T 0247/19 08-02-2022
Téléchargement et informations complémentaires:
ZUSAMMENSETZUNG FÜR DIE NASALE APPLIKATION MIT VERBESSERTER STABILITÄT
Maria Clementine Martin Klosterfrau
Vertriebsgesellschaft mbH
Änderungen - zulässig (nein)
Zulassung von Hilfsanträgen im Beschwerdeverfahren - Hilfsantrag XIII (nein)
Rügepflicht - Einwände zurückgewiesen
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 2 766 008 (Streitpatent) geht zurück auf die europäische Patentanmeldung Nr. 12 766 592.5, welche als Internationale Patentanmeldung mit der Nummer WO 2013/097911 veröffentlicht wurde.
II. Die Ansprüche 1 und 6 der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung lauten wie folgt:
1. Zusammensetzung, insbesondere pharmazeutische Zusammensetzung, vorzugsweise für die topische, insbesondere nasale, bevorzugt intranasale Applikation, insbesondere für die Behandlung von Rhinitiden,
wobei die Zusammensetzung
a) mindestens ein imidazolinbasiertes alpha-Sympathomimetikum oder dessen physiologisch unbedenkliches Salz; und
b) (bl) Pantothenol (Dexpanthenol) oder dessen physiologisch unbedenkliche Ester und/oder
(b2) Pantothensäure oder deren physiologisch unbedenkliche Salze
enthält,
dadurch gekennzeichnet, dass der pH-Wert der Zusammensetzung im Bereich von 5,0 bis 6,2 eingestellt und/oder konstantgehalten ist.
6. Zusammensetzung nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung
a) Xylometazolin oder deren physiologisch unbedenk-liche Salze, besonders bevorzugt in Form von dessen Hydrochloridsalz (Xylometazolinhydrochlorid);
und
b) Pantothenol (Dexpanthenol) oder dessen physiologisch unbedenkliche Ester, vorzugsweise Pantothenol (Dexpanthenol),
enthält.
III. Das Streitpatent wurde mit 12 Patentansprüchen erteilt.
Anspruch 1 lautet wie folgt:
1. Pharmazeutische Zusammensetzung mit verbesserter Stabilität für die topische Applikation für die Behandlung von Rhinitiden, wobei die Zusammensetzung als wässrige Zusammensetzung vorliegt und wobei die Zusammensetzung enthält:
a) mindestens ein imidazolinbasiertes alpha-Sympathomimetikum oder dessen physiologisch unbedenkliches Salz, wobei das imidazolinbasierte alpha-Sympathomimetikum ausgewählt ist aus Xylometazolin und wobei die Zusammensetzung die Komponente a), bezogen auf die Zusammensetzung, in einer Menge von 0,02 bis 1,0 Gew.-% enthält;
b) Pantothenol (Dexpanthenol), wobei die Zusammensetzung die Komponente b), bezogen auf die Zusammensetzung, in einer Menge von 0,5 bis 8 Gew.-% enthält;
und
c) mindestens ein Konservierungsmittel und/oder Desinfektionsmittel, wobei das Konservierungsmittel und/oder Desinfektionsmittel ausgewählt ist aus Benzalkoniumchlorid und wobei die Zusammensetzung die Komponente c), bezogen auf die Zusammensetzung, in einer Menge von 0,001 bis 10 Gew.-% enthält;
wobei der pH-Wert der Zusammensetzung im Bereich von 5,2 bis 5,9 eingestellt und/oder konstantgehalten ist, wobei die Einstellung und/oder Konstanthaltung des pH-Werts der Zusammensetzung mittels mindestens eines chemischen Puffersystems erfolgt, wobei als chemisches Puffersystem ein Dihydrogenphosphat/Monohydrogen-phosphat-Puffersystem ("H2P04**(-)/HP04**(2-)-Puffer(system)" bzw. "Phosphatpuffer(system)") eingesetzt ist,
wobei die Zusammensetzung einen Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs a) von höchstens 2 Gew.-%, bezogen auf den Wirkstoff a), enthält, auch nach Lagerung der Zusammensetzung bei Temperaturen im Bereich von 20°C bis 50°C, bei einem Druck von 1.013,25 mbar und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit im Bereich von 50% bis 90% von mindestens 6 Monaten, und
wobei die Zusammensetzung einen Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs b) von jeweils höchstens 5 Gew.-%, bezogen auf den Wirkstoff b), enthält, auch nach Lagerung der Zusammensetzung bei Temperaturen im Bereich von 20°C bis 50°C, bei einem Druck von 1.013,25 mbar und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit im Bereich von 50% bis 90% von mindestens 6 Monaten.
IV. Gegen die Erteilung des Streitpatents wurde ein Einspruch eingelegt. Dieser war darauf gestützt, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht neu, nicht erfinderisch und nicht hinreichend offenbart sei und außerdem über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 100 a), b) und c) EPÜ).
V. Hauptantrag der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren war die Zurückweisung des Einspruchs und dementsprechend die Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung. Außerdem legte sie 21 Hilfsanträge in Form von weiteren Anspruchssätzen vor.
VI. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die in der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2018 verkündete und am 10. Januar 2019 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent zu widerrufen.
VII. In der Sache kam die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zu dem folgenden Ergebnis:
a) Der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ).
b) Die während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsanträge I und II wurden in das Verfahren zugelassen.
c) Auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123(2) EPÜ). Durch die vorgenommenen Änderungen entstehe zudem eine Unklarheit im Hinblick auf die Mengenbereiche (Artikel 84 EPÜ).
d) Hilfsantrag II genüge dagegen den Erfordernissen von Artikel 123(2) EPÜ, jedoch sei der darin beanspruchte Gegenstand unzureichend offenbart (Artikel 83 EPÜ).
e) Der Gegenstand von Anspruch 1 in jedem der Hilfsanträge 3 bis 21 gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123(2) EPÜ).
VIII. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.
Mit ihrer Beschwerdebegründung beantragte sie im Hauptantrag die Zurückweisung des Einspruchs (entsprechend der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung) und reichte hilfsweise einen als Hauptantrag' benannten Antrag und die Hilfsanträge I, I' bis IX, IX' sowie X, XI und XII ein.
Hilfsantrag XI wurde erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgelegt. Alle anderen Anträge entsprechen - mit Ausnahme ihrer Numerierung und entsprechenden Rangfolge - den in der angefochtenen Entscheidung behandelten Anträgen.
