T 1041/21 10-02-2023
Téléchargement et informations complémentaires:
VERFAHREN ZUM STEUERN EINER KOMPRESSORANLAGE
Neuheit - breiter Anspruch
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Beschwerdeerwiderung - Gründe deutlich und knapp angegeben (nein)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Rechtliches Gehör - mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung in Form einer Videokonferenz
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand der Ansprüche neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
Einen Antrag beider Parteien auf Verlegung der mündlichen Verhandlung, die als Videokonferenz anberaumt war, hatte sie abgelehnt.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer eine vorläufige Stellungnahme zu den in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen abgegeben.
III. Am 10. Februar 2023 fand in Anwesenheit aller Parteien eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Weiter beantragt sie die Nicht-Zulassung von Hilfsantrag 0.2 und die Vorlage von verschiedenen Fragen an die Große Beschwerdekammer.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang gemäß Hilfsanträgen 0, 0.1, 0.2, 1 bis 11, wobei Hilfsantrag 0.2 mit Schreiben vom 2 Dezember 2022, und die anderen Hilfsanträgen bereits erstinstanzlich eingereicht wurden.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Steuern einer Kompressoranlage (1), die eine Mehrzahl von Kompressoren (2), umfasst,
wobei durch die Kompressoranlage (1) in einem Druckfluidsystem trotz ggf. auch schwankender Entnahme von Druckfluid aus dem Druckfluidsystem ein vorbestimmter Überdruck aufrechterhalten werden soll,
wobei in festen oder variablen Zeitabständen Entscheidungen über Schalthandlungen zur Adaption des Systems an aktuelle Bedingungen getroffen werden, wobei
- in einem Vorselektionsschritt (10), unter Berücksichtigung der aktuellen Bedingungen, Schaltalternativen (13) aus der Vielzahl von kombinatorisch zur Verfügung stehenden Schaltalternativen (13) ausgeschlossen werden,
- in einem Hauptselektionsschritt (11) verbleibende Schaltalternativen (13) unter Heranziehung einer oder mehrerer Optimierungskriterien gegeneinander abgewogen werden und die unter den vorgegebenen Kriterien optimale Schaltalternative (13) ausgewählt wird und
- in einem Steuerschritt (12) die ausgewählte Schaltalternative (13) zur Umsetzung in der Kompressoranlage ausgegeben wird."
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgendes Dokument Bezug genommen:
E1: US2008/0131258 A1.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das Einspruchverfahren habe drei Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, die der Großen Beschwerdekammer vorzulegen seien. Auch sei das rechtliche Gehör der Einsprechenden verletzt worden und die Entscheidung bereits aus diesem Grund aufzuheben. Schließlich sei dies auch deshalb erforderlich, weil das Verfahren des breit formulierten erteilten Anspruchs 1 von E1 neuheitsschädlich vorweggenommen sei.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Vorlagefrage bezüglich der Rechtmäßigkeit einer mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung per Videokonferenz finde ihre Unterstützung.
Bei fachmännischer Lesart des Anspruchs 1 ist sein Unterscheidungsmerkmal bezüglich der Vorselektion anders als in E1 offenbart. Zumindest der Hilfsantrag 1 sei zuzulassen; hier müsse ein gewisser Vertrauensschutz in die Ermessenausübung einfließen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Die Erfindung betrifft die optimierte Steuerung einer Kompressoranlage mit mehreren Kompressoren, die einen Anlagendruck aufrechterhalten. Die Konfiguration des Kompressoren wird in Abständen überprüft und durch Ausschalten und/oder Zuschalten von Kompressoren in eine andere "Schaltalternative" geändert, um insbesondere durch Fluidentnahme verursachte Schwankungen auszugleichen oder Ausfälle zu kompensieren. Um das Schalten so effizient wie möglich zu gestalten, werden anspruchsgemäß in einem Vorselektionsschritt zuerst bestimmte kombinatorisch verfügbare Schaltalternativen ausgeschlossen. In dem Hauptselektionsschritt werden dann die verbleibenden Schaltalternative gegeneinander abgewogen unter Heranziehung von Optimierungskriterien, um eine optimale Schaltalternative auszuwählen. Diese wird anschließend ausgeführt. Die unabhängigen Ansprüche definieren Verfahren und Vorrichtung dazu.
Im einzigen Ausführungsbeispiel wird das Verfahren über eine Optimierungsalgorithmus ausgeführt, nach Gleichungen (1) bis (6), Seiten 12 und 13 des Patents.
