T 0332/88 22-05-1990
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Wärmeisolationsmischung und Verfahren zu deren Herstellung
Novelty
Inventive step - improvement - counter-experiment -
late submission
Neuheit ja
Erfinderische Tätigkeit ja - überraschende Verbesser.
Nicht relevante Gegenversuche - verspätetes Vorbring.
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung 80 107 089.7, die am 15. November 1980 eingereicht worden war, wurde am 25. Juli 1984 das europäische Patent 0 032 176 auf der Grundlage von fünf Ansprüchen erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 16. April 1985 Einspruch ein. Sie bezog sich während des Einspruchsverfahrens auf drei Dokumente:
1) EP-A-0 002 502
2) DE-U-7 518 315
3) DE-A-2 211 377 III. Mit Zwischenentscheidung vom 2. Mai 1988 hat die Einspruchsabteilung entschieden, das angefochtene Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten. Sie führte dazu im wesentlichen aus, der beanspruchte Gegenstand sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil dieser nicht durch die entgegengehaltenen Dokumente nahegelegt werde. Die Einspruchsabteilung war des weiteren der Auffassung, daß, entgegen der Meinung der Einsprechenden, die geänderte Anspruchsfassung keine unzulässige Erweiterung beinhalte, die gegen die Vorschriften des Artikels 123 EPÜ verstoße.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 1. Juli 1988 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt und diese in der am 31. August 1988 eingegangenen Beschwerdebegründung etwa wie folgt begründet:
Der auf Dokument (1) gestützte Einwand der fehlenden Neuheit werde gegenüber dem geltenden Anspruch 1 aufrechterhalten, da ein fertiger Formkörper, bestehend aus pyrogen hergestellter Kieselsäure, Trübungsmittel und anorganischer Faser, der mit Organosiliciumverbindungen behandelt worden sei, bei der Analyse ergebe, daß er aus einer Mischung der genannten Komponenten bestehe. Dieser Einwand treffe außerdem den geltenden Anspruch 2, da auch in der Entgegenhaltung nach Dokument (1) eine Hydrophobierungsreaktion stattfinde. Im übrigen könne im vorliegenden Fall keine erfinderische Tätigkeit aufgrund der in den beiden Ansprüchen erwähnten Organosiliciumverbindungen anerkannt werden, da in Wirklichkeit keine echte Auswahl vorgenommen werde, sondern erst nachträglich eine willkürliche Selektion an Verbindungen aus der Reihe der in der Ursprungsoffenbarung erwähnten Stoffgruppen stattgefunden habe.
Erst während des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin zusätzlich noch einen Prospekt der Fa. Micropore International -"Microtherm thermal insulation" (4) herangezogen, da ihrer Meinung nach der Gegenstand des Streitpatents auch durch dieses Dokument neuheitsschädlich vorbeschrieben werde. In diesem Zusammenhang wurde die Auffassung vertreten, das dort erwähnte wasserfeste "Microtherm" betreffe eine Wärmedämmischung bestehend aus mikroporösem Siliciumdioxid, keramischer Faser und Trübungsmittel, wobei die Siliciumdioxidteilchen mit Hydrophobierungsmittel behandelt seien.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat diesem Vorbringen widersprochen und vorgetragen, ein Vergleich des geltenden Anspruchs 1 mit dem entgegengehaltenen Dokument (1) führe zum Ergebnis, daß die Behauptungen der Beschwerdeführerin nicht durch dieses Dokument gestützt würden. Außerdem zeigten die am 23. März 1990 vorgelegten Vergleichsversuche deutlich, daß das Schrumpfungsverhalten der Wärmeisolationsmischung gemäß Dokument (1) im Vergleich mit den beanspruchten Mischungen schlechter seien.
