T 3020/18 13-10-2021
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WASSERKRAFTANLAGE MIT EINEM VERZWEIGUNGSTEIL
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Lösung
Spät eingereichte Tatsachen - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung legte die Einsprechende das Dokument E5 vor.
III. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 15. März 2021 äußerte die Kammer die vorläufige Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu ist. Die Zulassung von E5 zum Verfahren nach Artikel 12(4) VOBK 2007 ließ sie offen, ebenso die Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3.
IV. Mit Schreiben vom 12. August 2021 reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) drei Hilfsanträge 1 - 3 ein.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2021 legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Dokumente E6 - E9 vor.
V. Am 13. Oktober 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Anwesenheit aller Parteien statt.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unter Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 12. August 2021 eingereichten Hilfsanträge 1 - 3.
VII. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"1. Pumpturbinenanlage, umfassend
1.1 eine Turbine (1) mit einem Turbinenlaufrad (1.1) sowie einem Turbinenspiralgehäuse (1.2);
1.2 eine Pumpe (2) mit einem Pumpenlaufrad (2.1) sowie ein Pumpenspiralgehäuse (2.2);
1.3 die beiden Spiralgehäuse (1.2, 2.2) sind gegenläufig zueinander angeordnet;
1.4 eine Welle (3), auf der das Turbinenlaufrad (1.1) und das Pumpenlaufrad (2.1) drehfest angeordnet sind;
1.5 eine elektrische Maschine (4), die in einer Triebverbindung mit der Welle (3) steht oder in eine solche bringbar ist;
1.6 die Druckleitungen (12, 13) der beiden Spiralgehäuse (1.2, 2.2) münden in einer gemeinsamen Hauptdruckleitung (11);
1.7 eine Turbinendruckleitung (12) zum Einleiten von Wasser im Turbinenbetrieb aus der Hauptdruckleitung (11) in eine Pumpturbine;
1.8 eine als Krümmer gestaltete Pumpendruckleitung (13) zum Einleiten von Wasser im Pumpbetrieb aus der Pumpturbine in die Hauptdruckleitung (11), oder beim hydraulischen Kurzschluss zurück durch die Turbinendruckleitung (12) zur Pumpturbine;
1.9 ein Verzweigungsteil (10), an das die Hauptdruckleitung (11), die Turbinendruckleitung (12) sowie die Pumpendruckleitung (13) angeschlossen sind,
gekennzeichnet durch die folgenden Merkmale:
1.10 der Strömungsquerschnitt des Krümmers ist an seinem Austritt größer als an seinem Eintritt."
Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 - 3 weist jeweils das folgende zusätzliche Merkmal im kennzeichnenden Teil auf:
"und wobei
1.11 zwischen dem Krümmer und dem Verzweigungsteil (10) ein Rohrsegment 13.8 vorgesehen ist" (Hilfsantrag 1).
"und wobei
1.11 zwischen dem Krümmer und dem Verzweigungsteil (10) ein konisches oder zylindrisches Rohrstück 13.8 vorgesehen ist" (Hilfsantrag 2).
"und wobei
1.11 zwischen dem Krümmer und dem Verzweigungsteil (10) ein zylindrisches Rohrstück 13.8 vorgesehen ist" (Hilfsantrag 3).
VIII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E3: "Kopswerk II dabei", Ausgabe 7, Februar 2007
E5: screenshots eines youtube Videos
"Kopswerk II Teil 2"
E6: screenshots eines youtube Videos
"Kopswerk II Teil 1"
E7: G. Penninger, F. Spitzer: "Herausforderungen
an moderne Pumpspeichermaschinensätze",
Schriftenreihe zur Wasserwirtschaft 46/2,
Seiten 151 - 161, TU Graz, September 2006
E8: Ausdruck power point Dokument
"KOPS II ... Vortrag 30. Juni 2004",
E9: Flyer TU Graz "Das Kraftwerksprojekt
Kopswerk II", "Vortragsreihe Wasserkraft"
IX. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von einem der Dokumente E3 und E5 - E8.
