T 0798/93 (Identifizierung des wahren Einsprechenden) 20-06-1996
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1. Artikel 99 (1) EPÜ, dem zufolge das Einspruchsverfahren "jedermann" offensteht, begründet die Vermutung, daß derjenige, der den Einspruch eingelegt hat, der wahre Einsprechende ist. Das EPÜ und die darauf fußenden Bestimmungen machen die Einspruchsberechtigung nicht von bestimmten persönlichen Gegebenheiten oder einem bestimmten Interesse abhängig.
Daher sind Anträge, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, zurückzuweisen, wenn dem Einsprechenden wie im vorliegenden Fall entweder ein bestimmtes Faktum wie sein Beruf (zugelassener Vertreter) oder sein technisches Fachgebiet (anderes Gebiet als beim angefochtenen Patent) oder mangelndes Interesse (Erklärung des Einsprechenden, daß er sich nur fortbilden wollte) vorgehalten wird.
2. Die Vermutung des Artikels 99 (1) EPÜ kann nur dann entkräftet werden, wenn während des Verfahrens der Beweis erbracht wird, daß ein Dritter behauptet, der wahre Einsprechende zu sein. Zur Wahrung des von den Beschwerdekammern in ihrer Rechtsprechung aufgestellten Grundsatzes, daß "Einsprüche gutgläubig eingereicht und betrieben werden (müssen), wenn ... Rechtsunsicherheiten vermieden werden sollen", kann daher derjenige, der die Einspruchsschrift im eigenen Namen eingereicht hat, aufgefordert werden, zur Ausräumung etwaiger Zweifel beizutragen (vgl. T 635/88).
Einspruch eines zugelassenen Vertreters im eigenen Namen und mit dem erklärten Ziel der eigenen beruflichen Fortbildung
Zulässigkeit des Einspruchs (bejaht)
Vermutung des Artikels 99 (1) EPÜ, wonach derjenige, der Einspruch eingelegt hat, der wahre Einsprechende ist
Nachweis, daß in Wahrheit ein Dritter den Einspruch betreibt (verneint)
Erklärung unter Eid (verneint; Bestätigung der Entscheidung T 635/88)
Befassung der Großen Beschwerdekammer (verneint)
I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 214 919 (Anmeldenr. 86 440 073.4).
II. Gegen dieses europäische Patent legte der Einsprechende (Beschwerdegegner) als natürliche Person mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat (Italien) Einspruch ein und beantragte seinen Widerruf in vollem Umfang.
Die Patentierbarkeit wurde von ihm insbesondere mit folgenden Druckschriften angefochten:
D1: IT-C-904 996
D8: IT-U-205 465 (in der ursprünglich eingereichten europäischen Anmeldung genannt)
III. Mit Entscheidung, die am 23. Juli 1993 zur Post gegeben wurde, widerrief die Einspruchsabteilung das europäische Patent.
Sie vertrat die Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung ergebe sich in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschrift D1.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) in einem am 10. September 1993 eingegangenen Schreiben unter gleichzeitiger Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein.
Die Beschwerdebegründung wurde am 20. November 1993 eingereicht.
In einem Telefax vom 25. November 1993 machte die Beschwerdeführerin geltend, daß der Einspruch unzulässig sei, weil der Einsprechende nicht im eigenen Namen, sondern für einen Dritten, nämlich für ein Unternehmen handle. Sie brachte Unterlagen bei, die belegen sollten, daß der Einsprechende zugelassener Vertreter ist und in der Vergangenheit in dieser Eigenschaft für Mandanten europäische Patentanmeldungen eingereicht hat.
V. Auf eine Mitteilung der Kammer hin bestätigte der Einsprechende, daß er im eigenen Namen handle und tatsächlich zugelassener Vertreter sei. Da er aber über keinerlei Einspruchserfahrung verfüge und sich auf dem Gebiet der Straßentransportfahrzeuge nicht auskenne, habe er sich entschlossen, gegen das zur Diskussion stehende europäische Patent Einspruch einzulegen, um sich beruflich fortzubilden; dies sei kostengünstiger als ein Vorbereitungsseminar für das Einspruchsverfahren.