Ferner sei der Prospekt Microtherm der Fa. Micropore weder vorveröffentlicht, noch rechtzeitig in das Verfahren eingeführt oder inhaltlich relevant. Insbesondere werde die spezifische Wärmeisolationsmischung nach Anspruch 1 an keiner Stelle dieses Dokuments beschrieben; das Gleiche gelte auch für deren ausgesprochen günstiges Schrumpfungsverhalten.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 22. Mai 1990 in Gegenwart der Parteien statt.
i) Die Beschwerdeführerin führte im wesentlichen folgendes aus:
Obwohl Anspruch 1 des Streitpatents Mischungen betreffe, sei zu bemerken, daß die Beispiele 2 und 8 verpreßte Gegenstände beschrieben. Die Produkte dieser Beispiele seien daher in Wirklichkeit Formkörper im Sinne des Dokuments (1). Wie dort übrigens auf Seite 3, Zeilen 17 bis 21 erwähnt, könnten die Wärmeschutzgegenstände Produkte der Fa. Micropore sein. Das vorgelegte Original des Prospekts "Microtherm -the Insulation for the 70's" belege somit, daß derartige Gegenstände schon am Prioritätstag des Streitpatents (9. Januar 1980) im Handel waren. Gemäß dem genannten Prospekt betrage die Dichte solcher Produkte 15 lbs/cu.ft., d. h. ca. 240 - 250 kg/m3. Deshalb hätten Platten mit Abmessungen von 90 mm x 90 mm x 10 mm gemäß den in Dokument (1) erwähnten Beispielen ein Gewicht von ca. 20 g. Berücksichtige man dies, sei der beanspruchte Gegenstand nicht neu, weil die Gewichtszunahmen durch Auftragen von Organosiliciumverbindungen gemäß der Tabelle auf Seite 10 von Dokument (1) innerhalb der Grenzen des Anspruchs 1 des Streitpatents fielen.
Die Beschwerdeführerin berief sich außerdem zum ersten Mal auf zwei weitere Dokumente, DE-A-1 671 186 und DE-A-1 951 620, um zu belegen, daß die Behandlung von Kieselsäure mit Organosiliciumverbindungen zum allgemeinen Fachwissen des Technikers gehöre und es daher nahegelegen habe, mit Organosilicium behandeltes Siliciumdioxid beim Herstellen eines schon aus Stande der Technik bekannten Wärmeschutzgegenstandes anzuwenden. Sie erwähnte schließlich noch eigene, nicht abgeschlossene Versuche, welche die am 23. März 1990 eingereichten Vergleichsversuche der Beschwerdegegnerin nicht zu bestätigen schienen.
ii) Die Beschwerdegegnerin wehrte sich dagegen, den Prospekt "Microtherm" und die neu vorgelegten Patentdokumente in das Verfahren einzuführen. Eine Berücksichtigung dieser Dokumente müsse nicht nur als verspätetes Vorbringen zurückgewiesen werden, sondern auch weil gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern Patentdokumente nicht zum allgemeinen Fachwissen gehörten (siehe z. B. T 206/83 "Herbizide/ICI", ABl. EPA, 1987, 5-13). Außerdem betreffe DE-A-1 671 186 nicht pyrogenes Siliciumdioxid und sei daher irrelevant.
Es wurde des weiteren vorgetragen, daß die Beschwerdeführerin keine Beweise für ihre Behauptungen in bezug auf Dichte und Gewicht der in Dokument (1) beschriebenen Platten habe. In Abwesenheit davon verfüge der Fachmann lediglich über die tatsächlich offenbarten Angaben, nämlich gemäß Seite 6, Zeilen 13-20 von Dokument (1) Platten durch Verpressen eines Gemisches aus 1500 g Siliciumdioxid usw. herzustellen, die ein Gewicht von ca. 2,5 kg haben. Deswegen repräsentiere der in der Tabelle angegebene maximale Wert von 6,5 g Organosiliciumverbindung ungefähr 0,2 % des Gewichts der Platte und liege somit unterhalb der in Anspruch 1 des Streitpatents festgelegten Grenze. Daher sei die Neuheit anzuerkennen.
Hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit verwies die Beschwerdegegnerin auf ihren am 23. März 1990 eingereichten Versuchsbericht. Die seitens der Beschwerdeführerin erwähnten Gegenversuche sollten aber in diesem Stadium unberücksichtigt bleiben, da für die Beschwerdegegnerin nunmehr keine Möglichkeit mehr bestehe diesem entgegentreten zu können.
iii) Im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ erschien der Kammer die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Fassung der Ansprüche 1 bis 3 bedenklich, da in der allgemeinen Formel R1-R2-R3-Si-HAL eine mögliche Bedeutung von R3 (ursprünglich als R4 bezeichnet), nämlich "Propoxy", durch die ursprüngliche Offenbarung nicht gestützt werde (vgl. Seite 6, Zeilen 1-18 der veröffentlichten Anmeldung). Eine seinerzeit aus demselben Grund erhobene Beanstandung der Prüfungsabteilung (siehe Bescheid vom 24. Januar 1983), dürfte wohl später übersehen worden sein.
