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T 2761/19 30-07-2021
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KOHLENHYDRATHALTIGE FORMSTOFFMISCHUNG MIT EIN ANTEIL EINES TEILCHENFÖRMIGEN METALLOXIDS ZUM AUF WASSERGLAS BASIERENDEM BINDEMITTEL ZUGESETZT
Hüttenes-Albertus
Chemische-Werke GmbH
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Verbot der reformatio in peius - Hilfsantrag
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP-B1-2 104 580 (im Folgenden: das Patent) betrifft eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung und ein Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung unter Verwendung der Formstoffmischung, sowie eine mit dem Verfahren erhaltene Gießform und deren Verwendung für den Metallguss.
Gegen das Patent hat die Einsprechende Einspruch eingelegt, der sich gegen das Patent im gesamten Umfang richtete und sich auf die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ, mangelnder Offenbarung gemäß Artikel 100 b) EPÜ und unzulässiger Erweiterung gemäß Artikel 100 c) EPÜ stützte.
II. Die Einspruchsabteilung hat das Patent auf Basis des damaligen Hilfsantrags 6 aufrechterhalten. Sie hat inter alia entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen Hauptantrags nicht neu gegenüber der Offenbarung von D11, Beispiel 12, sei.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
IV. Die Einsprechende hat mit dem Schreiben vom 5. Dezember 2019 ihre ebenfalls eingelegte Beschwerde und ihren Einspruch zurückgenommen. Sie ist somit keine Verfahrensbeteiligte mehr gemäß Artikel 107 EPÜ.
V. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung vom 11. Dezember 2020 gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 30. Juli 2021 statt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
VII. Anträge
Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in eingeschränkter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags, eingereicht als Hauptantrag mit der Beschwerdebegründung, oder des Hilfsantrags 1, eingereicht als Hilfsantrag 6 ebenfalls mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.
VIII. Ansprüche
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag entspricht Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, und lautet wie folgt:
"Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung, mindestens umfassend:
- einen feuerfesten Formgrundstoff;
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
- einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids, welches synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
dadurch gekennzeichnet, dass der Formstoffmischung ein Kohlenhydrat zugesetzt ist, wobei das Kohlenhydrat ein Oligo- oder Polysaccharid ist und der Anteil des Kohlenhydrats, bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff, im Bereich von 0,01 bis 0,4 Gew.-% gewählt ist."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6, der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtet wurde, und lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung mit den Schritten:
- Herstellen einer Formstoffmischung;
- Formen der Formstoffmischung;
- Aushärten der geformten Formstoffmischung, indem die geformte Formstoffmischung erwärmt wird, wobei die Formstoffmischung durch Wärmezufuhr ausgehärtet wird, um das im Bindemittel enthaltene Wasser zu verdampfen, und die ausgehärtete Gießform erhalten wird,
wobei die Formstoffmischung mindestens umfasst:
- einen feuerfesten Formgrundstoff;
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
- einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids, welches synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
und der Formstoffmischung bei dem Herstellen der Formstoffmischung ein Kohlenhydrat zugesetzt wird, wobei das Kohlenhydrat ein Oligo- oder Polysaccharid ist und der Anteil des Kohlenhydrats, bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff, im Bereich von 0,01 bis 0,4 Gew.-% gewählt ist, und
wobei das Kohlenhydrat in fester Form zum feuerfesten Formgrundstoff gegeben wird."
IX. In der vorliegenden Entscheidung wird das folgende Dokument aus dem Einspruchsverfahren genannt:
D11: DE 1937 964 A1
X. Das für diese Entscheidung relevante schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen (vgl. diesbezüglich auch Punkt 1.2 der Entscheidungsgründe):
Hauptantrag
Der aus Beispiel 12 von D11 berechnete Wert von 0,42 Gew.-% sei größer als die Obergrenze des beanspruchten Bereichs von 0,4 Gew.-%. D11 offenbare somit nicht den beanspruchten Bereich.
Die Entstehung von teilchenförmigem amorphem Siliziumdioxid in Beispiel 12 von D11 sei nicht klar bzw. unvermeidlich.
Das Merkmal Oligo-/Poly-Saccharid als Teil der Formstoffmischung sei in D11 nicht verwirklicht.
Auch sei in D11 keine Formstoffmischung offenbart, sondern irgendein Umsetzungsprodukt.
Aus diesen Gründen sei die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags anzuerkennen.