3. Hauptantrag - Neuheit
3.1 Unstreitig betrifft E1 ein Verfahren zum Steuern einer Kompressoranlage, die eine Mehrzahl von Kompressoren umfasst und in einem Druckfluidsystem einen vorbestimmten Überdruck aufrechterhalten soll ("final pressure at the output side", Absatz [0008]). Zielwerte für diesen Überdruck oder einen Volumenstrom werden in Abständen neu festgelegt und müssen von der Anlage umgesetzt werden. Zwar scheint das Druckfluidsystem eher als Leitung denn als Speicher beschrieben zu sein - dies macht jedoch keinen Unterschied hinsichtlich einer ggf. schwankenden Entnahme von Druckfluid, die bei beiden auftritt, und auf die mit entsprechend geänderten Zielwerten reagiert werden muss. Die Reaktion besteht in einer Entscheidung über Schalthandlungen, mit denen bestimmte Kompressoren zu- bzw. weggeschaltet werden, wodurch eine neue Kompressorkonfiguration ("new switching configuration", Absätze [0014], [0015]) oder "Schaltalternative" ermittelt und sodann aktiviert wird.
3.2 Die Schaltalternative wird durch Abwägen unter mehreren Schaltalternativen unter dem Gesichtspunkt des Gesamtenergieverbrauchs als Optimierungskriterium bestimmt, Absatz [0021]. Laut Absatz [0022] ist es vorteilhaft, zunächst von allen Kompressoren auszugehen, die verfügbar und betriebsbereit sind, unabhängig von ihrem derzeitigen Betriebs- oder Schaltzustand. Ein solcher Ausgangspunkt setzt implizit voraus, dass vorher alle nicht verfügbaren und nicht betriebsbereiten Kompressoren, also z.B. ausgefallene oder nicht funktionsfähige Kompressoren, identifiziert und ausgesondert worden sind. Dies stellt einen Vorselektionsschritt dar, bei dem aus der Vielzahl von allen theoretisch möglichen bzw. "kombinatorisch zur Verfügung stehenden" Schaltalternativen, die in der Praxis nicht betreibbaren Schaltalternativen ausgeschlossen werden.
3.3 Laut Anspruch 1 soll die Vorselektion unter Berücksichtigung der aktuellen Bedingungen erfolgen. Die technische Verfügbarkeit eines Kompressors stellt eine aktuelle Bedingung dar. Die Beschwerdegegnerin argumentiert, in Gesamtschau des Patents und unter Berücksichtigung seines Fachwissens würde der Fachmann davon ausgehen, dass nicht oder jedenfalls nicht nur ein trivialer Ausschluss von defekten Kompressoren und der zugehörigen Schaltalternativen beansprucht ist, sondern eine weitergehende Vorselektion von aus anderen betriebsbedingten Gründen ungeeigneten Schaltalternativen. Dies ergäbe sich allein schon daraus, dass bereits die Vorselektion als Teil der Optimierung beansprucht sei.
Die Kammer teilt nicht die Ansicht, dass Anspruch 1 eine über ein Aussortieren nicht zur Verfügung stehender Kompressoren hinausgehende Vorselektion erfordert, also trotz breiter Formulierung offensichtlich enger verstanden werden müsste. Grundsätzlich besteht bereits kein Auslegungsbedarf eines breit, aber klar formulierten Anspruchs. Vielmehr muss die Neuheit für den gesamten beanspruchten Bereich festgestellt werden können. Auch sind möglicherweise triviale Maßnahmen, die einen allgemein formulierten Verfahrensschritt vorwegnehmen, deshalb nicht "zufällige Vorwegnahmen", wie die Beschwerdegegnerin ausführt. Ohnehin kommt diesem Aspekt lediglich im Rahmen eines Disclaimers und der erfinderischen Tätigkeit Bedeutung zu.
Abgesehen davon, dass jede Vorselektion generell als Optimierungsschritt einer Selektion angesehen werden kann, ist in Anspruch 1 von einer Optimierung erstmals im Zusammenhang mit der Hauptselektion die Rede, die nämlich unter Heranziehung von Optimierungskriterien erfolgt. Demgegenüber sind für die Vorselektion lediglich "aktuelle Bedingungen" entscheidend.
Im übrigen stützt auch die Beschreibung nicht die enge Auslegung der Beschwerdegegnerin. Die Absätze [0015], [0016] und [0076], in denen die Vorselektion erörtert wird, enthalten kein einziges konkretes Beispiel für Auswahlkriterien, die bei "aktuellen Bedingungen" zum Tragen kämen, sondern ebenfalls nur allgemeine Begriffe wie "möglich und geeignet" bzw. "ungeeignet" "für die vorliegenden Betriebsbedingungen". Betriebsbedingungen sind zwar etwas konkreter als die beanspruchten "Bedingungen" und mittels einer hohen Druckfluidentnahme illustriert. Es dürfte jedoch außer Frage stehen, dass defekte Kompressoren generell ungeeignet für sämtliche Betriebsbedingungen sind. Laut Absatz [0076] tragen die Selektionskriterien zudem "der technischen Umsetzbarkeit" der Schaltalternative Rechnung. Dieser Begriff weist sogar deutlich in Richtung einer Aussortierung von Schaltalternativen mit defekten Kompressoren, wie sie aus E1 bekannt ist.