In diesem Zusammenhang wurde auch die besondere Formulierung des Anspruchs 2 diskutiert, dessen größter Teil aus einer wortwörtlichen Wiederholung von Anspruch 1 besteht.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen und das europäische Patent 0 032 176 mit den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüchen 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.
VIII. Die nun geltenden Ansprüche 1 und 2 haben den folgenden Wortlaut:
1. Pyrogene Kieselsäure, Trübungsmittel und anorganische Faser enthaltende Wärmeisolationsmischung, dadurch gekennzeichnet, daß sie 10 bis 80 Gew.-% pyrogen hergestellter Kieselsäure, 5 bis 40 Gew.-% eines Trübungsmittels, 1 bis 10 Gew.-% einer anorganischen Faser und 1 bis 20 Gew.-% einer oder verschiedener Organosiliciumverbindungen enthält, wobei die Organosiliciumverbindungen den Formeln
(FORMULA) oder
(FORMULA)
2. Pyrogene Kieselsäure, Trübungsmittel und anorganische Faser enthaltende Wärmeisolationsmischung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß zumindest ein Teil der pyrogen hergestellten Kieselsäure mit der Organosiliciumverbindung im Sinne einer Hydrophobierungsreaktion umgesetzt worden ist.
Der geltende Anspruch 3 unterscheidet sich vom erteilten dadurch, daß bei Organosiliciumverbindugen, welche der zuletzt erwähnten allgemeinen Formel
(FORMULA) Die weiteren Ansprüche 4 und 5 sind identisch mit den erteilten Ansprüchen 4 und 5.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die geltenden Ansprüche (siehe Punkt VIII. oben) entsprechen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ, da sie von den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gestützt werden und gegenüber den erteilten Ansprüchen eine Einschränkung darstellen (vgl. Seite 5, Zeile 17 bis Seite 6, Zeile 19; Seite 7, Zeilen 9 bis 25; Beispiele 2 und 8; Ansprüche 4 bis 7 der ursprünglichen Anmeldung).
Der geltende Anspruch 2 ist wesentlich knapper gefaßt, und zwar deshalb, weil er nunmehr als abhängiger Anspruch auf Anspruch 1 zurückbezogen ist, wodurch die überflüssig gewordene Wiederholung des Wortlauts des unabhängigen Anspruchs 1 entfallen kann. Aufgrund von Artikel 102 (3) i. V. m. Regel 66 (1) EPÜ ist gegen diese auf Artikel 84 EPÜ gestützte Klarstellung in Anspruch 2 nichts einzuwenden.
Im übrigen hat die Beschwerdeführerin den geltenden Anspruch 2 in dieser Hinsicht in keiner Weise beanstandet.
3. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft eine Wärmeisolationsmischung und ein Verfahren zu deren Herstellung. Eine solche Mischung enthält üblicherweise pyrogene Kieselsäure, Trübungsmittel (z. B. Rutil) und anorganische Faser.
3.1. Nächstkommender Stand der Technik ist Dokument (1), in dem Wärmeschutzgegenstände offenbart sind, die trotz ihrer wasserabweisenden Eigenschaft eine ausreichende mechanische Festigkeit besitzen. Die dort beschriebenen Gegenstände werden aus Mischungen von Siliciumdioxid (das eine Oberfläche von mindestens 50 m2/g besitzt und z. B. pyrogen erzeugt wird), Trübungsmittel und gegebenenfalls anorganischer Faser hergestellt, die in Platten verpreßt werden, wobei die Oberfläche der auf diese Weise erhaltenen Platten mit mindestens einer Organosiliciumverbindung hydrophobiert wird und überschüssige Organosiliciumverbindungen entfernt werden (siehe Seite 1, erster Absatz bis Seite 2, zweiter Absatz und Seite 3, erster Absatz).
