals ist eine Änderung, die gemäß G 3/14 einer Klarheitsprüfung zugänglich ist, da es aus der Beschreibung des erteilten Patents aufgenommen wurde. Dies war zwischen den Parteien unstrittig.
5.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist dieses Merkmal unklar, weil die Bedingungen der sofortigen Freisetzung nicht definiert sind. Insbesondere sei unklar, was unter einer sofortigen Freisetzung zu verstehen sei. Auch die Beschreibung helfe nicht weiter, da die Definition der sofortigen Freisetzung in Absatz [0026] auf eine wirksame Dosis verweise, was ebenfalls nicht klar sei.
5.3 Die Kammer schließt sich dieser Meinung nicht an. Ein Fachmann ist durchaus in der Lage, festzustellen, ob bei Expansion des Katheters eine sofortige Freisetzung des Wirkstoffs erfolgt oder nicht. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, geht es hier um die Freisetzung bei Kontakt mit der Gefäßwand, im Gegensatz zu etwa der Beschichtung eines Stents, die langsam und kontinuierlich einen Wirkstoff freisetzt. Ein Rückgriff auf die Beschreibung ist daher nicht erforderlich.
5.4 Die Beschwerdeführerin bemängelte auch das Merkmal "offen an deren Oberfläche aufliegenden Wirkstoff". Da dieses Merkmal jedoch Bestandteil der erteilten Patentansprüche ist, ist es gemäß G03/14 einer Klarheitsprüfung entzogen.
5.5 Das neu eingeführte Merkmal führt daher nicht dazu, dass der geänderte Anspruch unklar wäre.
6. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
6.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Merkmal "dass der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird" sei für den Fachmann nicht zu verwirklichen.
Ihrer Ansicht nach ist das einzige vorhandene Beispiel des Patents (Absatz [0106]) nicht ausreichend, um einen Fachmann in die Lage zu versetzen, Ballone herzustellen, die für die gesamte Breite des Anspruchs, d. h. insbesondere für alle Kombinationen von Wirkstoff, Lösungsmittel und Ballonoberfläche, eine sofortige Freisetzung des Wirkstoffs ermöglichen.
6.2 Dies ist nicht überzeugend. Die Herstellung der beschichteten Ballone ist offenbar möglich, wie im Beispiel gezeigt. Dass der im Beispiel hergestellte Ballon bei Expansion und Kontakt mit der Gefäßwand eine sofortige Wirkstofffreisetzung erlaubt, wurde nicht angezweifelt.
Es wurde von der Beschwerdeführerin kein stichhaltiger Grund angegeben, weshalb der Fachmann bei Verwendung anderer Kombinationen an Wirkstoffen und Lösungsmitteln nicht nicht in der Lage sein sollte, anspruchsgemäße Ballonkatheter zu erhalten.
Es ist auch nicht entscheidend, dass, wie von der Beschwerdeführerin bemängelt, das Patent kein Testprotokoll zur Messung der sofortigen Freisetzung enthält. Ein Fachmann ist durchaus in der Lage, festzustellen, ob bei der Expansion des Ballons ein Wirkstoff freigesetzt wird oder nicht.
6.3 Die in Anspruch 1 des Hilfsantrags definierte Erfindung ist daher im Patent in für den Fachmann ausreichender Weise offenbart.
7. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
7.1.1 Im Einspruchsverfahren wurde der verspätet vorgebrachte Neuheitseinwand gegenüber D1 nicht mehr zugelassen.
Die Beschwerdeführerin greift diese Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht an und die Kammer sieht ebenfalls keinen Grund, diese Entscheidung in Frage zu stellen.
7.1.2 Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, da D1 als nächster Stand der Technik im Einspruchsverfahren diskutiert wurde, könne gemäß G7/95 ein Neuheitseinwand im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren auch ohne die Zustimmung des Patentinhabers gemacht werden.
Die Beschwerdegegnerin hat zu diesem Punkt nur vorgetragen, der Einwand sei prima facie nicht relevant und sollte daher nicht zugelassen werden.
7.2 Der Beschwerdeführerin ist insoweit Recht zu geben, als die in G7/95 beschriebene Situation hier vorliegt. D1 wurde im Einspruchsverfahren als nächster Stand der Technik diskutiert, ein darauf gestützter Neuheitseinwand kann daher im Rahmen der Diskussion erfinderischer Tätigkeit auch ohne die Zustimmung des Patentinhabers im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden, da für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ohnehin die Unterschiede zum Stand der Technik festgestellt werden müssen.
7.3 Die Beschwerdeführerin bringt vor, in Beispiel 6 der D1 sei ein anspruchsgemäßer Ballon offenbart. Der wirkstoffbeschichtete Ballon werde für mehrere Minuten in Blut getaucht und herausgenommen. Da Blut auch eine geringe Menge Harnstoff enthalte, sei es unvermeidlich, dass Harnstoff auch auf der Ballonhülle adsorbiert werde. Beispiel 6 offenbare auch, dass auf der Ballonhülle nach der Behandlung mit dem Blut noch Wirkstoff zurückbleibe. Der Anspruch sei breit formuliert und verlange weder, dass der Ballon getrocknet, sterilisiert oder in anderer Weise behandelt werde. Auch Mindestmengen an Harnstoff oder Wirkstoff seien nicht definiert.