3.4 Da E1 somit ein Verfahren mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag offenbart, ist dessen Verfahren nicht neu (Artikel 54(1), (2) EPÜ).
4. Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Begründungsmangel
4.1 Die Beschwerdeführerin beantragt auch aus diesem Grund die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, ohne aber eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung oder eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr zu beantragen. Da die Feststellung mangelnder Neuheit des Hauptantrags durch die Kammer bereits zur Aufhebung der Entscheidung führt, erübrigt sich eine Prüfung des weiteren Grunds. Dennoch nimmt die Kammer kurz dazu Stellung.
4.2 Als Hauptargumente der Beschwerdeführerin zur mangelnden Ausführbarkeit führt das Protokoll der mündlichen Verhandlung in Abschnitt 18 an, die Ansprüche seien nicht in ihrem ganzen Schutzumfang ausführbar offenbart und die optimalen Schaltkriterien nicht definiert. Entsprechend setzt sich die Einspruchsabteilung in zwölf Abschnitten 63 bis 74 über zwei Seiten ihrer Entscheidung äußerst detailliert und ausführlich mit diesen Hauptargumenten auseinander.
4.3 Es mag sein, dass sie darüber hinaus in vier vorangehenden Abschnitten 59 - 62 auf der Seite 9 auf einen weiteren, wohl nach Sichtweise der Beschwerdeführerin eher untergeordneten Vortrag zur Ausführbarkeit zuerst erwidert und dabei diesen auch noch missverstanden hat. Obwohl fehlende technische Wirkung geltend gemacht wurde, ging es wohl eher darum, dass das angegriffene Patent wegen der hohen Rechenleistung moderner Prozessoren keinen technischen Vorteil mehr bietet. Dies sind jedoch keine Rechtsfehler, sondern mögliche Fehler in der Würdigung der Sachfragen. Auch wenn die Einspruchsabteilung (in den Abschnitten 59 bis 62 der angegriffenen Entscheidung) weitere Argumente der Beschwerdeführerin zur Ausführbarkeit missverstanden hätte, hat sie diesen Rechnung getragen. Das Kernargument der Beschwerdeführerin, dass die Erfindung hinsichtlich der Zahl der Schaltalternativen und Art der Optimierungskriterien nicht über die ganze Breite offenbart sei, hat die Einspruchsabteilung in den Abschnitten 63 bis 69 gebührend berücksichtigt. Schlussfolgernd mag vielleicht eine fehlerhafte Begründung vorliegen, nicht jedoch eine fehlende. Somit liegt keine Missachtung des Begründungsgebots vor (Punkt 3.2 der Beschwerdebegründung).
4.4 Daher kann die Kammer keinerlei Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113(1) EPÜ durch die Einspruchsabteilung aufgrund eines Begründungsmangels erkennen.
5. Zulassung der Hilfsanträge 0, 0.1, 0.2, 1 - 11
5.1 In der mündlichen Verhandlung stellte die Kammer die Zulassung der nicht substantiierten Hilfsanträge 0, 0.1, 1 - 11 zur Diskussion, da diese unter ihr Ermessen gemäß Artikel 12(5) VOBK fiel.
5.1.1 In Abschnitt E ihrer Beschwerdeerwiderung verwies die Beschwerdegegnerin lediglich auf die "Hilfsanträge 0, 0.1, 1 - 11" und "auf die Schriftsätze des erstinstanzlichen Verfahrens sowie auf den Schriftsatz vom 27. November 2020, den Schriftsatz vom 24. Mai 2019 und den Schriftsatz vom 24. April 2020 ", um ihr diesbezügliches erstinstanzliches Vorbringen "durch Bezugnahme zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens" zu machen.
5.1.2 Die Kammer hat in den Punkten 1 und und 8.1 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeerwiderung entgegen Artikel 12(3) VOBK nicht vollständig ist, da pauschale Verweise auf Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren nach geltender Rechtssprechung nicht berücksichtigt werden, RSBK 10. Auflage, 2022, V.A.2.6.5.