Wie auf Seite 6, Zeilen 13-20 dargelegt, werden Platten mit Abmessungen von 90 mm x 90 mm x 10 mm aus einer Mischung von Siliciumdioxid mit einer Oberfläche von 400 m2/g (1500 g), Ilmenit als Trübungsmittel (876 g) und einer anorganischen Faser "Kerlane" (141 g) verpreßt. Die Gewichtszunahme durch Auftragen von Organosiliciumverbindungen (vor Erwärmen im Trockenschrank) beträgt gemäß den Beispielen höchstens 6,5 g (siehe Seite 10, Tabelle).
Auf trockenem Wege hergestellte Wärmeschutzgegenstände der auf diese Weise zu behandelnden Art sind im Handel erhältlich, z. B. von der Firma Micropore Insulation Ltd., Kidderminster, Worcester (Großbritannien) (siehe Seite 3, drittletzter Absatz).
3.2. Im Streitpatent wird darauf hingewiesen, daß ein wesentliches Beurteilungskriterium der Qualität der Wärmeisolationsmischung in erster Linie ihre Wärmeleitfähigkeit ist. Bei Kompaktaten ist für die Beurteilung aber auch deren Formfestigkeit wesentlich. Wenn diese nämlich durch Schrumpfung ihre geometrischen Abmessungen verändern, verschlechtern sich nicht nur ihre wärmedämmenden Eigenschaften als solche; es entstehen vielmehr auch Zwischenräume in der Isolationsschicht, die zu einem Verlust der Isolationswirkung führen. Dem Fachmann ist bekannt, daß bei Kompaktaten der Anwendungsspielraum bei Einsatz von pyrogenen Hochtemperaturaerogelen aufgrund solcher Schrumpfungsvorgänge eingeschränkt ist. So dürfen z. B. Kompaktate mit pryrogenem hochdispersem Siliciumdioxid über längere Zeit nur bis maximal 950 °C und kurzzeitig bis nur ca. 1000 °C thermisch belastet werden. Selbst unter diesen Bedingungen ist bereits eine starke Verringerung der Abmessungen feststellbar. Nun ist aber gerade auf Einsatzgebieten der vorgenannten Kompaktate, z. B. dem Industrie-Ofenbau, der Herstellung von Hochtemperatur-Wärmespeichern und der Erstellung feuerhemmender Einrichtungen, der Temperaturbereich oberhalb 950 °C von besonderem Interesse (siehe Seite 2, Zeilen 25 bis 37).
4. Gegenüber Dokument (1) besteht die Aufgabe daher darin, die Formfestigkeit des Wärmeisolationskörpers bei Temperaturen oberhalb 950 °C zu verbessern, oder, anders ausgedrückt, die Schrumpfung bei erhöhten Temperaturen zu vermindern.
Im Streitpatent wird vorgeschlagen, diese Aufgabe durch die im geltenden Anspruch 1 beschriebene Mischung bzw. das in Anspruch 3 beschriebene Verfahren zu lösen. Daß hierdurch die gestellte Aufgabe auch tatsächlich gelöst wird, ist durch die im Streitpatent enthaltenen Beispiele in Verbindung mit dem nachträglich am 23. März 1990 eingereichten Versuchsbericht von Rudolf Schwarz glaubhaft belegt. Insbesonders letzterer zeigt, daß die beanspruchte Mischung gegenüber Dokument US-A-4 212 925, das ein paralleles Schutzrecht zum äquivalenten nächstkommenden Stand der Technik gemäß Dokument (1) darstellt, zu einer merklichen Reduzierung der Schrumpfung bei Temperaturen von 1000 °C führt.