IX. Anspruch 1 der Hilfsanträge unterscheidet sich jeweils wie folgt von Anspruch 1 der erteilten Fassung:
a) Hauptantrag', Hilfsanträge I'-IX', X, XI, XII:
Die Konzentrationsbereiche der Komponenten sind enger gefasst mit 0,04 bis 0,2 Gew.-% für Komponente (a), 3 bis 6 Gew.-% für Komponente (b) und 0,01 bis 0,5 Gew.-% für Komponente (c).
b) Hilfsanträge I-VII, I'-VII', IX, IX':
Xylometazolin ist enthalten "in Form von dessen Hydrochloridsalz (Xylometazolinhydrochlorid)".
c) Hilfsanträge II-VII, II'-VII', IX, IX', X, XI, XII:
Das Puffersystem kommt in Form eines Alkali-dihydrogenphosphat/Alkalimonohydrogenphosphat-Puffersystems zum Einsatz.
d) Hilfsanträge III-VII, IX:
Das folgende Merkmal wurde hinzugefügt:
"wobei die Zusammensetzung die Komponenten a) und b) in einem Mengenverhältnis von Komponente a) zu Komponente b) im Bereich von 1:20 bis 1:250 enthält;"
e) Hilfsanträge III'-VII', IX':
Das folgende Merkmal wurde hinzugefügt:
"wobei die Zusammensetzung die Komponenten a) und b) in einem Mengenverhältnis von Komponente a) zu Komponente b) im Bereich von 1:45 bis 1:125 enthält;"
f) Hilfsanträge IV-VII, IV'-VII', IX, IX':
Das folgende Merkmal wurde hinzugefügt:
"wobei die Zusammensetzung bei einer Temperatur von 20°C und bei einem Druck von 1.013,25 mbar eine relative Dichte, bezogen auf reines Wasser, im Bereich von 1,001 bis 1,2 aufweist,"
g) Hilfsanträge V-VII, V'-VII', IX, IX':
Das folgende Merkmal wurde hinzugefügt:
"wobei die Zusammensetzung eine Osmolalität im Bereich von 300 bis 600 mosm/kg aufweist,"
h) Hauptantrag', Hilfsanträge I'-IX' und XII:
Der vorgegebene Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs a) ist "höchstens 1 Gew.-%".
i) Hauptantrag', Hilfsanträge I'-IX', X, XI:
Der vorgegebene Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs b) ist "jeweils höchstens 2 Gew.-%".
j) Hilfsantrag XII:
Der vorgegebene Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs b) ist "jeweils höchstens 1 Gew.-%".
k) Hilfsanträge VI, VI', VII, VII':
Die einleitende Passage von Anspruch 1 wurde wie folgt ergänzt (Einfügung hervorgehoben):
"1. Pharmazeutische Zusammensetzung zur Verwendung bei der prophylaktischen und/oder kurativen topischen Behandlung von Rhinitiden mit verbesserter Stabilität für die topische Applikation für die Behandlung von Rhinitiden,"
l) Hilfsanträge VIII, VIII', IX, IX':
Die einleitende Passage der erteilten Fassung von Anspruch 1:
"1. Pharmazeutische Zusammensetzung mit verbesserter Stabilität für die topische Applikation für die Behandlung von Rhinitiden,"
wurde wie folgt ersetzt:
"1. Verfahren zur Stabilisierung eines Wirkstoffes a) und eines Wirkstoffes b) in gemeinsamer wässriger Lösung einer pharmazeutischen Zusammensetzung mit verbesserter Stabilität für die topische Applikation für die Behandlung von Rhinitiden durch Einstellen und/oder Konstanthalten des pH-Wertes im Bereich von 5,2 bis 5,9,".
Zusätzlich wurde das Merkmal:
"wobei der pH-Wert der Zusammensetzung im Bereich von 5,2 bis 5,9 eingestellt und/oder konstantgehalten ist,"
geändert zu:
"wobei der pH-Wert der Zusammensetzung im Bereich von 5,2 bis 5,9 eingestellt und/oder konstantgehalten wird".
X. Der vollständige Wortlaut von Anspruch 1 des Hilfsantrags XII ist der folgende (Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 der erteilten Fassung sind durch Unterstreichung hervorgehoben):
1. Pharmazeutische Zusammensetzung mit verbesserter Stabilität für die topische Applikation für die Behandlung von Rhinitiden, wobei die Zusammensetzung als wässrige Zusammensetzung vorliegt und wobei die Zusammensetzung enthält:
a) mindestens ein imidazolinbasiertes alpha-Sympathomimetikum oder dessen physiologisch unbedenkliches Salz, wobei das imidazolinbasierte alpha-Sympathomimetikum ausgewählt ist aus Xylometazolin und wobei die Zusammensetzung die Komponente a), bezogen auf die Zusammensetzung, in einer Menge von 0,04 bis 0,2 Gew.-% enthält;
b) Pantothenol (Dexpanthenol), wobei die Zusammensetzung die Komponente b), bezogen auf die Zusammensetzung, in einer Menge von 3 bis 6 Gew.-% enthält;
und
c) mindestens ein Konservierungsmittel und/oder Desinfektionsmittel, wobei das Konservierungsmittel und/oder Desinfektionsmittel ausgewählt ist aus Benzalkoniumchlorid und wobei die Zusammensetzung die Komponente c), bezogen auf die Zusammensetzung, in einer Menge von 0,01 bis 0,5 Gew.-% enthält;
wobei der pH-Wert der Zusammensetzung im Bereich von 5,2 bis 5,9 eingestellt und/oder konstantgehalten ist, wobei die Einstellung und/oder Konstanthaltung des pH-Werts der Zusammensetzung mittels mindestens eines chemischen Puffersystems erfolgt, wobei als chemisches Puffersystem ein Alkalidihydrogenphosphat/Alkalimono-hydrogenphosphat-Puffersystem eingesetzt ist,
wobei die Zusammensetzung einen Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs a) von höchstens 1 Gew.-%, bezogen auf den Wirkstoff a), enthält, auch nach Lagerung der Zusammensetzung bei Temperaturen im Bereich von 20°C bis 50°C, bei einem Druck von 1.013,25 mbar und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit im Bereich von 50% bis 90% von mindestens 6 Monaten, und
wobei die Zusammensetzung einen Gehalt an Abbauprodukt(en) des Wirkstoffs b) von jeweils höchstens 1 Gew.-%, bezogen auf den Wirkstoff b), enthält, auch nach Lagerung der Zusammensetzung bei Temperaturen im Bereich von 20°C bis 50°C, bei einem Druck von 1.013,25 mbar und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit im Bereich von 50% bis 90% von mindestens 6 Monaten.
XI. In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 27. September 2019 machte die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) unter anderem geltend, dass keiner der vorliegenden Anträge die Erfordernisse von Artikel 123(2) erfülle. Dies gelte insbesondere auch für Hilfsantrag XII (identisch mit dem in der angefochtenen Entscheidung behandelten früheren Hilfsantrag II), da die darin beanspruchte Merkmalskombination nicht eindeutig und unmittelbar aus der ursprünglichen Fassung der Anmeldung hervorgehe (vgl. Abschnitt 2, insbesondere Punkt 2.5 der Beschwerdeerwiderung).
