J 0001/80 (Einreichung von Prioritätsunterlagen) 17-07-1980
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Prioritätsunterlagen/Einreichung
Prioritätsbeleg/Frist für Einreichung/Naqchfrist
Mangel/behebbarer bei Nichteinreichung des Prioritätsbelegs
Wiedereinsetzung/Entscheidung über Haupt- und Hilfsantrag
Verfahrensmangel/wesentlicher
Sachverhalt und anträge
I. Am 23. Februar 1979 hatte die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung eingereicht und dabei die Priorität einer in der Bundesrepublik Deutschland am 28. Februar 1978 eingereichten nationalen Patentanmeldung geltend gemacht. Der Anmeldung war keine Abschrift der früheren nationalen Patentanmeldung beigefügt worden.
II. In einer Mitteilung vom 29. März 1979 erinnerte die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts der Zweigstelle in Den Haag/Niederlande die Beschwerdeführerin daran, daß keine Abschrift der früheren nationalen Patentanmeldung eingereicht worden war, forderte die Beschwerdeführerin auf, den "Mangel'' vor Ablauf der Frist von 16 Monaten nach dem frühesten Prioritätstag gemäß Regel 38 (3) EPÜ zu beseitigen und warnte die Beschwerdeführerin davor, daß nach Artikel 91 (3) EPÜ der Prioritätsanspruch für die Anmeldung erlöschen würde, wenn der "Mangel" nicht rechtzeitig beseitigt würde. Die Beschwerdeführerin hat auf diese Mitteilung nicht geantwortet.
III. Am 1. August 1979 teilte die Eingangsstelle der Beschwerdeführerin mit, daß der auf die frühere nationale Anmeldung gestützte Prioritätsanspruch erloschen sei, da keine Abschrift dieser Anmeldung vor Ablauf des 16. Monats nach dem Prioritätstag eingereicht worden sei. Die Beschwerdeführerin wurde auch darauf hingewiesen, daß sie eine Entscheidung gemäß Regel 69 (2) EPÜ in dieser Angelegenheit beantragen könne.
IV. Am 2. August 1979 gingen mit einem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 30. Juli 1979 die entsprechenden Prioritätsunterlagen beim Europäischen Patentamt in München ein. Die Prioritätsunterlagen und das Schreiben wurden an die Eingangsstelle weitergeleitet, bei der sie am 13. August 1979 ankamen.
V. Am 14. August 1979 schickte die Beschwerdeführerin ein Schreiben an das Europäische Patentamt in München, das an die Eingangsstelle weitergeleitet wurde, bei der es am 22. August 1979 einging. Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß der Prioritätsanspruch nicht erloschen und die Mitteilung vom 1. August 1979 unrichtig sei. Artikel 4D der Pariser Verbandsübereinkunft unterscheide zwischen der Abgabe der Prioritätserklärung und der Erfüllung sonstiger Formvorschriften und diese Unterscheidung sei auch in das Europäische Patentübereinkommen übernommen worden. Die Beschwerdeführerin machte ferner geltend, daß Regel 41 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 91 (1) Buchstaben a) bis d) EPÜ die Eingangsstelle verpflichte, den Anmelder auf Mängel hinzuweisen und ihn aufzufordern, die Mängel innerhalb einer von ihr zu bestimmenden Frist zu beseitigen und daß ein Mangel erst dann bestehe, wenn die Frist von 16 Monaten abgelaufen sei, ohne daß die Prioritätsunterlagen eingereicht worden seien. In dem vorliegenden Fall sei keine Gelegenheit gegeben worden, den Mangel zu beseitigen. Hilfsweise beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und reichte Beweismittel für diesen Antrag ein.
VI. Inzwischen, nämlich am 17. August 1979, hatte die Eingangsstelle der Beschwerdeführerin den Eingang der Prioritätsunterlagen bestätigt und sie auf die Bestimmungen des Artikels 122 EPÜ (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) hingewiesen.
VII. Am 14. September 1979 teilte die Eingangsstelle der Beschwerdeführerin schriftlich mit, daß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden sei.
VIII. Am 2. Oktober 1979 reichte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Eingangsstelle vom 14. September 1979 ein und begründete die Beschwerde. Im wesentlichen wiederholte die Beschwerdeführerin ihre früheren rechtlichen Ausführungen.
IX. Am 7. November 1979 wies die Eingangsstelle in einer Entscheidung die im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 14. August 1979 enthaltenen rechtlichen Überlegungen mit der Begründung zurück, daß Artikel 91 (2) EPÜ das Europäische Patentamt nur verpflichte, den Anmelder auf behebbare Mängel hinzuweisen, und daß die Nichteinreichung der Prioritätsunterlagen innerhalb der 16-Monatsfrist ein Mangel sei, der nicht mehr beseitigt werden könne. In der gleichen Entscheidung wurde darauf hingewiesen, daß dem Hilfsantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits stattgegeben worden sei.