Ein Verweis auf "die Schriftsätze des erstinstanzlichen Verfahrens" ist pauschal. Auch der Verweis auf die drei einzelnen Schriftsätze bleibt pauschal, denn wegen der wiederholten Ergänzung und Umbenennung der Hilfsanträge im Einspruchsverfahren ist ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Schriftsätzen nicht offensichtlich, welches Vorbringen in welchem Schriftsatz zu welchem Hilfsantrag gehört. Es kann weder von anderen Beteiligten, noch von der Kammer erwartet werden, dass sie sich die Argumente der Beschwerdegegnerin für dreizehn Hilfsanträge aus drei Schriftsätzen selbst zusammensuchen. Dies hätte im vorliegenden Fall bedeutet, dass die Kammer aktiv für eine Partei hätte tätig werden müssen, was insbesondere unter dem Gesichtspunkt der zu erwarteten Unparteilichkeit der Kammer nicht in Betracht kam.
5.1.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin lässt sich aus Artikel 12(3) VOBK nicht ableiten, ein pauschaler Verweis sei unter dem Gebot der Knappheit zulässig. "Unterlagen, auf die Bezug genommen wird" und die "schon im Erteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren eingereicht ... worden sind" im Sinne von Art 12(3) und Absatz (a) VOBK 2020 (inhaltlich ungeändert gegenüber der Fassung von 2007) können grundsätzlich nicht den eigentlichen Beschwerdevortrag ersetzen. So können nach geltender Rechtsprechung Argumente, die bloße Wiederholungen des Vorbringen im Einspruchsverfahren waren, eine Beschwerde nicht begründen, RSdBK, V.A.2.6.3 h), und ist ein pauschaler Verweis auf in der ersten Instanz vorgelegtes Vorbringen prinzipiell nicht ausreichend zur Begründung, RSdBK, V.A.2.6.5. Die gleichen Grundsätze gelten insbesondere auch für Anträge, siehe RSdBK, V.A.4.3.5 b), demzufolge ein pauschaler Verweis auf erstinstanzlich eingereichte Anträge unvereinbar mit dem Erfordernis des Artikels 12(3) VOBK ist. Es hätte darüber hinaus auch keinen Unterschied gemacht, wenn die Beschwerdegegnerin die drei Schriftsätze als Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, nochmals in Kopie eingereicht oder die Kammer sie dazu aufgefordert hätte, Artikel 12(3)a), b) VOBK. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass durch die Bezugnahme oder durch die bloße Wiederholung von im Einspruchsverfahren gebrachten Argumenten weder für die Kammer noch für die andere Partei sofort ersichtlich ist, welche Einwände, die die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde gegen den Hauptantrag erhoben hat, durch die in den Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen ausgeräumt werden, in welchem Maße und warum.
5.1.4 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im vorliegenden Fall eine Auseinandersetzung mit etwaigen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zu den Hilfsanträgen nicht möglich war, da die Patentinhaberin erstinstanzlich mit ihrem höherrangigen Antrag erfolgreich war. Denn sie hätte sich trotzdem auf eine Verteidigung der Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren vorbereiten müssen. Es war nämlich vorhersehbar, dass diese zum Tragen kämen, wenn der Hauptantrag nicht standhielte. Es war auch vorhersehbar, dass es in einem solchen Verfahrensstadium Sache der Patentinhaberin gewesen wäre, ihre Anträge zu begründen.
5.1.5 Die Beschwerdegegnerin hat zwar auf die Mitteilung der Kammer mit Schreiben vom 2. Dezember 2022 reagiert und einen weiteren Hilfsantrag 0.2 eingereicht, dabei aber weder die Hilfsanträge 0 und 0.1 zurückgezogen, noch zu ihnen substantiiert vorgetragen. Bezüglich Hilfsantrag 1 war sie trotz des oben bezeichneten Hinweises der Kammer der Meinung, dass sich weitere Ausführungen erübrigen würden, denn die Kammer hätte ihn vorläufig als bestandsfähig angesehen. Tatsächlich hatte die Kammer aber in Punkt 8.4 ihrer Mitteilung wegen des fehlenden Vortrags der Parteien zu Hilfsantrag 1 nur in zwei Sätzen kursorisch Aspekte der ursprünglichen Offenbarung und Neuheit gegenüber E1 beleuchtet. Zur Gewährbarkeit des Hilfsantrags 1 hat sie sich nicht geäußert.
5.1.6 Nach Artikel 12(5) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Vorbringen eines Beteiligten nicht zuzulassen, soweit es die Erfordernisse nach Absatz 3 (des Artikels 12) nicht erfüllt. In Ausübung dieses Ermessens entschied die Kammer in der mündlichen Verhandlung diese Hilfsanträge, weil nicht substantiiert, nicht zum Verfahren zuzulassen.
5.2 Hilfsantrag 0.2 wurde mit dem Schreiben vom 2 Dezember 2022 nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Dieser Antrag gilt somit als Änderung im Beschwerdevorbringen der Beschwerdegegnerin im Sinne von Artikel 13(2) VOBK. Demzufolge bleiben solchen Änderungen grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn die Beschwerdegegnerin hätte stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnlichen Umstände vorlägen.
