T 1857/20 (LINER / tesa) 12-10-2023
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Liner zum Schutz von Klebemassen
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - nicht ausführbare Ausführungsformen unschädlich
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, ihre Patentanmeldung unter Artikel 97(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Anspruch 1 der der Entscheidung zugrundeliegenden Fassung der Anmeldung bezieht sich auf einen mindestens dreischichtigen Aufbau eines Liners zum Schutz von Klebemassen und hat folgenden Wortlaut:
"Liner zum Schutz von Klebemassen, enthaltend
mindestens eine abhäsive Trennschicht,
mindestens eine Schicht eines zur Sorption mindestens von Wasser befähigten Gettermaterials, wobei das Gettermaterial ausgewählt ist aus Lithium, Beryllium, Bor, Natrium, Magnesium, Silizium, Kalium, Calcium, Mangan, Nickel, Zink, Gallium, Germanium, Cadmium, Indium, Cäsium, Barium, Boroxid, Calciumoxid, Chromoxid, Manganoxid, Eisenoxid, Kupferoxid, Silberoxid, Indiumoxid, Bariumoxid, Bleioxid, Phosphoroxid, Natriumhydroxid, Kaliumhydroxid, Metallsalzen, Metallhydriden, Anhydriden von einfachen und mehrfachen Carbonsäuren, Natriumdithionit, Carbohydrazid, Ascorbaten, Gallussäure, Zeolithen, Kohlenstoffnanoröhrchen und Carbodiimiden sowie Mischungen von zwei oder mehreren der vorstehenden Substanzen und
mindestens eine Trägerschicht."
III. In der angefochtenen Entscheidung kam die Prüfungsabteilung zu dem Schluss, die beanspruchte Erfindung sei nicht so ausreichend offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, Artikel 83 EPÜ. Insbesondere seien verschiedene der im Anspruch definierten Gettermaterialien inkompatibel mit verschiedenen Klassen von Polymeren, die in Trenn- oder Trägerschichten Verwendung finden könnten. Die Anmeldung enthalte jedoch keine Lehre zur Behebung solcher Inkompatibilitäten. Die Erfindung, wie in Anspruch 1 definiert, sei daher nicht über den gesamten Bereich ausführbar.
IV. Die Beschwerdeführerin bestreitet die beanstandeten Inkompatibilitäten nicht. Sie bringt im wesentlichen vor, der Fachmann wisse, welche Kombinationen von Materialien nicht kompatibel seien, und würde diese eben nicht verwenden. Die in der Beschreibung bevorzugt genannten und auch in den Tabellen exemplifizierten Kombinationen von Gettermaterialien mit Trenn- und Trägerschichten seien unbestritten ausführbar.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen. Hilfsweise beantragt sie unter Artikel 116 EPÜ eine mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Da die Kammer dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin folgt, ist eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren statthaft.
3. Die Patentanmeldung beschäftigt sich mit dem Schutz von Klebemassen vor dem Einfluss von Permeaten, insbesondere von Wasserdampf und Sauerstoff. Von Wasserdampf und Sauerstoff befreite Klebemassen werden beim Verkleben oder Verkapseln optoelektronischer Bauelemente verwendet, die ihrerseits gegen diese Permeate geschützt werden müssen, die während deren Lebenszeit aus den Klebemassen ausgasen können. Dabei stellt sich die Frage, wie die Klebemassen von der Herstellung bis zum Zeitpunkt ihrer Verwendung vor der Aufnahme dieser Permeate geschützt werden können. Insbesondere ist dies problematisch, wenn es sich um flächige Klebstoffe, also Klebebänder oder Klebefolien handelt, die auf Trägermaterialien aufgebracht und durch ein temporäres Abdeckmaterial, einen sogenannten Liner, abgedeckt sind. Übliche Verfahrensweisen, wie etwa das Einbringen von Gettermaterialien, die die Permate binden sollen, in die Verpackung der Klebebänder oder -folien, wirken nur unzureichend, da Permeate sich auch im Liner selbst oder in Lufteinschlüssen zwischen Liner und Klebemassen befinden können. Weitere im Stand der Technik vorgeschlagenen Lösungen für dieses Problem, etwa Linermaterialien zu verwenden, die eine Permeationsbarriere enthalten, wirken ebenfalls nur unzureichend. Dies ist auf Seiten 3-6 der Beschreibung ausgeführt.
