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T 2604/19 18-02-2022
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Angefochtene Entscheidung - aufgehoben
Spät vorgebrachte Argumente - zugelassen (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form - und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher der Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 342 156 zurückgewiesen wurde.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf alle Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) bis c) EPÜ.
III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 16. August 2021 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die angefochtene Entscheidung zwar aufzuheben wäre, das Patent indes im Umfang des von der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) vorgelegten Hilfsantrags 5 aufrechterhalten bleiben könnte.
IV. Am 18. Februar 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 342 156 im vollen Umfang.
VI. Die Beschwerdegegnerin beantragte zuletzt
bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 5, vorgelegt mit Schriftsatz vom 25. April 2019, und der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgelegten geänderten Beschreibung,
wobei die Beschwerdeführerin die von ihr im Verlauf des Beschwerdeverfahrens gestellten übrigen Anträge zur Aufrechterhaltung des Patents in ursprünglicher erteilter Fassung bzw. in geänderter Fassung gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 4 in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurückgenommen hatte (vgl. Protokoll, Seite 4/5, Absatz 4).
VII. In dieser Entscheidung werden das folgenden Dokument erwähnt:
D15: JP 2000 249 591 A1.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem alleinigen Antrag (Hilfsantrag 5) lautet (die Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung sind durch Unterstreichung markiert und mit einer Merkmalsbezeichnung versehen:
(1.a) Messeinrichtung zum Wiegen von Behältern,
(1.b) welche aus einer Vielzahl umlaufender Messaufnehmer (6) gebildet ist,
(1.c) auf welcher die Behälter (2) bodenseitig aufstehend von einer Einlaufseite (7) zu einer Auslaufseite (8) transportiert und gleichzeitig gewogen werden,
(1.d.) wobei die Messaufnehmer (6) synchron zu einem Behälterfluss eines Transporteurs zirkulieren,
(1.e) wobei die Messaufnehmer (6) quer zur Transportrichtung (17) angeordnet und
(1.f) als Messfinger ausgeführt sind, so dass eine Multifinger-Messeinrichtung gebildet ist,
(1.g) wobei die einzelnen Messfinger so beabstandet sind, dass quasi ein Laufband mit Obertrum und Untertrum gebildet ist,
dadurch gekennzeichnet,
(1.h) dass an jedem Messaufnehmer (6) ein Messelement, welches eine Belastung detektieren kann, angeordnet ist, und
(1.j) dass die Messelemente mit einer Auswerteeinheit (19) verbunden sind, sodass nicht eichgerecht abgefüllte Behälter (2) erkannt werde können,
(1.k) wobei die nicht eichgerecht gefüllten Behälter (2) auf der Messeinrichtung zum Wiegen der Behälter aussortiert werden.
IX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensaspekte
1.1 Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die am 1. Januar 2020 in Kraft trat (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
1.2 Die angefochtene Entscheidung ist bereits deshalb entsprechend dem insoweit gleichlautenden Antrag beider Parteien aufzuheben, weil die Beschwerdegegnerin, nach einem entsprechenden Hinweis während der mündlichen Verhandlung (letzter Absatz auf Seite 4/5 des Protokolls) mit ihren Schlussanträgen nur noch die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem Hilfsantrag 5 begehrt.
2. Hilfsantrag 5
2.1 Der alleinige (Haupt-)Antrag der Beschwerdegegnerin, Hilfsantrag 5, entspricht dem im Einspruchsverfahren vorgebrachten Hilfsantrag 5, eingereicht mit Schriftsatz vom 25. April 2019, und enthält gegenüber Anspruch 1 gemäß der erteilten Fassung zusätzlich das Merkmale 1.j und 1.k.
2.2 Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass die hinzugefügten Merkmale 1.j und 1.k aus dem Stand der Technik nicht offenbart sind, so dass der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 den Erfordernissen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit genügt (Beschwerdeerwiderung, Seite 19, Absatz 6). Die Beschwerdeführerin ihrerseits vertrat die Ansicht, dass dem Fachmann diese Merkmale bekannt seien (vgl. Schriftsatz datiert auf den 8. Mai 2020, Seite 8, Absatz 8, bis Seite 9, Absatz 3)
2.3 Der von der Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren vorgetragene und nicht weiter ausgeführte Verweis der Beschwerdeführerin auf die Offenbarungstelle in Absatz [0002] des Dokuments D15 und auf die "control unit (unit CPU)" 27 in Absatz [0022] vermag die Kammer jedoch nicht davon zu überzeugen, dass die Merkmale 1.j und 1.k aus dem Dokument D15 bekannt waren oder nahegelegen haben.
