T 0288/84 (Aktivierter Träger) 07-02-1986
Téléchargement et informations complémentaires:
Offenbarung
Ergänzung des Patentanspruchs durch Merkmal aus Stand der Technik
Anspruchsänderung
Aufnahme eines solchen Merkmals in den Oberbegriff
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung 78 200 273.7, die am 30. Oktober 1978 unter Inanspruchnahme einer niederländischen Priorität vom 1. November 1977 angemeldet worden war, wurde am 7. Juli 1982 das europäische Patent 1862 auf der Grundlage von zehn Ansprüchen erteilt, deren erster und siebenter wie folgt lauten:
"1. Katalytische Titanhalogenidkomponente auf einem Magnesiumhalogenid als Trägerstoff, verwendbar für die Polymerisation von Alkylenen-1 oder Copolymerisation von Alkylenen-1 untereinander oder mit Äthylen, dadurch gekennzeichnet, daß das Magnesiumhalogenid weniger als 0,2 Gew.-% Wasser und, was den Magnesiumoxidgehalt betrifft, weniger als 0,1 mgäq titrierbare Base je g Magnesiumhalogenid enthält und gewonnen ist durch Erhitzung eines wasser- und/oder magnesiumoxidhaltigen Magnesiumhalogenids in einem Gasstrom von Kohlenstoff halogeniddampf und/oder einem Gemisch von Kohlenmonoxid und Halogen.
7. Verfahren zur Polymerisation von Alkylenen-1 oder Copolymerisation von Alkylenen-1 untereinander oder mit Äthylen unter Verwendung eines Katalysatorsystems, das eine Titanhalogenidkomponente auf einem Magnesiumhalogenid als Trägerstoff und eine Organoaluminiumkomponente enthält, welche Organoaluminiumkomponente einen Komplex einer organischen Aluminiumverbindung mit einem Ester einer sauerstoffhaltigen organischen Säure enthält, dadurch gekennzeichnet, daß eine Titanhalogenid komponente gemäß einem der Ansprüche 1-6 verwendet wird."
II. Gegen die Patenterteilung legte die Einsprechende am 18. März 1983 Einspruch ein, wobei sie durch Vorlage von Ergebnissen eigener Versuche mangelnde Offenbarung und Ausführbarkeit des Gegenstandes nach dem Streitpatent geltend machte und die (nachveröffentlichte)
(1) US-A-4 298 718
mit heranzog. Die Patentinhaberin bezog sich zu ihrer Entlastung auf die in Spalte 1, Zeile 15 der Streit patentschrift bereits genannte
(2) NL-A-7 208 558.
III. Durch Entscheidung vom 10. Oktober 1984 widerrief die Einspruchsabteilung das Patent und führte dazu aus, nach Anspruch 1 sowie Spalte 3, Zeilen 54 bis 56 der Beschreibung des Streitpatents könne das Titanhalogenid auf jede bekannte Weise auf den Magnesiumhalogenidträger aufgebracht werden. Dem zitierten Stand der Technik (2) habe der Fachmann zwar entnehmen können, daß als Träger aktiviertes Magnesiumhalogenid einzusetzen sei; aus den Versuchen der Einsprechenden gehe jedoch hervor, daß einfaches Vermischen einer Suspension von aktiviertem Magnesiumchlorid mit einer TiCl4-Lösung und übliches Aufarbeiten nicht zum gewünschten Erfolg führen. Durch die Versuche der Einsprechenden sei ferner belegt, daß auch die Feinheit des Trägers kein die Nacharbeitbarkeit sicherstellendes ausreichendes Kriterium sei. Da die Patentinhaberin weder die Versuchsergebnisse der Einsprechenden widerlegt, noch die angeregte Beschränkung der Ansprüche im Sinne von Spalte 3, Zeile 57 der Beschreibung (gemeinsames Vermahlen von Titan- und Magnesiumhalogenid) vorgenommen habe, sei das Patent wegen mangelnder Ausführbarkeit im beanspruchten Umfange zu widerrufen gewesen.
IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 8. Dezember 1984 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese mit Fernschreiben vom 11. Februar 1985, schriftlich bestätigt am 14. Februar 1985, sinngemäß wie folgt begründet:
Dokument (2) lehre nicht nur die Notwendigkeit eines aktivierten Magnesiumhalogenidträgers, sondern auch, wie die Aktivierung herbeigeführt und wie aktiviertes von nicht-aktiviertem Magnesiumhalogenid unterschieden werden könne. Aus den Versuchen der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) gehe lediglich hervor, daß ein nicht aktivierter Magnesium halogenidträger zu schlechten Resultaten führe. Daher reiche die vorliegende Offenbarung aus, doch sei die Beschwerdeführerin zu einer Klarstellung von Anspruch 1 bereit, falls die Kammer dies für nötig halte.
V. Die Beschwerdegegnerin tritt diesen Ausführungen mit dem Argument entgegen, die Verwendung von aktiviertem Magnesiumhalogenid sei weder in den ursprünglichen Unterlagen erwähnt, noch ergebe sie sich ohne weiteres bei fachmännischer Auslegung der Streitpatentschrift. Sie beantragt daher Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Die Kammer hat den Beteiligten mitgeteilt, daß die Einfügung des Wortes "aktivierten" vor "Magnesiumhalogenid" formal zulässig und im Oberbegriff nicht nur von Anspruch 1, sondern auch von Anspruch 7 geboten erscheine; für die Beurteilung des Ausreichens der Offenbarung könne es entscheidend sein, ob die Versuche der Beschwerdegegnerin mit aktiviertem oder nicht-aktiviertem Magnesiumhalogenid durchgeführt worden seien.
VII. Die Beschwerdeführerin hat hierzu am 14. Oktober 1985 in dem Sinne Stellung genommen, daß bereits dem Einspruchsschriftsatz vom 17. März 1983 zu entnehmen sei, daß die Versuche der Beschwerdegegnerin mit nicht-aktiviertem Magnesiumhalogenid durchgeführt wurden. Sie beantragt Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrecht erhaltung des Patents "in der heutigen Fassung".
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat zuletzt Entscheidung nach Aktenlage beantragt.
IX. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1985 hat die Kammer den Beteiligten unter Fristsetzung nach Regel 58(4) EPÜ mitgeteilt, in welchem Sinne sie den Antrag der Beschwerdeführerin auslegt und in welcher Fassung die Aufrechterhaltung des Patents beabsichtigt sei. Die Beteiligten haben dieser Fassung innerhalb der gesetzten Monatsfrist nicht widersprochen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Beschwerdegegnerin hatte zwar bei Einlegung ihres Einspruches neben ihrer Rüge unzureichender Offenbarung auch summarisch behauptet, daß der Gegenstand des Streitpatentes "im Sinne von Artikel 100 a) und b) EPÜ" die Voraussetzunge einer patentfähigen Erfindung nicht erfülle; sie hat ihr Vorbringen aber hinsichtlich des Artikels 100 a) (d.h. mittelbar hinsichtlich der Artikel 52 bis 57) in keiner Phase des Einspruchs- oder Beschwerdeverfahrens substantiiert. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz in ihrer Entscheidung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen nach Artikeln 52 bis 57 nicht nachgegangen ist. Auch der Kammer ist aus eigener Sachkunde kein Stand der Technik bekannt, der dem Streitpatent dies bezüglich patenthindernd entgegenstünde. Zu untersuchen ist daher lediglich, ob im Sinne von Artikel 100 b) die Erfindung in der Streitpatentschrift so deutlich und vollständig offenbart ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann (Art. 83 EPÜ).
3. Zwischen den Parteien war zuletzt unstreitig, daß das Polymerisationsverfahren des Anspruchs 7 nur dann mit dem angegebenen Erfolg ausführbar ist, wenn es sich beim Magnesium halogenidträger der - durch Anspruch 1 unter Schutz gestellten - Titanhalogenidkomponente des Katalysators um aktiviertes Magnesiumhalogenid handelt. Es ist somit zu untersuchen, ob dieses Merkmal, obwohl nicht ausdrücklich genannt, in den Erstunterlagen und in der erteilten Fassung der Streitpatentschrift noch enthalten ist.