5. Anders als in Dokument (1) wird im Streitpatent zumindest ein Teil der (pyrogen) hergestellten Kieselsäure, d. h. Siliciumdioxid, mit einer Organosiliciumverbindung behandelt, bevor diese mit dem Trübungsmittel und der anorganischen Faser gemischt und zu Platten verpreßt wird. Die Organosiliciumverbindung wird somit gleichförmig in der Platte verteilt, wogegen in den Platten gemäß Dokument (1) diese Verbindung lediglich bei der Oberflächenbehandlung der ohne diesen Zusatz hergestellten Platten zum Einsatz kommt. Wie hieraus ohne weiteres ersichtlich, sind die aus Dokument (1) bekannten Mischungen nicht direkt vergleichbar mit den beanspruchten. Eine Beschränkung der Organosiliciumverbindung auf den Oberflächenbereich ist nach der Lehre des Streitpatents völlig ausgeschlossen, weil diese dort Bestandteil der Mischung ist und somit in allen Teilen des Gemisches bzw. des verpreßten Gegenstandes enthalten ist. Es wäre lediglich denkbar, daß nach der in Dokument (1) beschriebenen Verfahrensweise der verpreßte Gegenstand (Platte) von einer Organosilicium enthaltenden Grenzschicht umgeben sein könnte. Aber selbst wenn es diese Schicht gäbe, könnte man nicht deren exakte Zusammensetzung vorhersagen. Seitens der Beschwerdeführerin wurden aber keinerlei Beweise vorgelegt, welche die Richtigkeit solcher spekulativer Überlegungen belegen würden.
Das Gemisch, welches gemäß Dokument (1) zu Platten verpreßt wird, hat ein Gesamtgewicht von 2517 g (siehe Punkt 4.1 oben). Die Prozentwerte für Siliciumdioxid, Trübungsmittel und anorganische Faser betragen daher 59,6 Gew.-%, 34,8 Gew.-% und 5,6 Gew.-%. Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Werte sich innerhalb der im Streitpatent angegebenen Bereiche bewegen. Die Dichte dieser Platten wird jedoch nirgendwo in diesem Dokument angegeben. Dort wird lediglich erwähnt, daß die zu behandelnden Platten im Handel erhältlich sind, und zwar u. a. von der Fa. Micorpore. Hieraus geht aber keineswegs zwingend hervor, daß solche Platten mit denen im Prospekt "Microtherm" (der gleichen Firma) beschriebenen identisch sind. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, die in Dokument (1) beschriebenen Platten hätten eine Dichte von ca. 250 g/m3, weshalb auch nicht angenommen werden kann, eine Platte der Abmessungen 90 mm x 90 mm 10 mm hätte ein Gewicht von ca. 20 g. Da die Beschwerdeführerin auch diesbezüglich keinerlei Beweise vorgelegt hat, können die der Tabelle auf Seite 10 von Dokument (1) zu entnehmenden Gewichtszunahmen durch Auftragen von Organosiliciumverbindung nicht einer nur 20 g schweren Platte zugeschrieben werden. Bezogen auf das oben erwähnte Gesamtgewicht von 2517 g ergibt die in der Tabelle angeführte maximale Zunahme von 6,5 g lediglich eine Menge an Organosiliciumverbindungen von etwa 0,2 Gew.-%, ein Wert, der weit unter der im Streitpatent angegebenen Untergrenze von 1 Gew.-% liegt. Aber selbst wenn man annehmen würde, daß mehrere Platten aus dem Gesamtgemisch hergestellt wurden, bliebe völlig offen, welche Menge pro Platte verwendet wurde bzw. welche Dichte diese Platten hatten.
Aus diesen Gründen ist die Neuheit der unabhängigen Ansprüche 1 und 3 anzuerkennen. Das Gleiche gilt für die abhängigen Ansprüche 2, 4 und 5.
6. Es verbleibt zu prüfen, ob angesichts der gestellten Aufgabe die beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
6.1. Dokument (3) ist sicherlich ein überzeugendes Beispiel dafür, daß die Umsetzung von Siliciumdioxid und Organosiliciumverbindungen seit langem bekannt ist. Eine derartige Behandlung wird dort durchgeführt, um die Hydrophobierungseigenschaften von feinstteiligem Siliciumdioxid zu verbessern, wenn dieses als verstärkender Füllstoff für zu Elastomeren härtbaren Massen zugesetzt werden (siehe Seite 2, letzter Absatz bis Seite 3, letzter Absatz). Die Wasserfestigkeit von Wärmeschutzgegenständen (z. B. Platten) ohne Beeinträchtigung derer mechanischer Festigkeit war dagegen das eigentliche Problem des nächstkommenden Standes der Technik (1), und es ist daher nicht erkennbar, warum der Fachmann Dokument (3) besondere Beachtung geschenkt hätte. Lediglich im nachhinein angestellte Überlegungen in bezug auf die im Streitpatent vorgeschlagene Lösung können die Möglichkeit, ein mit Organosiliciumverbindung behandeltes Siliciumdioxid für die Herstellung der aus Dokument (1) bekannten Isolationsplatten zu verwenden, erkennen lassen. Abgesehen davon, daß rückschauende Betrachtungen unzulässig sind, geht es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht darum, ob der Fachmann ein mit Organosiliciumverbindung behandeltes Siliciumdioxid hätte verwenden können, sondern ob er das in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch getan hätte (vgl. T 2/83, "Simethicon Tablet/Rider"; ABl. EPA, 1984, 265-271).
