T 2355/16 04-06-2020
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GETRIEBE FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG, SOWIE ANTRIEBSSTRANG FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG
Sachverhalt und Anträge
I. Mit der am 28. Juni 2016 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 15187090.4 zurück, weil die Anmeldung nicht den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ genügte.
II. Gegen diese Entscheidung reichte die Beschwerdeführerin (Anmelderin) form- und fristgerecht Beschwerde ein.
III. Die angefochtene Entscheidung erging nach Aktenlage und verweist auf die Mitteilung nach Artikel 94 (3) EPÜ vom 19. Juli 2016. Die vorliegende Entscheidung bezieht sich auf diese Mitteilung.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben und ein Patent auf der Grundlage der am 23. Mai 2016 eingereichten Unterlagen erteilt wird.
V. Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Getriebe (G) für ein Kraftfahrzeug, wobei das Getriebe (G) eine Antriebswelle (GW1), eine Abtriebswelle (GW2), einen ersten, zweiten und dritten Planetenradsatz (P1, P2, P3) sowie ein erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes und sechstes Schaltelement (03, 05, 06, 14, 17, 67) aufweist,
- wobei die Planetenradsätze (P1, P2, P3) je ein erstes Element (E11, E12, E13), ein zweites Element (E21, E22, E23) und ein drittes Element (E31, E32, E33) aufweisen, wobei das erste Element (E11, E12, E13) durch ein Sonnenrad des jeweiligen Planetenradsatzes (P1, P2, P3) gebildet ist, wobei das zweite Element (E21, E22, E23) im Falle eines Minus-Radsatzes durch einen Steg und im Falle eines Plus-Radsatzes durch ein Hohlrad des jeweiligen Planetenradsatzes (P1, P2, P3) gebildet ist, wobei das dritte Element (E31, E32, E33) im Falle eines Minus-Radsatzes durch das Hohlrad und im Falle eines Plus-Radsatzes durch den Steg des jeweiligen Planetenradsatzes (P1, P2, P3) gebildet ist,
- wobei die Abtriebswelle (GW2) mit dem dritten Element (E31) des ersten Planetenradsatzes (P1) und mit dem zweiten Element (E23) des dritten Planetenradsatzes (P3) ständig verbunden ist,
- wobei das erste Element (E11) des ersten Planetenradsatzes (P1) mit dem ersten Element (E12) des zweiten Planetenradsatzes (P2) ständig verbunden ist,
- wobei das Getriebe (G) eine erste Koppelung (V1) und eine zweite Koppelung (V2) aufweist, wobei die erste Koppelung (V1) zwischen dem ersten Element (E13) des dritten Planetenradsatzes (P3) und einem drehfesten Element (GG) des Getriebes (G) besteht, wobei die zweite Koppelung (V2) zwischen dem zweiten Element (E22) des zweiten Planetenradsatzes (P2) und dem dritten Element (E33) des dritten Planetenradsatzes (P3) besteht, wobei eine der beiden Koppelungen (V1, V2) durch eine ständig drehfeste Verbindung gebildet ist und die verbleibende der beiden Koppelungen (V1, V2) durch eine mittels dem ersten Schaltelement (03) schaltbare Verbindung gebildet ist,
- wobei durch Schließen des zweiten Schaltelements (05) das erste Element (E11) des ersten Planetenradsatzes (P1) drehfest festsetzbar ist,
- wobei durch Schließen des dritten Schaltelements (06) das zweite Element (E21) des ersten Planetenradsatzes (P1) drehfest festsetzbar ist,
- wobei durch Schließen des vierten Schaltelements (14) die Antriebswelle (GW1) mit dem zweiten Element (E22) des zweiten Planetenradsatzes (P2) verbindbar ist,
- wobei durch Schließen des fünften Schaltelements (17) die Antriebswelle (GW1) mit dem dritten Element (E32) des zweiten Planetenradsatzes (P2) verbindbar ist,
- und wobei durch Schließen des sechsten Schaltelements (67) das zweite Element (E21) des ersten Planetenradsatzes (P1) mit dem dritten Element (E32) des zweiten Planetenradsatzes (P2) verbindbar ist."
VI. Folgende Dokumente sind in dieser Entscheidung erwähnt:
D6: US 2012/0165154 A1
D8: US 2012/0094799 A1
D9: US 2012/0088626 A1
D10: US 2012/0165154 A1
D11: US 2015/0018156 A1
D13: US 5,520,588 A
D14: EP 1 373 761 B1
D15: SASS "Geschichte des Deutschen Verbrennungsmotorenbaus von 1860 bis 1918", Springer Verlag 1962, p.174
D16: BURGMANN et al, "Der Berufskraftfahrer LKW, Omnibus: Prüfungsleitfaden und Nachschlagewerk", 11. Auflage 2005, Verlag Heinrich Vögel, S. 105 - 106.
VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
In der Beschreibung seien mehrere Ausführungsbeispiele aufgezeigt. Mit dieser Information sei der Fachmann in der Lage ein Getriebe nach Anspruch 1 zu bauen.
