T 0002/87 (Telegrafische Geldanweisung) 11-08-1987
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1. Das Europäische Patentamt ist rechtlich auch dann nicht verpflichtet, ausserhalb der Öffnungszeiten Barzahlungen entgegenzunehmen, wenn sie ihm vom Einzahler angekündigt worden sind.
2. Die Fiktion der Gutschrift auf einem Konto, kann nicht so weit gehen, dass der fiktive Eingang einer Barzahlung an einem vor dem tatsächlichen Eingang liegenden Tag als Zahlungstag anerkannt wird.
Verspätete Entrichtung der Einspruchsgebühr
Einspruch gilt als nicht eingelegt
Telegrafische Geldanweisung
Tatsächlicher Eingang der Bezahlung
Analogie zu Regel 85 EPÜ (verneint)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nicht vorgesehen)
I. Der Hinweis auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 054 497 zugunsten der Beschwerdegegnerin wurde im Europäischen Patentblatt Nr. 85/17 vom 24. April 1985 bekannt gemacht. Die Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen das Patent lief also gemäß Artikel 99 (1) EPÜ am Freitag, den 24. Januar 1986 ab. Um 17.00 Uhr dieses Tages (also nach Dienstschluß beim Europäischen Patentamt in München) übermittelte ein Angestellter der Beschwerdeführerin eine telegrafische Geldanweisung über 560 DEM (den Betrag der Einspruchsgebühr) von einem Postamt in der Bundesrepublik Deutschland aus an das EPA. Das Telegramm ging um 18.00 Uhr bei einem Postamt in München ein. Zwischen 20.10 Uhr und 21.50 Uhr versuchte ein Postbeamter dem EPA den Betrag in bar zu übergeben, allerdings vergeblich, da kein zur Entgegennahme des Geldes und zur Unterzeichnung einer Empfangsbescheinigung befugter Beamter des EPA anwesend war. Ein zweiter Versuch zur Übergabe des Geldes am nächsten Morgen blieb aus demselben Grunde erfolglos; der Betrag konnte erst am darauffolgenden Montagmorgen während der normalen Dienstzeit ausgehändigt werden.
II. Die Beschwerdeführerin übermittelte dem Amt fernschriftlich eine Beschwerdeschrift, die am Freitag, den 24. Januar 1986, um 18.54 Uhr dort einging. Sie enthielt u. a. den Hinweis "Zahlung per telegrafischer Überweisung". Das Fernschreiben wurde gemäß Regel 36 (5) EPÜ ordnungsgemäß schriftlich bestätigt.
(...)
V. In der angefochtenen Entscheidung vom 6. Oktober 1986 vertrat der Formalsachbearbeiter der Geschäftsstelle der Einspruchsabteilung des EPA die Auffassung, daß der Einspruch als nicht eingelegt gelte, da die Einspruchsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet worden sei, und daß der Hilfsantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unzulässig sei.
VI. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung am 26. November 1986 Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde ordnungsgemäß entrichtet und eine schriftliche Beschwerdebegründung am 23. Januar 1987 fristgerecht nachgereicht. Die Beschwerdeführerin behauptete darin insbesondere, daß der Fall ähnlich gelagert sei wie der einer verspätet eingegangenen Posteinzahlung (T 214/83, ABl. EPA 1985, 10), der zugunsten des Beschwerdeführers entschieden worden sei. (...) Jedermann müsse die Möglichkeit haben, eine Gebühr unabhängig von den Öffnungszeiten des EPA bis zum Ende des letztmöglichen Zahlungstages zu entrichten. Wenn die Öffnungszeiten dies nicht erlaubten, dann müsse die Frist für die Gebührenzahlung analog zu Regel 85 EPÜ (Verlängerung von Fristen, die an einem Tag ablaufen, an dem das Amt zur Entgegennahme von Schriftstücken nicht geöffnet ist) bis zum nächstfolgenden Tag verlängert werden, an dem das Amt zur Entgegennahme von Barzahlungen geöffnet sei. Die Beschwerdeführerin behauptete schließlich, eine Gebühr könne als im Sinne des Artikels 99 (1) EPÜ entrichtet gelten, sobald der Einzahler über den an das Amt überwiesenen Geldbetrag nicht mehr verfügen könne.
(...)
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Artikel 99 (1) EPÜ sieht vor, daß "innerhalb von neun Monaten" nach der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents jedermann beim Europäischen Patentamt gegen das erteilte Patent Einspruch einlegen kann. Er sieht ferner vor, daß der Einspruch erst als eingelegt gilt, wenn die Einspruchsgebühr "entrichtet" worden ist.
