T 0167/97 (Zulässigkeit) 16-11-1998
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I. Das Erfordernis in Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ, wonach die "versäumte Handlung" innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachzuholen ist, setzt voraus, daß auch die nachgeholte Handlung die Anforderungen des EPÜ erfüllt, d. h. im vorliegenden Fall, daß die Beschwerdebegründung für die Zwecke des Artikels 108 letzter Satz EPÜ zulässig ist.
II. Ist die zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereichte Beschwerdebegründung nicht so ausreichend, daß die Beschwerde für zulässig erklärt werden kann, muß auch der Wiedereinsetzungantrag selbst für unzulässig erklärt werden.
Wiedereinsetzung - unzulässig
Versäumte Handlung - unzulässige Beschwerdebegründung
Beschwerde - unzulässig
I. In der vorliegenden Entscheidung geht es um einen Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung nach Artikel 108 EPÜ und um die Zulässigkeit der Beschwerde insgesamt.
Die angefochtene Entscheidung erging am 19. Dezember 1996. Der Beschwerdeführer legte am 11. Februar 1997 dagegen Beschwerde ein und entrichtete am 14. Februar 1997 die Beschwerdegebühr.
II. Am 19. Dezember 1997 teilte ihm die Geschäftsstelle der Beschwerdekammern gemäß Artikel 108 EPÜ und Regel 65 (1) EPÜ mit, daß die Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht schriftlich begründet worden sei. In einem Erwiderungsschreiben, das am 14. Februar 1998 einging, legte der Vertreter des Beschwerdeführers dar, weshalb die Beschwerdebegründung nicht eingereicht worden war; er beantragte eine Wiedereinsetzung und legte zwei Schreiben bei, nämlich erstens eine Kopie der Beschwerdeschrift, die am 11. Februar 1997 per Fax beim EPA eingegangen war, und zweitens eine Begründung mit der Überschrift "Gründe zur Widerlegung des Einspruchs der YY GmbH ". Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am 5. Februar 1998 entrichtet.
III. In einem Bescheid vertrat die Beschwerdekammer vorab die Auffassung, daß sie dem Antrag vor allem deshalb nicht stattgeben könne, weil sie bezweifle, daß alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden sei (Art. 122 (1) EPÜ), und weil Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ nicht erfüllt zu sein scheine, da die dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügte Begründung offenbar eine Kopie der ursprünglichen Stellungnahme zur Einspruchsschrift sei, die der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereicht habe und die sich nicht mit den Fragen auseinandersetze, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung seien.
IV. Der Vertreter des Beschwerdeführers erläuterte, daß die Verzögerung bei der Einreichung der Beschwerdebegründung auf ein Herzleiden zurückzuführen sei, das er seit 1992/93 habe. Kurz vor Einreichung der Beschwerde im Februar 1997 habe er seinen Mandanten besucht und sei dabei krank geworden. Ursprünglich habe er die Beschwerdebegründung vor der Einreichung prüfen wollen. Wegen seines Herzanfalls habe er jedoch die Begründung schon am darauffolgenden Tag abgesandt. Nachdem zwar die Beschwerdeschrift als unzustellbar an ihn zurückgegangen sei, nicht jedoch die ebenso unzulänglich adressierte Beschwerdebegründung, habe er angenommen, daß letztere beim EPA eingegangen sei. Er sei deshalb sehr überrascht gewesen, als er fast ein Jahr später durch den Bescheid der Geschäftsstelle der Beschwerdekammern vom 19. Dezember 1997 erfahren habe, daß die Begründung fehle.
Auf den Bescheid der Kammer hin führte der Beschwerdeführer aus, er habe Vorkehrungen getroffen, daß er im Krankheitsfall vertreten werde. Im vorliegenden Fall sei er zwar nicht erkrankt, habe jedoch Anzeichen hohen Blutdrucks verspürt und deshalb beschlossen, den Entwurf der Beschwerdebegründung ungeprüft abzusenden. Diese Begründung enthalte mehrere Seiten mit Stellungnahmen zu den Einwänden des Einsprechenden. Daran sei zu erkennen, daß die Erstellung eines solchen Schriftstücks zeitaufwendig sei und sehr wahrscheinlich auch Rücksprachen mit anderen erfordere.
Da der Vertreter die Begründung innerhalb des vorgeschriebenen Zeitrahmens abgesandt habe, vom EPA darüber unterrichtet worden sei, daß alle erforderlichen Unterlagen eingereicht worden seien (obwohl in der Empfangsbestätigung des EPA die Unterlagen nicht einzeln aufgeführt worden seien, da er kein Standardformblatt verwendet habe), das EPA die in der Akte enthaltene Begründung nicht zur Kenntnis genommen und er daraufhin postwendend Ersatzunterlagen eingereicht habe, sei er der Auffassung, daß er die Umstände ausreichend erläutert bzw. begründet habe.