Entstehe bei einem Bauart-Wechsel zwischen Minus- und Plus-Radsatz ein Wellenkreuzen, so könne dies durch Einsatz zumindest einer Vorgelegewelle behoben werden. Die Verwendung von Vorgelegewellen sei in diesem technischen Gebiet allgemein bekannt. Dies werde auch durch die Patentdokumente D6, D8 - D11, D13, D14 belegt, die eine Vorgelegewelle in Verbindung mit einem Planetengetriebe offenbaren.
Die beanspruchte Erfindung sei daher so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Entscheidungsgründe
1. Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Außerdem erfordert Regel 42(1)e) EPÜ, dass wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung angegeben wird.
Hierdurch wird deutlich, dass der Patentschutz dem Beitrag zum Stand der Technik entsprechen soll.
2. Im vorliegenden Fall versucht die Anmeldung die Aufgabe zu lösen, ein Getriebe bereitzustellen, bei dem zumindest sieben Vorwärtsgänge zur Verfügung stehen. Ausführungsbeispiele 1-12 gemäß der Erfindung sind in den Figuren 1-14 schematisch dargestellt und die Figuren sind in der Beschreibung näher erläutet.
3. Die Anmeldung offenbart daher zumindest einen Weg die Erfindung auszuführen, was auch nicht von der Prüfungsabteilung beanstandet worden ist. Auch ist von der Prüfungsabteilung nicht vorgetragen worden, dass die zu lösende Aufgabe nicht gelöst wird.
4. Die Prüfungsabteilung war jedoch der Meinung, dass die beanspruchte Erfindung nicht über ihren gesamten Bereich ausführbar sei. Für manche mögliche Ausführungsbeispiele (siehe Absatz 5, a) - d) des Bescheids vom 19. Juli 2016 ) scheine es keine Informationen zu geben, anhand deren der Fachmann unter Berücksichtigung seines Fachwissens diese Getriebe ausführen könne.
5. Anspruch 1 gibt eine Zuordnung der einzelnen Getriebeelemente an. Der Anspruch lässt aber unter anderem offen, welche Radsatz-Reihenfolge ausgewählt werden soll. Zusätzlich zu den beschriebenen Ausführungsbeispielen gibt es daher andere mögliche Ausführungsformen (nach der Beschwerdeführerin seien es angeblich 23), die unter den Wortlaut fallen. Dies ist ebenfalls nicht streitig.
6. Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, dass durch Einsatz einer oder mehrerer Vorgelegewellen alle beanspruchten Radsatzreihenfolgen sowohl mit Plus- als auch mit Minusradsätzen gebaut werden könnten.
7. Vorgelegewellen sind allgemein bekannt und waren laut Wikipedia (siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Layshaft) erstmals bei Wassermühlen eingesetzt. Die Verwendung von Vorgelegewellen ist in dem technischen Gebiet von Kfz.-Getrieben ebenfalls bekannt, siehe z.B. D15, p.174, Bild 86 und D16, S. 105 - 106. Dies wird auch durch die Patentdokumente D6, D8 - D11, D13, D14 belegt, die eine Vorgelegewelle in Verbindung mit einem Planetengetriebe offenbaren.
Das Prinzip von Vorgelegewellen gehört dementsprechend zur Werkzeugkiste des Fachmannes. Es ist daher zu erwarten, dass der Fachmann die anspruchsgemäßen Getriebe ohne unvertretbaren Aufwand herstellenkann. Der Fachmann gelangt daher in zumutbarer Weise, zu den anderen nicht beschriebenen Ausführungsbeispielen.
8. Außerdem ist nach der Entscheidung G 1/03, ABl. EPA 2004, 413, Gründe 2.5.2, der Einschluss nichtfunktionsfähiger Ausführungsformen unschädlich, wenn es eine Vielzahl denkbarer Alternativen gibt und die Patentschrift ausreichende Angaben zu den relevanten Kriterien enthält, anhand deren mit vertretbaren Aufwand geeignete Alternativen aus dem beanspruchten Bereich ausgewählt werden können. Im vorliegenden Fall hat die Anmelderin 15 Ausführungsbeispiele offenbart und wie oben ausgeführt sind weitere erfindungsgemäße Beispiele ohne unvertretbaren Aufwand verfügbar. Selbst wenn weitere denkbare "erfindungsgemäße" Beispiele, d.h. Beispiele, die unter den Wortlaut des Anspruchs fallen, einen unvertretbaren Aufwand benötigten, führten sie nach G 1/03 im vorliegenden Fall nicht zu einem Einwand nach Artikel 83 EPÜ.
9. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Anmeldung den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ genügt.
10. Die angefochtene Entscheidung befasst sich lediglich mit der Frage der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung. Die Prüfungsabteilung hat mit dem Bescheid vom 28. Juni 2016 (siehe Absatz 4) mitgeteilt, dass sie den beanspruchten Gegenstand als neu und erfinderisch erachtet. Die Kammer sieht ebenfalls keinen Grund diese Meinung in Frage zu stellen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 - 13 eingereicht mit Schreiben vom 23. Mai 2016 und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.