Die Hilfsanträge 1 - 3 seien verspätet nach Ladung gestellt und sollten nicht zum Verfahren zugelassen werden.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Zumindest die beanspruchte Aufweitung des Krümmers begründet eine erfinderische Tätigkeit.
Die Dokumente E5 - E9 sind als verspätet eingereicht nicht zum Verfahren zuzulassen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent befasst sich mit dem Pumpturbinenwerk eines Wasserspeicherkraftwerks.
Ein solches Pumpturbinenwerk weist als Hauptbestandteile eine Turbine auf, die zur Stromerzeugung von in einer Hauptdruckleitung herabströmendem Wasser in Drehung versetzt wird und mit einer als Generator arbeitenden elektrischen Maschine gekoppelt ist, sowie eine Pumpe, die von der dann als Motor arbeitenden elektrischen Maschine angetrieben wird, um das herabgeströmte Wasser wieder über eine Pumpendruckleitung zu fördern. Im vorliegenden Fall mündet die als Krümmer ausgebildete Pumpendruckleitung über ein Verzweigungsteil in die Hauptdruckleitung, so dass die Pumpe im sog. "hydraulischen Kurzschluss" aus der Turbine abfließendes Wasser wieder in die an das Verzweigungsteil anschließende Turbinendruckleitung fördern kann.
Erfindungsgemäß soll der Krümmer einen sich von Einlass zu Auslass hin erweiternden Strömungsquerschnitt aufweisen.
3. Hauptantrag - Auslegung des Anspruchsmerkmals "Krümmer"
3.1 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass als Krümmer gemeinhin ein Rohr verstanden wird, das durch zumindest einen gekrümmten Abschnitt eine Richtungsänderung von Fluiden bewirkt. Krümmer gibt es in verschiedenen Gebieten der Technik (z.B. Abgaskrümmer im KFZ) und in vielfältigen Formen, die auch geradlinige Abschnitte enthalten können, vor, nach und/oder zwischen gekrümmten Abschnitten. Es besteht kein Grund zur Annahme, ein Fachmann auf dem Gebiet der Strömungsmechanik und mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen im Bereich von Pumpturbinenanlagen würde dies anders sehen.
Zumindest legt die Beschwerdegegnerin keine Belege vor, die ihre mehr eingeschränkte Interpretation eines Krümmers als ausschließlich aus gekrümmten Rohrabschnitten bestehend stützen könnten.
3.2 Auch aus der Patentschrift selbst ergibt sich nicht eindeutig ein solches eingeschränktes Verständnis des Begriffs "Krümmer".
So weist die "Pumpendruckleitung 13 in Gestalt eines Krümmers" (Absatz [0013]) in dem Ausführungsbeispiel nach Fig. 2, 3 durchaus geradlinige Rohrsegmente 13.1, 13.8 am Ausgang des Spiralgehäuses und vor Einmündung in das Verzweigungsteil 10 auf (Absätze [0012] - [0016]). Die von der Beschwerdegegnerin angezogenen Absätze [0016] und [0021] definieren auch nicht explizit einen "Krümmer" in Abgrenzung zur Pumpendruckleitung. Dafür wird in Absatz [0026] z.B. der Austrittsdurchmesser D3 des geradlinigen Rohrsegments 13.8 als "Austrittsdurchmesser D3 des Verzögerungskrümmers" bezeichnet.
4. Zulassung der Dokumente E5 - E9
4.1 Die Zulassung der vor 2020 eingereichten E5 liegt im Ermessen der Kammer nach Artikel 12(4) VOBK 2007. Ein maßgebliches Kriterium für die Zulassung von erstmals mit Beschwerdebegründung eingereichten Dokumenten, die bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden können, ist deren prima facie Relevanz.
Obwohl die Beschwerdeführerin als Veröffentlichungsdatum auf Seite 3 der E5, die screenshots aus einem youtube Video "Kopswerk II Teil 2" enthält, den 10. Januar 2012 angegeben hat, ist mit diesem Datum bei youtube nur das Video "Kopswerk II Teil 1" aufzufinden. Teil 2 und damit E5 tragen dort das Veröffentlichungsdatum 3. Dezember 2013. Da dieses Datum nach dem Prioritätsdatum des Patents, dem 15. Februar 2012 liegt, gehört das derzeit auf youtube auffindbare Video Teil 2 nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54(1), (2) EPÜ.