7.4 Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann nicht überzeugen. In Abwesenheit eines experimentellen Nachweises kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass sich nach dem Tauchvorgang messbare Mengen Harnstoff auf der Ballonoberfläche befinden. Wie von der Beschwerdegegnerin richtigerweise angeführt, erwähnt D1 Harnstoff nicht und es ist aus dem Beispiel der D1 nicht einmal klar, ob nach der Testprozedur überhaupt Blut am Ballon anhaftet, geschweige denn Harnstoff. Des Weiteren ist nicht klar, ob der nach der Testprozedur auf der Ballonoberfläche verbleibende Wirkstoff noch in der Lage ist, bei Expansion des Ballons sofort freigesetzt zu werden, wie im Anspruch verlangt. Ohne experimentelle Belege kann hier keine neuheitsschädliche Offenbarung angenommen werden.
8. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
8.1 Nächster Stand der Technik
Das Patent beschäftigt sich mit Ballonkathetern umfassend einen wirkstoffbeschichteten, expandierbaren Katheterballon, die zur Behandlung erkrankter Gefäße verwendet werden können. Als nächster Stand der Technik können, wie von den Parteien vorgeschlagen, D1-D3 gleichwertig verwendet werden, da diese Dokumente alle wirkstoffbeschichtete Katheterballone offenbaren (siehe etwa D1, Absatz [0014] und Beispiel 5). Dabei erfolgt die Freisetzung des Wirkstoffs sofort bei Kontakt mit der Gefäßwand, siehe D1 Absatz [0013], D2 Absatz [0014] oder D3 Seite 4, Zeilen 20ff.
Demnach besteht der Unterschied der beanspruchten Ballonkatheter zu denen der D1-D3 darin, dass vorliegend Harnstoff in der Beschichtung vorhanden ist. Dies war ebenfalls unstrittig.
8.2 Aufgabe und Lösung
8.2.1 Strittig war dagegen die Formulierung der technischen Aufgabe, die das vorliegende Patent zu lösen versucht.
8.2.2 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, ausgehend von D1-D3 wäre die zu lösende Aufgabe, einen Ballonkatheter mit einem wirkstoffbeschichteten Ballon mit verbesserter Freisetzung des Wirkstoffs zur Verfügung zu stellen.
Die Beschwerdeführerin brachte vor, die zu lösende Aufgabe sei lediglich die Bereitstellung eines alternativen Ballonkathethers, da eine Verbesserung der Freisetzung durch Harnstoff nicht belegt sei. In diesem Zusammenhang wurde mit der Beschwerdebegründung das Dokument D12 eingereicht, dessen experimentelle Daten nach Ansicht der Beschwerdeführerin zeigen, dass ein solcher Effekt nicht auftritt. Zudem dürfe eine sofortige Freisetzung des Wirkstoffs nicht in die Aufgabenstellung einfließen, da dieses Merkmal Bestandteil der beanspruchten Lösung sei.
8.2.3 Die Kammer schließt sich der Beschwerdeführerin insoweit an, als dass ein Effekt des Harnstoffs durch keine Daten gestützt ist, weder durch Daten in der Patentschrift, noch durch nachträglich im Prüfungs- oder Einspruchsverfahren eingereichte Versuchsdaten. Dieser Effekt kann daher nicht in die Aufgabenstellung einfließen, da eine solche Aufgabe nicht gelöst wurde. Dies gilt unabhängig von der Zulässigkeit und dem Inhalt von D12, weshalb hierauf nicht näher eingegangen werden muss.
Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin auch insoweit zu, als üblicherweise Merkmale, die als zu erreichender Effekt im Anspruch stehen, bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe außer Acht gelassen werden. Solche Anspruchsmerkmale, die ein zu erreichendes Ergebnis bestimmen, werden stattdessen als Teil der beanspruchten Erfindung unter Artikel 83 EPÜ dahingehend geprüft, ob dafür für den Fachmann eine ausreichende Offenbarung vorliegt. Dies ist, wie oben ausgeführt, auch im vorliegenden Fall geschehen.
Andererseits haben die in D1-D3 beschriebene Ballone die Eigenschaft, den Wirkstoff bei Kontakt mit der Gefäßwand sofort zu übertragen. Insofern impliziert auch die Formulierung der Aufgabe als bloße Alternative, wie sie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen wurde, dass ein Ballon, der diese Aufgabe löst, den Wirkstoff sofort freisetzen muss; ansonsten wäre er ja keine gleichwertige Alternative.
8.2.4 Die mit dem Patent zu lösende Aufgabe bestand daher darin, ausgehend von D1-D3 einen alternativen Ballonkatheter zur Übertragung von Wirkstoffen auf Gefäßwände zur Verfügung zu stellen.
8.2.5 Die beanspruchte Lösung der Aufgabe ist der in Anspruch 1 definierten Ballonkatheter, der sich dadurch auszeichnet, dass er zusätzlich Harnstoff in der Beschichtung des Ballons enthält.