3. Zweifellos kann derjenige, der Einspruch einlegen will, dies bis zum Ablauf des letzten Tages der Einspruchsfrist tun. Ein automatischer Nachtbriefkasten und die (im vorliegenden Fall in Anspruch genommene) automatische Entgegennahme von telegrafischen Mitteilungen stellen sicher, daß Schriftstücke und Mitteilungen auch außerhalb der Öffnungszeiten beim EPA in München eingehen können und ein Eingangsdatum erhalten. In den Nachtbriefkasten können auch Schecks eingeworfen werden. Es gibt jedoch keine Regelung, nach der Gebühren außerhalb der Öffnungszeiten in bar eingezahlt werden können. Es gibt keinen "Nachtsafe" und insbesondere keine Möglichkeit zur Ausstellung von Empfangsbescheinigungen über Barzahlungen, die außerhalb der Öffnungszeiten vorgenommen werden. Nur befugte Personen dürfen Barzahlungen für das EPA entgegennehmen; sie sind nach der Finanzordnung der Europäischen Patentorganisation verpflichtet, hierüber eine Empfangsbescheinigung auszustellen. Bei Barzahlungen mittels Postanweisung schreibt die deutsche Postordnung - wie in der angefochtenen Entscheidung klar und richtig dargelegt wurde - ferner vor, daß der Postbeamte den Betrag nur einer dazu befugten Person aushändigen darf, die ihm darüber eine gültige Empfangsbescheinigung ausstellen muß.
4. Im vorliegenden Fall muß davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführerin die Öffnungszeiten der Amtskasse des EPA und die Dienstzeiten im allgemeinen (die im Amtsblatt des EPA bekanntgemacht worden sind und auf Anfrage mitgeteilt werden) bekannt waren und daß sie gewußt hat, daß eine nach Kassen- bzw. Dienstschluß abgesandte telegrafische Postanweisung unmöglich noch am selben Tag eingehen konnte.
5. Die Kammer kann weder im EPÜ noch anderswo eine Vorschrift finden, nach der das EPA rechtlich verpflichtet wäre, außerhalb der Dienstzeiten Barzahlungen entgegenzunehmen, ob sie ihm nun vom Einzahler angekündigt worden sind oder nicht. Dies gilt zumal dann, wenn auch die Ankündigung erst nach Dienstschluß abgesandt worden ist. Wer eine Gebühr in bar entrichten will, dem kann auch zugemutet werden, daß er alles hierfür Erforderliche veranlaßt.
6. Das Argument der Beschwerdeführerin, der vorliegende Fall sei ähnlich gelagert wie der, in dem bei einem Postamt eine Einzahlung auf ein Postgirokonto des EPA gemacht worden sei, ist nicht stichhaltig. Sowohl in der (oben genannten) Sache T 214/83 als auch in der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer in der Sache J 26/80 (ABl. EPA 1982, 7), auf die in der Sache T 214/83 ausführlich hingewiesen worden ist, ging es um eine Einzahlung auf ein Konto und um den Begriff der Gutschrift auf einem Konto, der in Artikel 8 (1) a) der Gebührenordnung (GebO) ausdrücklich erwähnt wird. Im Zusammenhang mit Postanweisungen ist in Artikel 8 (1) b) GebO ausdrücklich vom "Tag des Eingangs des Betrags der Postanweisung", d. h. dem Tag des Eingangs der Barzahlung beim EPA, die Rede.
Nach Auffassung der Kammer kann die Fiktion der Gutschrift auf einem Konto nicht so weit gehen, daß der fiktive Eingang einer Barzahlung an einem vor dem tatsächlichen Eingang liegenden Tag als Zahlungstag anerkannt wird.
7. Außerdem ist es wohl kaum zulässig, die Frist für Barzahlungen analog zu Regel 85 EPÜ zu verlängern, wenn die Barzahlung nicht innerhalb der Öffnungszeiten erfolgt ist. Es ist etwas anderes, ob eine Zahlung, die an einem Tag fällig wird, an dem das Amt geschlossen ist, am nächstfolgenden Öffnungstag vorgenommen werden darf oder ob eine Zahlung an einem Öffnungstag erst nach Dienstschluß angeboten wird.
8. Auch das Argument der Beschwerdeführerin, eine Einspruchsgebühr könne als im Sinne des Artikels 99 (1) EPÜ "entrichtet" gelten, wenn der Einzahler nicht mehr über den Geldbetrag verfügen könne, kann die Kammer nicht gelten lassen. Aus der französischen und der englischen Fassung des Artikels 99 (1) EPÜ, die ebenso verbindlich sind wie die deutsche, geht eindeutig hervor, daß bei Barzahlungen - anders als bei Überweisungen - "entrichtet" im Sinne von "tatsächlich an das EPA gezahlt" zu verstehen ist. Im vorliegenden Fall war die Deutsche Bundespost kein mit der Entgegennahme von Geldbeträgen beauftragter Erfüllungsgehilfe des EPA, sondern nur der Bote des Einzahlers.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
9. Aus diesen Gründen muß die vorliegende Beschwerde zurückgewiesen werden.
10. Die Beschwerdeführerin hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die unter den gegebenenen Umständen in Artikel 122 EPÜ auch nicht vorgesehen ist, nicht aufrechterhalten. Der in der angefochtenen Entscheidung hierzu vorgebrachten Begründung schließt sich die Kammer an.