Deshalb sieht die Kammer E5 als verspätet vorgelegtes und nicht relevantes Dokument an.
Nach Angabe der Beschwerdeführerin sei zwar das frühere Veröffentlichungsdatum heute nicht mehr nachweisbar. Weil aber Teil 2 des Videos unmittelbar den abrupt endenden Teil 1 fortsetze und am Ende das Copyright Datum 2009 trage, könne man davon ausgehen, dass beide Teile ursprünglich gleichzeitig veröffentlicht wurden.
Ob eine und falls ja, welche frühere Fassung des Teils 2 möglicherweise gleichzeitig mit Teil 1 veröffentlicht wurde, bleibt jedoch nach Ansicht der Kammer ohne Vorlage dieser Fassung reine Spekulation. Die Beweispflicht für ein früheres Veröffentlichungsdatum der screenshots der E5 obliegt der Beschwerdeführerin, die sich auf dieses beruft, und kann nicht durch bloße Behauptungen und Vermutungen ersetzt werden.
4.2 Da E6 - E9 nach Ladung zur mündlichen Verhandlung eine Woche vor derselben eingereicht wurden, ist nach Artikel 13(2) VOBK 2020 Voraussetzung für ihre Zulassung, dass die Beschwerdeführerin außergewöhnliche Umstände darlegt, die die verspätete Vorlage rechtfertigen oder eine frühere Vorlage behindert haben.
Die Kammer ist vom Bestehen solcher Umstände nicht überzeugt, wie nachfolgend dargelegt.
Dass alle Dokumente E6 - E9 dieselbe, in Kopswerk II verbaute Pumpturbinenanlage auf verschiedene Weise darstellen und betreffen, scheint die Suche nach diesbezüglich relevanten Dokumenten eher zu vereinfachen, als zu erschweren. Dies trifft insbesondere für die in direktem Zusammenhang mit E5 /Teil 2 stehende E6 zu, die screenshots aus dem Teil 1 des Videos enthält. Es scheint ohne weiteres möglich gewesen zu sein, E6 statt E5 im Einspruchsverfahren bzw. spätestens mit Beschwerdebegründung zu zitieren.
Desgleichen stellt die von der Beschwerdeführerin in der Sphäre der Beschwerdegegnerin verortete Urheberschaft der Dokumente E7 - E9 kein Hindernis für deren Auffinden dar. Schließlich beruft sich die Beschwerdeführerin selbst auf deren öffentliche Zugänglichkeit. Im Gegenteil gibt das Wissen darum, dass die Beschwerdegegnerin (wie im übrigen auch die Beschwerdeführerin) am Bau der Anlage beteiligt war, eher Anlass zu einer zielgerichteten Suche nach von Mitarbeitern der Beschwerdeführerin veröffentlichten Informationen zu Kopswerk II.
Dass schließlich eine solche zielgerichtete Suche nach weiteren Veröffentlichungen zu Kopswerk II erst durch den Vertreter der Beschwerdeführerin angestoßen wurde, als dieser sich zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit den genaueren Umstände des Baus und den jeweiligen Baulosen vertraut machen wollte, ist zwar ein Umstand, der die verspätete Vorlage der dabei aufgefundenen E7 - E9 erklärt. Es ist jedoch alles andere als außergewöhnlich, wenn bei einer nicht durch überraschende Verfahrensentwicklungen veranlassten Suche kurz vor der mündlichen Verhandlung weitere, möglicherweise relevante Dokument erst entsprechend spät entdeckt werden.
4.3 Aus diesen Gründen hat die Kammer weder E5, noch E6 - E9 zum Verfahren zugelassen, Artikel 12(4) VOBK 2007 bzw. Artikel 13(2) VOBK 2020.
5. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
5.1 Die Schemazeichnung auf Seite 5 der E3 zeigt unstreitig eine Pumpturbinenanlage mit der beanspruchten Anordnung von Druckleitungen, bei der eine Pumpendruckleitung ("Pumpensteigleitung") über eine Art von Verzweigungsteil sowohl mit einer Hauptdruckleitung, als auch mit der hier "Turbinenzulaufleitung" genannten Turbinendruckleitung verbunden ist. Die Pumpe der Anlage weist zwar ein Pumpenlaufrad in einem Spiralgehäuse auf, bei der Turbine handelt es sich jedoch um eine sog. Pelton-Turbine, die sich durch eine spezielle spiralförmige Düsenringleitung mit mehreren, auf den Umfang des zentralen, freiliegenden Turbinenlaufrads gerichteten Düsen auszeichnet. Eine solche spiralförmige Düsenringleitung würde ein Fachmann nicht mit einem "Turbinenspiralgehäuse" gleichsetzen, denn er verbindet letzteres typischerweise mit anderen Arten von Turbinen, wie z.B. einer sog. Francis-Turbine.
Die Kammer vermag zwar der Schemazeichnung nicht eindeutig und unmittelbar zu entnehmen, dass sich der Strömungsquerschnitt der Pumpendruckleitung an der Stelle erweitert, in der diese in die Hauptdruckleitung mündet, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht wird. Allerdings bestätigt die Beschwerdegegnerin, dass sich der Strömungsquerschnitt einer Pumpendruckleitung grundsätzlich zwischen Pumpenspiralgehäuse und Verzweigungsteil erweitert, weil der Strömungsquerschnitt am Ausgang des Pumpenspiralgehäuses immer kleiner sei als der der Hauptdruckleitung. Es sei nur im Schema der E3 keinesfalls erkennbar, dass dies anspruchsgemäß im Bereich des Krümmers erfolge. Da dort auch keine einzelnen Rohrabschnitte erkennbar sind, die einen Krümmer genauer abgrenzen könnten, sieht die Kammer in Übereinstimmung mit der Einspruchsabteilung als zweites nicht eindeutig und unmittelbar in E3 offenbartes Anspruchsmerkmal, dass der Strömungsquerschnitt des Krümmers an seinem Austritt größer ist als an seinem Eintritt.
Weitere Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und der in E3, Seite 5 dargestellten Pumpturbinenanlage macht die Beschwerdegegnerin nicht geltend.
5.2 Es besteht Einigkeit, dass zwischen den beiden Unterschiedsmerkmalen "Turbinenspiralgehäuse" und "Aufweitung des Krümmers" keine funktionale Wechselwirkung besteht, die zu einer gemeinsamen technischen Wirkung und gelösten Aufgabe beiträgt.
Folglich sind beide Merkmale als Aggregation mit jeweils unterschiedlich gelösten Teilaufgaben zu betrachten, siehe RSBK 2019, I.D.9.2.2.
Wie schon in der Einspruchentscheidung festgestellt, sind "Francis Turbinen in den meisten Fällen für niedrigere Fallhöhen als Pelton Turbinen bestimmt". Deshalb stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin zwar darin zu, dass ein Fachmann die in E3 schematische dargestellten Kopswerk II Pumpturbine mit ihrem gut 1000 m langen Druckschacht (Seite 1 der E3) selbst keinesfalls mit einer Francis-, statt mit ihrer Pelton-Turbine betreiben würde. Als erste zu lösende Teilaufgabe kann aber angesehen werden, die in E3 schematisch gezeigte Pumpturbinenanlage für ein Kraftwerk mit niedriger Fallhöhe anzupassen.
Die technischen Wirkungen einer Strömungsquerschnittserweiterung sind Verzögerung der Strömung, Druckabfall und Senkung von Reibungs- und Verwirbelungsverlusten. In Anlehnung an die in Absatz [0006] der Patentschrift angegebene Aufgabe kann die zweite zu lösende Teilaufgabe deshalb darin gesehen werden, Strömungsverluste in der Pumpendruckleitung zu reduzieren.
5.3 Dem Fachmann sind die grundlegenden Eigenschaften und Einsatzgebiete gängiger Wasserturbinen wie Pelton-, Francis- oder Kaplan-Turbine geläufig. Die Wahl einer für einen bestimmten Einsatzort geeigneten Turbine ist Teil seiner fachüblichen Tätigkeit.