8.2.6 Dass der beanspruchte Ballonkatheter diese Aufgabe löst, wurde nicht bestritten.
8.3 Naheliegen der Lösung
8.3.1 Bleibt zu entscheiden, ob es für den Fachmann naheliegend war, den in D1-D3 beschriebenen Ballonen Harnstoff in der Wirkstoffschicht hinzuzufügen, in der Erwartung, einen brauchbaren alternativen Ballonkatheter zu erhalten.
8.3.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, der Zusatz von Harnstoff sei willkürlich. Sie verwies auf die Entscheidung T 2044/09, in der festgestellt worden sei, dass die Hinzfügung eines willkürlichen Merkmals ohne technischen Effekt keinen erfinderischen Beitrag leisten könne. Der beanspruchte Ballonkatheter sei daher schon gegenüber D1-D3 alleine nicht erfinderisch.
Dies überzeugt nicht. Ein Fachmann hatte aus keinem der Dokumente D1-D3 Informationen, ob die Zugabe von Harnstoff auf die Ballonoberfläche die Brauchbarkeit des Ballons für den beabsichtigten Zweck erhalten würde und so zu einem Ballonkatheter führen würde, der die gestellte technische Aufgabe löst.
8.3.3 Die Beschwerdeführerin ging insbesondere von Beispiel 5 der D1 aus, in dem Mannitol als Zusatzstoff verwendet wird. Sie verwies auf die allgemeinen Angaben der Beschreibung in den Absätzen [0025] und [0027] der D1, die die Verwendung biokompatibler organischer Stoffe als Hilfsstoffe in der Ballonbeschichtung beschrieben. Harnstoff sei ein biokompatibler Hilfsstoff, wie aus D4, Spalte 8 Zeilen 16ff hervorgehe. Es sei daher naheliegend gewesen, Mannitol gegen Harnstoff auszutauschen, oder Harnstoff zusätzlich einzusetzen.
Dies ist nicht überzeugend. In D1 wird Harnstoff nicht erwähnt, und die Hilfsstoffe in D1 dienen dazu, eine Matrix zu erzeugen, in die der Wirkstoff eingebettet wird, siehe Absatz [0025]. Im Gegensatz dazu soll anspruchsgemäß der Wirkstoff offen auf der Ballonoberfläche aufliegen. D4 erwähnt Harnstoff zwar, aber nur als allgemeinen Hilfsstoff für pharmazeutische Zubereitungen.
Die Kammer hält es nicht für ausreichend, dass Harnstoff als allgemeiner pharmazeutischer Hilfsstoff im Stand der Technik, etwa in D4 oder D5 beschrieben wird. Ein Fachmann hätte zumindest einen Hinweis aus dem Stand der Technik erhalten müssen, dass Harnstoff als Beschichtung auf Katheterballonen oder ähnlichen Instrumenten verwendet werden kann.
8.3.4 Die Beschwerdeführerin hat weiterhin auf D6 verwiesen.
D6 erwähnt Harnstoff in einer Liste möglicher Additive, beschäftigt sich aber nicht mit der Übertragung von Wirkstoffen auf Gefäße durch Kontakt mit einem Ballon. In D6 wird der Wirkstoff matrixkontrolliert in gleichförmiger Weise abgegeben, siehe etwa Seite 5 Zeilen 25ff. Dies steht im Gegensatz zu der vorliegend beanspruchten Beschichtung, die den Wirkstoff ja erst bei Kontakt mit der Gefäßwand übertragen soll. Das einzige Beispiel eines Ballonkatheters in D6 ist ein Blasenkatheter, bei dem die fragliche Beschichtung aber nicht auf der Ballonhülle, sondern auf der Katheterspitze angebracht ist (siehe Abbildungen 1 und 2). Der Fachmann kann daher D6 keinen Hinweis auf die Lösung der vorliegenden technischen Aufgabe entnehmen
8.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass es für den Fachmann ausgehend von D1-D3 auch unter Zuhilfenahme der weiteren angeführten Dokumente nicht naheliegend war, Harnstoff zur Beschichtung hinzuzufügen, um einen zu D1-D3 alternativen Katheterballon zu erhalten.
Keines der Dokumente, die Kathetherballone behandeln (D1-D3), erwähnt Harnstoff. Die anderen angeführten Dokumente (D4-D6), enthalten keinen Hinweis auf die Verwendung von Harnstoff in Katheterballonen.
Die oben definierte technische Aufgabe wurde daher auf nicht-naheliegende Weise gelöst.
9. Die Ansprüche des zweiten Hilfsantrags erfüllen die Erfordernisse des EPÜ. Das Patent kann daher auf Basis dieses Anspruchssatzes in geänderter Form aufrechterhalten werden, Artikel 101(3)(a) EPÜ. Die Parteien stimmten einer Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zum Zwecke der Anpassung der Beschreibung zu.
10. Die weiteren Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin können unbeachtet bleiben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
Nr. 1-7 des Hilfsantrags 2 eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 17 Juli 2019.