Nach Auffassung der Kammer hat die Beschwerdeführerin aber keine überzeugenden Argumente dafür, daß der Fachmann bei der Suche nach einer Lösung für die sich ihm gestellte Aufgabe (Verminderung der Schrumpfung oberhalb 950 °C) eine Mischung mit der beanspruchten Menge an Organo-siliciumverbindug verwendet hätte, da - wie bereits ausgeführt - der nächstkommende Stand der Technik ein ganz anderes technisches Problem betrifft und außerdem dem Stand der Technik kein Hinweis zu entnehmen ist, daß die Verwendung von Organosiliciumverbindungen zu einer merklichen Reduzierung der Schrumpfung bei erhöhten Temperaturen führen würde.
6.2. Die am 23. März 1990 eingereichten Vergleichsversuche der Beschwerdegegnerin haben gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik (1) eine geringere Schrumpfung der gemäß Streitpatent hergestellten Platten belegt. Diese Versuche zeigen außerdem, daß oberflächenbehandelte Platten gemäß Dokument (1) sogar schlechtere Resultate zeigen als unbehandelte Platten. Da diese Versuche ungefähr zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden sind, hätte die Beschwerdeführerin genügend Zeit gehabt, rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung dazu Stellung zu nehmen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Auch während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin die Ergebnisse dieser Versuche nicht direkt in Frage gestellt, sondern vielmehr eigene vorläufige Versuchsergebnisse vorgelegt. Bei diesen handelte es sich jedoch um nicht abgeschlossene Versuche, die außerdem mit teilweise anderen Parametern durchgeführt worden waren, so daß es keinen sinnvollen Vergleich mit den Versuchen der Beschwerdegegnerin geben konnte. Da die von der Beschwerdeführerin eingereichten Versuchsergebnisse deshalb als unerheblich und überdies als verspätet vorgebracht einzustufen sind, werden sie gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt.
Dokument (4), ein während des Beschwerdeverfahrens vorgelegter Prospekt der Fa. Micropore, ist nicht relevanter als Dokument (2), das bereits im Verfahren ist, aber lediglich eine allgemeine Offenbarung hinsichtlich der Hydrophobierung von Wärmeisolationsplatten beinhaltet. Auch den erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumenten DE-A-1 671 186 und DE-A-1 951 620 mangelt es an Relevanz. Das erste Dokument zeigt nur, daß ein isolierender Block auf der Basis von nicht pyrogener Kieselsäure eine Dichte von 200-400 kg/m3 haben kann, und das zweite geht nicht weiter als Dokument (3), um zu zeigen, daß die Hydrophobierung von Siliciumdioxid mit Organosiliciumverbindungen bereits zum Stand der Technik gehörte.
6.3. Aus alledem folgt, daß der Fachmann nicht vorhersehen konnte, daß die Anwesenheit von Organosiliciumverbindungen in Wärmeisolationsmischungen zu einer merklichen Verminderung der Schrumpfung oberhalb 950 °C führen würde, und diese daher als überraschend gelten muß.
Der Gegenstand von Anspruch 1 bzw. Anspruch 3 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Gleiche gilt für die abhängigen Ansprüche 2, 4 und 5, die lediglich weitere Ausgestaltungen des Gegenstands von Anspruch 1 und 3 betreffen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen, bestehend aus den geänderten Ansprüchen 1 bis 5 und einer daran angepaßten Beschreibung, aufrechtzuerhalten.