4. Sowohl in den Erstunterlagen als auch in der Patentschrift wird in der Beschreibungseinleitung erläutert, daß die Erfindung eine Titanhalogenidkomponente auf einem Magnesium halogenidträger sowie die Verwendung dieses Katalysator systems in einem Polymerisationsverfahren betrifft. Die Beschreibung fährt fort, daß ein Katalysator dieser Art, nämlich bestehend aus Titanhalogenid auf wasserfreiem Magnesiumhalogenid sowie aus einer (durch ihre Herstellungsweise näher definierten) Organoaluminiumkomponente, und der Einsatz dieses Katalysators in einem solchen Verfahren bereits aus (2) bekannt sind. Der Nachteil eines solchen Katalysatorsystems wird in der unzureichenden Stereospezifität des Polymerisationsverfahrens gesehen. Im Anschluß daran wird ausgeführt, daß mit Hilfe einer abgewandelten Organoaluminiumkomponente gemäß der (eben falls dem vorveröffentlichten Stand der Technik zuzu rechnenden)
(3) NL-A-7 509 735
eine gewisse Verbesserung der Stereospezifität erzielt wird, daß jedoch ein Bedürfnis nach deren noch weiter gehenden Verbesserung besteht (Spalte 1, Zeilen 44 bis 46).
5. Die vorstehend referierten Ausführungen lassen zwar nicht auf den ersten Blick erkennen, daß nach dem zitierten Stand der Technik aktiviertes Magnesiumhalogenid eingesetzt wird; dieser Sachverhalt erhellt jedoch bei dessen Lesen:
5.1. Schon Anspruch 1 von (2) kennzeichnet den Träger der in Absatz b (Seite 27, Zeilen 15 ff.) definierten Titanhalogenidkomponente durch seine spezifische Oberfläche sowie durch sein Röntgenspektrum, von dem gesagt wird, daß darin eine für normales, nicht-aktiviertes Magnesiumhalogenid charakteristische Linie verbreitert ist (Seite 27, Zeilen 21 bis 23). Noch deutlicher und sehr ausführlich ist dies bezüglich die Beschreibung von (2): Erstmals wird auf Seite 6, Zeilen 13 bis 14 Magnesiumhalogenid "in vorher aktivierter Form" erwähnt, das anschließend (Zeilen 16 bis 20) wieder wie oben durch spezifische Oberfläche und Röntgenspektrum gekennzeichnet wird. Auf Seite 7, Zeilen 9 bis 14 wird sodann Magnesiumhalogenid "in aktiver Form" ausdrücklich in der angeführten Weise definiert, und im Anschluß daran (Seite 7, Zeile 15 bis Seite 8, Zeile 7) werden mehrere Methoden beschrieben, mit deren Hilfe das Magnesiumhalogenid "in die aktive Form" übergeführt werden kann.
5.2. Dokument (3) geht von (2) als Stand der Technik aus und erwähnt bei dessen Würdigung erstmals auf Seite 2, Zeilen 8 bis 9 aktiviertes Magnesiumhalogenid. Da es bei (3) vordergründig um die Abwandlung der Organoaluminiumkomponente des Katalysatorsystems geht, wird naturgemäß der Magnesiumhalogenidträger der Titanhalogenidkomponente nicht so ausführlich beschrieben wie in (2); doch heißt es auch hier, daß besonders günstige Resultate hinsichtlich Aktivität und Stereospezifität des Katalysators bei Verwendung eines Magnesiumhalogenidträgers erzielt werden, der auf besondere Weise aktiviert wurde und der ebenso wie in (2) durch spezifische Oberfläche und Röntgenspektrum gekennzeichnet wird (Seite 4, Zeilen 11 bis 15).
6. Die Verknüpfung dieses Standes der Technik mit dem Gegenstand des Streitpatents erfolgt insbesondere an zwei Stellen:
6.1. Nachdem in Spalte 1, Zeilen 12 bis 15 der Streitpatentschrift gesagt wurde, worauf sich die Erfindung bezieht, schließt sich die Würdigung von (2) mit den Worten "Eine solche Titanhalogenidkomponente und ein solches Verfahren..." (Spalte 1, Zeilen 13 bis 14) an. Daraus folgt, daß bei der auf (2) und (3) aufbauenden Erfindung nach dem Streitpatent nicht von irgendeinem Magnesiumhalogenid, sondern von dem (wasserfreien und aktivierten) Magnesiumhalogenid von (2) als Träger ausgegangen werden soll, der dann erfindungsgemäß behandelt wird.