X. Am 7. Dezember 1979 reichte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde gegen die Entscheidung vom 7. November 1979 ein und wiederholte als Begründung im wesentlichen ihre früheren rechtlichen Überlegungen. XI. Am 20. Februar 1980 beantragte die Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung, deren Zeitpunkt auf Antrag der Beschwerdeführerin zweimal verschoben wurde. Am 20. Mai 1980 reichte die Beschwerdeführerin erneut einen Schriftsatz mit ergänzenden rechtlichen Überlegungen ein und zog später ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden entsprechen den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie sind daher zulässig.
2. Die praktischen Schwierigkeiten für Anmelder, von nationalen Patentämtern beglaubigte Abschriften von Prioritätsunterlagen schnell zu erhalten, waren bei der Ausarbeitung des Europäischen Patentübereinkommens wohlbekannt. Zweifellos aus diesem Grund erlaubt Regel 38 (3) EPÜ den Anmeldern europäischer Patentanmeldungen, die beglaubigten Prioritätsunterlagen jederzeit vor Ablauf des 16. Monats nach dem Prioritätstag einzureichen.
3. Nach dem Übereinkommen liegt erst dann ein Mangel vor, wenn die Prioritätsunterlagen bei Ablauf dieser Frist noch nicht eingereicht sind. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend gemacht hat, kann der Mangel erst nach Ablauf dieser Frist festgestellt werden, und es muß dem Anmelder Gelegenheit gegeben werden, diesen Mangel innerhalb einer weiteren Frist zu beseitigen. Ein Rechtsverlust tritt nur dann ein, wenn der Anmelder von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht.
4. Es wird jedoch bemerkt, daß nicht alle Bestimmungen des Artikels 91 EPÜ, die Mängel betreffen, in der gleichen Weise zu behandeln sind. Im Fall der unterlassenen Erfindernennung zum Beispiel tritt nach Regel 42 (1) in Verbindung mit Artikel 91 (5) EPÜ der Mangel, der innerhalb der Frist von 16 Monaten beseitigt werden kann, bereits bei der Einreichung der Anmeldung ein.
5. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß die angegriffene Entscheidung unrichtig war und aufzuheben ist. Auch hat die Eingangsstelle zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, da kein Rechtsverlust eingetreten war. Artikel 122 (1) EPÜ kann seinem Wortlaut nach nur dann angewendet werden, wenn der Verlust eines Rechts oder eines Rechtsmittels eingetreten ist.
6. Daher ist auch die Wiedereinsetzungsgebühr vom Europäischen Patentamt zu Unrecht entgegengenommen worden und muß an die Beschwerdeführerin zurückgezahlt werden. Die Juristische Beschwerdekammer ist zu dieser Anordnung aufgrund des Artikels 111 (1) Satz 2 EPÜ ermächtigt, wonach die Kammer im Rahmen der Zuständigkeit der Eingangsstelle tätig werden kann.
7. Die Eingangsstelle hat im übrigen einen wesentlichen Verfahrensmangel dadurch begangen, daß sie zuerst über den von der Beschwerdeführerin hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag entschieden hat, bevor sie über den Hauptantrag der Beschwerdeführerin entschied. Da ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt, der Beschwerde stattgegeben wird und es eindeutig der Billigkeit entspricht, die Rückzahlung der Beschwerdegebühren nach Regel 67 EPÜ anzuordnen, geschieht dies.
8. Bei richtiger Durchführung des Verfahrens wäre die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, die fehlenden Prioritätsunterlagen innerhalb einer Frist einzureichen, die mindestens 2 Monate betragen hätte (Artikel 91 (2) und Regel 41 (1), 84 EPÜ). Tatsächlich hat die Beschwerdeführerin die fehlenden Unterlagen ohne Aufforderung in weniger als 2 Monaten nach Entstehung des Mangels eingereicht. Der Mangel ist also beseitigt, und es ergibt sich keine Notwendigkeit für die Juristische Beschwerdekammer, die Beschwerdeführerin zur Beseitigung eines Mangels aufzufordern.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidungen der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 14. September und 7. November 1979 werden aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, daß als Folge des bloßen Ablaufs der 16-Monatsfrist der Prioritätsanspruch für diese Anmeldung nicht erloschen ist.
3. Die Rückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr wird angeordnet.
4. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren wird angeordnet.