1. Der Wiedereinsetzungsantrag und die entsprechende Gebühr wurden innerhalb der in Artikel 122 (2) und (3) EPÜ genannten Frist eingereicht bzw. entrichtet. Nach Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ ist jedoch auch die versäumte Handlung innerhalb dieser Frist nachzuholen. Die Kammer muß daher prüfen, ob die versäumte Handlung nachgeholt, also im vorliegenden Fall die Beschwerdebegründung ordnungsgemäß eingereicht worden ist.
2. Es stellt sich die Frage, ob die versäumte und nach Artikel 122 (2) EPÜ nachzuholende Handlung - hier die Beschwerdebegründung - nicht nur innerhalb der in diesem Artikel genannten Frist eingereicht werden, sondern auch dieselben Zulässigkeitskriterien erfüllen muß wie eine rechtzeitig eingereichte Beschwerdebegründung, also inhaltlich ausreichen muß, um eine Überprüfung der Beschwerde zu ermöglichen. Muß, mit anderen Worten, der Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen werden, wenn die Beschwerdebegründung als unzureichend angesehen wird?
3. Mit der Wiedereinsetzung soll erreicht werden, daß das Verfahren so fortgesetzt werden kann, als wäre die versäumte Handlung fristgerecht vorgenommen worden. Dies ist auch der Hauptgrund für die Forderung in Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ, wonach die versäumte Handlung nachzuholen ist. Ist diese Handlung - im vorliegenden Fall die Beschwerdebegründung - entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern als solche unzulässig, weil die Mindestanforderungen an eine solche Begründung nicht erfüllt sind, kann das Verfahren nicht in der beabsichtigten Weise fortgesetzt werden. Würde nämlich dem Wiedereinsetzungsantrag trotz dieses Mangels stattgegeben werden, so würde die anschließende Prüfung der Beschwerdebegründung ergeben, daß die Beschwerde selbst als unzulässig verworfen werden muß; es würde also nur ein weiterer, unnötiger Schritt eingeführt. Ist demnach die zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereichte Beschwerdebegründung so unzureichend, daß die Beschwerde nicht für zulässig erklärt werden kann, so muß auch der Wiedereinsetzungsantrag selbst als unzulässig verworfen werden. Das Erfordernis in Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ, wonach die "versäumte Handlung" innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachzuholen ist, setzt deshalb voraus, daß die nachgeholte Handlung die Anforderungen des EPÜ erfüllt, d. h. im vorliegenden Fall, daß die Beschwerdebegründung für die Zwecke des Artikels 108 letzter Satz EPÜ zulässig ist. Ist dies nicht der Fall, so wird auch nicht geprüft, ob die für eine Wiedereinsetzung wesentliche Voraussetzung erfüllt ist, nämlich daß der betreffende Beteiligte alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt aufgewendet hat (Art. 122 (1) EPÜ).
4. Ausreichende Beschwerdebegründung
4.1 Eine Beschwerdebegründung kann für unzureichend erklärt werden, wenn sie so mangelhaft ist, daß sich die Kammer und die Gegenpartei nicht richtig auf die Sache vorbereiten können; siehe z. B. die Entscheidungen T 220/83 (ABl. EPA 1986, 249) und T 432/88 vom 15. Juni 1989, in denen festgestellt wurde, daß eine bloße Bezugnahme auf frühere Einlassungen oder Schriftsätze nicht ausreicht. Die Entscheidung T 250/89 (ABl. 1992, 355) enthält einen Überblick über die einschlägige Rechtsprechung. Danach sollte in einer Beschwerdebegründung grundsätzlich dargelegt werden, aus welchen rechtlichen und faktischen Gründen die Entscheidung aufgehoben werden soll. Sie sollte entsprechend der Entscheidung J 22/86 (ABl. EPA 1987, 280) auch ausführlich angeben, aus welchen Gründen der Beschwerde stattgegeben und die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden soll. In der Entscheidung T 250/89 gelangte die Kammer zu der Auffassung, daß die Beschwerdegründe zwar der Beschwerdeschrift entnommen werden könnten, daß sie aber dieselben Bedingungen erfüllen müßten wie jene, die gesondert eingereicht würden.
4.2 In der angefochtenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung festgestellt, daß die Patentanmeldung EP-A-0 334 594 nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ als Stand der Technik gelte und für den Anspruch 1 neuheitsschädlich sei, während Anspruch 6 gegenüber dem Patentdokument DE-A-3 047 538 nicht erfinderisch sei. Das Patent war hauptsächlich aus diesen beiden Gründen widerrufen worden.