Hilfsantrag 1
Die beanspruchten Gegenstände des Hilfsantrags 1 seien im von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen damaligen Hilfsantrag 6 enthalten. Da die Patentinhaberin die einzige Beschwerdeführerin sei, seien wegen des Verbots einer reformatio in peius keine Einwände gegen Hilfsantrag 1 zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag entspricht Anspruch 1 gemäß dem in der angefochtenen Entscheidung diskutierten Hauptantrag. Laut der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.3.3, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem damaligen Hauptantrag nicht neu gegenüber der Offenbarung von D11, Beispiel 12.
1.1 Beispiel 12 von D11, Seite 20 (es wird im Folgenden auf die Seitenzahlen am oberen Rand der jeweiligen Seite Bezug genommen), zweiter und dritter Absatz, offenbart eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung (siehe Seite 1), mindestens umfassend:
- einen feuerfesten Formgrundstoff (Sand);
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel (Wasserglaslösung der Sorten 120 und 100, siehe Tabelle auf Seite 14);
- einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids, welches synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
wobei der Formstoffmischung ein Kohlenhydrat (Dextrinpulver) zugesetzt ist, d.h. ein Oligo- oder Polysaccharid, und der Anteil des Kohlenhydrats 0,42 Gew.-% bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff ist, berechnet durch die Angabe von 2 Teilen Binder auf 100 Teile Sand, wobei der Binder 21 Gew.- Teile Dextrinpulver enthält.
Das amorphe Siliciumdioxid der Formstoffmischung des Beispiels 12 von D11 entsteht durch die Reaktion des wasserlöslichen Oxydationsmittels Natriumchlorat mit dem in der Wasserglaslösung enthaltenen Natriumsilikat (siehe Seite 9, zweiter Absatz, sowie Beispiel 1, Seite 14, erster und zweiter Absatz - Beispiel 1 ähnelt dabei Beispiel 12 hinsichtlich der zwei Komponenten Natriumchlorat und Wasserglaslösung).
Da in Anspruch 1 für die Obergrenze der Konzentration des Kohlenhydrats bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff nur eine gültige Nachkommastelle angegeben ist (0,4 Gew.-%), ist die Kammer der Meinung, dass, unter Berücksichtigung der sich aus der nur einen Nachkommastelle ergebenden Genauigkeit, die im Anspruch definierte Obergrenze - in Abwesenheit von irgendeinem anderslautenden Hinweis in der Patentschrift - bei 0,35 bis 0,44 Gew.-% liegt. Die im Beispiel 12 von D11 offenbarte Dextrin- Konzentration von 0,42 Gew.-% bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff fällt somit - unter Berücksichtigung der angegebenen Genauigkeit - unter den beanspruchten Bereich von 0,01 bis 0,4 Gew.-%.
Deshalb offenbart D11 alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags, so dass dessen Gegenstand nicht neu gegenüber der Offenbarung von D11 ist (Artikel 54 (1) EPÜ).
1.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass ein wie in der angefochtenen Entscheidung durchgeführtes Abrunden nicht anzuwenden sei. Ein Abrunden eines Gewichtsanteils in der zweiten Dezimalstelle einer Komponente auf die nächste Zahl (wodurch die Obergrenze des beanspruchten Bereichs erreicht wird) sei aus den folgenden Gründen nicht gerechtfertigt:
i) Es führe zu einer Ausweitung des tatsächlich
offenbarten Bereichs.
ii) Es gebe keine Veranlassung zur Abrundung, weil
Stoffmengen hinreichend präzise gemessen werden
könnten, und es gebe auch keine allgemeine Praxis,
Stoffmengen bzw. relative Stoffmengen nicht
präziser als eine Nachkommastelle anzugeben.
iii) Der untere Bereich für den Kohlenhydratgehalt sei
mit der Präzision zwei Nachkommastellen (0,01
Gew.-%) angegeben, was notwendig auch für die
Obergrenze des beanspruchten Bereichs von Anspruch
1 gelten müsse, auch wenn nicht 0,40 Gew.-%,
sondern "nur" 0,4 Gew.-% angegeben sei.
Der aus Beispiel 12 berechnete Wert von 0,42 Gew.-% sei somit als nicht identisch mit 0,4 Gew.-% anzusehen.
Angesichts der technischen Gegebenheiten ziehe der Fachmann nicht ernsthaft in Betracht, die technische Lehre von D11 im Überschneidungsbereich anzuwenden. Insbesondere sei der offenbarte Bereich sehr breit und dessen oberen Grenze von 1.68 Gew.-% weit entfernt von dem beanspruchten Bereich.
Das Heranziehen von nur dem unteren Limit "2" des Bereichs "2 bis 8 Teile des Binders pro 100 Teile Sand" auf Seite 20 von D11, dritter Absatz, um die Dextrin- Konzentration von 0,42 Gew.-% bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff im Beispiel 12 zu berechnen, sei unzulässig.