Ihm selbst sei es nun, da er sein persönliches Ziel erreicht habe, vollkommen gleichgültig, was aus dem europäischen Patent werde.
Am 7. Februar 1996 teilte der Einsprechende per Telefax mit, daß er nicht an der auf den 20. Juni 1996 anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.
VI. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. In ihrem Hauptantrag fordert sie, die Kammer möge nach Vornahme aller gegebenenfalls erforderlichen Ermittlungen zur Klärung der Identität des wahren Einsprechenden den Einspruch als unzulässig verwerfen; ferner solle die Große Beschwerdekammer mit der Frage einer geeigneten Beschränkung des Rechts zugelassener Vertreter zur Einlegung eines Einspruchs befaßt und der Einsprechende zur weiteren Beteiligung am Verfahren verpflichtet werden.
Hilfsweise beantragt sie, das europäische Patent mit dem Anspruchssatz und der entsprechenden Beschreibung, die sie in der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, sowie den Zeichnungen in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
VII. Zur Einspruchsberechtigung des Einsprechenden führt die Beschwerdeführerin sinngemäß folgendes aus:
- Der Einsprechende sei kein gewöhnlicher Dritter, weil er sowohl italienischer Patentanwalt als auch europäischer Vertreter sei. Durch die Zulassung als Vertreter werde insbesondere auch die fachliche Befähigung für das Einspruchsverfahren zuerkannt.
- Einem zugelassenen Vertreter müsse bewußt sein, daß hinter ihm zwangsläufig ein Auftraggeber vermutet werde, wenn er im eigenen Namen, d. h. ohne Mandat, Einspruch einlege.
- Auch wenn ein berechtigtes Interesse an sich keine Voraussetzung für die Zulässigkeit sei, müsse dieser Punkt im vorliegenden Fall hinterfragt werden: Das Einlegen eines Einspruchs zum bloßen Vergnügen widerspreche nämlich dem Grundgedanken und der Bedeutsamkeit des Einspruchsverfahrens.
- Der Einsprechende habe keine Veranlassung gehabt, das nunmehr strittige europäische Patent anzufechten, weil er von seiner Ausbildung her Elektroniker sei.
- Er habe - was den Stand der Technik im Straßentransportwesen angehe - im Einspruchsverfahren jedoch Kenntnisse bewiesen, die über das Übliche weit hinausgingen.
- Die Druckschrift D1 sei im europäischen Recherchenbericht nicht angeführt und könne dem Einsprechenden nur von einem Fachmann auf dem Gebiet des Straßentransports als Entgegenhaltung genannt worden sein.
- Der vom Einsprechenden später eingeräumte Beweggrund der beruflichen Fortbildung in Einspruchssachen überzeuge nicht: Ein Fachmann bilde sich in speziellen Ausbildungszentren fort und brauche im Einspruchsverfahren im wesentlichen dieselben praktischen Fachkenntnisse wie bei der Prüfung der Patentierbarkeit, mit der der Einsprechende als Vertreter wohlvertraut sei.
- Die Bemühungen des Einsprechenden hätten nur eines zum Ziel, nämlich die Vernichtung eines Patents, das nicht zufällig, sondern im Auftrag eines Unternehmens ausgewählt worden sei, dessen Identität der Einsprechende bewußt verschweige.
- Das Verhalten des Einsprechenden lasse sich nur damit erklären, daß er de facto einen entsprechenden Auftrag von einem Konkurrenten erhalten habe.
- Wie aus den in der ersten Instanz eingereichten Unterlagen hervorgehe, verletze die in Italien ansässige Firma R. das strittige europäische Patent. Diese Firma habe demnach ein Interesse daran, das europäische Patent im Wege des Einspruchsverfahrens zu Fall zu bringen, und benutze hierzu den Einsprechenden als Strohmann.