XII. Den einschlägigen Anträgen der Verfahrensbeteiligten entsprechend lud die Kammer zu einer mündlichen Verhandlung.
In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK mit Datum vom 8. Oktober 2021 erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung, unter anderem zur Bewertung der Sachanträge der Beschwerdeführerin unter Artikel 100 c) bzw. 123(2) EPÜ (vgl. Abschnitt 4 der Mitteilung).
Laut dieser vorläufigen Einschätzung fehlte für die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Merkmalskombination eine Grundlage in Form einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung. Dies gelte absehbar auch für die Ansprüche aller Hilfsanträge einschließlich Hilfsantrag XII.
XIII. Mit Schriftsatz vom 12. November 2021 reichte die Beschwerdeführerin einen weiteren Anspruchssatz als Hilfsantrag XIII ein.
XIV. Auf Antrag der Beschwerdegegnerin (vgl. Schreiben vom 23. September 2021) und unter Berücksichtigung der aktuellen pandemischen Lage beschloss die Kammer (Artikel 15a(1) VOBK), die für den 22. Dezember 2021 anberaumte mündliche Verhandlung als Videokonferenz abzuhalten, was den Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 3. Dezember 2021 mitgeteilt wurde.
Dem Gegenantrag der Beschwerdeführerin, die Verhandlung als Präsenzveranstaltung oder hilfsweise in einem hybriden Format unter Zuschaltung der Beschwerde-gegnerin mittels Videoübertragung durchzuführen (vgl. Schreiben der Beschwerdeführerin vom 8. Oktober 2021) wurde somit nicht stattgegeben.
XV. Die für den 22. Dezember 2021 anberaumte mündliche Verhandlung musste in der Folge erkrankungsbedingt verlegt werden. Ein neuer Termin, nach wie vor im Format als Videokonferenz, wurde für den 8. Februar 2022 bestimmt.
XVI. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 (wie zuvor schon mit Schreiben vom 15. November 2021) beantragte die Beschwerdegegnerin, dass die als Begleitperson angekündigte Patentanwaltskandidatin Frau Quinten in der mündlichen Verhandlung unter Aufsicht der zugelassenen Vertreterin Frau Gundel zu dem Einspruchsgrund unter Artikel 100 c) EPÜ möge vortragen dürfen.
XVII. Mit Schreiben vom 6. Januar 2022 beantragte die Beschwerdeführerin erneut, die Verhandlung als Präsenz-veranstaltung ("Live-Verhandlung") durchzuführen oder hilfsweise, sie in den Sommer 2022 zu verlegen, um eine Durchführung als Präsenzveranstaltung zu ermöglichen. Weiter beantragte die Beschwerdeführerin, der angekündigte Vortrag von Frau Quinten solle nicht zugelassen werden.
XVIII. Daraufhin teilte die Kammer über ihre Geschäftsstelle den Verfahrensbeteiligten mit, dass die Verhandlung nach wie vor am 8. Februar 2022 als Videokonferenz stattfinden werde.
XIX. Die Kammerbesetzung änderte sich durch Austausch des juristisch vorgebildeten Mitglieds, worüber die Verfahrensbeteiligten in einer Mitteilung der Kammer mit Datum vom 8. Februar 2022 (vorab mit e-mail vom 7. Februar 2022) informiert wurden.
XX. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Februar 2022 als Videokonferenz statt.
Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Vertagung, um eine Durchführung der Verhandlung im Präsenzformat zu ermöglichen, wurde nicht stattgegeben.
Die Kammer entschied, den seitens der Beschwerdegegnerin vorab angekündigten Vortrag von Frau Quinten (s.o. Punkt XVI.) zu gestatten.
Während der Verhandlung gab die Beschwerdeführerin die folgenden Beanstandungen unter Regel 106 EPÜ zu Protokoll:
(i) Für den Fall, dass der Hilfsantrag XIII zu diesem Zeitpunkt nicht zugelassen wird, rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ.
(ii) Die Zurückweisung des Antrags auf Vertagung und die Nichtdurchführung der Verhandlung als Präsenzverhandlung wird ebenfalls als Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ gerügt.
Die Kammer wies nach Beratung die Einwände unter Regel 106 EPÜ zurück.
XXI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Vortrag von Frau Quinten
Der Vortrag von Frau Quinten sei nicht zu gestatten, da diese nicht zugelassene Vertreterin sei.
Format der mündlichen Verhandlung, Antrag auf Verlegung bzw. Vertagung (Artikel 15a(1) VOBK)
Im Rahmen einer Videokonferenz könnten komplexe Sachverhalte nicht ausreichend dargelegt und erörtert werden, was die Beschwerdeführerin extrem benachteiligen würde.
Auch seien die seitens der Entscheidung G 1/21 der Großen Beschwerdekammer vom 16. Juli 2021 vorgegebenen Voraussetzungen zur Durchführung der Verhandlung als Videokonferenz vorliegend nicht gegeben. Mit entsprechendem Impfschutz seien die teilnehmenden Personen nicht an der Anreise und einem persönlichen Erscheinen zur Verhandlung vor Ort gehindert. Sämtliche in Deutschland ansässigen Institutionen einschließlich der Gerichte und Ämter ließen schon seit längerem und sehr umfangreich Präsenz-Verhandlungen unter entsprechenden Hygienemaßnahmen durchführen. Auch andere Veranstaltungen wie beispielsweise Konzerte fänden mit einer hohen Zahl von Teilnehmenden statt.
Hinzu komme noch, dass die Kammer kurzfristig umbesetzt worden sei, so dass in der neuen Besetzung keine ausreichende Vorbereitungszeit für die Verhandlung zur Verfügung gestanden habe.
Änderungen (Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ)
Die Grundlage für den Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents ergebe sich ausgehend von der bevorzugten Ausführungsform gemäß Anspruch 6 (und ebenso Seite 10, Absatz 1) der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung, die bereits spezifisch die Kombination von Xylometazolin mit Pantothenol vorsehe.
Die Beschreibung der Anmeldung reflektiere nicht einfach nur die Abfolge der Ansprüche, sondern stelle auch einen Zusammenhang zwischen deren Merkmalen her. Beispielsweise werde aus dem Kontext der Anmeldung deutlich, dass die Konzentrationen von Xylometazolin und Pantothenol miteinander korrelieren sollten, da der Zusatz von Pantothenol dazu diene, einer Austrocknung der Nasenschleimhäute durch Xylometazolin entgegenzuwirken.
Da die Erfindung die Stabilisierung der Wirkstoffe gegen hydrolytischen Abbau in einem wässrigen Medium bezwecke, könne die beanspruchte Zusammensetzung nur als wässrige Zubereitung vorliegen, die zwingend einen pH-Wert aufweise. Bei der Angabe des pH-Bereichs und der Wirkstoffkonzentrationen handle es sich lediglich um Konkretisierungen zwingend vorhandener technischer Merkmale. In diesem Zusammenhang gebe eine Auflistung unterschiedlich bevorzugter pH- oder Konzentrations-bereiche eine klare Präferenz vor und stelle gerade keine Liste gleichwertiger Alternativen dar.