Überdies sei die Offenbarung der Beispiele von D11 nicht ausreichend eindeutig, weil nicht klar sei, ob überhaupt amorphes Siliciumdioxid bei der Reaktion entstehe. In dieser Hinsicht sei die Übertragung der Offenbarung des Beispiels 1 auf Beispiel 12 eine bloße Vermutung. Es sei z.B. im Beispiel 12 nicht offenbart, dass das Zufügen von Natriumchlorat zu den Wasserglaslösungen unter Rühren bei 70° bis 100°C wie im Beispiel 1 durchgeführt werde. Ferner sei im Beispiel 1 lediglich eine gelartige kolloidale Kieselsäure offenbart. Das Vorliegen einer solchen gelartigen kolloidalen Kieselsäure bedeute nicht unbedingt, dass das amorphe Siliziumdioxid auch teilchenförmig sei. Dies gelte auch für die Offenbarung auf Seite 9, zweiter Absatz von D11. Obwohl die Möglichkeit bestehe, dass teilchenförmiges amorphes Siliziumdioxid beim Beispiel 12 entstehe, sei nicht nachgewiesen, dass dies auch unvermeidlich der Fall sei.
Laut der Beschwerdeführerin zerstörten in D11 die oxidativen Bedingungen das Dextrinpulver, so dass es kein Zucker im Sinne eines Oligo-/Poly-Saccharids mehr sei.
Die eingesetzten starken Oxidationsmittel oxidierten die Glukoseeinheiten über:
(i) eine Glykolspaltung gefolgt von einer Hydrolyse
des ringgeöffneten Zwischenprodukts und
(ii) über eine schrittweise Decarboxylierung an der
reduzierenden terminalen Glucoseeinheit bis zum
Erreichen der glykosidischen Bindung. Es würden
dabei Erythronsäure-Gruppen gebildet.
Das Bildungsschema von D11 scheine auf die Herstellung von Hydrogelen auf Basis von Dextrinpulver gerichtet zu sein. Dies sei etwas grundsätzlich anderes.
Das Merkmal Oligo-/Poly-Saccharid als Teil der Formstoffmischung sei daher in der D11 nicht verwirklicht.
Auch sei in D11 keine Formstoffmischung offenbart, sondern irgendein Umsetzungsprodukt.
1.3 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
D11, Seite 1, ist klar zu entnehmen, dass sich die gesamte Offenbarung mit Kernen bzw. Formen zur Herstellung von Gießlingen beschäftigt , d.h. es geht um Formstoffmischungen und nicht um irgendein Umsetzungsprodukt. Dies geht auch klar aus Seite 20, dritter Absatz hervor, wo offenbart ist, dass durch die Mischung des Binders und des Sands Formen und Kerne hergestellt werden.
In Bezug auf das Abrunden betreffen die Argumente der Beschwerdeführerin sowie die von ihr zitierten Entscheidungen T 594/01 und T 646/05, anders als im vorliegenden Fall, das Abrunden von im Stand der Technik offenbarten Werten. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um ein Abrunden des im Stand der Technik offenbarten Wertes, sondern um die aus der Zahl der angegebenen gültigen Nachkommastellen nach den in der Technik üblichen Regeln abzuleitende Genauigkeit der Obergrenze des beanspruchten Bereichs (0,4 Gew.-%), für die keinerlei technische Angabe im Streitpatent vorhanden ist. Im Gegensatz zur Meinung der Beschwerdeführerin kann die in D11 bzw. im Stand der Technik verwendete Präzision nicht ohne bestimmten Grund auf die Offenbarung des Streitpatents übertragen werden. Gleiches gilt für eine Übertragung der Genauigkeit der Untergrenze des beanspruchten Bereichs auf die Obergrenze.
Nach ständiger Rechtsprechung gilt die Offenbarung eines Bereichs als eine explizite Offenbarung der Endpunkte (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Abschnitt I.C.6.3.2). Deshalb ist entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin das Heranziehen des unteren Limits "2" von "2 bis 8 Teile des Binders pro 100 Teile Sand" auf Seite 20 der D11, dritter Absatz, um die Dextrin-Konzentration des Beispiels 12 von 0,42 Gew.% bezogen auf den feuerfesten Formgrundstoff zu berechnen, zulässig.
Da die Dextrin-Konzentration des konkreten Beispiels 12 (im Rahmen der zu berücksichtigen Genauigkeit) im beanspruchten Bereich liegt, sind die Argumente der Beschwerdeführerin sowie die von ihr für deren Stützung zitierten Entscheidungen T 666/89 und T 26/85 in Bezug auf die Frage, ob der Fachmann ernsthaft in Betracht zöge, die technische Lehre von D11 im Überschneidungsbereich anzuwenden, irrelevant.