- Damit bestünden ganz offensichtlich berechtigte Zweifel an der Identität des wahren Einsprechenden im Sinne der Entscheidung T 635/88 (ABl. EPA 1993, 608), Nummer 9.1 der Entscheidungsgründe.
Zur Stützung ihres Hilfsantrags bringt die Beschwerdeführerin vor, daß es keine der beiden Entgegenhaltungen D1 und D8 nahelege, einen Anhänger mit Mittelachsen und einen tief unter dem Fahrgestell der Lastenwagenkarrosserie angebrachten Zughaken einzusetzen. Mithin habe der Fachmann mit den beiden Druckschriften und seinem Fachwissen allein nicht zu der beanspruchten Erfindung gelangen können.
VIII. Der Einsprechende beantragte schriftlich die Zurückweisung der Beschwerde.
In bezug auf die Zulässigkeit des Einspruchs macht er im wesentlichen geltend, daß nach Artikel 99 (1) EPÜ jedermann Einspruch einlegen könne und der Einsprechende kein besonderes Interesse nachweisen müsse (T 635/88, ABl. EPA 1993, 608, Nr. 6).
Durch seine am 7. Februar 1996 per Telefax eingegangene Mitteilung, daß er an der vorliegenden Sache nicht mehr interessiert sei und deshalb am 20. Juni 1996 nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen werde, hat sich der Einsprechende der Möglichkeit begeben, zu dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten enger gefaßten Anspruch 1 Stellung zu nehmen.
In seinen Schriftsätzen behauptet er, daß sich der Gegenstand des strittigen europäischen Patents in naheliegender Weise aus einer Kombination der Lehren der Druckschriften D1 und D8 ergebe. ...
IX. Der geänderte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die Erklärung des Einsprechenden, in der er sein Desinteresse am weiteren Schicksal des vom ihm angefochtenen Patents bekundet, kann nicht als Rücknahme seines Einspruchs ausgelegt werden. Letztere kann nämlich nur durch eine eindeutige Erklärung dieses Inhalts bewirkt werden. Im vorliegenden Fall wurde keine solche Rücknahmeerklärung abgegeben.
Da das strittige europäische Patent widerrufen worden ist, hätte die Rücknahme des Einspruchs auch keine Auswirkungen auf das Beschwerdeverfahren, das aufgrund der Artikel 110 (1) und 114 (1) EPÜ dann von Amts wegen fortgesetzt würde.
3. Zulässigkeit des Einspruchs
3.1 Unstrittig ist, daß der Einsprechende zugelassener Vertreter ist und diesen Beruf in jüngster Zeit auch ausgeübt, nämlich vor allem mehrere europäische Patentanmeldungen eingereicht hat.
3.1.1 Im vorliegenden Fall wirft die Beschwerdeführerin dem Einsprechenden vor, daß er sich bei Einlegung des Einspruchs nicht als zugelassener Vertreter zu erkennen gegeben und selbst keinen zugelassenen Vertreter bestellt hat.
3.1.2 Die Kammer weist darauf hin, daß das Einspruchsverfahren nach Artikel 99 (1) EPÜ "jedermann" offensteht und das EPÜ und die darauf fußenden Bestimmungen die Einspruchsberechtigung vor dem EPA nicht von bestimmten persönlichen Gegebenheiten abhängig machen. Ein zugelassener Vertreter, der im eigenen Namen Einspruch einlegt, ist also nicht verpflichtet, seinen Beruf anzugeben. Als natürliche Person mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat braucht sich der Einsprechende, der nach eigenem Bekunden im eigenen Namen handelt, nach Artikel 133 EPÜ im Verfahren vor dem EPA auch nicht vertreten zu lassen.