Entsprechend ist es naheliegend, statt einer Pelton-Turbine eine Francis-Turbine mit spiralförmigem Gehäuse vorzusehen, wenn die in E3 auf Seite 5 gezeigte Pumpturbinenanlage zur Lösung der ersten Teilaufgabe bei niedrigen Fallhöhen, z.B. um die 100 m, eingesetzt werden soll. Wie die der in E3 gezeigten Turbine ist auch die Wellenlage einer Francis-Turbine für gewöhnlich vertikal, so dass die grundsätzliche Anordnung der Druckleitungen relativ zueinander und somit auch die Möglichkeit eines Betriebs im hydraulischen Kurzschluss ohne weiteres beibehalten werden kann.
5.4 Wie in Absatz [0005] der Patentschrift dargelegt, ist jedes Strömen einer Flüssigkeit in einer Rohrleitung bekanntlich verlustbehaftet, wobei Strömungsverluste bei einer Strömungsumlenkung besonders hoch sind. Dies betrachtet auch die Kammer als allgemeines Fachwissen eines Strömungsmechanikers. Somit bietet sich als Lösung der zweiten Teilaufgabe offensichtlich an, den relativ hohen Strömungsverlusten in den Abschnitten der Pumpendruckleitung der E3, in denen die Strömung umgelenkt wird, durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken, mithin an ihrer Einmündung in die Hauptdruckleitung und in ihrem gekrümmten Bereich. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin darin zu, dass dem Fachmann die Vergrößerung des Strömungsquerschnitts als geeignete Maßnahme zur Senkung von Strömungswiderstand und damit Strömungsverlust bekannt ist, weil sie zu einer Verringerung der Durchflussgeschwindigkeit und am Verzweigungsteil auch zu einer Vergrößerung des Krümmungsradius führt. Wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, gibt es zwar noch andere solcher fachüblichen Maßnahmen, nämlich Senkung der Rauhigkeit der Rohrinnenwände und Vorsehen von Umlenk- oder Leitelementen (die Umlenkwinkel von 90° sind in E3 vorgegeben). Deren Anzahl ist insgesamt aber derart überschaubar, dass die Auswahl einer bestimmten Maßnahme oder einer bestimmten Kombination von Maßnahmen nach Ansicht der Kammer keine erfinderische Tätigkeit begründen kann. Somit zählen sowohl das Vorsehen eines konischen Rohranschlusssegments am Übergang zum Verzweigungsteils wie auch das eines gekrümmten Rohrsegments mit sich in Strömungsrichtung erweiternden Querschnitt zu naheliegenden Lösungen der Aufgabe "Verringerung von Strömungsverlusten".
5.5 Daraus folgt mit anderen Worten, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch dann nicht auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber E3 beruhte, wenn sein an das Verzweigungsteil anschließendes Rohrsegment nicht Teil der als Krümmer ausgebildeten Pumpendruckleitung bzw. "des Krümmers" im Sinne von "des gekrümmten Rohrabschnitts" wäre.
Dies gälte selbst dann, wenn ein Diffusor zur Senkung von Strömungsverlusten oder als ohnehin notwendiger Bestandteil der Pumpendruckleitung nach E3 nicht in deren gekrümmten Bereich vorgesehen wäre, sondern sich über längere daran anschließende, horizontale oder vertikale geradlinige Rohrabschnitte erstreckte, um durch den Diffusor bzw. relativ abrupte Querschnittsübergänge selbst induzierte Strömungsverluste gering zu halten. Da der Krümmer in E3 weder erkennbar abgegrenzt, noch allgemein definitionsmäßig auf gekrümmte Rohrabschnitte beschränkt ist, wären solche naheliegenden alternativen Ausgestaltungen ebenfalls vom kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 umfasst. Aus diesem Grund geht auch das Argument der Beschwerdegegnerin ins Leere, mit der Platzierung der notwendigen Querschnittserweiterung im Krümmer würde ein fertigungstechnischer Bonuseffekt erzielt, weil er ohnehin aus mehreren gekrümmten Rohrsegmenten hergestellt werden müsste.