Der klar bevorzugte pH-Wert-Bereich von 5,2-5,9 stehe technisch in direktem Zusammenhang mit dessen Konstanthaltung durch ein Puffersystem, wobei in der Anmeldung als einzig geeignete Ausführungsform ein Phosphatpuffer angegeben sei. In ähnlicher Weise sei Benzalkoniumchlorid als einzige in den Beispielen der Anmeldung eingesetzte Ausführungsform eines (der zusätzlichen Stabilisierung dienenden und daher bevorzugten) Konservierungsstoffs offenbart.
Diese Komponenten bildeten somit eine bereits fest vorgegebene Matrix. Aus der Anmeldung als Ganzes gehe hervor, dass der Fachmann in diesem Rahmen wie mit einem Baukastensystem verschiedene Mengenbereiche und weitere Merkmale beliebig kombinieren könne, um die erfindungsgemäß gewünschte Stabilität zu erzielen. Dies stelle auch angesichts der Beliebigkeit der Rückbezüge in den Ansprüchen keinen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ dar. Daher gehe der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.
Noch weniger sei dies bei Anspruch 1 des Hilfsantrags XII der Fall, welcher auf der Kombination speziell der bevorzugtesten Konzentrationsbereiche der Anmeldung basiere. Die einzige Auswahl, die im Rahmen der Offenbarung der Anmeldung getroffen worden sei, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen, sei die Wahl der strengsten Vorgabe bei den Stabilitätskriterien. Eine Stützung im Hinblick auf die Einhaltung dieser Kriterien lasse sich insbesondere aus den Daten für die Zusammensetzung 4B in Tabelle 4 auf Seite 35 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen erkennen.
Zulassung von Hilfsantrag XIII (Artikel 13(2) VOBK)
Die Überreichung von Hilfsantrag XIII stelle eine unmittelbare Reaktion auf das unerwartete Vorbringen der Beschwerdekammer dar, wonach auch der geltende Hilfsantrag XII nicht die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfülle, wobei diese Beanstandung erstmals von der Kammer und anderslautend zu der Auffassung der Einspruchsabteilung erhoben worden sei. Hilfsantrag XIII sei zudem geeignet, alle Einwände unter Artikel 123(2) und 83 EPÜ auszuräumen. Die vorgenommenen Änderungen seien nicht komplex und würden keine neuen Fragen aufwerfen. Somit sei der Antrag in der beschriebenen Verfahrenssituation zuzulassen, um das rechtliche Gehör für die Beschwerdeführerin zu gewährleisten.
XXII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Format der mündlichen Verhandlung, Antrag auf Verlegung bzw. Vertagung (Artikel 15a(1) VOBK)
Angesichts erneut ansteigender COVID-19-Infektions-zahlen sei es im Interesse des individuellen wie auch allgemeinen Gesundheitsschutzes angebracht, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz abzuhalten. Da die Pandemie nach wie vor andauere, entspreche die Situation dem in G 1/21 zugrundegelegten Fall.
Auch wenn das Format als Videokonferenz nicht die bestmögliche Option für eine mündliche Verhandlung sei, könne kein Nachteil für eine der Verfahrensbeteiligten entstehen, solange beide in gleicher Weise mittels Videoübertragung an der Verhandlung teilnähmen (kein "Hybrid"-Format).
Der Termin für die mündliche Verhandlung sei bereits einmal verlegt worden. Zudem sei es auch im Verfahren vor der Einspruchsabteilung schon aufgrund einer Verlegung zu einer Verzögerung gekommen. Eine erneute Vertagung würde dem Interesse der Beschwerdegegnerin und der Öffentlichkeit an einem effizienten Fortgang des Verfahrens entgegenstehen.
Änderungen (Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ)
Nur durch Mehrfachauswahl sei es möglich, vom Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 oder der weiteren unabhängigen Ansprüche des Streitpatents zu gelangen. Dies erfülle nicht das laut Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in G 2/10 (ABl. EPA, 2012, 376) allein maßgebliche Kriterium, dass die beanspruchte Merkmalskombination direkt und unmittelbar in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart sein müsse, um den Anforderungen von Artikel 123(2) EPÜ zu genügen.
Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angeführte Unterscheidung zwischen "Auswahl" und "Konkretisierung" von Merkmalen sei künstlich und nicht nachvollziehbar.
Der gleiche Einwand treffe auch auf alle Hilfsanträge einschließlich Hilfsantrag XII zu. Auch in diesen Anträgen würden diverse Merkmale willkürlich kombiniert ("cherrypicking"). Insbesondere bestehe kein zwingender Zusammenhang zwischen der Auswahl engerer Konzentrationsbereiche für die Komponenten der beanspruchten Zusammensetzung und der Festsetzung niedrigerer Obergrenzen für den Gehalt an Abbauprodukten nach Lagerung.
Zulassung von Hilfsantrag XIII (Artikel 13(2) VOBK)
Der Einwand, dass auch Hilfsantrag XII (identisch mit Hilfsantrag II der angefochtenen Entscheidung) die Erfordernisse gemäß Artikel 123(2) EPÜ nicht erfülle, sei von Beginn an von der Beschwerdegegnerin vertreten worden, und zwar sowohl in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als auch in der Beschwerdeerwiderung. Daher sei die nunmehr verspätete Vorlage des Hilfsantrags XIII mit dem Ziel, diesen altbekannten Einwand auszuräumen, nicht durch eine neue Entwicklung im Sinne eines außergewöhnlichen Umstandes gemäß Artikel 13(2) VOBK gerechtfertigt.
Anträge der Verfahrensbeteiligten
XXIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Für den Fall, dass im Beschwerdeverfahren festgestellt würde, dass der Gegenstand eines der im Verfahren befindlichen Anträge hinreichend offenbart sei, nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe und nicht aufgrund der vorgenommenen Änderungen zu einem Klarheitseinwand Anlass gebe, beantragte die Beschwerdeführerin vorrangig die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung über die Patentfähigkeit.
Die vorliegenden Anträge waren dabei die folgenden:
- Hauptantrag: erteilte Fassung des Streitpatents,
- Hauptantrag': erstmals eingereicht mit Schreiben vom 2. Oktober 2018, identisch mit Hilfsantrag 3 der angefochtenen Entscheidung;
- Hilfsanträge I-IX, alle erstmals eingereicht mit Schreiben vom 15. Januar 2018, identisch mit den Hilfsanträgen 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18 und 20 der angefochtenen Entscheidung;
- Hilfsanträge I'-IX', alle erstmals eingereicht mit Schreiben vom 2. Oktober 2018, identisch mit den Hilfsanträgen 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19 und 21 der angefochtenen Entscheidung;
Dabei folgt jeder der mit ' gekennzeichneten Anträge in der Rangordnung jeweils unmittelbar auf den Antrag mit der entsprechenden Nummer ohne '.