3.1.3 Ergänzend sei noch angemerkt, daß die Einspruchsschrift den Erfordernissen der Regel 55 a) und d) EPÜ genügt. In ihr sind Name und Anschrift des Einsprechenden sowie der Staat angegeben, in dem er seinen Wohnsitz hat. Hingegen fehlt jede Angabe zur Bestellung eines Vertreters (Buchstabe d). Wie bereits erläutert, ist eine Vertretung im vorliegenden Fall indes auch nicht vorgeschrieben.
3.1.4 In der Entscheidung T 10/82 (ABl. EPA 1983, 407) wurde der Einspruch eines zugelassenen Vertreters zwar für unzulässig befunden. Dies geschah aber nur deshalb, weil der Vertreter im weiteren Verlauf des Verfahrens zugegeben hatte, daß er berufsmäßig als zugelassener Vertreter tätig geworden war, also nicht im eigenen Namen, sondern für einen Auftraggeber gehandelt hatte, der der wahre Einsprechende war.
3.1.5 Im vorliegenden Fall hat der Einsprechende den Einspruch nicht berufsmäßig als zugelassener Vertreter, sondern als Privatmann eingelegt, ohne seinen Beruf zu erwähnen. Seither hat er immer wieder bestätigt, daß er im eigenen Namen und nicht für einen Auftraggeber handelt. Daher besteht kein Anlaß, den Einspruch aus diesem Grund als unzulässig zu verwerfen.
3.1.6 Da die Einspruchsberechtigung nicht an bestimmte persönliche Gegebenheiten gebunden ist, kann ein Einspruch auch nicht allein deshalb als unzulässig verworfen werden, weil der Einsprechende eine vom Fachgebiet des Streitpatents abweichende oder sogar in eine völlig andere Richtung gehende technische Ausbildung hat.
3.2 Wie schon unter Nummer 3.1 dargelegt, ist nach Artikel 99 (1) EPÜ "jedermann" einspruchsberechtigt, ohne daß es hierzu bestimmter persönlicher Gegebenheiten bedarf.
3.2.1 Wenn aber - so die bereits angesprochene Entscheidung T 635/88 - das EPÜ und die darauf fußenden Bestimmungen keinerlei Auflagen im Hinblick auf die persönlichen Gegebenheiten des Einsprechenden enthalten, so kann auch nicht ein besonderes Interesse verlangt werden. Die Frage der Einspruchsberechtigung wurde bewußt so geregelt, daß Dritte im eigenen Interesse, aber auch und vor allem im Interesse der Allgemeinheit in einem zentralen Verfahren vor einem Organ des EPA eine Beschränkung oder den Widerruf eines europäischen Patents herbeiführen können. Auf diese Weise wird dem Amt auch eine aufwendige Überprüfung der Verhältnisse und Beweggründe des Einsprechenden erspart und die Abwicklung des Verfahrens entsprechend erleichtert.
3.2.2 Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin kann es demnach niemandem verwehrt werden, allein zum Zwecke der eigenen Fortbildung Einspruch einzulegen, wie es dem Anschein nach im vorliegenden Fall geschehen ist.
3.3 Die Beschwerdeführerin hat in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung ergänzend zu ihren eingangs erwähnten Einwänden die nachstehend aufgeführten Beweisanzeichen zusammengetragen, die ihres Erachtens belegen, daß der in Italien ansässige Einsprechende nicht im eigenen Namen, sondern im Auftrag der italienischen Firma R. handelt.
- Die Beschwerdeführerin hat auf dem europäischen Markt für Anhänger und Sattelauflieger hauptsächlich zwei Konkurrenten, nämlich ein deutsches Unternehmen und die besagte italienische Firma R.
- Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, daß die Firma R. ihr europäisches Patent verletzt, und stützt sich dabei auf bereits in der ersten Instanz eingereichte Belege, nämlich Fotos vom Turiner Automobilsalon vom 17. bis 25. April 1993 und einen Artikel, der in einer Fachzeitschrift erschienen ist.
- Sie hält es für erstaunlich, daß ein einzelner, der nicht über die Möglichkeiten einer Dokumentenrecherche verfügt, ein so relevantes Dokument wie die Druckschrift D1 ausfindig machen kann, die für die angefochtene Entscheidung ausschlaggebend, im europäischen Recherchenbericht aber nicht genannt war.