4.3 Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist zu unterscheiden zwischen einer ausreichenden Darlegung des Standpunkts des Beschwerdeführers, d. h. der Angabe aller Sachverhalte, die nötig sind, um Zweck und Umfang der Beschwerde richtig verstehen zu können, und der Stichhaltigkeit seiner Argumente (siehe Entscheidungen zur Frage der ausreichenden Begründung in Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Einspruchsschriften, z. B. T 222/85, ABl. EPA 1988, 128). Parallel zu dieser Rechtsprechung erscheint es angebracht, als Norm festzulegen, daß für die Zwecke von Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ eingereichte Beschwerdebegründungen als unzulässig zu verwerfen sind, wenn bei Durchsicht des Schriftsatzes erkennbar wird, daß er nichts enthält, was Rückschlüsse darauf zuließe, worum es bei der Beschwerde geht. Beschwerdebegründungen, die auf Fragen Bezug nehmen, die im Verfahren vor der ersten Instanz erörtert worden sind, sich aber bei näherer Betrachtung als nicht relevant oder überzeugend genug erweisen, mögen daher - je nach Lage des Falles - für diesen Zweck ausreichen. Mit anderen Worten: Die Beschwerdebegründung sollte für den Spruchkörper verständlich sein, ohne daß er auf anderes Aktenmaterial als die angefochtene Entscheidung zurückgreifen muß.
4.4 Im vorliegenden Fall enthielt der am 14. Februar 1998 zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereichte Schriftsatz ein fünfseitiges Schreiben vom 9. Februar 1998, in dem dargelegt wurde, weshalb die Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig eingereicht worden war, ein nicht datiertes zweiseitiges Schreiben, das eine Kopie des Fax war, mit dem die Beschwerde ursprünglich eingelegt worden war, und ein weiteres, ebenfalls undatiertes fünfseitiges Schriftstück, bei dem es sich um eine Kopie der im Einspruchsverfahren eingereichten Stellungnahme handelte.
4.5 Dieses mit "Gründe zur Widerlegung des Einspruchs der YY GmbH" überschriebene Schriftstück enthält die Erörterung einiger der in der Einspruchsschrift aufgeworfenen Streitpunkte. Sie war ursprünglich am 22. Juli 1996 auf Aufforderung der Einspruchsabteilung hin als Stellungnahme zur Einspruchsschrift per Fernschreiben eingereicht worden.
4.6 Selbstredend wird in dieser Stellungnahme, die in einem frühen Stadium des Einspruchsverfahrens eingereicht wurde, weder auf die Feststellungen der Einspruchsabteilung noch auf die Relevanz der von der Einsprechenden angezogenen Dokumente eingegangen. Wenn die Kammer eine Vermutung äußern sollte, würde sie sagen, daß der Beschwerdeführer auf den Bescheid der Geschäftsstelle vom 19. Dezember 1997 hin die falsche Begründung eingereicht hat.
4.7 Was nun die Beschwerdeschrift anbelangt, so stellt die Kammer fest, daß diese abgesehen von der darin erwähnten Feststellung der Einspruchsabteilung bezüglich der Neuheit des Anspruchs 6, der der Beschwerdeführer zustimmt, lediglich die Absicht des Beschwerdeführers bekundet, als Argument vorzubringen, daß "die Prüfer die vielen praktischen Vorteile aus dem technischen Fortschritt der Erfindung des Beschwerdeführers gegenüber dem Stand der Technik überhaupt nicht gewürdigt haben". In der Beschwerdeschrift wird auf keine der technischen Lehren der Dokumente des Stands der Technik eingegangen, die vom Einsprechenden oder der Einspruchsabteilung angezogen wurden, sondern es werden lediglich die entgegengehaltenen Druckschriften aufgeführt.
4.8 Weder die Beschwerdeschrift noch die angebliche Beschwerdebegründung enthält Ausführungen zu der angefochtenen Enscheidung oder den im Einspruchsverfahren angesprochenen Fragen, die Argumente des Beschwerdeführers gegen die angefochtene Entscheidung oder eine sonstige Substantiierung der Beschwerde erkennen ließen. Es bleibt somit der Kammer und dem Einsprechenden überlassen, Vermutungen darüber anzustellen, um welche Fragen es bei der Beschwerde überhaupt geht, die von der Kammer geprüft werden soll. Die Beschwerde wird - mit anderen Worten - nicht in der Weise begründet, wie dies z. B. in den Entscheidungen T 432/88 (Nr. 3 der Gründe) und T 222/85 gefordert wird. Die Kammer muß deshalb zu dem Schluß kommen, daß die "versäumte Handlung" nicht nachgeholt und damit der Forderung von Artikel 122 (2) Satz 2 EPÜ nicht Genüge getan wurde.
5. Da die zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereichte Begründung nicht ausreicht, um eine zulässige Beschwerde zu begründen, und innerhalb der Beschwerdefrist keine andere Begründung eingereicht worden ist, muß der Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen werden.
6. Infolgedessen kann die Sachfrage, ob gemäß Artikel 122 (1) EPÜ alle gebotene Sorgfalt aufgewendet worden ist, nicht geprüft werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Wiedereinsetzungsantrag wird als unzulässig verworfen.
2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.