- Hilfsantrag X, erstmals eingereicht als Hilfsantrag I in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung;
- Hilfsantrag XI, erstmals eingereicht mit der Beschwerdebegründung;
- Hilfsantrag XII, erstmals eingereicht als Hilfsantrag II in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung; und
- Hilfsantrag XIII, eingereicht mit Schreiben vom 12. November 2021.
Nachrangig zu ihrem Antrag auf Zurückverweisung beantragte die Beschwerdeführerin die Zurückweisung des Einspruchs und die Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung,
oder andernfalls weiter nachrangig die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag' oder einem der genannten Hilfsanträge.
Die Beschwerdeführerin beantragte außerdem die Nichtzulassung der Dokumente D6 und D18 bis D24.
XXIV. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
In diesem Rahmen beantragte sie des weiteren die Nichtzulassung der Hilfsanträge XI und XIII.
Für den Fall, dass im Beschwerdeverfahren festgestellt würde, dass der Gegenstand eines der im Verfahren befindlichen Anträge hinreichend offenbart sei, nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe und nicht aufgrund der vorgenommenen Änderungen zu einem Klarheitseinwand Anlass gebe, beantragte die Beschwerdegegnerin die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung über die Patentfähigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse unter Artikel 106 bis 108 EPÜ und Regel 99 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Vortrag einer Begleitperson
2.1 Für die Zulassung mündlicher Ausführungen durch eine Begleitperson bei einer mündlichen Verhandlung im Einspruchsbeschwerdeverfahren, die konkrete rechtliche oder technische Fragen betreffen müssen, gelten die in der Entscheidung G 4/95 der Großen Beschwerdekammer genannten Ermessenskriterien (ABl. EPA 7/1996, 412).
2.2 Im vorliegenden Fall handelt es sich um mündliche Ausführungen zu der konkreten Frage, ob der in den vorliegenden Anträgen (Anspruchssätzen) beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinausgeht (Artikel 100 c) bzw. 123(2) EPÜ). Der entsprechende Vortrag wurde unter Angabe des Namens und der Qualifikation der Begleitperson fünf Wochen vor dem zuerst vorgesehenen Verhandlungstermin von der zugelassenen Vertreterin der Beschwerdegegnerin angekündigt, mit dem Hinweis, dass dieser Vortrag unter ihrer Aufsicht erfolgen würde. Unmittelbar nach der Bekanntgabe des geänderten neuen Verhandlungstermins teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass sie ihren Antrag, den Vortrag der Begleitperson zuzulassen, nach wie vor aufrechterhalte (s.o. Punkt XV. und XVI.).
2.3 Dementsprechend sind die in der Entscheidungsformel der G4/95 definierten Kriterien i), ii) und iv) erfüllt. Der dem Kriterium gemäß Punkt iii) zugrundeliegende Fall (Beantragung erst kurz vor oder während der mündlichen Verhandlung) ist vorliegend nicht gegeben.
2.4 Das Argument der Beschwerdeführerin, die Begleitperson sei keine zugelassene Vertreterin, greift nicht, da laut G 4/95 der Vortrag von Begleitpersonen, die keine zugelassenen Vertreter/innen sind, ja gerade nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
2.5 Aufgrund dieser Erwägungen entschied die Kammer, den mündlichen Vortrag der Begleitperson (Frau Quinten) unter Aufsicht der zugelassenen Vertreterin (Frau Gundel) zu gestatten.
3. Änderungen (Artikel 100 c) / 123(2) EPÜ)
3.1 Zur Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, ist festzustellen, ob die beanspruchte Merkmalskombination in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung (im Lichte des allgemeinen Fachwissens bezogen auf den Anmeldetag) unmittelbar und eindeutig offenbart ist ("Goldstandard", vgl. G 1/16, ABl. EPA 2018, 70, Entscheidungsgründe 17, 18).
3.2 Bei ihrer Begründung, weshalb keine unzulässige Erweiterung im Sinne von Artikel 100 c)/123(2) EPÜ vorliege, ging die Beschwerdeführerin von Anspruch 6 der ursprünglichen Fassung der Anmeldung aus, der mit dem Inhalt der Beschreibung zu kombinieren sei.
3.3 Hilfsantrag XII
3.3.1 Anspruch 6 der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung bezieht sich auf eine Ausführungsform, in welcher Xylometazolin (oder dessen Salze) mit Pantothenol (oder dessen Estern), vorzugsweise Pantothenol, zusammen vorliegt (vgl. auch Seite 10, Absatz 1 der Beschreibung). Somit ist die Wirkstoffkombination von Xylometazolin oder dessen Salzen mit Pantothenol ursprünglich offenbart.
3.3.2 Diese weist wie alle anmeldungskonformen Zubereitungen einen pH-Wert im Bereich 5,0 bis 6,2 auf (vgl. Anspruch 1, von dem Anspruch 6 abhängig ist, sowie Seite 12, Zeilen 12 bis 20). Hieraus und aus dem in der Anmeldung dargestellten Zusammenhang, dass eine Stabilisierung der Wirkstoffe in einem wässrigen System angestrebt wird, ist ersichtlich, dass es sich um eine wässrige Zusammensetzung handelt (Seite 5, Zeile 11, bis Seite 6, Zeile 2; Seite 7, Zeile 35 bis Seite 8, Zeile 21).
3.3.3 Weiter lässt sich der Beschreibung der Anmeldung entnehmen:
- dass der Bereich von 5,2 bis 5,9 der bevorzugteste pH-Bereich ist (Seite 12, Zeilen 12 bis 20);
- dass der pH-Bereich üblicherweise mit Hilfe eines Puffersystems konstantgehalten werden soll (Seite 12, Zeilen 22 bis 32);
- dass ein Phosphatpuffersystem, besonders bevorzugt ein Alkalidihydrogenphosphat/Alkalimonohydrogen-phosphat-Puffer, zu deutlich besseren Ergebnissen im Hinblick auf die Langzeitstabilisierung führt als andere Puffersysteme (Seite 13);
- dass optional ein Konservierungsmittel und/oder Desinfektionsmittel enthalten sein kann, wobei als solches besonders bevorzugt Benzalkoniumchlorid eingesetzt wird (Seite 14, Absatz 1).
3.3.4 Die allgemeine Herstellvorschrift für die in der Anmeldung beschriebenen Beispielrezepturen, bei denen es sich um wässrige Zusammensetzungen handelt, gibt die Einstellung des pH-Werts auf den besonders bevorzugten Bereich zwischen 5,2 bis 5,9 bereits vor (vgl. Seite 20, Zeile 5 bis Seite 21, Zeile 2).