Hierzu gab die Beschwerdegegnerin an, sie sei von der breiten Auslegung des Vorselektionsschritt durch die Kammer in deren Mitteilung überrascht worden. Da die Kammer hier lediglich den der Beschwerdegegnerin aus der Beschwerdebegründung (Seite 14 unten bis Seite 16 oben) bekannten Argumenten der Beschwerdeführerin gefolgt ist, konnte sie keine außergewöhnlichen Umstände erkennen und hat Hilfsantrag 0.2 deshalb unter Artikel 13(2) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.
6. Rüge nach Regel 106 EPÜ
6.1 Im Anschluss an die Entscheidung der Kammer, die Hilfsanträge nicht zuzulassen, erhob die Beschwerdegegnerin eine Rüge nach Regel 106 EPÜ, die sie schriftlich einreichte. Derzufolge sähe sie sich durch die Nichtzulassung sämtlicher Hilfsanträge in ihren Rechten, insbesondere in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 113(1) EPÜ, beschnitten. Diese Entscheidung sei überraschend, da die Kammer sich in der Mitteilung mit den Hilfsanträgen auseinandergesetzt habe und den Hilfsantrag 1 sogar für vorläufig aufrechterhaltungswürdig angesehen hat. Zudem hat die Beschwerdeführerin die Zulassung nicht beanstandet. Insbesondere lasse Artikel 12(3) VOBK Bezugnahmen ausdrücklich zu und fordere eine knappe Abfassung. Es sei keine explizite Aufforderung zur Einreichung weiterer Belege nach Artikel 12(3)(b) VOBK erfolgt, obwohl die Beschwerdegegnerin durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit Hilfsanträgen darauf vertrauen durfte, diese seien Teil des Verfahrens. Die Nicht-Zulassung widerspreche somit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Eine pflichtgemäße Ermessensausübung nach Art 12(5) VOBK hätte zumindest zur Zulassung des Hilfsantrags 1 führen müssen, da dieser nach der vorläufigen Ansicht der Kammer in ihrer Mitteilung bestandsfähig sei.
6.2 Die Kammer wies die in der Rüge genannten Einwände zurück. Zwar stimmt sie mit der Beschwerdegegnerin darin überein, dass eine Nichtzulassung von Hilfsanträgen aufgrund fehlerhafter Ermessensausübung das rechtliche Gehör einer Partei verletzen und somit ein Überprüfungsgrund nach Artikel 112a(2)(c) EPÜ vorliegen könnte. Nachdem sie die Parteien zur Zulassungsfrage und zur Rüge gehört hat, sah die Kammer aber eine solche Verletzung als nicht gegeben.
6.3 Es besteht Einigkeit, dass die Hilfsanträge 0, 0.1, 1 - 11 im Einspruchsverfahren gestellt und nicht aufgegeben worden sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht maßgeblich, denn die Nichtzulassung stützt sich nicht auf die Vorschriften der Artikel 12(2), (4) VOBK, sondern auf die der Artikel 12(3), (5) VOBK. Die Einwände bezüglich der Bezugnahme auf Unterlagen und Knappheit nach Artikel 12(3) VOBK, sowie die Aufforderung nach Artikel 12(3)(b) VOBK zur Einreichung solchen Unterlagen sind bereits oben in Abschnitt 5.1.1 angesprochen worden und bedürfen keines weiteren Kommentars.
6.4 Die Beschwerdegegnerin beruft sich hinsichtlich der Zulassung der Hilfsanträge auf einen Vertrauensschutz. Dass sich die Kammer in ihrer Mitteilung (und danach auch die Beschwerdeführerin) mit einigen Hilfsanträgen auseinandersetzte, ohne dabei nicht nur auf Artikel 12(3) VOBK, sondern explizit auch auf Artikel 12(5) VOBK zu verweisen, habe die berechtigte Erwartung geweckt, die Hilfsanträge seien bereits Teil des Beschwerdeverfahrens. Dies hätte zumindest bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen des Artikels 12(5) VOBK insoweit berücksichtigt werden müssen, als dass der positiv beschiedene Hilfsantrag 1 zuzulassen gewesen wäre.