6.2. Ebenfalls wird die Darstellung des Streitpatents nach Aufgabe und Lösung in den Rahmen des Standes der Technik nach (2) und (3) gestellt und das Bekannte mit der erfindungsgemäßen Weiterbildung durch die Aussage verknüpft, daß die Stereospezifität "eines solchen Katalysatorsystems" - d. h. desjenigen von (3) - gesteigert werden kann, indem man ein Magnesiumhalogenid verwendet, das nicht nur - so wie nach (2) und (3) - wasserfrei, sondern auch zumindest praktisch magnesiumoxidfrei ist und auf bestimmte Weise gewonnen wird (Spalte 1, Zeilen 47 bis 57); mit anderen Worten: zu den Merkmalen des Magnesiumhalogenids nach (2) und (3) - wasserfrei und aktiviert - kommen noch die patentgemäßen - Magnesiumoxidfreiheit und Herstellungsweise - hinzu.
6.3. Hieraus folgt, daß der fachmännische Adressat der Patentschrift den dort referierten, durch (2) und (3) repräsentierten Stand der Technik sowie auch dessen vorteilhafte Weiterentwicklung nach dem Streitpatent derart verstehen mußte, daß das anspruchsgemäß charakterisierte und verwendete Magnesiumhalogenid außerdem auch "aktiviert" im Sinne von (2) zu sein hat.
6.4. Diese Auslegung wird zusätzlich dadurch bestätigt, daß in sämtlichen sieben Beispielen der Streitpatentschrift die der eigentlichen Erfindung vorangehende Aktivierung tatsächlich beschrieben, wenn auch nicht namentlich als solche bezeichnet ist: Nach (2), Seite 7, Zeilen 32 bis 35 erfolgt die Aktivierung vorzugsweise durch Vermahlen des Magnesiumhalogenids, insbesondere in einer Kugelmühle; dies ist in den Beispielen I bis XII, XIV bis XXV, LVI bis LXI, LXXII und LXXIII von (2) in Form von gemeinsamem Vermahlen von Magnesiumhalogenid mit Titanhalogenid oder einem ein solches enthaltenden Komplex im einzelnen erläutert. Auch in allen neun Beispielen von (3) erfolgt ein solches Vermahlen. Ein analoges Vermahlen wird in sämtlichen sieben Beispielen der Streitpatentschrift beschrieben: siehe Spalte 6, Zeilen 22 bis 26; Spalte 7, Zeilen 31 bis 36 und 56 bis 58; Spalte 9, Zeilen 18 bis 21, 34 bis 37 und 51 bis 54; sowie Spalte 10, Zeilen 25 bis 26.
6.5. Betrifft eine Erfindung die Weiterbildung eines schon ursprünglich in der Erfindungsbeschreibung zitierten Standes der Technik, so ist ein im zitierten Dokument breit beschriebenes, in der Erfindung nicht eigens angegebenes Merkmal (hier: "aktivierter" Träger) ausreichend offenbart, wenn dieses in Gestalt einer auch im Referenzdokument genannten Ausführungsform in den Beispielen der Erfindung verwirklicht ist (hier: Aktivieren durch Vermahlen).
7. Ist somit die Verwendung von aktiviertem Magnesiumhalogenid für den fachmännischen Leser sowohl in den Erstunterlagen als auch in der Streitpatentschrift deutlich offenbart, so ist es zulässig und auch geboten, das Wort "aktivierten" an den entsprechenden Stellen des Oberbegriffs der Ansprüche 1 bis 7 einzufügen; denn ein den Anspruchswortlaut einschränkendes, ursprünglich offenbartes Merkmal darf auch im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren noch in die Ansprüche aufgenommen werden.
8. Demnach greifen die Einwände der Beschwerdegegnerin unter Artikel 100 b) EPÜ gegenüber den Ansprüchen 1 und 7 in nunmehr beantragter Fassung nicht durch. Gleiches gilt für die hierauf rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 bzw. 8 bis 10.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent in geändertem Umfang mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, daß in den Ansprüchen 1 und 7, Spalte 10, Zeile 41 bzw. Spalte 11 Zeile 18 jeweils vor "Magnesiumhalogenid" das Wort "aktivierten" eingefügt wird.