Sämtliche der zehn beschriebenen Beispielrezepturen enthalten einen Kalium-Dihydrogenphosphat/Natrium-Monohydrogenphosphat-Puffer sowie 5 Gew.-% Pantothenol (= Dexpanthenol). Von den sechs Rezepturen, die Xylometazolinhydrochlorid in einer Konzentration von jeweils 0,05 oder 0,1 Gew.-% als Wirkstoff enthalten, enthalten vier, nämlich die Rezepturen 5, 7, 9 und 10, außerdem auch jeweils 0,02 Gew.-% Benzalkoniumchlorid, das einzige in den Beispielrezepturen verwendete Konservierungsmittel.
3.3.5 Bezüglich der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung der Inhaltsstoffe sind diese vier Rezepturen zwar konform mit Anspruch 1 des Hilfsantrags XII (allerdings enger gefasst bezüglich der Pufferkomponenten und der Beschränkung auf Xylometazolinhydrochlorid); zu möglichen Konzentrationsbereichen und zur Lagerstabilität werden aber keine weiteren Angaben gemacht, die den in Anspruch 1 definierten obligatorischen Merkmalen entsprechen.
3.3.6 Unter Berücksichtigung der allgemeinen Offenbarung in der Beschreibung und der einschlägigen Beispiel-rezepturen (Punkte 3.3.3 bis 3.3.5) kann allerdings zumindest anerkannt werden, dass die Ausführungsform, in welcher die Wirkstoffe Xylometazolin und Panthenol mit Benzalkoniumchlorid kombiniert im bevorzugtesten pH-Bereich vorliegen, als eine offenbar bevorzugte Ausführungsform eine hinreichende Grundlage in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung findet.
3.3.7 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass es sich bei den in Anspruch 1 von Hilfsantrag XII genannten Konzentrationsbereichen (0,04 bis 0,2 Gew.-% Xylo-metazolin oder dessen Salz; 3 bis 6 Gew.-% Pantothenol; 0,01 bis 0,05 Gew.-% Konservierungsmittel) um die jeweils bevorzugtesten der in der Anmeldung genannten Bereiche handle und eine Kombination der bevorzugtesten Bereiche grundsätzlich eindeutig für den Fachmann aus der Anmeldung herleitbar sei, da diese logischerweise auch die bestmögliche Ausführungsform sein müsse.
Anspruch 1 von Hilfsantrag XII übernehme zudem auch, für die in der Anmeldung allgemein offenbarte Mindestdauer der Lagerung, die strengsten (also bestmöglichen) Stabilitätskriterien im Hinblick auf die Abbauprodukte (höchstens 1 Gew.-% bezogen auf den Wirkstoff a) und jeweils höchstens 1 Gew.-% bezogen auf den Wirkstoff b)). Diese Kriterien seien zusätzlich gestützt durch das erfindungsgemäße Ausführungsbeispiel 4B gemäß Tabelle 4 auf Seite 35 der Anmeldung.
Schließlich sei der in den Rezepturbeispielen genannte Kalium-Dihydrogenphosphat/Natrium-Monohydrogenphosphat-Puffer zusammen mit dem Hinweis in der Beschreibung auf Alkalidihydrogenphosphat/Alkalimonohydrogenphosphat-Puffer ausreichend als Stützung für das Merkmal Alkali-dihydrogenphosphat/Alkalimonohydrogenphosphat-Puffer.
Damit finde der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags XII als Ganzes die erforderliche Grundlage in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung.
3.3.8 Die Kammer gelangt aus den folgenden Gründen zu einem anderen Ergebnis.
a) Wie die Beschwerdegegnerin bereits in Punkt 2.5 der Beschwerdeerwiderung richtig hervorgehoben hat, steht die Festsetzung des Gehalts der Abbauprodukte auf jeweils höchstens 1 Gew.-% nicht in einem zwingenden Zusammenhang mit der Wahl des jeweils bevorzugtesten mittleren Konzentrationsbereichs für den Gehalt der Wirkstoffe.
Die Festsetzung des tolerierten Gehalts an Abbauprodukten nach der Mindestlagerdauer von 6 Monaten erfolgt vielmehr willkürlich und unabhängig von den anderen technischen Merkmalen, und zwar einmal für die Abbauprodukte von Wirkstoff a) und einmal für die von Wirkstoff b). Somit ist bereits deshalb mehr als eine Auswahl innerhalb des von der Anmeldung vorgegebenen Rahmens zu treffen, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen.
b) Zu dem Argument der Stützung durch Tabelle 4 ist folgendes zu bemerken:
Die Rezeptur gemäß Beispiel 4B auf Seite 35 der Anmeldung entspricht offenbar der auf Seite 22 angegebenen Beispielrezeptur 5 (was auch nicht bestritten wurde). Zur Rezeptur 4B sind in Tabelle 4 auf Seite 35 Stabilitätsdaten angegeben.
Die für den Gehalt an Abbauprodukten nach einer Lagerdauer von 6 Monaten beobachteten Ergebnisse lagen demnach innerhalb der in Anspruch 1 von Hilfsantrag XII angegebenen Grenzen. Dies kann allerdings nicht als ausreichende Grundlage in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung im Sinne von Artikel 123(2) EPÜ gelten: Der Lagerversuch wurde nur mit einer einzelnen Rezeptur und nur für die Lagerung bei einer Temperatur von 25°C ± 2°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 60% ± 5% (vgl. Seite 25, Zeilen 6 bis 15), entsprechend den mildesten in der Anmeldung genannten Bedingungen, durchgeführt. Dagegen deckt Anspruch 1 eine Bandbreite unterschiedlicher Rezepturen ab und verlangt die Erfüllung der Stabilitätskriterien auch für die Lagerung bei stärker belastenden Bedingungen, nämlich Temperaturen bis zu 50°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von bis zu 90°C.
c) Darüber hinaus bestehen auch Zweifel daran, ob die Kombination der jeweils engsten Konzentrations-bereiche von 0,04 bis 0,20 Gew.-% und 3-6 Gew.-% für die Wirkstoffe a) und b) unmittelbar und eindeutig in der Anmeldung offenbart ist. In der Beschreibung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Konzentrationen beider Wirkstoffe, und auch das Verhältnis der Wirkstoffe zueinander, in weiten Bereichen variieren können (vgl. Seite 10, Zeile 21 bis Seite 11, Zeile 26 der Beschreibung). Diese Angaben führen weder zwingend zur Kombination der engsten (mittleren) Konzentrationsbereiche, noch lassen sie auf eine Korrelation zwischen diesen Bereichen schließen, die besonders berücksichtigt werden müsste, um zu einer bestmöglichen Ausführungsform zu gelangen.
d) In diesen Zusammenhang ist anzumerken, dass kein Automatismus existiert, wonach die Kombination der am meisten bevorzugten Ausführungsformen verschiedener, voneinander unabhängiger technischer Merkmale immer implizit offenbart wäre und also keine Auswahl beinhalten könnte. Vielmehr muss sich die Beurteilung dieser Frage nach den konkreten Umständen des Einzelfalls richten.
e) Schließlich gibt die Anmeldung auch eine Reihe unterschiedlich breiter Konzentrationsbereiche an, die auf ein Konservierungsmittel und/oder Desinfektionsmittel im allgemeinen, aber nicht speziell auf Benzalkoniumchlorid bezogen sind (Seite 14, Zeilen 16 bis 21). Aus diesen Angaben ergibt sich keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Konzentrationsbereichs von 0,01 bis 0,5 Gew.-% Benzalkoniumchlorid in Kombination mit bestimmten Konzentrationsbereichen der Wirkstoffe a) und b).