4. Vor diesem Hintergrund schlägt die Patentanmeldung vor die Gettermaterialien direkt in den Liner zu inkorporieren, siehe Seite 6, vorletzter Absatz der Beschreibung. Anspruch 1 bezieht sich dementsprechend auf einen Liner, der neben einer Trägerschicht und einer Trennschicht eine Schicht aufweist, die Gettermaterialien enthält. Die Gettermaterialien sind im Anspruch spezifiziert und umfassen verschiedenste hygroskopische oder mit Wasser reagierende Substanzen. In den Ausführungsbeispielen werden Calciumoxid, Lithiumchlorid, Zeolith 3A sowie elementares Calcium verwendet.
5. Die Materialien für die Trennschicht und die Trägerschicht sind im Anspruch nicht spezifiziert, da diese Schichten standardmäßig verwendet werden und deren Zusammensetzungen daher bekannt sind.
Die Trennschicht besteht etwa aus Silikonen, fluorierten Silikonen, Silikon-Copolymeren, Wachsen, Carbamaten, Fluorpolymeren oder Polyolefinen, siehe Beschreibung, Seite 8, zweiter Absatz. In den Ausführungsbeispielen werden Silikone oder Polyolefine verwendet.
Die Trägerschicht besteht aus Papier, Vlies, oder Folien, siehe Beschreibung Seite 12 unten. In den Ausführungsbeispielen kommen Polyolefin- oder PET-Folien zum Einsatz.
6. Die Prüfungsabteilung bezweifelte nicht, dass die in den Ausführungsbeispielen verwendeten oder die in der Beschreibung als bevorzugt genannten Materialien vom Fachmann in einem Liner anspruchsgemäß kombiniert werden können. Sie war aber der Ansicht, verschiedene im Anspruch gelistete Gettermaterialien seien mit bestimmten Materialien, die die Trenn- oder Trägerschicht ausmachen können, inkompatibel. Alkalimetalle wie Lithium oder Natrium reagierten beispielsweise mit PVC, Polyvinylalkoholen oder Acrylaten. Dies beträfe eine Vielzahl von Gettermaterialien und ganze Polymerklassen für die Trägerschicht, siehe Punkte 2.2.2 bis 2.2.8 der Entscheidungsbegründung.
7. Die Prüfungsabteilung hat unter Verweis auf die Prüfungsrichtlinien F-III, 1. ausgeführt, die Erfindung müsse im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein. Gemäß der Entscheidung G 02/03, Punkt 2.5.2 sei es zwar unschädlich, wenn einzelne Ausführungsformen nicht ausführbar seien, solange der Fachmann der Lehre der Patentanmeldung die Kriterien für das Auffinden funktionierender Ausführungsformen entnehmen und solche mit vertretbarem Aufwand finden könne. Dies sei hier allerdings nicht der Fall, da die Patentanmeldung zu Kombinationen von Materialien, die chemisch inkompatibel sind, keine weitergehende Lehre enthält. Beispielhaft wurde auf eine Kombination von Alkali- oder Erdalkalimetallen mit OH-, Carboxy- oder halogenhaltigen Polymeren verwiesen. Dies betreffe nicht isolierte Ausführungsformen, sondern ganze Polymerklassen.
Nach Ansicht der Prüfungsabteilung hätte der Anspruch auf Kombinationen von Materialien beschränkt werden müssen, die chemisch kompatibel sind. Dies entspreche auch dem tatsächlichen Beitrag der Anmeldung zum Stand der Technik, für den der Patentanmelderin zu Recht Schutz zustehe.
8. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Anmeldung beschreibe eine Vielzahl von Gettermaterialien, von denen die beanstandeten Alkali- und Erdalkalimetalle nur einen kleinen Teil ausmachten. Um zu den nicht ausführbaren Kombinationen zu gelangen, müssten diese mit speziellen reaktiven Polymeren kombiniert werden. Viele dieser Polymere seien in der Anmeldung gar nicht erwähnt, obgleich sie natürlich unter die Ansprüche fielen. Es ergebe sich insgesamt nur ein kleiner Anteil an unverträglichen Materialkombinationen. Ein Fachmann hätte keine Schwierigkeiten, diese Kombinationen zu erkennen und zu vermeiden. Es stünden ihm genügend Alternativen zur Verfügung.
9. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin hält die Kammer für überzeugend.
9.1 Ausführungsformen, die der Fachmann bereits aufgrund seines chemischen Wissens für unausführbar hält, wird er als solche erkennen und nach Alternativen suchen. In Anbetracht der Vielzahl der anspruchsgemäß möglichen Gettermaterialien ist dies auch möglich; der Anspruch listet über 40 Möglichkeiten, wobei sich einzelne davon auf ganze Substanzklassen beziehen. Die beanstandeten Kombinationen von Alkali- oder Erdalkalimetallen mit reaktiven Polymeren in der Trennschicht können vom Fachmann erkannt und vermieden werden. Damit ist kein dem Fachmann unzumutbarer Aufwand verbunden.
9.2 Das dem Fachmann zuzumutende Auffinden ausführbarer Alternativen kann sich im vorliegenden Fall auch nicht darauf beziehen, als inkompatibel erkannte Materialkombinationen dennoch irgendwie funktionell kombinieren zu können, wie von der Prüfungsabteilung gefordert. Es stehen dem Fachmann schließlich genügend funktionierende Alternativen zur Verfügung.
9.3 Allgemein definieren Patentansprüche gemäß Artikel 84 in Kombination mit Regeln 43(1) und 43(3) EPÜ nur die wesentlichen Merkmale der Erfindung. Es ist ein Leichtes, zu jedem derart formulierten Patentanspruch Ausführungsformen zu finden, die zwar unter den Anspruch fallen, jedoch aus verschiedenen Gründen nicht verwirklicht werden können. Solange der Fachmann dies erkennt, und weiß, wie er stattdessen zu funktionierenden erfindungsgemäßen Ausführungsformen gelangt, ist dies unschädlich, wie auch in der von der Prüfungsabteilung in diskutierten Stelle 2.5.2 der Entscheidung G 02/03 ausgeführt wird. Eine prinzipielle Unmöglichkeit der Ausführung der beanspruchten Erfindung besteht hier jedenfalls nicht. Es kann nicht verlangt werden, dass ein Patentanspruch jede denkbare, unter den Anspruchswortlaut fallende Ausführungsform, die für den Fachmann erkennbar nicht funktioniert, explizit vom Anspruchswortlaut ausschließt.
9.4 Die Prüfungsabteilung hat insbesondere argumentiert, der Patentanmelderin stünde nur Patentschutz für ihren tatsächlichen Beitrag zum Stand der Technik zu. Es sei daher geboten, den Anspruchsgegenstand auf die tatsächliche Erfindung zu beschränken und nicht funktionierende Materialkombinationen aus dem Anspruchswortlaut auszuschließen.
Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ohne eine Diskussion des existierenden Standes der Technik, die in der angegriffenen Entscheidung nicht geführt wird, der Begriff "Beitrag zum Stand der Technik" nicht unmittelbar anwendbar scheint. Geht man jedoch, nur der Argumentation halber, von der Beschreibung der Patentanmeldung selbst aus, so besteht die erfinderische Idee jedenfalls nicht darin, spezielle brauchbare Materialkombinationen für Getter-, Trenn- und Trägerschichten aufzufinden. Die Idee besteht offenbar vielmehr darin, zum Schutz der von den Permeaten befreiten Klebemassen überhaupt eine Getterschicht in den Liner einzubauen. Dies ist sicherlich auf verschiedene Weise ausführbar, wie in der Beschreibung dargelegt. Die Details der Implementierung sind dem Fachmann dann geläufig.
9.5 Die beanspruchte Erfindung ist daher in der Patentanmeldung in für den Fachmann ausführbarer Weise beschrieben.
10. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Patentanmeldung wieder in das Prüfungsverfahren zurückzuverweisen.
Diesem Antrag kann unter Artikel 111 EPÜ und Artikel 11 VOBK stattgegeben werden, denn aus der angefochtenen Entscheidung geht nicht hervor, ob die Prüfungsabteilung die Prüfung auf andere Patentierungserfordernisse unter dem EPÜ bereits abgeschlossen hat.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.