Hinsichtlich der Argumente der Beschwerdeführerin in Bezug auf eine bloße Vermutung über die Entstehung von teilchenförmigen amorphem Siliciumdioxid im Beispiel 12 der D11, offenbart D11, dass der Binder von Beispiel 2 "in obiger Weise", d.h. wie im Beispiel 1, gemischt wird, siehe Seite 15, dritter Absatz, vierte Zeile. Die weiteren Beispiele 3 bis 12 machen keine weiteren Angaben mehr in Bezug auf die Weise, wie der Binder gemischt bzw. hergestellt wird. Es ist somit für den Fachmann unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass die Weise der Herstellung des Binders (wie z.B. das Zufügen von Natriumchlorat zu den Wasserglaslösungen unter Rühren bei 70° bis 100°C) in den Beispielen 3 bis 12 dieselbe wie im Beispiel 1 bzw. 2 ist. Deshalb ist die Kammer der Auffassung, dass die Übertragung der Offenbarung des Beispiels 1 auf Beispiel 12 hinsichtlich der Herstellung des Binders gerechtfertigt ist. Im Beispiel 12 scheidet sich somit wie im Beispiel 1 eine gelartige kolloidale Kieselsäure aus.
Wie auch während der mündlichen Verhandlung diskutiert ist das im Beispiel 1 erläuterte Verfahren zur Herstellung des Binders auf Seite 9, zweiter Absatz, ebenfalls offenbart. In Bezug auf die entstandene gelartige Kieselsäure ist dort auch von einer kolloidalen Dispersion die Rede. Für die Kammer enthält eine Dispersion unweigerlich teilchenförmige Partikel, d.h. in diesem Fall amorphes Siliziumdioxid. Die in D11 offenbarte Weise, das amorphe Siliziumdioxid herzustellen, entspricht zudem der Offenbarung des Patents. Im dortigen Absatz [0039] steht, dass "Fällungskieselsäure ... durch Reaktion einer wässrigen Alkalisilikatlösung mit Mineralsäuren erhalten [wird]" und, dass "[D]diese Kieselsäuren [Bemerkung: nämlich u.a. die im Satz davor genannte Fällungskieselsäure] ... im Weiteren als "synthetisches amorphes Siliciumdioxid" bezeichnet [werden]." In D11 entspricht die wässrige Alkalisilikatlösung der Wasserglaslösung und die Mineralsäuren dem Natriumchlorat. Deshalb offenbart D11, dass der Binder des Beispiels 12 teilchenförmiges amorphes Siliziumdioxid enthält.
Die Zusammensetzung der in D11 offenbarten Formstoffmischung entspricht der beanspruchten Zusammensetzung. Die von der Beschwerdeführerin behaupteten Reaktionen in Bezug auf das Nicht-Umsetzen des Merkmals Oligo-/Poly-Saccharid als Teil der offenbarten Formstoffmischung sind nicht durch die Offenbarung von D11 bzw. irgendeinen Nachweis gestützt. Ferner entspricht die Offenbarung der D11, wie auch während der mündlichen Verhandlung diskutiert, dem Wortlaut des Anspruchs 1 zumindest dahingehend, dass das Kohlenhydrat, d.h. das Dextrinpulver, der Formstoffmischung "zugesetzt" ist. Auch in Anspruch 1 des Hauptantrags ist nämlich nicht angegeben, was mit dem Kohlenhydrat nach dessen Zusatz zu der Formstoffmischung passiert.
Angesichts der o.a. Gründe sind die Argumentation und die entsprechende Schlussfolgerung der angefochtenen Entscheidung, Punkte II.3.3.3, in Bezug auf die fehlende Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber der Offenbarung von D11 korrekt.
2. Hilfsantrag 1
Die beanspruchten Gegenstände des Hilfsantrags 1 sind alle im von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen damaligen Hilfsantrag 6 enthalten.
Da die Patentinhaberin die alleinige Beschwerdeführerin ist, findet das Verbot einer reformatio in peius Anwendung. Somit kann die Kammer gegen die von der Einspruchsabteilung als zulässig erachteten beanspruchten Gegenstände keine Einwände erheben (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.
3.1.5).
Das Patent ist daher auf Basis des Hilfsantrags 1 aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent
in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 1, ursprünglich eingereicht als Hilfsantrag 6 mit der Beschwerdebegründung,
- Beschreibung, Paragrafen 1 bis 115, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 28. Mai 2019.