2.4 Absatz [0002] betrifft in Dokument D15 ausdrücklich eine Beschreibung des allgemeinen Stands der Technik und ist nicht im Zusammenhang mit der übrigen Offenbarung des Dokuments D15 zu sehen.
2.5 Absatz [0022] offenbart, dass in einer "load detection unit" 20 - dem der Ausführung der Beschwerdeführerin auf Seite 14, Absätzen 7 bis 9, vorgebrachten Verständnis folgend also in einem Messaufnehmer - eine "control unit (unit CPU)" 27 vorgesehen ist, so dass auch deshalb aus Sicht der Kammer nicht offenbart ist, dass die Messelemente mit einer Auswerteeinrichtung verbunden sind.
2.6 Dieser Einwand ist daher nicht geeignet, die Kammer von einer mangelnden Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 zu überzeugen.
2.7 Im Verlauf der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdeführerin zudem erstmalig Einwände mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 vor, die auf die Offenbarung der Absätze [0031] und [0032] sowie der Figur 9 des Dokuments D15 Bezug nehmen.
2.8 Diese Einwände stellen unstreitig eine Änderung des Beschwerdevorbringens seitens der Beschwerdeführerin dar, so dass ihre Zulassung ins Verfahren den Voraussetzungen des Artikels 13 (2) VOBK 2020 unterliegt.
2.9 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
2.10 Die Kammer folgt nicht der Beschwerdeführerin vorgetragenen Rechtfertigung, dass die aufgeführten Offenbarungsstellen prima facie hochrelevant für die erörterten Fragen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 seien.
2.11 Zu einem erkennt die Kammer in dem Aspekt, dass eine - obgleich bislang nicht herangezogene -Offenbarungsstelle eines Beweismittels, nämlich des Dokuments D15, das bereits im Einspruchsverfahren vorlag und dort umfassend im Rahmen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit erörtert wurde, sich nunmehr, zu einem sehr späten Verfahrenszeitpunkt, als prima facie hochrelevant für die gleichen Einspruchsgründe erweisen könnte, keinen besonderen Umstand im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020, so dass die Zulassungsvoraussetzung für die Änderungen im Beschwerdevorbringen nicht gegeben sind.
2.12 Selbst wenn aber auch argumentationshalber unterstellt werden sollte, dass in einer prima facie Relevanz der neuen Einwände ein besonderer Umstand im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 gegeben wäre, so kann die Kammer im vorliegenden Fall eine solche prima facie Relevanz nicht erkennen. Sie teilt die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Überzeugung der Beschwerdegegnerin, dass sich aus den neu angegebenen Offenbarungsstellen in Dokument D15 das Merkmal 1.k, insbesondere ein Aussortieren auf auf der Messeinrichtung, nicht unmittelbar und zweifelsfrei ergibt. Es ist ebenfalls nicht ohne weiteres erkennbar, weshalb dieses Merkmal dem Fachmann aus dem Dokument D15, seinem Fachwissen oder dem übrigen Stand der Technik nahegelegen haben sollte. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Textstellen sind daher nicht prima facie hochrelevant für die Frage der Neuheit oder der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5.
2.13 Die auf die Offenbarung der Absätze [0031] und [0032] sowie der Figur 9 des Dokuments D15 Bezug nehmenden Einwände mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 sind daher gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht ins Verfahren zuzulassen.
2.14 Die Beschwerdeführerin hat keine weiteren Hindernisse vorgetragen, die einer Gewährbarkeit des Hilfsantrags 5 entgegenstünden. Für die Kammer sind solche auch nicht zu erkennen.
2.15 Die Beschwerdegegnerin überreichte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer weiterhin eine an Hilfsantrag 5 angepasste Beschreibung. Die Beschwerdeführerin erhob keine Einwände gegen die Anpassung der Beschreibung (vgl. Protokoll, Seite 4/5, Absatz 3). Auch die Kammer vermag keine Mängel in der angepassten Beschreibung zu erkennen, so dass erteilungsfähige Unterlagen zu Hilfsantrag 5 vorliegen.
2.16 Dem Antrag der Beschwerdegegnerin, dass europäische Patent in geänderten Umfang gemäß Hilfsantrag 5 aufrechtzuerhalten, ist daher stattzugeben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückgewiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Beschreibung:
Seiten 2, 4 und 6 der Patentschrift,
3, 5 eingereicht während der mündlichen
Verhandlung,
Ansprüche:
1 bis 9 eingereicht als Hilfsantrag 5
mit Schriftsatz vom 20. Februar 2020,
Figuren:
1 bis 5 der Patentschrift.