- Erwähnenswert ist schließlich noch, daß der Einsprechende erst nach dem Antrag der Beschwerdeführerin, ihn unter Eid bestätigen zu lassen, daß er im eigenen Namen handelt, jedes weitere Interesse am Einspruchsverfahren verneint hat. Im Widerspruch zu dieser Erklärung hat er sich allerdings zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung doch noch einmal per Telefax an die Kammer gewandt, um sie auf die Entscheidung T 590/93 (ABl. EPA 1995, 337) hinzuweisen.
3.3.1 Die Beschwerdeführerin hat aus all diesen Beweisanzeichen den Schluß gezogen, daß die Firma R. die wahre Einsprechende sein könnte und somit im vorliegenden Fall berechtigte Zweifel im Sinne der Entscheidung T 635/88 bestanden.
3.3.2 Dieser Argumentation kann sich die Kammer aus den im folgenden dargelegten Gründen nicht anschließen.
3.3.3 Wie unter Nummer 1.2.4 der (nicht im ABl. EPA veröffentlichten) Entscheidung T 548/91 ausgeführt, geht Artikel 99 (1) EPÜ von der Vermutung aus, daß "derjenige, der Einspruch einlegt, der wahre Einsprechende ist". Dies entspricht der Praxis des Amts, das vom Einsprechenden keinen Nachweis über die persönlichen Gegebenheiten verlangt und seine diesbezüglichen Angaben nicht überprüft.
3.3.4 Nichtsdestoweniger können in bestimmten Fällen Zweifel an der Identität des wahren Einsprechenden aufkommen. Anlaß hierfür dürfen aus den vorstehend erörterten Gründen natürlich nicht bestimmte fehlende persönliche Gegebenheiten oder fehlendes Interesse des Einsprechenden sein. Berechtigte Zweifel bestehen vielmehr dann, wenn im Laufe des Verfahrens ein Dritter auftaucht, der behauptet, der wahre Einsprechende zu sein. Weshalb der wahre Einsprechende, d. h. derjenige, auf dessen Betreiben der Einspruch eingelegt wird, dem EPA, dem Inhaber des angefochtenen Patents und der Öffentlichkeit bekannt sein muß, wurde bereits in der Entscheidung T 635/88 unter Nummer 8.4 der Entscheidungsgründe dargelegt. Die dort angeführten Gründe basieren im wesentlichen auf dem von den Beschwerdekammern in ihrer Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz (s. beispielsweise T 222/85, ABl. EPA 1988, 128, Nr. 6 am Ende, aufgegriffen in T 219/86, ABl. EPA 1988, 254), daß "Einsprüche gutgläubig eingereicht und betrieben werden [müssen], wenn ... Rechtsunsicherheiten vermieden werden sollen". Dies wäre nach Aussage der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 1/84 (ABl. EPA 1985, 299) nicht der Fall, wenn die Öffentlichkeit, aber auch der Inhaber des angefochtenen Patents den wahren Einsprechenden nicht kennen.
3.3.5 Die Vermutung, auf die in der Entscheidung T 548/91 verwiesen wird, ist allerdings nicht gänzlich unwiderlegbar. Die Bedingungen für ihre Aufhebung sind bereits früher in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern abgesteckt worden.
3.3.6 So konnte die Vermutung, daß "derjenige, der Einspruch einlegt, der wahre Einsprechende ist", in der bereits angesprochenen Sache T 10/82 entkräftet werden, weil der Einsprechende selbst im Verlauf des Verfahrens eingestand, nicht im eigenen Namen, sondern im Auftrag eines Dritten zu handeln. Hier stand fest, daß derjenige, der als Einsprechender auftrat, also im eigenen Namen Einspruch eingelegt hatte, nicht der wahre Einsprechende war. Da dieser Sachverhalt außer Zweifel stand, verwarf die Kammer den Einspruch damals als unzulässig.