6.4.1 Aus den kursorischen Bemerkungen, die die Kammer in ihrer Mitteilung zu den ersten drei Hilfsanträgen gemacht hat, vermag sie nicht abzuleiten, den Eindruck erweckt zu haben, dass diese Hilfsanträge zugelassen worden und aufrechterhaltungsfähig seien. Erstens wurde in Punkt 8.1 zu den Hilfsanträgen ausdrücklich unter Bezugnahme auf Punkt 1 nochmals darauf hingewiesen, dass keine der Parteien zu den Hilfsanträgen substantiiert vorgetragen hatte. Unter Punkt 1, "Rahmen der Beschwerde" hatte die Kammer auf das Erfordernis eines vollständigen Beschwerdevorbringens einer jeden Partei nach Artikel 12(3) VOBK hingewiesen, wobei pauschale Verweise auf Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren nach geltender Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden. Zwar wird in diesen beiden Punkten nicht explizit auf Artikel 12(5) VOBK verwiesen, die Kammer darf aber davon ausgehen, dass den Parteien die Rechtsfolge nicht-substantiierten Vortrags nach der seit Januar 2020 geltenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hinlänglich bekannt ist. Die Nichtberücksichtigung nicht substantiierter Anträge war im Übrigen bereits unter der alten Verfahrensordnung ständige Rechtsprechung, die sich direkt aus den Bestimmungen des Artikels 12(2) und (4) VOBK 2007 ableitete (s. RSdBK 9. Auflage 2019, V.A.4.12.5). Jedenfalls kann eine Partei sich nicht darauf berufen, dass durch die Nicht-Nennung einer Verfahrensvorschrift diese keine Geltung haben soll. Ebenso wenig kann eine Partei sich auf Nicht-Kenntnis von Vorschriften berufen.
6.4.2 Zweitens wurde in Abschnitt 8.4 zu Hilfsantrag 1 nur sehr knapp festgestellt, dass dieser den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ zu genügen schien, und dass die Merkmale bezüglich Leerlaufverlusten nicht aus E1 bekannt zu sein schienen. Zur erfinderischen Tätigkeit finden sich dort keine Angaben, dies insbesondere weil die Parteien dazu noch nicht vorgetragen hatten. Wie bereits oben festgestellt, unterblieb auch nach Zustellung der Mitteilung jeglicher Vortrag zur den Hilfsanträgen.
6.4.3 Nicht zuletzt sei noch auf den einleitenden Absatz der Mitteilung hingewiesen, wonach die auf diesen Absatz folgende Auffassung vorläufig ist. Daraus mag wohl für alle Parteien klar sein, dass sich keine Rechtsansprüche aus dieser Auffassung ableiten lassen, da diese im Laufe des Verfahrens geändert werden kann.
6.5 Dadurch, dass der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gegeben worden ist, ausführlich und wiederholt in der Diskussion um die Zulassung der Hilfsanträgen (und nochmals in der Diskussion zu der erhobenen Rüge) zu den verschieden Aspekten Stellung zu nehmen, ist ihr Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen der Zulassung der Hilfsanträge gewahrt worden. Die Kammer hat bei ihrer Ermessensentscheidung diese Stellungnahmen und alle Umstände des vorliegenden Falls gegeneinander abgewogen und berücksichtigt. Einen weitergehenden Anspruch auf Nachholung versäumter Handlungen, hier der Substantiierung des Hilfsantrags 1, um damit möglicherweise bestehende Rechtsirrtümer zu korrigieren und eine Zulassung zu erreichen, begründet das Recht auf rechtliches Gehör nicht.
7. Anträge auf Befassung der großen Beschwerdekammer mit verschiedenen Rechtsfragen
7.1 Durchführung der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als Videokonferenz ohne Zustimmung der Parteien
7.1.1 In G 1/21 wurde die Frage, ob eine Videokonferenz mit dem Recht auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116(1) EPÜ vereinbar sei für mündliche Verhandlungen vor der Beschwerdenkammern bejaht. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin insoweit zu, als die Große Beschwerdekammer den Tenor ihrer Entscheidung bewusst auf das Verfahren vor der Beschwerdekammer beschränkt hat. Die Einschränkung auf Beschwerdekammern erfolgte jedoch nicht aus sachlichen Gründen, also etwa weil an mündliche Verhandlungen vor Einspruchabteilungen andere oder strengere Maßstäbe anzulegen wären, sondern weil darüber hinaus in dem damals vorgelegten Fall, wo eine Beschwerdekammer zur mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz geladen hatte, kein weiterer konkreter Klärungsbedarf bestand, siehe Abschnitte 14 bis 16 der Begründung. Die Kammer sieht sich deshalb nicht daran gehindert, grundsätzliche Erwägungen der G 1/21 auch im vorliegenden Fall anzuwenden.
7.1.2 Zunächst sind mündliche Verhandlungen in Form einer Videokonferenz mündliche Verhandlungen im Sinne des Artikels 116 EPC, Abschnitt 30 der Begründung. Jedoch kann einer Partei der Wunsch nach einer Präsenzverhandlung nur dann versagt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die die persönliche Anwesenheit der Parteien behindern oder unmöglich machen. Die Reisebeschränkungen während der Covid-19-Pandemie zählen zu solchen Umständen, die andernfalls eine nicht hinnehmbare Verzögerung in der Entscheidungsfindung und Rechtsprechung nach sich zögen, Abschnitte 49, 51 der Begründung. Im vorliegenden Fall war wie im G 1/21 zugrundeliegenden Fall bereits einmal ein (für den 24. Juni 2020) anberaumter Verhandlungstermin aufgehoben und (auf den 27. Januar 2021) verschoben worden, bevor dann der zweite Termin von einer Präsenzverhandlung in eine Videokonferenz umgewandelt wurde (mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 ). In diesem Zeitraum galten in der Bundesrepublik Kontakt- und Reisebeschränkungen aufgrund der anhaltenden Covid-19-Pandemie (siehe https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/chronik-coronavirus.html).