3.3.9 Aus diesen Gründen geht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags XII über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
3.4 Hauptantrag
3.4.1 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags XII insbesondere in den Spezifikationen für die Konzentrationsbereiche der Komponenten und den maximalen Gehalt an Abbauprodukten von a) und b).
3.4.2 An der bereits im Kontext von Hilfsantrag XII erörterten Sachlage, dass im Rahmen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben mehr als eine Festlegung bzw. Auswahlentscheidung zu treffen ist, um zu einem Anspruchsgegenstand zu gelangen, der konkrete Bereiche für alle diese Merkmale angibt, ändert sich dadurch im Grundsatz nichts.
3.4.3 Der ursprüngliche Anspruch 6 enthält keine Konzentrationsangaben. In der Beschreibung sind hierzu jeweils verschiedene Auswahlmöglichkeiten angegeben (Gehalt an Abbauprodukten: Seite 17, Zeilen 4 bis 22; Wirkstoffkonzentrationen: Seite 10, Zeile 21 bis Seite 11, Zeile 11; Konzentration an Konservierungsmittel: Seite 14, Zeilen 16 bis 21). Dass es sich bei diesen Optionen (im Gegensatz zu nicht-überlappenden Alternativen) um einen breitesten Bereich und dessen zunehmend engere Unterbereiche handelt, ändert nichts daran, dass jeweils eine Festlegung auf einen bestimmten Bereich erforderlich ist und die Kombinationen der ausgewählten Bereiche somit nicht unmittelbar und eindeutig in den ursprünglichen Unterlagen der Anmeldung offenbart sind.
3.4.4 Laut der Argumentation der Beschwerdeführerin zum Hauptantrag wäre für den Fachmann klar ersichtlich, dass innerhalb des hauptsächlich durch die qualitative Zusammensetzung der beanspruchten Ausführungsform gebildeten Rahmens die weiteren Merkmale wie in einem Baukastensystem beliebig kombiniert werden können.
3.4.5 Dass auf der Grundlage solcher Überlegungen bestimmte Merkmalskombinationen als anmeldungskonform bzw. erfindungsgemäß erkannt würden, stellt aber noch keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung speziell dieser Merkmalskombinationen dar.
3.4.6 Somit geht auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
3.5 Hauptantrag' und Hilfsanträge I-X, I'-IX'
3.5.1 Die obenstehend für Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag XII erläuterten Entscheidungsgründe treffen in entsprechender Weise auch auf Anspruch 1 des Hauptantrags' und der Hilfsanträge I-X und I' bis IX' zu.
3.5.2 Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 dieser Anträge geht somit ebenfalls über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
4. Hilfsantrag XI - Zulassung, Änderungen
4.1 Die Kammer sieht keinen stichhaltigen Grund, Hilfsantrag XI unter Artikel 12(4) VOBK-2007 nicht zuzulassen.
4.2 Da Anspruch 1 dieses Antrags denselben Wortlaut hat wie Anspruch 1 von Hilfsantrag X, erfüllt allerdings auch Hilfsantrag XI aus denselben Gründen nicht das Kriterium von Artikel 123(2) EPÜ und ist daher nicht gewährbar.
5. Hilfsantrag XIII - Zulassung und Einwand unter Regel 106 EPÜ
5.1 Hilfsantrag XIII besteht aus einem einzigen Anspruch, der sich laut Angabe der Beschwerdeführerin auf die Rezeptur unter Nummer 4B auf Seite 35 der erteilten Fassung der Anmeldung stützt. Dieser Anspruch definiert unter anderem spezifische Konzentrationen und Lagerbedingungen (0,1 Gew.-% Xylometazolinhydrochlorid, 5 Gew.-% Pantothenol, 0,02 % Benzalkoniumchlorid, 25°C ± 2°C, 60% ± 5% relative Luftfeuchtigkeit).
5.2 Der im Verfahren neue Anspruch gemäß Hilfsantrag XIII stellt eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar. Der Antrag wurde nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgelegt. Somit unterliegt seine Zulassung den Bestimmungen von Artikel 13(2) VOBK.
5.3 In ihrer Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK hatte sich die Kammer in ihrer vorläufigen Auffassung der Sicht der Beschwerdegegnerin angeschlossen, dass keiner der vorliegenden Anträge das Kriterium unter Artikel 123(2) EPÜ erfülle (s.o. Punkt XII. sowie Mitteilung der Kammer, Abschnitt 4, insbesondere 4.1 und 4.4). Zur Frage der Ausführbarkeit wurde im wesentlichen nur die Aktenlage einschließlich der Argumente der Verfahrensbeteiligten referiert.
5.4 Laut der Beschwerdeführerin war der Inhalt dieser Mitteilung für sie überraschend. Daher sei, aufgrund von außergewöhnlichen Umständen, Hilfsantrag XIII als legitime Reaktion auf die vorläufige Auffassung der Kammer zuzulassen. Andernfalls sei das rechtliche Gehör für die Beschwerdeführerin nicht gewährleistet.
5.5 Dieser Sichtweise kann sich die Kammer aus den folgenden Gründen nicht anschließen:
5.5.1 Der Einwand, dass insbesondere auch der Gegenstand von Hilfsantrag XII (identisch mit Hilfsantrag II im Verfahren vor der Einspruchsabteilung) mangels einer spezifischen Offenbarung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, war längst im Verfahren bekannt, da die Beschwerdegegnerin sowohl in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als auch in ihrer Beschwerdeerwiderung konsequent so argumentiert hatte (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2018, Seite 3, Zeilen 1-2; Beschwerde-erwiderung, Abschnitt 2, insbesondere Punkt 2.5).
5.5.2 Die Beschwerdeführerin konnte sich daher schon seit Beginn des Beschwerdeverfahrens zu dem ihr bekannten Einwand äußern (Artikel 113(1) EPÜ).