3.3.7 In der Sache T 635/88 war der Fall anders gelagert. Hier hatte ein Patentvertreter im eigenen Namen Einspruch gegen ein europäisches Patent eingelegt und galt somit gemäß der vorgenannten Vermutung als der wahre Einsprechende. Dann gab sich jedoch ein Dritter im Rahmen eines Verletzungsverfahrens, das der Inhaber des mit dem Einspruch angefochtenen Patents auf der Grundlage dieses Patents vor einem nationalen Gericht gegen ihn eingeleitet hatte, in seinen als Klageerwiderung eingereichten Schriftsätzen als Einsprechender zu erkennen. In Anbetracht dieser schriftlich belegten Umstände und auch der Tatsache, daß die Person, die den Einspruch eingelegt hatte, der Patentvertreter des wegen Verletzung beklagten Dritten war, bestanden nach Auffassung der Kammer berechtigte Zweifel an der Identität des wahren Einsprechenden. Um dieser Rechtsunsicherheit ein Ende zu bereiten, forderte sie denjenigen, der vor dem EPA Einspruch eingelegt hatte, auf, zur Ausräumung aller Zweifel eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, daß er im eigenen Namen und nicht für einen Auftraggeber handle. In diesem Fall wurde also tatsächlich nachgewiesen, daß nicht derjenige, der Einspruch eingelegt hatte, sondern ein Dritter der wahre Einsprechende war.
3.3.8 Der Nachweis, daß ein Dritter der wahre Einsprechende und der vor dem EPA auftretende Einsprechende sein Patentvertreter ist, schließt - unbeschadet anderer Überlegungen - jedoch keineswegs aus, daß letzterer, der (kraft Artikel 99 EPÜ wie "jedermann") ein persönliches Recht besitzt, sein eigenes Recht auch entsprechend geltend macht. Die Kammer gelangte im damaligen Fall lediglich zu dem Schluß, daß berechtigte Zweifel bestanden. Berechtigt waren die Zweifel deshalb, weil aktenkundig nachgewiesen war, daß ein Dritter im Rahmen eines nationalen Verfahrens so auftrat, als sei er der wahre Einsprechende. Die dadurch entstehende Rechtsunsicherheit war nicht mit dem vorstehend unter Nummer 3.3.4 dargelegten Grundsatz zu vereinbaren.
3.3.9 Im vorliegenden Fall sind keine solchen Umstände gegeben, denn es wurde nicht nachgewiesen, daß die Firma R. die wahre Einsprechende ist. Somit bestehen, anders als in der Sache T 635/88, keine "berechtigten Zweifel" im vorstehend umrissenen Sinne, die eine Rechtsgrundlage dafür bieten würden, demjenigen, der als Einsprechender auftritt, eine eidesstattliche Erklärung abzuverlangen. Die Beweiskraft der von der Beschwerdeführerin angeführten Beweisanzeichen ist nämlich eine Tatfrage, deren Beurteilung im Ermessen der Kammer liegt. Nach ihrer Auffassung beweist der Verletzungsvorwurf, den die Beschwerdeführerin gegen die Firma R. erhebt, nicht hinreichend, daß die Firma die wahre Einsprechende ist. Die Kammer bleibt vielmehr dabei, daß im vorliegenden Fall nur einer als Einsprechender auftritt. Da er hierfür keine bestimmten persönlichen Gegegebenheiten oder kein bestimmtes Interesse mitbringen muß und auch stets bestätigt hat, im eigenen Namen zu handeln, ist er uneingeschränkt einspruchsberechtigt. Sein zweideutiges Verhalten im Beschwerdeverfahren (s. letzter Absatz unter Nr. 3.3) ist eine Sache der Berufsethik und für die Rechtmäßigkeit des Einspruchsverfahrens ohne jeden Belang.