5.6 Da der Fachmann somit ausgehend von der in E3 gezeigten Pumpturbine durch naheliegende Auswahl und Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung von Strömungsverlusten in der Pumpendruckleitung den Gegenstand des Anspruchs 1 erhalten würde, beruht dieser nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
6. Zulassung der Hilfsanträge 1 - 3
6.1 Die Beschwerdegegnerin hat neue Hilfsanträge 1 - 3 zusammen mit ihrem Schreiben vom 12. August 2021 eingereicht, in dem sie nach Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2021 zur Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 15. März 2021 Stellung genommen hat.
Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Vorbringens wie neue Hilfsanträge nach Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn die Beschwerdegegnerin hätte stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen.
6.2 In besagtem Schreiben vom 12. August 2021 hat die Beschwerdegegnerin zunächst auf Seite 3, dritter Absatz als Grund für die Änderungen angegeben, den Ausführungen der Beschwerdekammer Rechnung tragen und die mündliche Verhandlung effektiv gestalten zu wollen.
In der mündlichen Verhandlung hat sie ergänzend vorgetragen, neue Hilfsanträge vorsorglich für den Fall eingereicht zu haben, dass die Kammer E5 zum Verfahren zulasse. Da die E3 dieselbe Pumpturbinenanlage wie die E5 betreffe, könne die Einreichung der Hilfsanträge auch als vorsorgliche Maßnahme für den Fall gesehen werden, dass die Kammer ihre vorläufige Meinung zur E3 ändere. Beides, die verspätete Einreichung der E5 im Beschwerdeverfahren und die vom Vorbescheid abweichende Meinung der Kammer hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E3 stellten außergewöhnliche Umstände dar.
6.3 Die Kammer kann vorliegend keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, die eine Zulassung der nach Ladung eingereichten Hilfsanträge 1 - 3 rechtfertigen würden.
Die Beschwerdeführerin hatte E5 bereits mit ihrer Beschwerdebegründung eingereicht und mangelnde Neuheit im Hinblick auf E5 geltend gemacht. Dort hatte sie auch auf Seite 4 argumentiert, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe ausgehend von E3 unter Berücksichtigung von Fachwissen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Diese Tatsachen und Argumente waren der Beschwerdegegnerin somit vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung bekannt. In ihrer Beschwerdeerwiderung hat sie auch darauf reagiert, indem sie auf Seite 1 den im Einspruchsverfahren gestellten Hilfsantrag beibehalten und auf Seite 2 die Nichtzulassung der E5 beantragt hat, da diese schon im Einspruchsverfahren eingereicht hätte werden können. Zur Relevanz der E5 hat sie zunächst nicht Stellung genommen, erst mit ihrem Schreiben vom 12. August 2021, insbesondere zu deren Nachveröffentlichung.
Dies hat letztendlich in der mündlichen Verhandlung zur Nichtzulassung der E5 geführt, siehe oben Punkt 4.1. Somit ist hier auch später kein potentieller außergewöhnlicher Umstand in Form der tatsächlichen Zulassung der E5 hinzugetreten. Da die Kammer sich vorher nicht zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 geäußert hat, ist sie in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich ebenfalls nicht von einer in ihrer Mitteilung geäußerten Meinung hierzu abgewichen.
Im übrigen wären selbst im hypothetischen Fall, dass die Kammer E5 zugelassen und eine vorläufige Meinung später im Sinne der Beschwerdebegründung geändert hätte, dies an sich keine außergewöhnlichen Umstände, sondern normale Verfahrensentwicklungen gewesen.
6.4 Aus den vorstehenden Gründen hat die Kammer die nach Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 - 3 gemäß Artikel 13(2) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.
7. Schlussfolgerung
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Einsprechende erfolgreich gegen die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellung, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruhe auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ ausgehend von der in E3 offenbarten Pumpturbinenanlage. Die angefochtene Entscheidung ist folglich aufzuheben.
Da die Kammer nicht nur die von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente E5 - E9, sondern auch die nach Ladung zur mündlichen Verhandlung von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin)geänderten Hilfsanträge 1 - 3 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 bzw. 13(2) VOBK 2020 nicht zum Verfahren zugelassen hat, führt die Zurückweisung des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zum vollständigen Widerruf des Patents.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.