5.5.3 Dass sich die Beschwerdekammer einem Einwand der Gegenpartei anschließen könnte, und das auch abweichend von der Auffassung der Einspruchsabteilung, ist eine grundsätzlich immer denkbare Entwicklung im Einspruchs-beschwerdeverfahren, die mithin nicht als überraschend angesehen werden kann.
5.5.4 War ein weiterer Hilfsantrag als Rückfallposition für einen solchen Fall vorgesehen, hätte die Beschwerdeführerin einen solchen Antrag bereits früher im Beschwerdeverfahren vorlegen müssen, da der fragliche Einwand ihr bereits bekannt war, anstatt nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung noch weitere zwei Jahre abzuwarten.
5.5.5 Das Argument der Beschwerdeführerin, die Kammer habe in Einzelheiten anders als die Einspruchsabteilung oder jedenfalls detaillierter als die Beschwerdegegnerin argumentiert, ist nicht stichhaltig. Im Kern war die Aussage der Kammer dieselbe wie die der Beschwerde-gegnerin, nämlich dass die im fraglichen Anspruch definierte Merkmalskombination nicht unmittelbar und eindeutig in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart sei und dass dies das ausschlaggebende Kriterium für die Beurteilung der Änderungen unter Artikel 123(2) EPÜ sei.
5.6 Da die Beschwerdeführerin somit keine stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorlagen, die den späten Zeitpunkt der Vorlage von Hilfsantrag XIII hätten rechtfertigen können, hat der besagte Hilfsantrag XIII gemäß Artikel 13(2) VOBK unberücksichtigt zu bleiben.
5.7 Dementsprechend wurde der Einwand der Beschwerdeführerin gemäß Regel 106 EPÜ gegen die Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII (s.o. Punkt XX.(i)) in der mündlichen Verhandlung zurückgewiesen.
6. Format der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz und Einwand unter Regel 106 EPÜ
6.1 Unter Berücksichtigung der pandemischen Lage und der Komplexität der zu behandelnden Fragestellungen hat die Kammer die Durchführung der mündlichen Verhandlung im Format einer Videokonferenz als zweckmäßig erachtet (Artikel 15a(1) VOBK).
6.2 In ihrer Entscheidung G1/21 hat die Große Beschwerdekammer entschieden, dass mündliche Verhandlungen vor den Beschwerdekammern des EPA unter bestimmten Umständen auch ohne Einwilligung aller Verfahrensbeteiligten als Videokonferenz abgehalten werden können. Dies ist dann zulässig, wenn ein allgemeiner Notstand vorliegt, der die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten beeinträchtigt, an einer Präsenzverhandlung teilzunehmen (siehe G1/21: Entscheidungsformel sowie Gründe 48 bis 51).
6.3 Aufgrund der COVID 19-Pandemie lag ein auch im Zeitraum von Dezember 2021 bis Februar 2022 immer noch andauernder "allgemeiner Notstand" im Sinne der vorgenannten Entscheidung vor. Diese Phase war in Deutschland durch hohe Inzidenzen von Ansteckungen mit der Delta-Variante des Coronavirus und gleichzeitig stark ansteigende Inzidenzen von Ansteckungen mit der Omikron-Variante bestimmt. Auch geimpft und mit Hygienemaßnahmen wären die Teilnehmenden bei der Anreise und der Durchführung einer Präsenzverhandlung einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen. Daher entsprach die Situation nach Auffassung der Kammer der in G1/21 genannten, und die Bedenken der Beschwerdegegnerin bezüglich der Einschränkung ihrer Möglichkeiten, an einer Präsenzverhandlung teilzunehmen, erschienen berechtigt.
6.4 Weiter wies die vorliegende Beschwerdesache keine rechtlichen oder technischen Besonderheiten auf, die die Kammer hätten annehmen lassen, ein angemessener Vortrag seitens der Verfahrensbeteiligten könne nur im Rahmen einer Präsenzverhandlung gewährleistet werden. Auch war nicht erkennbar, weshalb das Format einer Videokonferenz, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, diese gegenüber der Beschwerdegegnerin benachteiligen würde.
6.5 Die im Vorfeld ebenfalls von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene (von der Beschwerdegegnerin allerdings abgelehnte) Durchführung der Verhandlung im "Hybrid"-Format, wobei die eine Partei in Präsenz und die andere über Videoverbindung zugeschaltet teilnehmen sollte (s.o. Punkt XIV.), war im vorliegenden Fall (Verhandlung mit Simultanübersetzung) aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich.
6.6 Der pauschale Hinweis auf Gepflogenheiten anderer Stellen (Gerichte, Ämter) kann nicht die eigene Ermessensabwägung der Kammer im Hinblick auf die Umstände des konkret vorliegenden Falls ersetzen oder entkräften. Die Teilnahme an Konzert- oder Sportveranstaltungen unterliegt der Freiwilligkeit und ist daher ohnehin nicht vergleichbar.
6.7 Die von der Beschwerdeführerin beantragte Vertagung auf einen späteren Zeitpunkt im Sommer erschien im Interesse der grundsätzlich anzustrebenden Verfahrens-erledigung in angemessener Zeit als nicht akzeptabel, da die mündliche Verhandlung bereits einmal verlegt worden war und da außerdem nicht absehbar war, zu welchem Zeitpunkt die pandemische Lage tatsächlich eine Präsenzverhandlung zulassen würde.
6.8 Auch der Wechsel in der Besetzung der Kammer (s.o. Punkt XIX.) konnte keine Vertagung rechtfertigen. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin war nicht ersichtlich, weshalb eine angemessene Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch die Kammer in der neuen Besetzung nicht hätte möglich sein sollen. Insbesondere ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Umbesetzung (auf den die Beschwerdeführerin ihren Einwand gestützt hat) für die zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit nicht entscheidend.
6.9 Aufgrund dieser Erwägungen hat die Kammer ihr Ermessen unter Art. 15a(1) VOBK dahingehend ausgeübt, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz anzuberaumen und am Tag der Verhandlung selbst dem Antrag der Beschwerdeführerin auf eine Vertagung nicht stattzugeben. Da die Beschwerdeführerin vollumfänglich zu allen zu erörternden Fragen vortragen konnte, blieb das rechtliche Gehör gewahrt.
6.10 Der diesbezügliche Einwand der Beschwerdeführerin gemäß Regel 106 EPÜ (s.o. Punkt XX.(ii)) wurde daher in der mündlichen Verhandlung zurückgewiesen.
7. Zulassung von Beweismitteln
7.1 Die Kammer stützt sich in ihren oben ausgeführten Entscheidungsgründen auf keines der Schriftstücke D6 oder D18-D24, so dass es nicht erforderlich war, über den Antrag der Beschwerdeführerin auf deren Nichtzulassung zu entscheiden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.