3.4 In der vom Einsprechenden angezogenen Entscheidung T 590/93 wurden ebenfalls die vorstehend erörterten Grundsätze angewandt (s. insbesondere Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
3.5 Hinzugefügt sei noch, daß die Abgabe einer schriftlichen Erklärung unter Eid, die zu den in Artikel 117 (1) EPÜ aufgezählten zulässigen Beweismitteln gehört, nicht automatisch auf bloßen Antrag eines Beteiligten angeordnet wird. Die Beweisaufnahme in jeder in Artikel 117 EPÜ aufgeführten Form liegt im Ermessen der zuständigen Instanz und wird von ihr nur angeordnet, wenn sie dies für notwendig erachtet. Die von der Beschwerdeführerin beantragte Abgabe einer eidesstattlichen schriftlichen Erklärung erscheint im vorliegenden Fall aber, wie bereits ausgeführt, weder notwendig noch sachdienlich, weil nicht nachgewiesen worden ist, daß die Firma R. behauptet, die wahre Einsprechende zu sein (vgl. T 289/91, ABl. EPA 1994, 649, Nr. 2.2).
3.6 In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen wird der Einspruch für zulässig befunden. Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin ist daher zurückzuweisen.
4. Beweisaufnahmeantrag der Beschwerdeführerin zur Ermittlung des wahren Einsprechenden, der die Firma R. sein soll
Ein solcher allgemeiner Antrag ist allein schon deshalb unzulässig, weil er nicht auf ein bestimmtes Beweismittel wie die Vernehmung von Zeugen, die Einnahme des Augenscheins oder die Vorlegung von Urkunden gerichtet ist. Die einzige konkrete Beweisaufnahme, deren Anordnung die Beschwerdeführerin beantragt hat, nämlich die Abgabe einer schriftlichen Erklärung gemäß Artikel 117 (1) g) EPÜ, wurde weder für sachdienlich noch für notwendig erachtet und daher abgelehnt (s. Nr. 3.5).
Die Kammer hat bereits erläutert, weshalb sie im vorliegenden Fall an der Vermutung des Artikels 99 (1) EPÜ festhält. Sie sieht deshalb keine Notwendigkeit, von Amts wegen eine Beweisaufnahme einzuleiten.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß das Einspruchsverfahren geschaffen wurde, damit Dritte in einem zentralen Verfahren vor einem Organ des EPA eine Beschränkung oder den Widerruf eines europäischen Patents erreichen können. Daher kann es keine Kernaufgabe des Einspruchsverfahrens sein, zu ermitteln, ob der Dritte, der Einspruch eingelegt hat, wirklich im eigenen Namen handelt. Hierauf basiert die Vermutung des Artikels 99 (1) EPÜ.
5. Befassung der Großen Beschwerdekammer
Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die Große Beschwerdekammer mit der Frage einer geeigneten Beschränkung des Rechts zugelassener Vertreter zur Einlegung von Einsprüchen zu befassen.
Gemäß Artikel 112 (1) EPÜ liegt es im Ermessen der Beschwerdekammern, "zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt", die Große Beschwerdekammer zu befassen.
Im vorliegenden Fall ist keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt. Die vorliegende Entscheidung steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (insbesondere den vorstehend genannten Entscheidungen T 635/88, T 289/91 und T 590/93). In dieser Rechtsprechung wurden auch bereits die Rechtsfragen geklärt, über die im vorliegenden Fall zu entscheiden war, so daß sich diese bei Eröffnung des vorliegenden Verfahrens nicht mehr stellten.
Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer wird daher zurückgewiesen.
6. Hilfsantrag (Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang)
6.1 Artikel 123 EPÜ ...
6.2 Neuheit ...
6.3 Aufgabe - Lösung ...
6.4 Erfinderische Tätigkeit ...
7. Somit ist festzustellen, daß der geltend gemachte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des europäischen Patents in der geänderten Fassung nicht entgegensteht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit dem Anspruchssatz und der entsprechenden Beschreibung, die in der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, sowie den Zeichnungen in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.