Diese objektiven Umstände beeinträchtigten die Durchführung mündlicher Präsenz-Verhandlungen aller Art gleichermaßen.
7.1.3 Darüber hinaus kann die Kammer keine Gründe erkennen, die für eine größere Akzeptanz von Verfahrensverzögerungen oder eine geringere Eignung einer Videokonferenz zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren im Vergleich zum Beschwerdeverfahren sprechen würden. Das Argument der Beschwerdegegnerin, das Beschwerdeverfahren diene mehr der rechtlichen Überprüfung und erfordere von vornherein weniger Sachverhaltsermittlungen als das Verfahren vor Prüfungs- und Einspruchsabteilungen, überzeugt die Kammer nicht. Es ist zwar richtig, dass das Beschwerdeverfahren auf eine rechtliche Überprüfung der Entscheidungen ausgerichtet ist, dies bedeutet aber keineswegs, dass eine solche Überprüfung grundsätzlich weniger sachbezogen wäre. Nach Artikel 111(1), zweiter Satz EPÜ wird eine Beschwerdekammer im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Damit verfügt die Beschwerdekammer grundsätzlich über alle Befugnisse des erstinstanzlichen Organs und hat gegebenenfalls alle Tatsachen und das Parteivorbringen in gleicher Tiefe zu prüfen wie die Prüfungs- oder Einspruchsabteilung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gegenstand einer Beschwerde und damit der Umfang der Prüfung durch die Beschwerdekammer grundsätzlich durch die Gründe der angefochtenen Entscheidung, die Beschwerdeschrift und ggf. die Beschwerdeerwiderung bestimmt werden.
7.1.4 Daher lagen auch im vorliegenden Fall die in G 1/21 definierten grundsätzlichen Voraussetzungen dafür vor, eine mündliche Verhandlung als Videokonferenz ohne Zustimmung der Parteien hierfür durchzuführen.
7.1.5 Die generelle Frage, ob die Begründung der Entscheidung G 1/21 auf die Situation, in der kein allgemeiner Notstand vorliegt, übertragbar ist, braucht von der Kammer nicht beantwortet zu werden, da diese Frage für den Ausgang des vorliegenden Falles nicht entscheidungserheblich ist.
7.2 Erfordernis einer erneuten Ladung unter Einhaltung einer zweimonatigen Frist beim Übergang von einer Präsenzveranstaltung zu einer Videokonferenz
7.2.1 Der in den Richtlinien E.III.7.1 angesprochene Termin einer mündlichen Verhandlung betrifft den Zeitpunkt der Verhandlung, nicht deren Ort. Falls die mündliche Verhandlung verlegt wird, also ein neuer Termin festgesetzt wird, können die Beteiligten auf Einhaltung einer zweimonatigen Ladungsfrist nach Regel 115(1) EPÜ bestehen. Das liegt darin begründet, dass rein organisatorisch eine kurzfristigere Umplanung aufgrund anderer Termine eines Beteiligten bzw. Vertreters oft nicht realisierbar ist. Hier dient die Ladungsfrist insbesondere der Planbarkeit und Vorhersehbarkeit, siehe z.B. T 2534/10, Abschnitt 2.1.3a) der Begründung. Grundsätzlich ist es zwar denkbar, dass auch bei einem Ortswechsel zur Sicherstellung der Planbarkeit und Organisation eine zweimonatige Ladungsfrist einzuhalten wäre, insbesondere wenn völlig neue Reisevorbereitungen erforderlich sind, wie beispielsweise bei einem Wechsel des Verhandlungsortes von München nach Den Haag. Ähnliches könnte auch bei einer Umwandlung von einer Videokonferenz in eine Präsenzverhandlung zutreffen, die eine Anreise erfordert. Dies gilt jedoch offensichtlich nicht für den umgekehrten Fall, der allenfalls die Stornierung bereits getroffener Reisebuchungen nötig macht und keinen Verlust an Arbeitszeit durch An- und Abreise, sondern deren Gewinn mit sich bringt.
7.2.2 Die Kammer sieht keine unbedingte Notwendigkeit für die Buchung eines videokonferenzfähigen Raums, die von der Beschwerdeführerin als Beispiel für ein Zeit in Anspruch nehmendes Organisationshindernis angeführt wird. Jedenfalls nehmen die Kammermitglieder regelmäßig von ihren gewöhnlichen Büroräumen oder von zuhause an Verhandlungen per Videokonferenz teil. Solche Räume sind auch "privat" in dem Sinn, dass sie eine Besprechung mit dem ebenfalls anwesenden Mandanten ermöglichen würden. Dafür könnte z.B. einfach Bild und Ton der Übertragung ausgeschaltet werden. Zudem bietet eine Videokonferenz auch virtuelle Besprechungsräume für von verschiedenen Orten zugeschaltete Teilnehmer. Die Vertraulichkeit ist dabei sichergestellt - die Kammer nutzt selbst einen solchen virtuellen Raum für ihre Beratungen während einer Videokonferenz.
7.2.3 Zusammenfassend ist also abgesehen von einer fehlenden ausdrücklichen Regelung für einen Ortswechsel in den Richtlinien auch nicht ersichtlich, dass eine Umwandlung einer Präsenzverhandlung in eine Videokonferenz im Hinblick auf Planbarkeit und Organisation eine erneute zweimonatige Ladungsfrist erforderlich machen würde.
7.3 Verstoß gegen das Öffentlichkeitsprinzip durch fehlenden Hinweis auf eine mündliche Verhandlung im Kalender des Europäischen Patentamts
7.3.1 Um die in Artikel 116(4) EPÜ geforderte öffentliche Zugänglichkeit einer mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sicherzustellen, sind Zeit und Ort der Verhandlung über eine Akteneinsicht für jedermann in Erfahrung zu bringen. Die Beschwerdeführerin argumentiert, eine Akteneinsicht sei keine zuverlässige Informationsquelle. Dies zeige sich beispielsweise daran, dass der Verhandlungsort Isargebäude der mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht daraus hervorgehe. Die Kammer weist dieses Argument zurück. Die Ladung zu der Verhandlung vor der Beschwerdekammer vom 30. Mai 2022 ist Teil der öffentlich zugänglichen Akte und weist als Verhandlungsort "Bob-van-Benthem-Platz 1, 80469 München (DE)" aus.
7.3.2 Demgegenüber ist der vom Europäischen Patentamt online zur Verfügung gestellte Kalender der mündlichen Verhandlungen eine subsidiäre Serviceleistung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und keinen Haftungsanspruch im Falle von Fehlern und Irrtümern in diesem Kalender gewährt. Darauf wird im Abschnitt "Haftungsausschluss" auf der Startseite hingewiesen. Die Beschwerdeführerin bezweifelt, dass dieser Haftungsausschluss bereits zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchabteilung Teil des Kalenders war und fordert die Kammer auf, dies nachzuweisen. Die Kammer bemerkt zum einen, dass jede Partei für die Tatsachen, auf die sie sich beruft, beweispflichtig ist, und nicht die Kammer einen Gegenbeweis antreten muss. Zum anderen ist dieser Aspekt nicht entscheidungserheblich, solange ein zuverlässiger anderer Weg, sich über Zeit und Ort der Verhandlung zu informieren, für die Öffentlichkeit zugänglich war, was vorliegend der Fall war.
7.3.3 Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass ein Fehler im Verhandlungskalender des Europäischen Patentamts keinen Verstoß gegen Artikel 116(4) EPÜ darstellt.
7.4 Da die Kammer keine Schwierigkeiten hatte, die gestellten Rechtsfragen auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen und der bestehenden Rechtssprechung selbst zu beantworten, hält sie es nicht für erforderlich, sie der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, Artikel 112(1)a) EPÜ. Im übrigen sind, wie auch von der Beschwerdeführerin bestätigt, die angeregten Vorlagefragen nur von abstrakter und theoretischer Relevanz. Die Kammer wäre ohne Beantwortung der Fragen zu derselben Entscheidung gekommen, so dass diese nicht wesentlich für das vorliegende Beschwerdeverfahren ist, siehe RSBK 10. Auflage, V.B.2.3.3. Auch unter diesem Gesichtspunkt sieht die Kammer von einer Befassung der Großen Beschwerdekammer ab.
8. Ergebnis
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Einsprechende erfolgreich gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung, das Verfahren nach Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) sei neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der E1. Die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Zurückweisung des Einspruchs ist somit aufzuheben. Dass keiner der Hilfsanträge der Patentinhaberin zum Beschwerdeverfahren zugelassen wurde, führt letztlich zum Widerruf des Patents.
Darüber hinaus hatte die Kammer weder Anlass, einer Rüge der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) nach Regel 106 EPÜ wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs stattzugeben, noch von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) aufgeworfene Rechtsfragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Das Patent wird widerrufen.